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Chalcedon/Carchedon in der Johannesapokalypse und antiken Quellen

Chalcedon als Mineralbezeichnung ist zuerst belegt im griechischen Text der Johannesapokalypse, wo mit χαλκηδών der – nach dem Jaspis und Saphir sowie vor dem Smaragd – dritte der zwölf Steine im Fundament der Stadtmauer des himmlischen Jerusalem bezeichnet wird (21,19-20 EU):

„Die Grundsteine der Stadtmauer sind mit edlen Steinen aller Art geschmückt; der erste Grundstein ist ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, 20 der fünfte ein Sardonyx, der sechste ein Sardion, der siebte ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst.“

Bekannt war das Wort in der Antike als Ortsname der bithynischen, am südlichen Ausgang des Bosporus gelegenenen Hafenstadt Chalcedon: es entspricht der auch heute noch üblichen Form des Ortsnamens χαλκηδών, neben noch besonders die in Inschriften vorherrschende Form καλχηδών und als weitere phonetische Varianten mit Tenuisierung der aspirierten Silbenanlaute καλκηδών, mit Schließung des Vortonvokals auch χαλκιδών und in dorischem Dialekt καλχαδών gebräuchlich waren, ebenso im Lateinischen dann außer Chalcedon auch Calchedon, Chalcedon, Calcedon, C(h)alcidon oder Calchadon. In Verbindung mit Edelsteinen wurde dieser Ortsname im griechischen und römischen Schrifttum zwar gelegentlich für die Beschreibung der Herkunft von Steinen aus Chalcedon oder in der adjektivierten Form (λύθος) χαλκηδόνιος (‚chalcedonischer Stein‘, ‚Chalcedonier‘) bzw. lat. chalcedonius, calchedonius, calcedonius, calcidonius verwendet, wobei sich die Aussagen teils auf Arten von (in der Terminologie der antiken Autoren) Smaragd (Theophrast, Plinius) oder Jaspis (Plinius) aus der Umgebung von Chalcedon, teils auch, sofern der betreffende Text (Lapidar von Sokrates und Dionysios) ebenfalls noch zu berücksichtigen ist,[1] auf indischen Karfunkel beziehen. Aber in nicht suffigierter Form ist der Ortsname oder ein davon etymologisch unabhängiges Homonym als Edelsteinname im älteren Schrifttum nicht belegt, der Verwendungsfall in der Johannesapokalypse insofern ein Hapax legomenon.[2]

Als Textvariante erscheint in den griechischen Handschriften der Apokalypse neben der nur phonetischen Variante χαλκιδών auch noch die lexikalisch abweichende Lesart καρχηδών, ebenso in der Vetus Latina carcedon statt calcedon und in der Vulgata, wo diese Lesart in der Stuttgarter Ausgabe dann auch in den Text übernommen wurde, carcedonius statt calcedonius.[3] Bei καρχηδών handelt es sich um den griechischen, aus phönizisch

קרת חדשת

(Qart-Hadašt, ,neue Stadt‘) entlehnten Namen Karthagos, der mit Bezug auf Edelsteine in suffigierter Form (Plinius: carchedonius, carchedonia) Karfunkel bezeichnete, wie sie als ‚feurige carchedonische Steine‘ auch in römischer Dichtung (Petronius) bekannt waren.[4]

