Jona

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Zwölfprophetenbuch des Tanach
Kleine Propheten des Alten Testaments
Namen nach dem ÖVBE
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Prophet Jonas, Spätbarocke Skulptur von Aleijadinho

Jona (auch Jonas; hebräisch יוֹנָה Jônâ; griechisch Ἰωνᾶς Iōnâs; lateinisch Jonas; arabisch يُونُس, DMG

Yūnus

), Sohn des Amittai (

יוֹנָה בֶן־אֲמִתַּי

) heißt der Prophet eines Buches im Tanach, das von ihm erzählt. Es gehört zum Zwölfprophetenbuch und bildet darin eine besondere literarische Gattung, weil es keine Sammlung von Prophetenworten ist, sondern eine biblische Erzählung über einen Propheten, seine Sendung nach Ninive und seine Belehrung durch JHWH, den Gott Israels. Enge Parallelen dazu sind die Geschichten über Elija und Elischa im 1. Buch der Könige.

Entstehung

Sprachliche, religions- und motivgeschichtliche Beobachtungen sprechen deutlich für eine sehr viel spätere Entstehung als in der Erzählung selbst angegeben, so dass die überwiegende Mehrheit der Exegeten das Buch in die persische oder hellenistische Zeit, also in das 5.−3. Jahrhundert v. Chr., datieren.[1] Frühere Datierungen werden nur noch selten vertreten, meist begründet mit der historisch im Jahr 612 v. Chr. belegten Zerstörung der Stadt Ninive, die im Text keinen Anhaltspunkt findet. Nach unten hin ist der Datierung eine klare Grenze gezogen: Aufgrund von Sir 49,10 EU, wo die „Zwölf Propheten“ als Sammlung erwähnt sind, ist eine Datierung des Jonabuches in die Zeit nach ca. 190 v. Chr. nicht mehr möglich.[1]

Immer wieder wurde versucht, das Buch Jona in mehrere literarische Schichten zu unterteilen, da hier die Gottesnamen JHWH und älohim nebeneinander gebraucht werden. Hieraus versuchte man seit dem 19. Jahrhundert, analog zur Quellenscheidung im Pentateuch, eine Mehrschichtigkeit des Jonabuches herzuleiten. Alle diese Versuche sind anhand der erkennbaren literarischen Einheitlichkeit des Buches inzwischen als gescheitert anzusehen.[2]

Text und Aufbau

Gliederung

Datei:Hortus Deliciarum, Der Prophet Jonas wird vom Fisch bei Ninive ausgespien.JPG
Der Prophet Jona wird vom Fisch bei Ninive ausgespien, aus „Hortus Deliciarum“ der Herrad von Landsberg (um 1180)

Das Buch Jona gliedert sich in zwei Teile. Im ersten wird die Flucht des Propheten vor seinem Auftrag beschrieben, im zweiten die – jedenfalls äußerliche – Erfüllung dieses Auftrages. Jeder dieser Teile gliedert sich in drei Szenen, von denen die zweite und die dritte wiederum je drei Handlungsetappen umfassen.[3]

Kap. 1–2 Erster Teil: Auf dem Meer – die äußere Flucht
1,1–3 EU: Der erste Auftrag Gottes, Jonas Flucht
1,4–16: Auf dem Meer im Schiff – Gottesfurcht der Seeleute und Jonas Widerstand
1,4 EU: Sturm und Gefahr
1,5–15 EU: Gebet der Seeleute und Jonas Opfer
1,16 EU: Aufhören des Sturms
2,1–11: Im Meer, im Bauch des Fisches
2,1 EU: Jona wird der Bauch des Fisches zum Gefängnis
2,2–10 EU: Jonas Gebet (Jonapsalm)
2,11 EU: Jonas Rettung
Kap. 3–4 Zweiter Teil: Die Stadt Ninive – die innere Flucht
3,1–3 EU: Der zweite Auftrag Gottes, Jonas Aufbruch
3,4–10: In Ninive – Umkehr der Sünder und Jonas Widerstand
3,4 EU: Unheilsankündigung
3,5–9 EU: Fastenaufruf des Königs und Umkehr der Menschen
3,10 EU: Rücknahme der Unheilsdrohung
4,1–11: In und bei Ninive – Die Belehrung des Propheten
4,1 EU: Jona gerät in Zorn über Gottes Entscheidung
4,2–5 EU: Jonas Gebet und Auszug aus der Stadt
4,6–11 EU: Der Wunderstrauch wächst und verdorrt, Jonas Verzweiflung und Gottes offene Frage

