Benutzer:Pimpinellus/Rundfunk in Wikipedia, für Kurier
Rundfunk in Wikipedia
Gerade jetzt über die Feiertage haben uns die gebührenfinanzierten Sender wieder überhäuft mit eindrucksvollen Filmen über Gott und die Welt, mit Bildern, Filmen und Texten, die unseren Wissenshorizont erweitern, und uns staunen lassen ob der Qualität und der Quantität des öffentlich-rechtlichen Programmfundus, insbesondere dort, wo der Öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) seinem gesetzlichen Informations- und Bildungsauftrag nachkommt.
Was ärgerlich ist
In Sachen Informations- und Bildungsauftrag stehen sich der ÖRR und die Wikipedia ganz nah. Deshalb ist es ein großes medienpolitisches Ärgernis, dass öffentlich-rechtliche TV-Inhalte zwar auf profitorientierten Plattformen wie YouTube, nicht aber auf gemeinnützigen und offenen Plattformen wie Wikipedia präsent sind. Das könnte sich nun ändern. Auf der Suche der Sender nach Alternativen zum rückläufigen TV-Konsum bietet sich WP speziell für Bildungsinhalte als perfekte Verbreitungsplattform an. Genau der richtige Zeitpunkt, um die Befreiung von ÖRR-Contents für Bildungs- und Wissensprojekte in Gang zu bringen.
ÖRR-Roundtable
Ein wichtiger Schritt ist bereits erfolgt: Am 4. Juli 2018 fand bei Wikimedia in Berlin ein Roundtablegespräch statt, in dem es um die Freigabe öffentlich-rechtlicher Rundfunkinhalte für Wissensprojekte ging. Teilnehmer waren kompetente Vertreter des ÖRRs in Deutschland, Repräsentanten von ÖRR-Aufsichtsgremien und für Medien und Digitales zuständige Vertreter von Staatskanzleien, Vertreter von urheberrechtlich relevanten Berufsgruppen wie DJV und DJU, seitens WMDE der Teamleiter Politik und Recht John Weitzmann sowie Bernd Fiedler, der bei WMDE federführend an dem Thema arbeitet. Seitens der WP-Community nahmen Kurt Jansson und Burkhard Mücke, die wir uns beide sowohl beruflich als auch seit längerem in Wikipedia mit der ÖRR-Medienthematik befassen, an dem Gespräch teil.
Was bisher geschah
Das Bemühen um Inhalte aus Sendungen des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Wikipedia ist nicht neu. Spannende Bilder und Szenen aus Dokumentarfilmen des ÖRRs, gelungene Erklärstücke, Einblicke in das Innere von Mensch, Tier, Pflanze, Audio-O-Töne von historisch relevanten Personen, möglichst in Form konfektionierter Bausteine, die in vorhandene Wikipedia-Artikel eingebaut werden können. Das war das Ziel etlicher Aktionen in den letzten Jahren.
Vor gut einem Jahr initiierte Kurt Jansson die Auflistung von Wikipedia-Artikeln, die von Inhalten des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks profitieren könnten, würden diese unter eine freie Lizenz sprich Creative-Commons-Lizenzen gestellt, eine Art Wunschliste der Wikipedia an öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter. Leonhard Dobusch, ZDF-Fernsehrat und Medienexperte, der auch am oben erwähnten Roundtable teilnahm, schrieb dazu in netzpolitik.org: „Öffentlich-rechtliche Inhalte müssen auch auf gemeinnützigen Plattformen wie Wikipedia verfügbar sein. Die Enzyklopädie sollte nicht hinter kommerziellen Plattformen zurückstehen.“ Der Appell verpuffte wie ähnliche Aktionen zuvor. Die scheinbar unüberwindbare Hürde ist das Prinzip von Wikipedia, dass alles unter freier Lizenz zu stehen hat, hier insbesondere die Freigabe für jedwede kommerzielle Nutzung. An diesem neuralgischen Punkt setzte der ÖRR-Roundtable in Berlin an.
Gemeinsame Interessen
- Grundsätzlich sollte eine möglichst freie Lizenzierung für die WP in Frage kommender Inhalte des ÖRR möglich sein. Bei Verlinkungen mit ÖRR-Quellen ist die Verweildauer der Inhalte (Depublikation) ein Problem für das Einpflegen in WP-Artikel. Allerdings ist diesbezüglich, wie die ÖRR-Vertreter beim Roundtable anmerkten, einiges im Fluss, vor allem in Hinblick auf historische Bild- und Audio-Contents.
- Die über Wikimedia-Projekte genutzten ÖRR-Inhalte stellen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf der Grundlage der Abrufzahlen einen positiven Akzeptanzfaktor dar. Um das besser zu überblicken hat unser Wiener WP-Kollege Herzi Pinki dieser Tage eine Kategorie für alle deutschsprachigen öffentlich-rechtlichen Sender erstellt. Hier verlinkt via Grafik ein Gesamtüberblick.