Chalcedon und Carchedon nebst ihren phonetischen Varianten und ihren Ableitungen wurden auch bei der Überlieferung anderer antiker Texte vielfach durcheinandergebracht. Für den griechischen Text der Johannesapokalypse besteht in der modernen Textkritik Konsens, daß mit der ganz überwiegenden Mehrzahl der Handschriften χαλκηδών zu lesen, καρχηδών hingegen als eine auf Versehen oder nachträglicher Berichtigung beruhende Überlieferungsvariante auszuscheiden ist. Unsicher geblieben ist dagegen die mineralogische Deutung des biblischen Steins[5] und in Verbindung damit auch die Frage, ob nicht, wie in jüngerer Zeit Joosten (1999) vermutet hat, bereits beim Verfasser der Johannesapokalypse oder in einem von ihm aufgegriffenen Sprachgebrauch eine Verwechslung von Chalcedon und Charcedon vorlag, da nach dem Zeugnis vergleichsweise späterer, aber für die Entstehungsbedingunen des Textes möglicherweise noch aussagekräftiger Texte Edelsteinbezeichnungen des Typs carched- im Unterschied zu solchen des Typs chalced- in der Rezeption der wichtigsten alltesstamentlichen Parallelstellen, nämlich der Kataloge der zwölf Edelsteine im Brustschild des Hohepriesters (Ex 28,17-20 = 39,10-13) und im Klagelied über den König von Tyrus (Ez 28,13), außerdem der der Prophezeiung über das aus Edelsteinen zu erbauende neue Jerusalem (Is 54,11-12), eine Rolle gespielt hatten.

„Chalcedonischer“ Stein

De lapidibus (περὶ λίθων) von Theophrast, die älteste erhaltene steinkundliche Schrift der griechischen Antike, verfaßt im 4. Jahrhundert v. Chr., ist zugleich die erste erhaltene Schrift, in der die Stadt Chalcedon mit Edelsteinen in Verbindung gebracht wird. Theophrast erwähnt dort bei der Behandlung ungewöhnlich großer und ‚falscher‘ Smaragde (dargestellt als vergleichbar oder gleichsetzbar mit Goldlot, demnach wahrscheinlich das güne Kupferkarbonat Malachit), daß besonders außergewöhnliche Steine dieser Art in Kupferminen auf einer Insel gegenüber Chalcedon (ἐη τῇη νήσῳ ἐπικείμένῃ Χαλκηδόνι) gefunden wurden,[6] wobei es sich um eine der Demonesischen Inseln, am ehesten Χάλκη, gehandelt haben dürfte, die auch in der unter dem Namen von Aristoteles überlieferten Schrift De mirabilibus auscultationibus als „die den Chalzedoniern zugehörige Insel Demonesos“ (Δημόνησος ἠ Χαλκηδονίων νέσος) mit einer Abbaustätte für dunkelblaues Metall und Goldlot erwähnt wird.[7] Beide Texte sind handschriftlich nur mit den Lesarten ‚Insel gegenüber Carchedon‘ (d.h. gegenüber Karthago) und ‚den Carchedoniern zugehörige Insel‘ überliefert, der Bezug auf Chalcedon beruht aber auf inhaltlich begründeter Konjektur der Herausgeber, da ‚gegenüber Karthago‘ keine ‚den Karthagern zugehörige‘ Insel mit vergleichbaren Vorkommen nachgewiesen ist.[6][7]

Auch Plinius, der des öfteren Schriften von Theophrast benutzt hat und sich auch im Kontext der fraglichen Stelle auf ihn beruft, spricht im letzten Buch seiner Historia naturalis (XXXVII, § 74) bei der Behandlung der Smaragde von ‚chalcedonischen‘ (bzw. in der metathetischen Form ‚calchedonischen‘) Steinen dieser Art („Calchedonii“), die er als besonders minderwertig, im Unterschied zu Theophrast aber auch als besonders minderwertig und klein beschreibt („semper tamen vilissimi fuere minumique“), mit einer unbestimmt grünlich, wie Tauben- oder Pfauenfedern je nach Neigungswinkel schillernden Farbe, d. h. einem Farbverhalten, das man heute als Pleochroismus bezeichnet. Steine dieser Art waren laut Plinius seit dem Versiegen der chalecdonischen Erzminen ganz oder weitgehend außer Gebrauch gekommen („nescio an in totum exoleverunt, postquam metalla aeris ibi defecerunt“), und als Fundstätte gibt er im Unterschied zu Theophrast keine Insel, sondern einen bei Chalcedon („iuxta Calchedonem“) gelegenen Berg mit Namen „Smaragdites“ („mons est iuxta Calchedonem, in quo legebantur, Smaragdites vocatus“). Die Handschriften bieten auch in diesem Fall abweichende Learten, die diese Aussagen auf Carchedon-Karthago beziehen, der Bezug auf Chalcedon wird jedoch unter anderem durch das Zeugnis der im 19. Jahrhundert von Ludwig von Jan wiederentdeckten, für den Text der letzten sechs Bücher im allgemeinen maßgeblichen Bamberger Handschrift (Bamberger Dombibliothek, Class. 42, 10. Jh.) und durch die inhaltliche Übereinstimmung mit Theophrast gestützt.[8] ‚Calchedonische‘ („Calchedonii“) Smaragde erwähnt dann später auch Solinus bei einer Aufzählung von Smaragden, die nicht skythischer und also in diesem Fall offenbar chalcedonischer Herkunft sind.[9]