Beide Teile beginnen jeweils mit der Wortereignisformel: „Und das Wort JHWHs erging an Jona…“ Beide Male wendet sich Jona zum Gehen – zuerst freilich in Richtung Westen, erst beim zweitenmal geht er nach Ninive. Parallelen begegnen auch beim Ort der Handlung (Meer – Ninive und Umgebung) und bei den handelnden Personen (Seeleute und Kapitän – Stadtbewohner und König). Jede der beiden auf die Wortereignisformel folgenden Szenen hat drei Episoden. Die erste beschreibt eine gottgesandte (wirkliche oder empfundene) Notlage; die zweite ein Gebet und begleitende Handlungen; die dritte eine Antwort Gottes.[4]

Inhaltsangabe

1. Kapitel

Die Erzählung beginnt damit, dass Jona von Gott den Auftrag erhält, nach Ninive zu gehen und der Stadt und ihren Bewohnern ob ihrer Bosheit ein Strafgericht Gottes anzudrohen. Jona macht sich zwar auf den Weg, jedoch nicht in Richtung Osten nach Ninive (heutiger Irak), sondern nach Jaffa (Jafo), wo er ein Schiff nach Tarsis (Tarschisch, vermutlich Tartessus im heutigen Spanien) besteigt; er flieht also von Israel aus gesehen in die entgegengesetzte Richtung. Gott entfacht einen gewaltigen Sturm, durch den das Schiff in Seenot gerät. Durch das Los wird Jona als Verantwortlicher entlarvt, der seine Schuld bekennt und vorschlägt, sich ins Meer werfen zu lassen. Nachdem die Seeleute zunächst ergebnislos versucht haben, durch Rudern an Land zu kommen, werfen sie Jona doch noch ins Meer. Da der Sturm augenblicklich aufhört, bekehren sich die Seeleute zu JHWH.

Jona wird vom „Wal“ verschlungen (Hintergrund) und nach drei Tagen an Land ausgespien
2. Kapitel

Jona wird von einem großen Fisch verschlungen. In dessen Bauch betet er und wird nach drei Tagen und drei Nächten wieder an Land ausgespien.

3. Kapitel

Jona erhält nun noch einmal denselben Auftrag wie zu Beginn; diesmal geht er tatsächlich nach Ninive, um dort zu verkündigen, dass nur noch vierzig Tage bis zur Zerstörung der Stadt bleiben. Diese Ankündigung löst bei den Niniviten eine Bußbewegung aus, die die ganze Bevölkerung einschließlich der Tiere umfasst. Die Buße führt dazu, dass Gott die Stadt begnadigt, das angekündigte Gericht also nicht vollstreckt.

4. Kapitel

In Jona löst diese Begnadigung der Stadt großen Zorn aus. Er war zur Flucht nach Tarsis aufgebrochen, weil er wusste, dass Gott ein gnädiger und barmherziger Gott ist, der das Gericht über die Stadt letztlich nicht vollstrecken wird. Nun, nach der Begnadigung Ninives, wünscht er sich den Tod.

Offenbar in einer Rückblende wird daraufhin erzählt, wie Jona nach der Verkündigung in Ninive die Stadt verließ und sich außerhalb eine Laubhütte erbaute, um das Kommende abzuwarten. Gott ließ über diese Hütte eine Rizinusstaude wachsen, wodurch er Jona Schatten verschaffte und ihn erfreute. Aber am nächsten Morgen ließ Gott den Rizinus verdorren. Zusätzlich ließ er einen heißen Ostwind aufkommen, der bei Jona Ohnmacht und den Wunsch zu sterben hervorrief. Im Blick auf diese „Rizinusepisode“ fragt nun Gott den über die Begnadigung Ninives erzürnten Propheten:

„Dich jammert die Staude, um die du dich nicht gemüht hast, hast sie auch nicht großgezogen, die in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb; und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen sind, die nicht wissen, was rechts und links ist, dazu auch viele Tiere?“

Jona 4, 10 f. nach der revidierten Luther-Übersetzung von 1984.