- Demnach ist der deutschsprachige Öffentlich-rechtliche Rundfunk in der deutschen Wikipedia mit annähernd 7.400 Artikel vertreten, die allein im November 2018 an die 10 Millionen Aufrufe hatten, hier nachzulesen. Interessant dabei: Am meisten werden Personenartikel aufgerufen.
- Auf dem 35C3 plädierte ZDF-Fernsehrat Leonard Dobusch erneut für eine stärkere Zusammenarbeit von Wikipedia und ÖRR.
- Längst existiert ein gut eingespieltes Geben und Nehmen zwischen Wikipedia und dem Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, was sich gelegentlich auf beiden Seiten in Wertschätzung niederschlägt. Zum Beispiel Jan Böhmermann Lob auf Wikipedia im ZDF-NEO MAGAZIN ROYALE im kürzlich ausgestrahlten 2018er Jahresrückblick.
Was einigermaßen klappt
- Wikipedia ist für die Redaktionen und Kommunikationsabteilungen der Rundfunkanstalter eine sicherlich gut frequentierte Informations- und Recherchengrundlage. Vice versa sind die ÖRR-Publikationen für uns Wikipedia-Autoren eine wichtige Grundlage für die Arbeit an den ÖRR-Artikeln.
- Neben ca. 100 WP-Autoren, die in ÖRR-Artikeln schwerpunktmäßig aktiv sind, editieren vermutlich mindestens ebensoviele ÖRR- oder ÖRR-nahe Autoren in ihren Special-Interest-Artikeln. Allein auf unserer RFF-Page sind 28 verfizierte ÖRR-Benutzerkonten ausgewiesen.
- Die ÖRR-Archive stellen bereits heute zuverlässige Deeplinks für die Nutzung in Wikipedia zur Verfügung.
- An einigen Stellen gibt es zaghafte Ansätze für die Migration von Inhalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gen Wikipedia. Im Audiobereich hat der Kollege Maximilian Schönherr, Journalist, WP-Urgestein und Gründer des Archivradios vor mehreren Jahren einiges zu bewegen versucht. Beim Einbringen von Audios aus seiner Rundfunkarbeit in die WP (Steve Jobs, John Lasseter, Tom Araya u. v. a.) kam es zu Löschungen durch Wikipedia-Rechte-Prüfer. Während, so seine damalige Recherche beim Justiziar des Bayerischen Rundfunks, freiberufliche Rundfunkautoren nicht vom Sender belangt würden, wenn sie eigene (!) Inhalte wie z. B. Ausschnitte aus Interviews in ihren Hörfunkbeiträgen in die Wikimedia Commons einstellen, fehlen in der Regel, und bei älteren O-Tönen per se, die Zustimmungen der Protagonisten. Das zentrale Problem scheint ihm aber zu sein, dass freie Journalisten im Falle einer Wiederholung ihrer Beiträge im ÖRR ein tariflich hart erkämpftes und von den Sendern teilweise zurückgedrehtes Wiederholungshonorar bekommen; beide Parteien, die Rundfunkanstalten und die Autoren, behalten dadurch ihre mit CC-Lizenzen inkompatiblen Verbreitungsrechte. Nutzt demnach ein Wikipedia-Autor X den O-Ton eines Rundfunkautors Y, unterläuft er genau diesen Deal. Im Fernsehbereich sind zunehmend Total Buyout-Verträge üblich, sodass alle Verbreitungsrechte an den Sender übergehen und dieser dann z. B. frei entscheiden kann, einen Beitrag in YouTube bereitzustellen oder die Bereitstellung durch einen Dritten zu tolerieren.
Wie geht´s weiter?
Grundsätzlich haben die öffentlich-rechtlichen Sender großes Interesse am Verknüpfen ihrer Sendeinhalte mit Wikipedia. Das ist eines der Ergebnisse des Treffens am Runden Tisch in Berlin und den Gesprächen mit den ÖRR-Vertretern sowie den für die Weichenstellungen im ÖRR verantwortlichen Medien-Politikern.
Damit dieser Ansatz nicht verpufft, wollen wir in dem neu gegründeten Projekt Wiki Loves TV & Radio (WLTV) in dieser Richtung aktiv bleiben. WLTV ist ein Gemeinschaftsprojekt der Redaktion Film und Fernsehen und Wikimedia Deutschland. Unser primäres Ziel ist es, in Kooperation mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten für Wikipedia geeignete Inhalte von Radio- und Fernsehsendungen in die Wikipedia zu übernehmen. Wer Lust hat, mitzumachen, ist herzlich dazu eingeladen und ist gebeten, sich in die Teilnehmerliste einzutragen. Auf welche Weise das geschehen kann und was wir sonst an Aktivitäten planen, das werden wir demnächst auf unserer WLTV-Seite erläutern.Pi, Wi 30.12.