Benutzer:Nymphea/G Probe
Begriffsbestimmung
Innerhalb der psychologischen Diagnostik ist ein psychologisches Gutachten „eine wissenschaftliche Leistung, die darin besteht, aufgrund wissenschaftlich anerkannter Methoden und Kriterien nach feststehenden Regeln der Gewinnung und Interpretation von Daten zu konkreten Fragestellungen Aussagen zu machen" [1].
Begriffliche Abgrenzung[2]
Im Gegensatz zum psychologischen Gutachten ist
- die „gutachterliche Stellungnahme“: eine aus der wissenschaftlichen Psychologie abgeleitete Antwort auf eine eingeschränkte Detailfrage.
- die „psychologische Stellungnahme“: eine fachliche Bewertung eines bereits vorliegenden psychologischen Gutachtens oder einer gegebenen Fragestellung ohne einer eigenen Datenerhebung.
- der „psychologische (Untersuchungs-)Befund“: eine für Nicht-Psychologen verständlich aufbereitete Aussage über Ergebnisse einer psychologischen Untersuchung.
Das bedeutet, dass die rein deskriptiv abgefassten Ergebnisse aus 1. bis 9. innerhalb der Psychologischen Diagnostik den „Befund“ bzw. „Untersuchungsbericht“ darstellen: [3]
- Anamneseerhebung (Sammlung der typischerweise mit dem gegebenen Sachverhalt in Verbindung stehenden Informationen)
- Exploration (des entscheidungsorientierten Gesprächs)
- Tests
- Persönlichkeitsfragebogen
- Projektive Verfahren
- Verhaltensbeobachtung
- Biografisches Inventar
- Assessment-Center
- Arbeitsplatzanalyse
Durch 10. Interpretation der Ergebnisse sowie dem 11. Festsetzen einer Intervention bzw. eines Maßnahmenvorschlages erhält man in Summe ein Gutachten.
Das psychologische Gutachten dokumentiert den diagnostischen Prozess.
Allgemeine Regeln zur Gutachtenerstellung
- Vor der Übernahme eines Falles muss geklärt werden, ob die Fragestellung ethisch vertretbar bzw. grundsätzlich zu beantworten ist, ob sie in den Zuständigkeitsbereich des Psychologen fällt und ob genügend Wissen zur Bearbeitung vorliegt[4].
- Vor der psychologischen Untersuchung muss die „Testbarkeit“ des Klienten festgestellt werden. Kubinger[3]empfiehlt dazu dem Gutachter bzw. Testleiter, folgende Punkte für sich zu überprüfen:
- - Steht die zu testende Person unter dem Einfluss von Alkohol, Drogen oder Medikamenten, die die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen?
- - Ist die Person krank oder sehr müde bzw. erschöpft?
- - Befindet sich die Person in einem psychischen Schock- oder vergleichbaren Zustand, der eine Testung nicht möglich macht?
- - Kann die Person die Anweisungen gut lesen (Sehvermögen), verstehen und dementsprechend handeln?
- Die Akzeptanz der Begutachtung von Seiten des Adressaten zeigt sich, wenn er die gutachterlichen Aussagen und Maßnahmen(-vorschläge) selbst zu erklären und begründen vermag[5].
- Der Adressat muss die Argumentationskette des Gutachtens nachvollziehen können[5].
- Dem Lebensentwurf des Klienten muss vom Psychologen mit Achtung begegnet werden; die Sprache ist taktvoll zu halten[5].
- Die Begutachtung soll sowohl schriftlich als auch mündlich so vermittelt werden, dass sie für den Adressaten nachvollziehbar ist [5][3].
- Während nicht jede Situation zwingend schriftliche Gutachten fordert, muss bedacht werden, dass gemäß der Grundsätze der Berufsordnung des BDP der Psychologe verpflichtet ist, über Beratungen und Behandlungen aussagefähige Aufzeichnungen zu erstellen[6].