Damit endet die Erzählung, ohne dass eine Antwort oder anderweitige Reaktion Jonas auf diese Frage berichtet würde.

Theologie

Historischer Hintergrund

Mit der Hauptperson ist wohl jener Jona Ben Amittai gemeint, der nach 2. Könige 14,25 EU die Wiederherstellung der alten israelitischen Nordgrenze durch König Jerobeam II. (781–742 v. Chr.) vorhergesagt hatte.[5] In der biblischen Zeitrechnung ist somit die Zeit des Jona vor oder während der Regierungszeit Jerobeams II. anzusetzen, der im fünfzehnten Regierungsjahr seines Bruders Amazja (800–783 v. Chr.) König von Israel wurde. Beider Vater war König Joasch (um 840–801 v. Chr.). Seine Heimat war demnach der Ort Gat-Hefer in Galiläa. Es gibt bislang keine außerbiblischen schriftlichen Zeugnisse für die Historizität Jonas. Angeblich befindet sich sein Grab in dem Dorf Nebi-Junis.[6] Über dem Grab stand die unter Saddam Hussein wiederaufgebaute Prophet-Jona-Moschee (eine ehemalige Klosterkirche) im Osten Mossuls, bis sie 2014 vom Islamischen Staat geplündert und gesprengt wurde.

Die assyrische Stadt Ninive wurde 612 v. Chr. zerstört und für das Juden- und Christentum zum Synonym einer gottlosen bzw. gottverlassenen Stadt.[7]

Allerdings zeigen weder die handelnden Personen noch die gezeigten Schauplätze irgendein historisch-individuelles Profil. „Name, Nationalität und Gott des ‚Königs von Ninive‘ werden nicht genannt, so daß die Erzählung dementsprechend auch nicht in einer bestimmten Zeit verankert ist. Es fehlen sowohl die politische Dimension als auch religiöse Details.“[8]

Literarische Besonderheiten

Die rhetorische Schlussfrage in 4,10–11 EU spricht dafür, dass es sich beim Jonabuch um eine religiöse Lehrerzählung handelt. In der Forschung ist diese Gattungsbestimmung heute fast allgemein akzeptiert.[5] Wäre es dem Erzähler in erster Linie darum gegangen, vergangene Ereignisse zu berichten, etwa ein dramatisches Erlebnis aus dem Leben des Propheten Jona, hätte er sicher einen abgerundeten Abschluss gewählt und klargestellt, wie Jona auf Gottes Frage reagiert.

Dass das Jonabuch keine geschichtliche Darstellung bietet, geht – abgesehen vom offenen Schluss – auch aus einer Reihe historischer Ungereimtheiten hervor.

Dazu zählt zunächst die Verschlingung Jonas durch den großen Fisch, die schon im Altertum bei Kritikern der frühen Kirche Spott hervorrief und deren Historizität in der neuzeitlichen Forschung durch teilweise sehr merkwürdige Erklärungen gesichert werden sollte.[9] So vermuteten einige Forscher des 18. Jahrhunderts, Jona sei von einem Schiff mit dem Namen „großer Fisch“ aufgenommen worden oder er habe in einer Herberge übernachtet, die „Zum Walfisch“ hieß. Die schon im 18. Jahrhundert vertretene Erklärung der Verschlingung als Traumerlebnis ist zwar weniger skurril, aber auch sie hat keinen Anhalt im Text. Auch Versuche, die Verschlingung Jonas durch Verweis auf Parallelfälle historisch wahrscheinlich zu machen, haben die Mehrheit der Forschung nicht überzeugt. Im angelsächsischen Raum wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall eines gewissen James Bartley, eines amerikanischen Waljägers diskutiert, der 1891 vor den Falklandinseln von einem Pottwal verschlungen, aber von seinen Kameraden aus dem Magen des erlegten Wals lebend gerettet wurde. Bartley soll bei seiner Rettung bewusstlos und vom Magensaft des Wals angegriffen gewesen sein.[10] Mit der Darstellung des Jonabuches (2. Kap.), nach der Jona im Magen des großen Fisches einen Psalm betet und offenbar unverletzt an Land gespuckt wird, hat das wenig zu tun. Angemessener lässt sich die Verschlingungsepisode verstehen, wenn man ihr stattdessen eine bildhafte Aussage über Gott entnimmt (vgl. unten den Absatz „Zur Verschlingungsepisode“).

