Bio Art

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Bio Art ist eine Strömung der zeitgenössischen Kunst, bei der Künstler mit biologischen Medien und Verfahren arbeiten, darunter etwa Tissue Engineering, Bakterienkultur oder anderweitigen lebenden Organismen. Die Kunstwerke entstehen unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden der Biotechnologie (z. B. Gentechnik, Gewebekultur und Klonen) in Labors, Galerien oder Künstlerateliers.

Im deutschsprachigen Raum führt Peter Weibel mit seinem Aufsatz „Biotechnologie und Kunst“ von 1981 den Begriff der Bio Art ein, wobei er damit eine Kunstrichtung definiert, die biologische Systeme als künstlerische Ausdrucksmittel verwendet.[1] Die Schaffung von Lebewesen und die Beschäftigung mit den Biowissenschaften bringen ethische, soziale und ästhetische Fragen mit sich. Innerhalb der Bio Art gibt es eine Debatte darüber, ob jede Form der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Biowissenschaften und deren gesellschaftlichen Konsequenzen (etwa in Form von Bildern aus der Medizin) als Teil der Kunstrichtung anzusehen sind, oder ob einzig solche Kunstwerke, die im Labor entstanden sind, unter der Bio Art zu fassen sind.[2][3]

Kunst und Wissenschaft

In der Bio Art arbeiten Künstler häufig mit Wissenschaftlern zusammen, in einigen Fällen sind sie selbst Naturwissenschaftler. In den Biowissenschaften werden die Kunstwerke in der Regel nicht als Beitrag zur Forschung verstanden, sondern eher als Beitrag zu den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Fragen, die sich aus der wissenschaftlichen Forschung ergeben.[4] Die Kunstwerke beschäftigen sich mit vielfältigen Themen, die sich aus der Forschung ergeben, beispielsweise der Vererbung, Identität, dem Altern, Klonen, Krieg oder Kommerzialisierung von Leben. Häufig kritisieren die Künstler die Leitgedanken der Optimierung und Erweiterung, die sie in den Biowissenschaften vorfinden.

Eduardo Kac, Genesis, Ars Electronica 99

Die Bio Art ist im Kontext der Technoscience anzusiedeln. Die Künstler beschäftigen sich mit der zunehmenden Verschmelzung von Wissenschaft, Technologie und Industrie. Oftmals wird die Kunst als Akt des politischen Widerstandes verstanden, wie etwa bei dem Künstlerkollektiv Critical Art Ensemble, das sich Mitteln des Zivilen Ungehorsams bedient.

DNA in der Kunst

Noch vor der Decodierung der DNA gab es künstlerische Auseinandersetzungen mit biologischen Organismen. So publizierte etwa Ernst Haeckel mit seinen Kunstformen der Natur (1899–1904) künstlerische Drucke zu verschiedenen Organismen, die großen Einfluss auf die Kunst des Jugendstils nahmen. Einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung der Bio Art stellt die Entschlüsselung der Struktur der DNA dar. 1953 stellten die Forscher Crick und Watson das Modell der Doppelhelix vor,[5] die seitdem zur Illustration der DNA genutzt wird und für die Kunst interessant macht. So fügt etwa Salvador Dalí die Doppelhelix in seinen Gemälden Butterfly Landscape.The Great Masturbator in a Surrealist Landscape with D.N.A. (1957) oder Galacidalacidesoxiribunucleicacid (1963) ein. Diese Bilder können als anfängliche Berührung von der Kunst mit der Biologie gelesen werden.[6] Im 21. Jahrhundert setzen sich die Künstler kritischer mit den Bildern aus den Biowissenschaften auseinander und begreifen diese nicht nur als bloße Illustration von biologischen Erkenntnissen, sondern als einen Prozess, der an die Zeit und das jeweilige Stilvokabular geknüpft ist.[7] Dazu zählen Künstler wie Suzanne Anker, Nell Tehaaf oder Kevin Clark.

Transgene Kunst

Der Begriff der transgenen Kunst (transgenic art) wurde 1998 von Eduardo Kac geprägt[8] und bezeichnet eine Kunstform, „die mit gentechnischen Methoden arbeitet, um synthetische Gene in einen Organismus oder natürliches Genmaterial von einer Art in eine andere zu verpflanzen und so einzigartige Lebewesen zu schaffen.“[9] Bereits vor dieser Definition stellte Reiner Maria Matysik 1986 ein Kunstprojekt vor, das zur transgenen Kunst gezählt werden kann; er bat dabei einen deutschen Wissenschaftler darum, dessen Forschung zur Rekombination der DNA eines Glühwürmchens und einer Tabakpflanze in einem seiner Künstlerbücher zu publizieren.[2] Das Ziel der transgenen Kunst ist es, Organismen zu schaffen, die fremde DNA in sich tragen. Kac erklärt damit Organismen, die im Labor hergestellt wurden, zu Kunstwerken. In seiner Vorstellung kann Kunst die Evolution fortschreiben und eine tatsächliche Schöpfung von neuen Lebewesen vornehmen. Zu den bekanntesten Werken von Eduardo Kac zählen Genesis (1998/99), GFP Bunny (2000) und The Eight Day (2000/2001).

