Benutzer:Schwarze Feder/klassismus

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Unter Diskriminierung von Arbeitslosen ist die Stigmatisierung und Abwertung von Langzeitarbeitslosen zu verstehen. Diese Diskriminierung ist geprägt von einem Bewertungssystem, welches Menschen nach ihrer vermeintlichen Nützlichkeit beurteilt.[1]

Diskriminierende Diskurse gegen Arbeitslose

Diskriminierende Diskurse gegenüber Arbeitslose gruppieren sich um Schlagworte oder Aussagen, die eine abwertende Zuschreibung verdichten. Wir können hier unterscheiden zwischen latenter Abwertung von (Langzeit-)Arbeitslosen, "Debatten", die vor allem in Vorwahlzeiten zu Lasten von Arbeitslosen initiiert werden und politischen Kampfbegriffen, bzw. Unwörtern, die eine Abwertung transportieren.

Abwertung von Langzeitarbeitslosen

Das Forschungsprojekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hat erstmals 2007 das Phänomen der „Langzeitarbeitslosenabwertung“ untersucht. Der Aussage, dass die meisten Arbeitslosen nicht wirklich daran interessiert seien, einen Job zu finden, schlossen sich 49,3% der Befragten an. 60,8% fänden es empörend, wenn Langzeitarbeitslose sich auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machten.

Wilhelm Heitmeyer sieht die Ursachen der Zunahme der Langzeitarbeitslosenabwertung in einer "Ökonomisierung des Sozialen“, die mit dem Übergang von der „Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft“ einhergehe, wobei Menschen zunehmend unter dem Kritierium ihrer ökonomischen „Nützlichkeit“ betrachtet würden. Diese Betrachtung von Menschen unter dem Kriterium würde vor allem zu einer Abwertung von Langzeitarbeitslosen führen.[2]

In einem Artikel in der Zeitung Die Zeit, in der Wilhelm Heitmeyer jährlich den aktuellen Forschungsstand der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit darstellt, äußert er sich zu den Verantwortlichkeiten der Langzeitlosenabwertung folgendermaßen:

Betrachtet man die Abwertung von Langzeitarbeitslosen, muss man auch über den Zusammenhang zwischen den von gesellschaftlichen Eliten über die Medien immer wieder reproduzierten Bildern von Hartz-IV-Empfängern sowie Langzeitarbeitslosen und den Einstellungen in den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen diskutieren. Dabei ergeben sich – wie berichtet – Muster der Abwertung, die auch jene Gruppen von Menschen betreffen, die im Sinne der kalten Kalkulationen als »Nutzlose« oder »Überflüssige« gelten.[3]

Ein weiteres Ergebnis der Studie sei, dass je geringer der Bildungsgrad sei, desto höher sei die Abwertung der Arbeitslosen. Pierre Bourdieu bezeichnet dieses Phänomen als Symbolische Gewalt.

Anlass für die Untersuchung war die Zunahme von Abwertungen, die sich in den Medien fanden, so zum Beispiel die Bezeichnung von Bierdosen als „Hartz-IV-Stelzen“, mit der der ZDF-Entertainer Thomas Gottschalk in die öffentliche Kritik geriet[4]

"Faulheitsdebatten"

Zu den Diskursen, die Arbeitslose pauschalisierend abwerten, zählen nach Oschmiansky, Kull und Schmidt vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die sogenannten „Faulheitsdebatten“, die mit dem Beginn der Massenarbeitslosigkeit Mitte der 1970er begannen. Die erste „Faulheitsdebatte“ wurde vom Bundesarbeitsminister Walter Arendt begonnen. Es folgte eine zweite „Faulheitsdebatte“, die zu Beginn der 1980er Jahre von allem im Parlament vertretenen Parteien geführt wurden. Die dritte dieser Debatten wurde vom Bundeskanzler Helmut Kohl mit seiner Kritik am „kollektiven Freizeitpark“ Deutschland angestoßen, die vierte vom Bundeskanzler Gerhard Schröder, der davon sprach, „es gäbe kein Recht auf Faulheit“. Oschmiansky, Kull und Schmidt sehen in ihrer Studie ein „Blaming the Victims“:

Es dürfte aus dem Rückblick jedoch auch deutlich geworden sein, dass die „Faulheits- und Drückebergerdebatten“ nicht nur mit dem möglichen oder vermeintlichen Fehlverhalten von Arbeitslosen zu tun haben, sondern zu einem guten Teil auch politischen Kalkülen folgen. Der auffällige Zusammenfall der Debatten mit dem „schlechten Bild der Arbeitslosen in der öffentlichen Meinung“, mit bevorstehenden Wahlen und einer unzufriedenen Entwicklung der Arbeitslosigkeit geben dem Verdacht Nahrung, dass die Arbeitslosen als Sündenböcke für eine zum Teil verfehlte oder zu zögerliche Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik herhalten müssen. [5]

Auch das Papier „Vorrang für die Anständigen. Gegen Missbrauch, ›Abzocke‹ und Selbstbedienung im Sozialstaat“, welches in Verantwortung des ehemaligen Bundeswirtschaft- und Arbeitsministers Wolfgang Clement herausgegeben wurde und in dem von „Parasiten“ die Rede ist, steht in der Reihe dieser „Faulheitsdebatten“ und ist unter anderem vom Anti-Diskriminierungsbüro Berlin als „Diskriminierung von Arbeitslosen“ bezeichnet worden.[6]

Diskriminierende Kampfbegriffe

Für Kritik sorgte auch die Bezeichnung von Langzeitarbeitslosen als Sozialhilfeadel, die auf Rolf-Peter Löhr, den Leiter des Instituts für Urbanistik in Berlin, zurückgeht. Ihnen wird von Löhr Faulheit, Passivität und mangelnde Lebensplanung vorgeworfen. Er beschreibt den „Sozialhilfeadel“ folgendermaßen:

„In den Problemgebieten spürt man, welche Kultur der Abhängigkeit der Sozialstaat geschaffen hat. Dort leben manche Leute schon in der dritten Generation von Sozialhilfe - dort herrscht Sozialhilfeadel – die wissen gar nicht mehr wie das ist: morgens aufstehen, sich rasieren, vernünftig anziehen und zur Arbeit fahren.“[7]

Da mindestens zwei der fünf Merkmale für den „Adel“ nicht belegt typisch sind („Vererbung“ trifft zu), kann man auf eine eher beliebig erscheinende Benutzung dieser Vokabel in Polemiken schließen, die stark zu der ehedem scharfblickenden bürgerlichen „Adels“-Kritik kontrastiert. Darauf geht der Bielefelder Pädagoge Fabian Kessl nicht ein, wenn er kritisch den „Sozialhilfeadel“ für ein Konstrukt erklärt: Er sieht in der Verwendung dieses Begriffes die Gefahr einer Abwertung armer Menschen, es gebe keinen Sozialhilfeadel.[8]

Weitere Informationen zu Schlagworten, die mit diskriminierenden Zuschreibungen gegen (Langzeit-)Arbeitslose arbeiten, finden sich in den Artikeln

Diskriminierung durch Ämter

Gegenüber den Institutionen der kommunalen Arbeitsvermittlung und der Bundesagentur für Arbeit gab es Kritik, die deren Praxis als diskriminierend bezeichnet.

So wandten sich mit dem Begriff Verfolgungsbetreuung Mitarbeiter eines Arbeitsamtes gegen die Praxis, Arbeitslose nicht nur Arbeit zu vermitteln, sondern sie auch bis in ihre Privatsphäre hinein verfolgen zu müssen.

Joachim Zelter kritisiert mit seinem dystopischen Roman Schule der Arbeitslosen ebenfalls die von der Bundesagentur für Arbeit vorgegebene Praxis als diskriminierend. Die Behandlung von Arbeitslosen durch die Arbeitsämter sei unmenschlich.[9]

Diskriminierung durch die Einstellungspraxis von Betrieben

In bestimmten Ländern erhalten Arbeitslose in Abhängigkeit von der Dauer ihrer Arbeitslosigkeit seltener Einstellungsgespräche. Eine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass in der Schweiz ein Arbeitsloser, der zweieinhalb Jahre arbeitslos gewesen ist, um 45 Prozentpunkte seltener eingeladen wird zu einem Einstellungsgespräch als ein Beschäftigter. Weiter heißt es in dieser Studie, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Einstellungsgespräch bei Langzeitarbeitslosen, die über 30 Monate ohne Arbeit waren, so gering ist, dass es kaum noch Sinn macht, sich zu bewerben. In den Vereinigten Staaten sei diese Form der Diskriminierung hingegen nicht zu finden.[10]