Von Steinen aus Chalcedon spricht Plinius andererseits aber auch bei der Behandlung von Jaspis, den er abweichend vom heutigen Verständnis als einen meist grünfarbene und stets durchscheinenden Edelstein beschreibt, der in Indien in einer dem Smaragd ähnlichen Variante, auf Zypern aber auch blau und an anderen Orten purpurn oder purpurblau vorkomme. Bei der Aufzählung weiterer regionaler Varianten erwähnt er dann auch, daß aus Amisos eine dem indischen Jaspis ähnliche, aus Chalcedon hingegen (diesmal mit abweichender Lesart „Chalcidia“, d.h. Chalkis) eine ‚trübe‘ Variante exportiert werde („Amisos Indicae similem mittit, Calchedon turbidam“).[10]

Von der Forschung einbezogen wurden außerdem noch mehrere griechische Lapidarien, die Edelsteine unter dem Gesichtspunkt ihrer Eignung für magische und therapeutische Amulette beschreiben und hierbei auch einen ‚chalcedonischen‘ Stein anführen. Die erhaltenen Bearbeitungen dieser Texte sind zwar in den meisten Fällen später entstanden als die Johannesapokalypse, aufgrund ihrer Abhängigkeit von älteren, nicht mehr erhaltenen Quellen sind sie aber möglicherweise trotzdem noch geeignet, älteren Sprachgebrauch zu dokumentieren.[11] Den ausführlichsten Eintrag widmet dem ‚chalcedonischen Stein‘ (Λίθος ὁ χαλκηδόνιος) ein in Handschriften des 14.-15. Jahrhunderts überliefertes, wahrscheinlich aus Ägypten stammendes Lapidar, das in einer Marginalglosse zwei Autoren namens „Sokrates und Dionysios“ zugeschrieben wird und in seiner Entstehungszeit nicht sicher zu bestimmen ist, sondern von den jüngsten Herausgebern nur annäherungs- und vermutungsweise in die „römischen Kaiserzeit“ datiert wird.[12] Es beschreibt den ‚chalceodnischen Stein‘ in seinem Aussehen als feurig wie ein Karfunkel (τὴν χροιάν ἐστι πυραυγὴς ἄνθρακι ὅμοιος), setzt ihn mit dem Leuchtsein Lychnit gleich (οὗτος ὁ λίθος ἐστὶν ὁ λυχνίτης) und bezeichnet ihn auch als eine Art reinen, blutfarbenen Karfunkel (ὁ ἄνθραξ, καθαρός, αἱματοειδής). Als Erkennungszeichen wird angegeben, daß er, wenn man ihn auf weichem Stoff reibe (also elektrostatisch auflade), Strohalme anzuziehen vermöge, so wie Magnetit Eisen anziehe. Als Herkunftsgebiet wird ihm Indien zugeschrieben, ein den Namen motivierender Zusammenhang mit der bithynischen Stadt Chalcedon wird also nicht hergestellt. Mit einem Abbild der Göttin Athene versehen, die in der rechten Hand einen Reiher[13] und in der linken einen Helm trägt, soll der Stein, nachdem er geweiht wurde, seinem Träger zum Sieg über seine Widersacher verhelfen, ihm ein gewinnendes und entgegenkommendes Wesen verleihen und ihm Erfolg bei allen Unternehmungen sowie Rettung bei Schiffbruch ermöglichen. In der Beschreibung der nicht-magischen Eigenschaften steht diese Darstellung in einer älteren griechischen Tradition, die ganz ähnlich auch Plinius, dieser jedoch für die Darstellung von Lychnit und „Carchedonia“, ausgeschöpft hatte (siehe unten).