Ein weiterer unhistorischer Zug ist die Schilderung Ninives. Ninive gilt im Jonabuch als Residenz eines Königs (Kap. 3), tatsächlich war die Stadt aber erst seit Sanherib die zentrale assyrische Residenz, die auch in Israel als solche wahrgenommen wurde, also nach 705 v. Chr. und damit lange nach dem historischen Jona. Abgesehen davon lassen sich in der Ninivedarstellung des Jonabuches neben den assyrischen Elementen solche wiederfinden, die zu der antiken Vorstellung von den Persern gehören. Die Verbindung von assyrischen und persischen Elementen spricht dafür, dass keine historisch zutreffende Ninive-Darstellung vorliegt, sondern ein Ninivebild, das aus einer Zeit stammt, in der sowohl das Assyrerreich wie auch das Perserreich schon Vergangenheit waren.[11]

Die Erklärung des Buches Jona als Lehrerzählung – und nicht etwa als Geschichtsdarstellung – ist nicht nur im Bereich der historisch-kritischen Bibelwissenschaft vorherrschend. Auch in evangelikalen Kreisen, die üblicherweise der historisch-kritischen Bibelforschung ablehnend gegenüberstehen, findet sich eine gewisse Offenheit für dieses Grundverständnis der Jonaerzählung.

Deutungsansätze

Durch die offene Schlussfrage werden Leser dazu angeregt, die Berechtigung des Mitleids Gottes mit Ninive nachzuvollziehen. Soweit ist das Anliegen des Textes eindeutig nachvollziehbar. Das eigentliche Problem ist damit aber noch nicht erfasst, da noch nicht klar ist, welche Schwierigkeit mit dieser Begnadigung verbunden sein könnte. Auf die Figurenebene der Erzählung bezogen heißt das: Die Interpretation hat zu klären, warum Jona sich zuerst der Sendung nach Ninive zu entziehen sucht und warum er nach erfolgter Begnadigung Ninives zu Tode verärgert ist.

Zur Erklärung der extremen Reaktionen Jonas sind verschiedene Interpretationsansätze vorgeschlagen worden:[7]

a) Jona will die Begnadigung Ninives nicht, weil er nichtisraelitischen Völkern die gnädige Zuwendung Gottes nicht gönnt. Die Niniviten stehen dabei als Symbol für die nichtisraelitischen Völker („Heiden“) überhaupt, die Jonafigur ist als Repräsentant eines israelitischen Exklusivismus aufgefasst, der die Gnade Gottes auf das von Gott erwählte Volk Israel eingeschränkt sehen möchte. Freilich muss Jona anhand des Rizinus lernen, dass diese Einschränkung nicht gilt. Gott ist nicht nur für Israel da, er sorgt sich um alle Völker.[12] Die Jonaerzählung kann bei diesem Ansatz als Satire aufgefasst werden, in deren Mittelpunkt die Jonagestalt als bornierte Witzfigur steht. An ihren Erlebnissen wird die Unmöglichkeit einer engstirnigen religiösen Grundhaltung entlarvt.[7]

b) Ein zweiter Interpretationsansatz geht davon aus, dass Jona nicht als falscher Prophet dastehen will, weil er von Anfang an ahnt, dass das Gericht, das er ankündigen soll, nicht eintrifft. Nach dem Nichteintreffen des Gerichts, zu dessen Ankündigung Gott ihn letztlich gezwungen hat, sieht er sich von Gott desavouiert und will deshalb sterben.[13]

c) Ein dritter Ansatz vermutet, dass Jona die Begnadigung Ninives nicht will, weil er für die Gerechtigkeit Gottes eifert und ihm daher seine Gnade zuwider ist.[7]