Gewebekultur in der Kunst

Seit den frühen 1990er Jahren arbeiten The Tissue Culture & Art Project (TC&A) mit der künstlichen Herstellung von biologischem Gewebe. Die Zellkultur dient dabei als künstlerisches Medium. Die Arbeiten von TC&A beschäftigen sich unter anderem mit im Labor gezüchteten Lebensmitteln, gewebegezüchteter Kleidung, skulpturale Formen aus der Gewebekultur und die sich verändernde Beziehung zwischen dem Lebenden und Nichtlebenden.[10] Im Rahmen ihrer künstlerischen Forschung haben die Künstler den Begriff des „Semi-Living“ entwickelt, um eine neue Kategorie des Lebens zu beschreiben, die im Labor entstanden ist.[10] Die Kunstwerke werden international ausgestellt und gesammelt, unter anderem von Ars Electronica, Gallery of Modern Art, Museum of Modern Art, Mori-Kunstmuseum, National Art Museum of China, National Gallery of Victoria und Yerba Buena Center for the Arts.

Kontroversen

Da die Künstler der Bio Art die Konsequenzen der wissenschaftlichen Entwicklung hinterfragen, sind die Werke oftmals bewusst provozierend oder schockierend. 2007 berichtete die USA Today, dass Eduardo Kac und andere Künstler der Bio Art auf den Widerstand von Tierschutzgruppen gestoßen sind. Sie beschuldigten die Künstler, Lebewesen zu eigennützigen Zwecken zu manipulieren. Konservative Gruppen stellten zudem die Moral der transgenen Organismen und der Gewebekultur in Frage. Alka Chandna, Senior Researcher bei PETA in Norfolk, Virginia, meint, dass die transgene Manipulation von Tieren eine Fortsetzung der Nutzung von Tieren für menschliche Zwecke sei, unabhängig davon, ob damit eine Art gesellschaftspolitischer Kritik geübt wird.[11]

Der US-amerikanische Biokünstler und Mitbegründer des Critical Art Ensembles, Steve Kurtz, wurde 2004 vom FBI wegen Verdachts auf Bioterrorismus verhaftet, nachdem bestimmte Arten von Bakterien und andere biologische Materialien in seiner Wohnung entdeckt wurden.

Literatur

  • Suzanne Anker, Dorothy Nelkin: The Molecular Gaze: Art in the Genetic Age. Cold Spring Harbor Laboratory Press, Cold Spring Harbor, N.Y. 2004, ISBN 978-0-87969-697-9.
  • Beatriz da Costa, Kavita Philip (Hrsg.): Tactical Biopolitics: Art, Activism and Technoscience. MIT Press, Cambridge 2008, ISBN 9780262042499.
  • Eduardo Kac: Telepresence and Bio Art. Networking Humans, Rabbits & Robots, University of Michigan Press, Ann Arbor 2005. ISBN 0-472-06810-5.
  • Eduardo Kac (Hrsg.): Signs of Life: Bio Art and Beyond. MIT Press/Leonardo Books, Cambridge 2007, ISBN 978-0-262-11293-2.
  • Rob Mitchell: Bioart and the Vitality of Media. University of Washington Press, Seattle 2010, ISBN 978-0-295-99008-8.
  • Ingeborg Reichle: Kunst aus dem Labor. Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft im Zeitalter der Technoscience. Springer, Wien 2005, ISBN 978-3-211-22234-8.
  • Ingeborg Reichle: Art in the Age of Technoscience. Genetic Engineering, Robotics, and Artificial Life in Contemporary Art. Springer, Wien 2009, ISBN 978-3211781609.
  • Johanna Zylinska: Bioethics in the Age of New Media. MIT Press/Leonardo Books, Cambridge 2009, ISBN 978-0-262-24056-7.

Einzelnachweise

  1. Peter Weibel: Biotechnologie und Kunst. In: M.E.A. Schmutzer (Hrsg.): Technik und Gesellschaft. Symposion der technischen Universität Wien in Lech am Arlberg. Band 19. Springer, Wien 1981, S. 158–169.
  2. a b Ingeborg Reichle: Bio-Art: Die Kunst für das 21. Jahrhundert. In: KUNSTFORUM International. 2018, abgerufen am 5. August 2021.
  3. Eduardo Kac: Signs Of Life. Bio Art and Beyond. The MIT Press, Cambridge, London 2007, ISBN 978-0-262-11293-2, S. 19.
  4. Stuart Bunt: The Role of the Scientist and Science in Bio-Art. In: Melentie Pandilovski (Hrsg.): Art in the Biotech Era. Experimental Art Foundation, 2008, S. 62–67.
  5. J.D. Watson, F.H.C. Crick: Molecular Structure of Nucleic Acids: A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid. In: Nature. Band 171, 1953, S. 737–738.
  6. Ingeborg Reichle: Kunst aus dem Labor. Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft im Zeitalter der Technoscience. Springer, Wien 2005, S. 29.
  7. Ingeborg Reichle: Kunst aus dem Labor. Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft im Zeitalter der Technoscience. Springer, Wien 2005, S. 30.
  8. Eduardo Kac: Transgene Kunst. In: Leonardo Electronic Almanac. Band 6, Nr. 11, 1998.
  9. Eduardo Kac: Transgene Kunst. 1999, abgerufen am 5. August 2021.
  10. a b Oron Catts, Ionat Zurr: tissue, culture & art project. In: the tissue culture & art project. 2021, abgerufen am 5. August 2021.
  11. Jessica M. Pasko: Bio-artists use science to create art. In: USA Today, 5. März 2007.