Kürzere Einträge widmen dem Stein das in drei Handschriften des 14. und 16. Jahrhunderts überlieferte, möglicherweise noch aus dem 3. Jahrhundert stammende Nautische Lapidar,[14] das ihn gemeinsam mit dem Karfunkel (῎Ανθραξ καὶ χαλκηδόνιος) als einen von Kindheit an zu tragenden Glücksbringer gegen Ertrinken bei Schiffbruch anführt,[15] und eine pseudo-hippokratische Schrift des 9. Jahrhunderts[14] über die Heilkräfte von Edelsteinen, deren einzige Handschrift die Lesart Λίθος χαλκηδόνιος zeigt.[16] Unsicher ist dagegen, welche Namensform das möglicherweise älteste dieser Lapidarien, das im griechischen Original nicht erhaltene sogenannte Damigeron-Lapidar, dessen lateinische Übersetzung, im 5. Jahrhundert von einem Anonymus unter dem Pseudonym Evax verfaßt, zwei hierfür infragekommende Einträge bietet.[17] Der erste und ausführlichere[18] beschreibt einen Glücksbringer gegen Wassersucht, Ertrinken und Sinnestäuschung, der – ähnlich wie der chalcedonische Stein bei Sokrates und Dionysius – Schöhneit, Macht und Erfolg in allen Angelegenheiten bringen und als Schnitt einen gewappneten Mars und eine Jungfrau mit Stola und Lorberzweig, wahrscheinlich die Göttin Victoria,[19] tragen soll. Von sieben Handschriften bezeichnen ihn drei als Japis, der auch Calcedonius genannt werde und von grüner Farbe sei („iaspis lapis (est) qui et calcedonius dicitur, colore est uiridis“), eine bezeichnet ihn ohne Farbangabe als Jaspis mit dem Zusatz „est carcedonius“ („iaspis lapis est carcedonius“: ‚der Stein Jaspis ist ein/der Carcedonius‘ oder ‚ist aus Karthago‘), und drei bezeichnen ihn jeweils nicht als Jaspis, sondern nur als „carsidonio“ bzw. „carsydonio“ und geben dann auch keine Farbe an. In einem weiteren, kürzeren Eintrag,[20] der einen in Eisen zu fassenden Glücksbringer in Streitsachen anführt, wird dieser in den drei „calcedonius“-Handschriften erneut mit diesem Namen bezeichnet, während die vier „carsidonio“/„carsydonio“/„carcedonius“-Handschriften ihn diesmal „carcedonius“ nennen.[21] Die jüngsten Herausgeber haben für beide Abschnitt jeweils die in dieser Graphie von keiner Handschrift bezeugte Namensform „chalcedonius“ als ursprüngliche angesetzt und auch die Einordnungen als „iaspis“ und Angaben grüner Farbe als spätere Zusätze in den Apparat verwiesen.

Als Beleg für griechische Kenntnis des Edelsteinnamens man schließlich auch noch einen der Papyri (Nr. 462) aus der John Rylands Library geltend gemacht, auf denen der Jurist (Scholastikos) Theophanes, Berater des Finanzverwalters des Statthalters von Ägypten, die Kosten einer zwischen 317 und 323 n. Chr. unternommenen Dienstreise von Hermupolis nach Antiochia archivieren ließ:[22] in einer Liste, die Kleidungsstücke und andere mutmaßliches Gepäck des Reisenden auflistet, findet sich unter anderen abgekürzt geschriebenen Edelsteinnamen wie ἀμέθυστ[ος] auch der ebenfalls abgekürzt geschriebene Eintrag χαλκηδον, von den Herausgebern mit Diminutiv -ιον als χαλκηδόν[ιον] interpretiert, nach Joosten möglicherweise richtiger mit χαλκηδόν[ιος] aufzulösen.[23]