d) Wenn man stärker als bei den Interpretationsansätzen b) und c) berücksichtigt, dass Jona in eine ferne Metropole geschickt wird (das Problem von wahrer und falscher Prophetie sowie das von Gerechtigkeit und Gnade Gottes könnte auch – im alttestamentlichen Umfeld weniger auffällig – an einer Sendung zu einem israelitischen König verhandelt werden), und wenn man zugleich im Unterschied zu Interpretationsansatz a) Ninive nicht als pars pro toto für die Nichtisraeliten überhaupt auffasst, sondern dem sonstigen alttestamentlichen Befund entsprechend zunächst als Hauptstadt Assyriens, also einer Weltmacht, die für Israel ein gefährlicher Gegner war und die Israel letztlich unter ihre Vorherrschaft brachte, dann bietet sich ein vierter Interpretationsansatz an: Jona sucht sich der Sendung nach Ninive zu entziehen, weil er nicht durch eine Gerichtswarnung dazu beitragen will, dass das gefährliche Ninive Buße tun kann. Er weiß nämlich, dass der gnädige Gott in diesem Fall die Feinde Israels begnadigen wird und dass so eine mögliche Gefährdung Israels weiter besteht. Dieser Interpretationsansatz geht davon aus, dass das Jonabuch eine tiefe Enttäuschung verarbeitet, die in Israel vorhanden gewesen sein muss, nachdem es jahrhundertelang unter der Vorherrschaft fremder Großmächte stand.[14] Dies war der Fall in der Zeit nach dem babylonischen Exil, als Israel erst unter persische, dann unter hellenistische Vorherrschaft geriet. Die wechselnde Vorherrschaft fremder Großmächte spiegelt das Jonabuch insofern, als in seiner Darstellung von Ninive nicht nur assyrische, sondern auch persische Elemente vorhanden sind. Das Ninive des Jonabuches steht damit als Symbol für sämtliche Großmächte, die über Israel herrschten. Für fromme Israeliten musste sich angesichts der bleibenden Vorherrschaft fremder Mächte die Frage stellen, warum Gott diese Vorherrschaft über das erwählte Volk nicht beendet. Die Tragweite dieses Konflikts zeigt sich, wenn man bedenkt, dass Israel ja durch die babylonische Eroberung Jerusalems und die Exilierung weiter Bevölkerungsanteile erlebt hatte, wie existenzbedrohend die Vorherrschaft fremder Großmächte sein kann.[7]

Alle vier Interpretationsansätze sind in verschiedenen Variationen vertreten worden und bedenkenswert. Darüber hinaus liegen exegetische Stellungnahmen vor, nach denen das Jonabuch bewusst mehrdeutig gehalten ist, so dass die Festlegung auf einen bestimmten Interpretationsansatz der Sinnfülle des Textes nicht gerecht wird.

Die Lösung des Konfliktes muss sich bei allen vier Ansätzen vom Bedenken der Schlussfrage (Jona 4, 10–11 EU) her ergeben.[12]

Für Interpretationsansatz a) ergibt sich aus der Schlussfrage, dass Gott der Schöpfer der ganzen Welt ist, der sich um alle seine Geschöpfe sorgt, also auch um die Nichtisraeliten, für die die Leute von Ninive stehen, und auch um ihre Tiere. Eine Begrenzung der gnädigen Zuwendung Gottes auf Israel ist auf Grund seines allumfassenden Schöpferseins nicht möglich.[15]

Für Interpretationsansatz b) lässt sich aus der Schlussfrage entnehmen, dass Gott als Schöpfer Mitleid mit allen seinen Geschöpfen hat, so dass er nicht auf der Erfüllung einer Prophezeiung besteht – auch dann nicht, wenn er, wie in Jonas Fall, den Propheten selbst mit der Verkündigung dieser Prophezeiung beauftragt hatte.[16]

Dass Gott Mitleid mit allen seinen Geschöpfen hat, ist auch bei Interpretationsansatz c) wichtig; auf Grund dieses Mitleids ist Gott die Begnadigung schuldig gewordener Menschen wichtiger als die prinzipielle Durchsetzung seiner Gerechtigkeit.

Bei Interpretationsansatz d) ist wie bei Interpretationsansatz a) wichtig, dass die Schlussfrage die Begnadigung Ninives damit begründet, dass Gott der Schöpfer aller Lebewesen ist; damit sind auch die Großmächte, die über Israel herrschen, als seine Geschöpfe bezeichnet. Daraus ergibt sich allerdings noch keine Lösung des Problems. Die grundlegende Fragestellung, warum Gott die Vorherrschaft fremder Großmächte über sein erwähltes Volk nicht beendet, verlangt eine Auskunft darüber, worin trotz dieser Vorherrschaft das bleibende Vorrecht Israels besteht. Ein Hinweis dazu findet sich wahrscheinlich in der auffälligen Bemerkung, dass die Leute von Ninive nicht wissen, wo rechts und links ist (Jona 4,11 EU). Indem Ninive dieses Wissen abgesprochen wird, soll wohl indirekt daran erinnert werden, dass Israel ein Wissen um Rechts und Links hat. Von anderen alttestamentlichen Stellen her ist diese Aussage als Anspielung darauf zu erkennen, dass Israel das von Gott offenbarte Gesetz, die Tora, kennt. Daraus ergibt sich, dass Israel auch unter der Vorherrschaft fremder Großmächte, deren Symbol Ninive ist, als Gottes erwähltes Volk weiter existieren wird, wenn es sich an das Gesetz hält, das ihm Gott durch Mose gegeben hat.