- Die Fachkenntnis des Adressaten des Gutachtens muss bedacht werden[7], wobei Kubinger [3] darauf hinweist, dass prinzipiell als Adressaten nur psychologisch vorgebildete Personen vorzusehen sind.
- Im Gutachten sollen nur jene Fragen beantwortet werden, die vom Auftraggeber gestellt wurden [7].
- Alle eingesetzten psychologisch-diagnostischen Verfahren müssen namentlich erwähnt werden [7].
- Die Beschreibung der Ergebnisse und deren Interpretation muss deutlich voneinander abgegrenzt werden [7].
- Im Gutachten muss die psychologisch-diagnostische Fragestellung durch Erläuterung der gewonnenen Resultate dezidiert beantwortet werden [7].
- Wertende Aussagen sollen vermieden werden, notwendige Einfühlung und kritische Distanz gegenüber dem Klienten müssen Hand in Hand gehen [7].
- Die Ergebnisse der psychologischen Untersuchung sowie deren Bedeutung müssen dem Klienten in einer nachfolgenden Besprechung dargelegt werden. Dies ist auch der Fall, wenn es sich bei den begutachteten Personen um Kinder handelt. Genaue Zahlenangaben (wie z.B. ein Intelligenzquotient) sollen dabei jedoch vermieden werden [7].
- Ebenso ist nach Abschluss der psychologischen Untersuchung ein Beratungsgespräch mit dem Klienten zu führen. Die Aushändigung des schriftlichen Gutachtens ist dabei jedoch nicht selbstverständlich, da hier nicht gewährleistet werden kann, dass es in Zukunft nicht für (ungeeignete) Zwecke verwendet werden wird. Allerdings sollen dem Klienten keine Informationen vorenthalten werden [7].
- Eine Zusammenfassung am Ende des Gutachtens soll Fragestellung, eingesetzte Verfahren, die wesentlichen Ergebnisse in interpretierter Form und den daraus resultierende Maßnahmenvorschlag noch einmal in wenigen Sätzen wiedergeben[8].
- Als Seriositätsbescheinigung kann die Unterschrift des Psychologen unter dem psychologischen Gutachten noch mit einem Hinweis auf die berufsethischen Richtlinien qualifiziert werden: „Ich versichere, dieses Gutachten nach sorgfältiger psychologischer Testung und nach genauer Erhebung der im Gutachten zu beurteilenden Tatsachen nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne der berufsethisch festgeschriebenen Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten abgefasst zu haben.“ [9] bzw. bei Durchführung durch einen nach DIN 33430 zertifizierten Psychologen auch noch mit einem entsprechenden Vermerk, etwa „Darüber hinaus erfüllt das Gutachten die in der DIN 33430 (berufsbezogene Eignungsbeurteilung) festgelegten Qualitätsansprüche.“ [9].
- Im Sinne einer Positiven Psychologie, in der Fokus der Aufmerksamkeit weniger auf Defizite als vielmehr auf Ressourcen gerichtet wird, sollen auch im Gutachten nicht nur negative Eigenschaften genannt werden, sondern auf kompensatorische Aspekte und Möglichkeiten der Intervention geachtet werden [10].
Empfehlungen für Gestaltungsprinzipien
Die formale Gestaltung eines Gutachtens ist grundsätzlich nicht verbindlich und kann sich je nach Fragestellung, Institution, persönlichem Stil des Verfassers etc. unterscheiden.