„Carchedonischer“ Stein

Die antike Überlieferung zu ‚carchedonischen‘ Steinen ist vergleichsweise einheitlicher, weil sie sich, soweit sie nicht mit der Überlieferung biblischer Texte zusammenhängt oder als Überlieferungsvariante zu ‚chalcedonischen‘ Steinen auftritt, im wesentlichen auf die Behandlung der Karfunkel im letzten Buch von Plinius' Historia naturalis beschränkt,[24], das auch sprachlich die ältesten Belege für lateinisch carchedonius und carchedonia als Attribut und Name von Edelsteinen bietet. Zwar wird schon Publilius Syrus bei Petronius mit Versen angeführt, die feurige ‚carchedonische‘ Steine erwähnen und sie mit Karfunkeln assoziieren,[4] diese Verse werden heute jedoch aus stilistischen Gründen nicht mehr zu den authentischen Sentenzen des Publilius gezählt.[25]

Carchedonii als Unterart der Karfunkel

Die „carbunculi“, laut Plinius die vorzüglichsten unter den feurigen Steinen, werden von ihm nach dem Kriterium ihrer hauptsächlichen geographischen Herkunft in vier Hauptgattungen eingeteilt (§ 92), nämlich in indische, ‚garamantische‘, äthiopische und alabandische (d. h. aus dem karischen Orthosa stammende, die in Alabanda verarbeitet wurden), und von denen die ‚garamantischen‘ wegen der Reichtümer Karthagos („propter opulentiam Carthaginis Magnae“) auch „Carchedonii“ genannt würden (§ 92). Der Ausdruck carchedonii dient Plinius insofern als zunächst als Gattungsname, der als Oberbegriff noch weitere Unterarten umfaßt. Innerhalb jeder Gattung sollen außerdem nach der ‚Schärfe‘ oder Sanftheit ihres Strahlens ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Steine zu unterscheiden sein, wobei die Zuordnung zu den männlichen auch noch von anderen Gesichtspunkten (‚flüssigere‘, solche mit ‚schwärzlicherer Flamme‘, solche die ‚aus der Höhe‘ leuchten und mehr als andere in der Sonne aufflammen) abhängig gemacht werden kann (§ 92-95).

Für die Beschreibung einiger charakteristischer Unterschiede zwischen carchedonischen Karfunkeln und anderen Karfunkelarten führt Plinius zwei von ihm auch anderweitig genannte griechische Gewährsleute an, einen nicht näher bekannten Kallistratos[26] und Archelaos Philopatris, der als Verfasser eines chorographischen Werkes gilt, von dem aber ebenfalls keine einschlägigen Aussagen zu Karfunkeln erhalten sind.[27] Nach Kallistratos seien carchedonische Karfunkel wesentlich kleiner („multo minores“) als die indischen, von denen die letzteren so groß seien, daß sich daraus Gefäße von der Größe eines Sextarius schneiden ließen (§ 95). Nach Archelaos seien Carchedonier auch schwärzlicher („nigriores“), aber durch Feuer, Sonne oder Veränderung des Neigungswinkels („inclinatione“) zu einem ‚schärferen‘ Leuchten zu bringen als alle anderen Karfunkel: im schattigen Inneren eines Hauses erschienen sie purpurn („obumbrante tecto purpuros videri“), aber unter freiem Himmel flammend („sub caelo flammeos“) und leuchteten dann funkelnd gegen die Sonnenstrahlen an („contra radios solis scintillare“), und selbst im Schatten seien sie noch imstande, Siegelwachs zum Schmelzen zu bringen (§ 95). Nach Ansicht mehrerer Autoren, die nicht benannt werden, brenne außerdem im Inneren der männlichen Carchedonier ein Stern („in Carchedoniis maribus stellam intus ardere“), während die weiblichen ihren ganzen Glanz nach außen strahlten (§ 96).