Zur Verschlingungsepisode

Datei:Sarleinsbach Pfarrkirche - Sprinzenstein-Epitaph 2g.jpg
Christus als neuer Jonas (1595), Pfarrkirche Sarleinsbach/OÖ

Die wirkungsvollste Episode der Erzählung ist die Verschlingung und Ausspeiung durch den großen Fisch in Kapitel 2. Die isolierte Betrachtung der Episode ist für die Christenheit von großer Bedeutung gewesen, die in Verschlingung und Rettung Jonas ein Symbol für den Tod und die Auferstehung Jesu sah. Dieser Aspekt der Wirkungsgeschichte beginnt mit dem in Matthäus 12,40 EU überlieferten Wort Jesu

„Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein.“

revidierte Luther-Übersetzung von 1984.

(vgl. Lukas 11,29 EU)

Als Auferstehungssymbol ist Jona auf vielen antiken christlichen Sarkophagen dargestellt, ebenso auf Taufsteinen.

In der Forschung zum Jonabuch hat die Verschlingungsszene ein besonderes Interesse auf sich gezogen. Im Absatz über die literarische Gattung (vgl. oben) wurde schon erwähnt, dass sich die neuzeitliche Erforschung des Buches von Anfang an um den Erweis ihrer Historizität bemühte, die ihrerseits schon in der Antike bestritten worden war. Nachdem sich dieses Vorhaben als fruchtlos erwiesen hatte und die Forschung mehr und mehr dazu überging, das Jonabuch literarisch und traditionsgeschichtlich (als Ergebnis bestimmter Sagen- oder Erzähltraditionen) zu verstehen, wurden viele Parallelen aus Mythen, Sagen und Erzählungen in aller Welt gesammelt, und die Verschlingungsepisode wurde vor diesem Hintergrund als Verarbeitung eines weit verbreiteten Sonnenmythos gesehen. Auch wurden tiefenpsychologische Deutungen unternommen. Dass gerade die Verschlingungsepisode in der Wahrnehmung der Jonaerzählung eine so bedeutende Rolle einnimmt, obwohl sie im Buch selbst eher eine Durchgangsszene ist, liegt zweifellos daran, dass sie sich mit menschlichen Grunderfahrungen von Ende und Neubeginn verbinden lässt.

Betrachtet man die Verschlingungsepisode motivgeschichtlich, liegt es kaum nahe, an die Verarbeitung eines ursprünglichen Sonnenmythos zu denken; vielmehr scheint ein Einfluss durch indische Stoffe plausibel, die in den östlichen Mittelmeerraum gelangten, nachdem Alexander der Große seinen Indienzug unternommen hatte. Im Zusammenhang des Jonabuches drückt die Verschlingungsepisode die Macht Gottes als Schöpfer von Himmel und Erde aus (vgl. dazu Jonas Bekenntnis in Jona 1,9 EU): Indem die Erzählung schildert, dass Gott Jona durch den großen Fisch rettet, lässt sie den flüchtigen Propheten in den Tiefen des Meeres Gottes Macht erfahren – zugleich lässt die Geschichte Jona erfahren, welcher Übermacht er sich entgegenzustellen suchte.

Wirkungsgeschichte

Datei:Dore jonah.jpg
„Jona predigt zu den Nineviten“, von Gustave Doré, 1883

Der Protagonist des Buches Jona ist im Judentum seit der Kanonbildung als Prophet anerkannt, seine Gestalt spielt zudem in vielen jüdischen Legenden eine Rolle.

Christentum

In den christlichen Kirchen wird Jona(s) als Heiliger verehrt oder als denkwürdiger Glaubenszeuge angesehen. Das Jonabuch ist im Christentum eine der beliebtesten biblischen Geschichten.