Bestimmte Rahmenbedingungen sollten jedoch erfüllt werden:
- Ein Deckblatt soll wesentliche Informationen bereitstellen [3]:
- - Name des fallführenden Psychologen
- - Name der untersuchten Person
- - Fragestellung
- - Fragesteller (Adressat)
- - Datum (die Untersuchungstermine müssen wenn nicht am Deckblatt an späterer Stelle angeführt werden)
- Hinsichtlich Aufbau wird eine Orientierung am diagnostischen Prozess empfohlen [11]:
- - Fragestellung
- - Annahmen
- - Anforderungsprofil
- - Psychologische Fragen (= Hypothesen)
- - Untersuchungsplan
- - Durchführen der diagnostischen Untersuchung
- - Darstellen der Ergebnisse
- - Beantworten der Psychologischen Fragen und damit der Fragestellung
- - Vorschläge bzw. Empfehlungen zum weiteren Vorgehen
- Bei der Darstellung der Vorgeschichte muss die Informationsquelle eindeutig angegeben werden. Bei Aussagen, die vom Psychologen unüberprüft bleiben, muss zur Kennzeichnung der mittelbaren Wiedergabe der Konjunktiv verwendet werden. Überprüfbare Fakten (z.B. Geburtsdatum, -ort, Beruf u.ä.) können im Indikativ formuliert werden[12].
- Z.B.: „Seit ... habe sich das Verhältnis zu den Eltern aufgrund der ... verbessert/ verschlechtert/ geändert.“[13].
- Bei der Interpretation von Ergebnissen aus Persönlichkeitsfragebogen muss aufgrund der Möglichkeit zur (absichtlichen oder unbeabsichtigten) Verfälschung eine entsprechende Formulierung gewählt werden[14] [3]
- Z.B. „Der Klient beschreibt sich als .... / gibt sich als .... / stellt sich als .... dar.“
- Auch die Frage, ob festgestellte Testleistungen (etwa in einem Leistungstest) tatsächlich auf zugrundeliegende Fähigkeiten schließen lassen, kann sprachlich berücksichtigt werden[8] [3].
- Bei der Interpretation der Testergebnisse muss die Messgenauigkeit des verwendeten Tests berücksichtigt werden, indem der mögliche Messfehler Beachtung findet (Angabe eines Konfidenzintervalls) [14] [3].
- Die Interpretation der Ergebnisse soll sich an den konkret gemessenen Eigenschaften orientieren, anstatt nur die Namen der (Unter-)Tests und Skalen (welche meist nicht selbsterklärend sind) zu verwenden [14] [3].
- Der Begriff „Proband“ soll vermieden werden; je nach Situation sind „Klient“, „Patient“, „Bewerber“, „Kandidat“, „der/die zu Untersuchende“ oder „Testperson“ vorzuziehen[14] [3] [15]
- Da im Gutachten die fachpsychologisch fundierten Befunde für den Adressaten verständlich aufbereitet werden sollen, sollen die Ergebnisse nicht nur anhand von Zahlen tabellarisch dargestellt werden, sondern müssen schriftsprachlich beschrieben werden [14] [3].
- Die Angabe der Testergebnisse in Form von Prozenträngen ist zu empfehlen, da hier unmittelbar die Position der Testperson in Bezug auf die interessierende Eigenschaft in der Referenzpopulation erkennbar ist [14] [3].
- Im Sinne einer guten Verständlichkeit und um einen Halo-Effekt auf Seiten des Adressaten zu vermeiden, soll der Verfasser auf die äußere Form des Gutachtens bedacht sein[8] [3].
Häufige Fehler bei Gutachten
- unscharfe Ausdrucksweise, ausweichende Stellungnahmen, fehlende Objektivierbarkeit[16]
- Die Grenzen der Aussagekraft (z.B. in Hinsicht auf situationsübergreifendes Verhalten bzw. Verhaltensprognose) werden nicht bzw. nicht deutlich genug aufgezeigt[17].
- Die Testwerte werden im Gutachten nicht wiedergegeben [19].
- Die verwendeten Verfahren sind für den Leser nicht nachvollziehbar bzw. wird nicht angegeben, welche Merkmale sie erfassen sollen [20].