Carchedonia und Lychnit

Außer der carchedonischen Gattung der Karfunkel beschreibt Plinius auch noch einen besonderen, anscheinend ebenfalls zu dieser Gattung gehörenden Stein unter der weiblichen Namensform Carchedonia, den er dabei aufgrund einiger sachlicher Gemeinsamkeiten im Zusammenhang mit Lychnit behandelt (§ 103-104), was sich später für die lateinische Exegese des biblischen Chalcedons/Carchedons als bedeutsam erwies.

Lychnit, in seinem Namen (bei Plinius die weibliche Namensform „lychnis“) vom Leuchten der „Lampen“ (vgl. λύχνος „Lampe, Leuchte, Fackel“) hergeleitet,[28] soll aus Orthosa und ganz Karien nebst Umgebung, in bester Qualität („probatissima“) aber aus Indien stammen (§ 113). Der geographischen Herkunft nach gehört er folglich zwei verschiedenen geographischen Hauptgattungen, den alabandischen und den indischen, aber nicht den garamantisch-carchedonischen Karfunkeln an. Nach Meinung einiger Autoren soll es sich um eine Art Schwachform oder mildere Form des Karbunkels handeln („quidam remissiorem carbunculum esse dixerunt“, § 113), in der Güte vergleichbar einer Blume, die Blume Jupiters genannt werde.[29] Plinius kennt solche oder aus noch anderen Gebieten stammende Lychnite in zwei Farbvarianten, die eine purpurn und die andere scharlachrot.[30] Außerdem besitzt Lychnit in diesen Farbvarianten laut Plinius die Fähigkeit zur elektrostatischen und auch pyroelektrischen Aufladung: von der Sonne erhitzt oder mit den Fingern gerieben soll der Stein in der Lage sein, Spreu und Papyrusfasern an sich zu ziehen („has sole excalfactas aut attritu digitorum paleas et chartarum fila ad se rapere“, § 113).[31] Aufgrund dieser Beschreibung wird Lychnit von den Kommentatoren heute meist mit Turmalin identifiziert.[32]