Die christlichen Gedenktage sind:

Islam

Im Islam wird Yūnus, so sein arabischer Name, als Prophet und Vorläufer Mohammeds betrachtet; die Sure 10 ist nach ihm benannt. Die hervorgehobene Bedeutung der Verschlingungsepisode in der Wahrnehmung der Jona-Erzählung zeigt sich auch darin, dass Jona im Koran „der Mann des Fisches“ (Sure 21,87) oder „der mit dem Fisch“ (Sure 68,48) genannt wird. Um ihn ranken sich manche islamische Legenden.

Bahaitum

Ebenso wie die Wunder Jesu wird auch die Jona-Erzählung in der Bahai-Religion allegorisch ausgelegt: Der Fisch steht für das Umfeld des Propheten Jona und die Feindseligkeit der Menschen. Die Errettung aus dem Bauch des Fisches bedeutet die Durchsetzung seiner Lehren und die Führung der Menschen zum Glauben. Ebenso werden in der Bahai-Religion die Wunder der Zentralgestalten der Religionen allegorisch interpretiert.

Moderne Kultur

Darüber hinaus hat das Jonabuch der Literatur, bildenden Kunst und Unterhaltungsindustrie zahlreiche Anregungen gegeben, etwa für Herman Melvilles Roman Moby Dick.

Literatur

Exegetische Fachliteratur

Forschungsbericht
  • Claude Lichtert: Un siècle de recherche à propos de Jonas. Revue Biblique 112 (2005), 192–214; 330–354.
Zur Einführung und weiteren Literaturerschließung
Kommentare (seit 1990)
  • Friedemann W. Golka: Jona. Stuttgart 1991 = 2. Auflage Stuttgart 2007, ISBN 978-3-7668-3949-7.
  • Jörg Jeremias: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha. ATD 24/3, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-51242-5, S. 75–112.
  • Jack M. Sasson: Jonah. Anchor Bible, New York u. a. 1990.
Sonstige exegetische Literatur
  • Jean-Gérard Bursztein: Antike hebräische Heilserfahrung und Psychoanalyse. Das Buch Jonah. Wien: Turia + Kant 2009. ISBN 978-3-85132-552-2
  • Hartmut Gese: Jona ben Amittai und das Jonabuch. In: ders.: Alttestamentliche Studien. Tübingen 1991, 122–138. (Abweisung der Interpretation als Satire bzw. einer bornierten Interpretation der Jona-Gestalt)
  • Klaus Koenen: Biblisch-theologische Überlegungen zum Jonabuch. In: Zeitschrift für Neues Testament. 6 (2000), 31–39. (klare Ablehnung einer Entscheidung für einen einzelnen Interpretationsansatz)
  • W. S. La Sor/D. A. Hubbard/F. W. Bush: Das Alte Testament. Entstehung, Geschichte, Botschaft. Hrsg. v. H. Egelkrauth, Gießen (u. a.) 1989. ISBN 3-7655-9344-3 (Hierbei handelt es sich um eine evangelikale „Einleitung“ in das Alte Testament, die im Kapitel über das Jonabuch [S. 409–418] gegenüber dem Grundverständnis als Lehrerzählung – und nicht als Geschichtsbericht – offen ist)
  • Rüdiger Lux: Jona. Prophet zwischen „Verweigerung“ und „Gehorsam“. FRLANT 162. Göttingen 1994.
  • Beat Weber: Jona. Der widerspenstige Prophet und der gnädige Gott (BG 27), Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2012. ISBN 978-3-374-03050-7
Zur Verschlingungsepisode
  • Meik Gerhards: Zum motivgeschichtlichen Hintergrund der Verschlingung des Jona. In: Theologische Zeitschrift (Basel) 59 (2003), 222–247.
  • Hans Schmidt: Jona. Eine Untersuchung zur vergleichenden Religionsgeschichte, Forschungen zur Religion und Literatur im Alten und Neuen Testament. 9, Göttingen 1907. (geht unter Voraussetzung eines in der heutigen Erzählforschung überholten evolutionistischen Denkens davon aus, dass das Verschlingungsmotiv des Jona-Buches eine Spielart eines uralten, weit verbreiteten Sonnenmythos sei; als Materialsammlung für Parallelen zur Verschlingungsepisode ist das Buch bis heute wichtig)
  • A.J. Wilson: The Sign of Jonah and its modern Confirmation. In: Princeton Theological Review. 35 (1927), 630–642. (Versuch, die Historizität der Verschlingung unter Verweis auf Parallelfälle, u. a. J. Bartley, zu untermauern)
Zur Wirkungsgeschichte
  • Uwe Steffen: Das Mysterium von Tod und Auferstehung. Formen und Wandlungen des Jona-Motivs. Göttingen 1963. (materialreiche Sammlung zur Motiv- und Wirkungsgeschichte des Verschlingungsmotivs mit tiefenpsychologischer Deutung)
  • Uwe Steffen: Die Jona-Geschichte. Ihre Auslegung und Darstellung im Judentum, Christentum und Islam. Neukirchen-Vluyn 1994, ISBN 3-7887-1492-1.