- Das Vorgehen ist nicht durchgängig nachvollziehbar dokumentiert und erfolgt nicht hypothesengeleitet[21]
Einzelnachweise
- ↑ Berufsverband Deutscher Psychologen. (1988). Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten. Bonn: Deutscher Psychologen Verlag. S. 3
- ↑ Berufsverband Deutscher Psychologen. (1988). Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten. Bonn: Deutscher Psychologen Verlag.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m Kubinger, K. D. (2009). Psychologische Diagnostik: Theorie und Praxis psychologischen Diagnostizierens (2. überarb. und erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
- ↑ Amelang, M. & Schmidt-Atzert, L. (2006). Psychologische Diagnostik und Intervention (4. Aufl.). Berlin: Springer.
- ↑ a b c d Haubl, R. (1984). Praxeologische und epistemologische Aspekte psychologischer Begutachtung. In H. A. Hartmann & R. Haubl (Hrsg.), Psychologische Begutachtung (S. 33-74). München: Urban & Schwarzenberg.
- ↑ Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen.: Ethische Richtlinien der DGPs und des BDP. http://www.bdp-verband.de/bdp/verband/ethik.shtml (abgerufen am 19. November 2011)
- ↑ a b c d e f g h Rauchfleisch, U. (2005). Testpsychologie (4. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- ↑ a b c Boerner, K. (2004). Das psychologische Gutachten. Ein praktischer Leitfaden (7. erw. Aufl.). Weinheim und Basel: Beltz.
- ↑ a b Kubinger, K. D. (2009). Psychologische Diagnostik: Theorie und Praxis psychologischen Diagnostizierens (2. überarb. und erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. S. 13.
- ↑ Rentzsch, K. & Schütz, A. (2009). Psychologische Diagnostik. Grundlagen und Anwendungsperspektiven. Stuttgart: Kohlhammer.
- ↑ Westhoff, K. & Kluck, M. L. (2008). Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen. (5. Aufl.) Berlin: Springer.
- ↑ Fisseni, H.-J. (2004). Lehrbuch der psychologischen Diagnostik (3. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
- ↑ Boerner, K. (2004). Das psychologische Gutachten. Ein praktischer Leitfaden (7. erw. Aufl.). Weinheim und Basel: Beltz. S. 19
- ↑ a b c d e f Kubinger, K. D. (2003). Gutachten, psychologisches. In K. D. Kubinger & R. S. Jäger (Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik (S. 187-195). Weinheim: Beltz.
- ↑ Westhoff, K. (2005). Methoden zur Operationalisierung von Eignungsmerkmalen. In K. Westhoff, L. J. Helfritsch, L. F. Hornke, K. D. Kubinger, F. Lang, H. Moosbrugger, A. Püschel & G. Reimann (Hrsg.), Grundwissen für die berufsbezogene Eignungsdiagnostik nach DIN 33430 (2. Aufl., S. 145-155). Lengerich: Pabst.
- ↑ Götsch, G. (1997). Qualitätssicherung psychologischer Diagnostik bei Befundung und Begutachtung: Aus der Sicht des Hauptverbandes der allgemein beeideten gerichtlichen Sachverständigen Österreichs. Psychologie in Österreich, 17, 23-26.
- ↑ Kubinger, K. D. (1997). Richtlinien zur Qualitätssicherung von psychologischen Gutachten. Psychologie in Österreich, 17, 10-16.
- ↑ Bauer, A. (2000). Beurteilung und Qualitätssicherung von psychologisch-diagnostischen Gutachten. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien.
- ↑ a b Brugger, C. (2001). Psychologische Sachverständigengutachten im Entlassungsverfahren aus der Maßnahme nach § 21 Abs. 2 StGB. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien.
- ↑ Terlinden-Arzt, P. (1998). Psychologische Gutachten für das Familiengericht. Lengerich: Pabst.
- ↑ Klüber, A. (1998). Psychologische Gutachten für das Familiengericht. Lengerich: Pabst.