Anmerkungen

  1. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen SocrDiony.
  2. Joosten 1999, S. 137
  3. Albrecht 1982, S. 543
  4. a b Petronius, Satyricon, 55, hrsg. von Konrad Müller, München/Leipzig: Karl Saur, 2003, S. 49: „quo Carchedonios optas ignes lapideos? / nisi ut scintillet probitas e carbunculis“ (online); der Text wurde von seinen Herausgebern zuweilen per Konjektur zu „Chalcedonios“ vermeintlich berichtigt (vgl. Franz Bücheler, Petronii Arbitri Satyrarum reliquae, Berlin: Weidmann, 1862, S. 64 zu Zeile 10) und in dieser Version dann auch von Wilhelm Heinse übersetzt: „Den Calcedon'schen Stein, der leuchtet in der Nacht“ (Geheime Geschichte des römischen Hofs unter der Regierung des Kaisers Nero, aus dem Lateinischen des Petron übersetzt, Band 1, Rom 1783, S. 149 online)
  5. Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, 6. völlig neu bearb. Aufl. von Kurt und Barbara Aland, New York: de Gruyter, 1988, Sp. 1754-1755
  6. a b Theophrast, De lapidibus, § 25, hrsg. von Earle R. Caley und John F. C. Richards, Theophrastus on Stones, Columbus (Ohio): Ohio State University, 1956, S. 23, S. 35, S. 50, S. 102ff. (Kommentar)
  7. a b De mirabilibus auscultationibus, § 58, hrsg. von Hellmut Flashar, Mirabilia. De audibilibus, 3., gegenüber der 2. berichtigten unveränderte Aufl., Berlin: Akademie-Verlag, 1990 (= Aristoteles, Opuscula, XVIII, 2-3), S. 14, S. 94
  8. Plinius, Historia naturalis, Buch XXXVII, § 72f., nach dem Tod von Ludwig von Jan durchgesehen und ergänzt von Karl Mayhoff, Band 5, Leizpig: Teubner, 1897, S. 412f.; zur Textgeschichte der Historia naturalis siehe Michael D. Reeve, The Ambrosiani of Pliny's ‚Natural History‘, in: Mirella Ferrari / Marco Navoni (Hrsg.), Nuove ricerche su codici in scrittura latina dell'Ambrosiana. Atti del Convegno, Milano, 6–7 ottobre 2005, Mailand: Vita e Pensiero, 2007, S. 269-279
  9. Solinus, Collectanea rerum mirabilium, Kapitel 15, § 23, hrsg. von Theodor Mommsen, Berlin: Weidmann, 1895, S. 87 Zeile 2
  10. Plinius, Historia naturalis, Buch XXXVII, § 115, Jan/Mayhoff S. 432
  11. Joosten 1999, S. 137f.
  12. Halleux/Schamp 1985, S. 127ff. (Handschriften), S. 142ff. (Datierung), S. 166-177 (Text mit Übersetzung, dort § 29, S. 167), S. 328f. (Anmerkungen)
  13. „ὄρνεον τὸ λεγόμενον ἐρωδιόν“ (§ 29,3), von Halleux/Schamp 1985, S. 167, mit „l'oiseau que l'on nomme héron“ übersetzt, bezieht sich auf den auch von Homer, Ilias 11,275 so bezeichneten ἐρῳδιός der Athene, der trotz seines bei Homer nächtlichen Fluges herkömmlich als eine Art Reiher gedeutet wird, dazu Perea Yébenes 2010, S. 462 Anm. 17
  14. a b zeitliche Einordnung nach der tabellarischen Übersicht von Mottana 2005, S. 252
  15. Halleux/Schamp 1985, S. 182f. (Handschriften), S. 188f. (Text, dort § 1, S. 188); ausführlich Perea Yébenes 2010
  16. Mély 1898, S. 187, § 21
  17. Halleux/Schamp 1985, S. 191-342, hier S. 266 (§ XXVII) und S. 272 (§ XXXIII), zur Gruppierung der Handschriften S. 207
  18. § XXVII nach Halleux/Schamp 1985, S. 266
  19. Perea Yébenes 2010, S. 462 Anm. 16
  20. § XXXIII nach Halleux/Schamp 1985, S. 272
  21. Lesarten jeweils nach dem Apparat von Halleux/Schamp 1985, zur Gruppierung der Handschriften S. 207
  22. Zur Reise des Theophanes John Matthews, The Journey of Theophanes. Travel, Business, and Daily Life in the Roman East, New Haven/London: Yale University Press, 2006, zur fralichen Liste S. 42
  23. Joosten 1999, S. 137 Anm. 17
  24. Plinius, Historia naturalis, Buch XXXVII, § 92ff., Jan/Mayhoff S. 421ff.
  25. Vgl. Francesco Giancotti, Publilio in Petronio?, in: ders., Mimo e gnome: Studio su Decimo Laberio e Publilio Siro, Florenz: D'Anna, 1967, Kap. VII, S. 231-274.
  26. Wilhelm Kroll, Art. Kallistratos § 40, in: RE, Band 10 (1919), Sp. 1748