Vergleichende Literaturwissenschaft

  • Simone Frieling: Der rebellische Prophet. Jona in der modernen Literatur. Sammlung Vandenhoeck, Göttingen 1999. ISBN 3-525-01225-X (Sammlung von Texten und Textauszügen sowie zwei Essays: Jona und die Dichter von Dieter Lamping und Jona – eine unendliche Geschichte von Rüdiger Lux)

Belletristik

Als Zitat innerhalb eines Werkes
Als Motiv innerhalb eines Werkes
  • Carlo Collodi: Pinocchio. 35. Kapitel: Pinocchio entdeckt im Leib des Haifischs … Wen nur? (Wie im Jona-Buch steht der verschlingende Fisch, hier als „Riesenhai“, für die endgültige Läuterung des Protagonisten.)
Als eigenständige Variation des Jona-Buches

Siehe auch

Weblinks

Commons: Jona – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Jörg Jeremias: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha. ATD 24/3, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-51242-5, S. 80
  2. Vgl. Erich Zenger u. a.: Einleitung in das Alte Testament. 5. Auflage. W. Kohlhammer, Stuttgart 2004, ISBN 3-17-018332-X, S. 550
  3. Vgl. Erich Zenger u. a.: Einleitung in das Alte Testament. 5. Auflage. W. Kohlhammer, Stuttgart 2004, ISBN 3-17-018332-X, S. 549 f.
  4. Vgl. U. Simon: Jona. Ein jüdischer Kommentar. In: Stuttgarter Biblische Studien 157 (1994) 50.
  5. a b Thomas Söding: Jona und andere: Die „kleinen Propheten“. (PDF; 127 kB) 2005, S. 13, archiviert vom Original am 4. Februar 2018; abgerufen am 30. April 2017.
  6. Wilhelm Litten: Persische Flitterwochen. Georg Stilke, Berlin 1925, S. 161
  7. a b c d e Meik Gerhards: Jona / Jonabuch. In: Das Bibellexikon. Deutsche Bibelgesellschaft, April 2008, abgerufen am 30. April 2017 (Abschnitt 6.).
  8. U. Simon: Jona. Ein jüdischer Kommentar. In: Stuttgarter Biblische Studien 157 (1994) 31. Zitiert nach Erich Zenger u. a.: Einleitung in das Alte Testament, S. 548
  9. Vgl. Jörg Jeremias: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha. ATD 24/3, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-51242-5, S. 92f.
  10. Vgl. dazu: Edward B. Davis: A Whale of a Tale: Fundamentalist Fish Stories. In: Perspectives on Science and Christian Faith, 43. 1991, S. 224–237, abgerufen am 8. Mai 2017 (englisch).
  11. Jörg Jeremias: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha. ATD 24/3, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-51242-5, S. 99
  12. a b Jörg Jeremias: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha. ATD 24/3, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-51242-5, S. 110
  13. Jörg Jeremias: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha. ATD 24/3, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-51242-5, S. 78
  14. Vgl. Jörg Jeremias: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha. ATD 24/3, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-51242-5, S. 79
  15. Vgl. Hans-Peter Mathys: Dichter und Beter. Theologen aus spätalttestamentlicher Zeit. Saint-Paul, Freiburg i. Üe. 1994, ISBN 3-525-53767-0, S. 219, Anm. 4
  16. Vgl. Jörg Jeremias: Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung (= BThSt 31). 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1997, S. 103