Siehe auch

Literatur

Untersuchungen

  • Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.) 2008: Deutsche Zustände, Band 6, Frankfurt am Main: edition suhrkamp ISBN 978-3-518-12525-0
  • Frank Oschmiansky, Silke Kull, Günther Schmid: Faule Arbeitslose? Politische Konjunkturen einer Debatte August 2001 ISSN 1011-9523, [9] (PDF-Datei)
  • Hans Uske 2004: Das Fest der Faulenzer. Die öffentliche Entsorgung der Arbeitslosigkeit, Münster: Unrast-Verlag, ISBN 3-927388-47-5

Romane

Obdachlosendiskriminierung bezeichnet die Diskriminierung von Obdachlosen, welche Abwertung, Ausgrenzung und körperliche Gewalt bis zu Mord umfasst.

Obdachlosendiskriminierung in der Bundesrepublik Deutschland

In Deutschland wird mit dem Forschungsprojekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit die Abwertung von Obdachlosen jährlich gemessen. Abwertung von Obdachlosen meint hier die „Feindseligkeit gegenüber jenen Menschen, die den Vorstellungen von einem geregelten bürgerlichem Dasein nicht entsprechen.“[11]

Zum Thema Abwertung der Obdachlosen sagten 2007 38,8% der Befragten, dass ihnen Obdachlose in Städten unangenehm seien (2005: 38,9%). Der Aussage, Obdachlose seien arbeitsscheu, stimmten 32,9% zu (2005: 22,8%). Der Forderung, bettelnde Obdachlose sollten aus den Fußgängerzonen entfernt werden, schlossen sich 34% der Befragten an (2005: 35%). Insgesamt sei also die Abwertung von Obdachlosen gegenüber 2007 gestiegen.[12]

Wilhelm Heitmeyer mutmaßt, dass die zunehmende Abwertung von Obdachlosen mit einer Verschiebung der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft und damit einer Ökonomisierung des Sozialen zusammenhänge, der zur Folge Menschen stärker nach dem Kriterium der Nützlichkeit betrachtet werden, was wiederum zur Abwertung der als „nutzlos“ empfundenen Obdachlosen beitrage:

Ökonomistischen Bewertungskriterien können neben den Langzeitarbeitslosen weitere Gruppen zum Opfer fallen, die nur einen geringen oder gar keinen Beitrag zur Effizienzsteigerung der Marktgesellschaft beitragen. Letzteres gilt insbesondere für jene Personen, die in der Sozialhierarchie noch unter den Langzeitarbeitslosen stehen und deren Arbeitsmoral als noch geringer geschätzt wird: die Obdachlosen.[13]

Medien berichteten mehrfach über Gewalt gegenüber Obdachlosen.[14] Eine offizielle Statistik über Gewalt gegen Obdachlose wird in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht geführt. Eine Auswertung der gemeldeten Straftaten zeigt, dass es sich bei den Tätern oftmals um kleine Gruppen von Jugendlichen mit rechtsextremen Hintergrund handelt.[15] Dies war 2001 Anlass für eine Anfrage der PDS an die deutsche Bundesregierung.[16] Nach Ansicht von Kritikern wird allerdings die Frage der Gewalt gegen Obdachlose aus der öffentlichen Debatte weitgehend ausgeblendet.[17]

Obdachlosendiskriminierung in den Vereinigten Staaten

In den Vereinigten Staaten hat nach einem Bericht der National Coalition for the Homeless die Gewalt (Hate Crime) gegen Obdachlose extrem zugenommen. Auffallend sei, dass es sich bei den Tätern oftmals um Teenager oder junge Erwachsene handele, die als Grund für ihr kriminelles Handeln „Langeweile“ angäben.[18]