  27. Manuel Tröster, Art. Archelaos (I.) Sisines (?) Philopatris, König von Kappadokien, in: APR - Amici Populi Romani. Prosopographie der auswärtigen Freunde Roms, Version 02 (Stand: 15.9.2008), hrsg. von Altay Coskun, Online-Dokument auf www.sfb600.uni-trier.de
  28. Nach dem Text von Mayhoff für § 103 („lychnis appellata a lucernarum adsensu, tum praecipuae gratiae“), der die in der Bamberger Handschrift von „absensu“ zu „assensu“ berichtigte Lesart zu „adsensu“ emendiert, ist der Name aus einer ‚Übereinstimmung‘ der Lampen mit dem Stein hergeleitet, weil dieser ‚dann‘ (d. h. offenbar während der dunklen Tageszeiten, wenn Lampen brennen), mit besonderer Schönheit leuchtet; in ungefähr diesem Sinn, aber mit Herstellung eines deutlicheren kausalen Zusammenhang, wird die Etymologie auch von Solinus wiedergegeben, demzufolge das Leuchten der Lampen ein kräftiges Leuchten aus dem Stein hervortreibt („Lychniten [...], cuius lucis vigorem flagrantia excitat lucernarum, qua ex causa lychniten Graeci vocaverunt“, Collectanea rerum mirabilium, Kapitel LII, § 58, hrsg. von Theodor Mommsen, Berlin: Weidmann, 1895, S. 194, Zeile 11f.). Die abweichende Lesart „accensu“, bevorzugt von Julius Sillig (Band V, Hamburg und Gotha: Friedrich und Andreas Perthes, 1851, S. 421, Apparat zu § 103) ließe sich genauer noch auf die Stunde des Lampenanzündens beziehen, wird von den handschriftlichen Vertretern dieser Lesart aber jeweils mit adversativem „tamen“ statt temporalem „tum“ fortgesetzt. Nach Isidor ist der Name einfach nur aus dem Leuchten der Lampen hergeleitet („Lychnis [...] appellata a lucernarum flagrantia“, Etymologiae, XVI, iv, 14, hrsg. von W. M. Lindsay, Oxford: Clarendon Press, 1911, Band 2, S. 206)
  29. Der Vergleich „secundam bonitate quae similis esset Iovis appellatis floribus“ (XXXVII, § 113), läßt erkennen, daß die Beurteilung als ‚quidam remissior carbunculus‘ nicht unbedingt abwertend zu verstehen ist, über die gemeinte Pflanze besteht jedoch Unklarheit, vgl. XXI, § 59 („Iovis flos“), XXI, § 67 („lychnis et Iovis flos"), XXVII, § 44 („qualiter flos quam Iovis flammam appellamus“)
  30. „et alias invenio differentias, unam quae purpuram radiet, alteram quae coccum“ (XXXVII, § 113). Bei Solinus, der nur Indien als Herkunftsgebiet nennt („Lychniten perinde fert India“), schließt sich der Angabe dieser Farben („duplex ei facies: aut in purpurae emicat claritatem aut meracius [sic!] suffunditur cocci rubore“) noch der Zusatz „per omne intimum sui, si quidem pura sit, inoffensam admittens perspicuitatem“ an, der eine Unterscheidung zwischen einer purpurn oder scharlachrot getrübten und einer reinen durchsichtigen Variante anzuzeigen scheint (LII, § 59); in Isidors Wiedergabe (XVI, xiv, 4), die ebenfalls nur Indien als Herkunftsort der besten Qualität nennt, aber auf Vorkommen an ‚vielen‘ anderen Orten verweist („gignitur in multis locis, sed probatissima apud Indos“), erscheinen Purpur und Scharlachrot eher als zwei ‚Gesichter‘ ein und desselben Exemplars dieses Steins („Huius duplex facies: una quae purpura radiat, alia quae cocci rubore“), von dem außerdem unabhängig von Plinius und Solinus gesagt wird, daß er in vier Unterarten vorkomme („Genera eius quattuor“).
  31. Vgl. Solinus, LII, § 59: „at si excanduit radiis solis incita vel ad calorem digitorum attritu excitata est, aut palearum cassa aut chartarum fila ad se rapit“; Isidor, XVI, xiv, 4: „A sole excalefacta aut digitorum atritu paleas et chartarum fila ad se rapere dicitur“; Pseudo-‚Sokrates und Dionysios‘, Kapitel 29, § 4: „Σημείωσαι δὲ τὸν λίθον οἷός ἐστιν, ἐὰν αὐτὸν περιτρίψῃς ἱματίῳ μαλακῷ, ἐπισπαστικὸς γὰρ γίνεται τῆς παρακειμένης αὐτῷ ὕλης ἁρπάζων κάρφη ὡσπερεὶ καὶ ὁ μαγνήτης τὸν σίδηρον“
  32. John F. Healy, Pliny the Elder on Science and Technology, Oxford/New York: Oxford University Press, 1999, S. 153f., S. 226