Gewalt gegen als obdachlos wahrgenommene Personen in den Vereinigten Staaten
Jahr/Grad der Gewalt 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Tödliche Gewalt 48 42 17 15 9 25 13 20
Nicht-tödliche Gewalt 12 21 35 21 61 80 73 122
(National Coalition for the Homeless: Hate, Violence, and Death on Main Street USA: A Report on Hate Crimes and Violence Against People Experiencing Homelessness 2006[10])


Quellen

  1. Wilhelm Heitmeyer: Moralisch abwärts in den Aufschwung. Nützlichkeit und Effizienz - dieses Denken ist weit verbreitet und bedroht den Zusammenhalt der Gesellschaft. Ein Forschungsbericht, in: Die Zeit Nr. 51 vom 13. Dezember 2007[1]
  2. Wilhelm Heitmeyer / Kirsten Edrikat: Die Ökonomisierung des Sozialen. Folgen für „Überflüssige“ und „Nutzlose“, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.) 2008: Deutsche Zustände, Band 6, S. 55ff.
  3. Wilhelm Heitmeyer: Moralisch abwärts in den Aufschwung. Nützlichkeit und Effizienz - dieses Denken ist weit verbreitet und bedroht den Zusammenhalt der Gesellschaft. Ein Forschungsbericht, in: Die Zeit Nr. 51 vom 13. Dezember 2007[2]
  4. Bruno Schrep: Die neue Verhöhnung: „Bierdosen sind Hartz-IV-Stelzen“, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.) 2008: Deutsche Zustände, Band 6, S. 218ff.
  5. Frank Oschmiansky, Silke Kull, Günther Schmid: Faule Arbeitslose? Politische Konjunkturen einer Debatte August 2001, S.8 [3]
  6. Anti-Diskriminierungsbüro Berlin e.V.: Diskriminierung von Arbeitslosen durch Bundesministerium, 19. Januar 2006 [4]
  7. Zitiert nach: Fabian Kessl: Sozialer Raum als Fall? In: Werner Thole/Michael Galuske (Hg.): Vom Fall zum Management. Wiesbaden 2006 (pdf).
  8. Vgl. auch Fabian Kessl: Sozialraum. Eine Einführung. Wiesbaden, VS Verlag 2007. ISBN 3531149466
  9. Joachim Zelter: Interview im Programmheft des Theaters Krefeld Mönchengladbach zur Bühnenfassung der „Schule der Arbeitslosen“, Februar 2008 [5]
  10. Felix Oberholzer-Gee: Do Firms Discriminate Against the Unemployed? A Field Experiment, University of Pennsylvania, January 2001 [6]
  11. Wilhelm Heitmeyer/Jürgen Mansel 2008: Gesellschaftliche Entwicklung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Unübersichtliche Perspektiven, in: Deutsche Zustände Bd.6, S.19
  12. ebd.: S. 28
  13. Wilhelm Heitmeyer / Kirsten Endrikat: Die Ökonomisierung des Sozialen. Folgen für "Überflüssige" und "Nutzlose", in: Deutsche Zustände Bd.6, S.68
  14. Jugendliche filmen ihre Gewalt gegen Obdachlose. Welt Online, 8. Januar 2008, abgerufen am 16. Februar 2008.
  15. Christian Linde: „Obdachlose“ als Opfer struktureller, direkter und vierter Gewalt, in: Berliner Forum Gewaltprävention Nr. 16 [7]
  16. Rechtsextrem motivierte Tötungsdelikte gegen Obdachlose und deren Erfassung – Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS. (PDF) In: Drucksache 14/6870. 4. September 2001, abgerufen am 16. Februar 2008.
  17. Christian Linde: „Obdachlose“ als Opfer struktureller, direkter und vierter Gewalt. (PDF) In: Berliner Forum Gewaltprävention Nr. 16. Abgerufen am 16. Februar 2008.
  18. National Coalition for the Homeless: Hate, Violence, and Death on Main Street USA: A Report on Hate Crimes and Violence Against People Experiencing Homelessness 2006[8]

Literatur

Weblinks

Weblinks

  • Tagesschau (13. Dezember 2007): Die Universität Bielefeld stellt Ergebnisse der Langzeitstudie zu Menschenfeindlichkeit vor [13]

Quellen