Carlos Saura

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Carlos Saura, 2017

Carlos Saura (* 4. Januar 1932 in Huesca, Aragón)[1] ist ein spanischer Filmregisseur. Seine Filme waren anfangs vom Neorealismus geprägt, später zeigte sich der Einfluss durch den mythischen Stil von Luis Buñuel.

Leben

Sauras Vater war im Finanzministerium angestellt, seine Mutter war Pianistin, der Bruder Antonio Saura wurde später ein bekannter Künstler. Während des Spanischen Bürgerkriegs zog die republikanisch eingestellte Familie zunächst von Madrid nach Valencia, später dann nach Barcelona. Nach Ende des Krieges wurde Saura eine Weile getrennt von seiner Familie bei Verwandten untergebracht, die mit Franco sympathisierten. Diese Erfahrungen waren prägend für sein späteres Filmschaffen. In einem Interview bekannte er 1975: „Niemals habe ich verstehen können, warum über Nacht die Guten die Bösen waren, und die Bösen die Guten.“[2]

Saura studierte zunächst Ingenieurwissenschaften und verdiente sich sein Geld als Fotograf auf Tanzveranstaltungen. Er machte aber auch künstlerische Fotoarbeiten, die er mit Hilfe seines Bruders Antonio ausstellte. 1952 wurde Saura Schüler am Instituto de Investigaciones y Experiencias Cinematográficas (IIEC), der staatlichen spanischen Filmhochschule, an der er Regie studierte.[3] 1957 erhielt er sein Diplom für La tarde del domingo (1957). Der Film hat kein Happy End, was typisch für Saura ist.

Sofort nach seinem Abschluss wurde er Dozent am IIEC, zunächst für den Fachbereich Szenarium/Drehbuch, später dann für Regie. 1959 inszenierte er seinen ersten abendfüllenden Spielfilm Los golfos (deutsch: Die Straßenjungen). Bei der Vorführung des Films auf den Filmfestspielen von Cannes lernte Saura 1960 seinen Kollegen Luis Buñuel kennen, mit dem ihn fortan eine enge Freundschaft und die stilistische Nähe ihrer Filme verband.[4] Die spanische Filmzensur schränkte die Verbreitung von Los golfos stark ein. Erst 1962 wurde eine geschnittene Version uraufgeführt.[5] Saura machte es sich zur Aufgabe, das autoritäre Franco-Regime in seinen Filmen zu kritisieren. Die staatliche Zensur zwang ihn zu einer unterschwelligen und nicht direkt greifbaren Kritik, die ihn bald zum Aushängeschild antifranquistischer Kunst werden ließ. Dabei wurde er unterstützt von seinem Freund und langjährigen Produzenten Elías Querejeta. Sauras Filme wurden zu dieser Zeit auf internationalen Filmfestivals bekannter als in Spanien selbst.[5]

Als Spiegelbild der spanischen Gesellschaft diente Carlos Saura das spanische Bürgertum. In La Caza (1965, deutsch: Die Jagd) zeigt er das bourgeoise Verhalten einer Jagdgesellschaft. In La prima Angélica (1973, deutsch: Cousine Angélica) wurde eine Bürgersfamilie zum Spiegel der erstarrenden spanischen Gesellschaft. Immer wieder musste er mit der Zensur um einzelne symbolträchtige Szenen ringen, etwa wenn in La prima Angélica der geschiente Arm eines Falangisten an einen Hitlergruß erinnert. Auch nach Bestehen der Zensur wurden die spanischen Aufführungen dieses Films durch falangistische Schlägertrupps attackiert.[6] Zu seinem 1972 entstandenen Film Ana y los lobos (deutsch: Anna und die Wölfe) äußerte sich Carlos Saura: „Ich machte diesen Film, weil meine Mutter, wenn ich damals zu Hause von politischen, sexuellen oder religiösen Problemen reden wollte, immer sagte: Darüber spricht man nicht. Das gleiche sagte dann die spanische Zensur zu mir: Alles, was Sie wollen – außer Sex, Politik und Religion!“[7]

Sauras Kino aus dieser Phase wurde oft auch als „Erinnerungskino“ bezeichnet. Es trug zum Teil autobiografische Züge. So sind in den Film La prima Angélica Filmsequenzen montiert, die auf Sauras Wahrnehmungen als Kind während des Krieges zurückgehen, etwa die Szene eines Mädchens mit Glassplittern im Gesicht. La Madriguera (1968, deutsch: Höhle der Erinnerungen) zeigt die Virulenz nicht verarbeiteter, teilweise traumatischer Kindheitserfahrungen in einer späteren Partnerbeziehung. Saura selbst sagte in einem Interview: „Meine Filme sind nie realistisch, vielmehr eine Art Flucht, in dem Sinne, wie Luis Buñuel gesagt hat: Das Reinste ist die Einbildungskraft.“[4] Einer der wichtigsten künstlerischen Bezugspunkte in Sauras Filmen war Geraldine Chaplin, die zur Zeit ihrer gemeinsamen Arbeit Sauras Lebensgefährtin war. In insgesamt neun seiner Filme von Peppermint Frappé (1967, deutsch: Pfefferminz Frappe) bis Mamá cumple cien años (1979, deutsch: Mama wird 100 Jahre alt) wirkte sie als Schauspielerin mit, zumeist in der weiblichen Hauptrolle. In Cría cuervos (1975, deutsch: Züchte Raben…) trat sie in einer Doppelrolle als Mutter und erwachsene Tochter in Erscheinung. Der Film wurde zum bis dato größten Erfolg Sauras und erreichte mit über einer Million Zuschauer erstmals auch in großem Umfang das spanische Publikum.[8]

Carlos Saura und Ana Saura bei den Goya Awards 2018

Nach Francos Tod und der weggefallenen Zensur öffnete sich das Sujet von Sauras Filmen. Sein Werk reichte von der zeitkritischen Studie über kriminelle Jugendliche Deprisa, deprisa (1981, deutsch: Los, Tempo!) bis zu den surrealen Bildwelten des historischen Künstlerporträts Goya en Burdeos (1999, deutsch: Goya). International bekannt wurden vor allem seine Tanzfilme, in denen Sauras Erfahrung als Tanzfotograf zum Tragen kam. Mit Bodas de sangre (1981, deutsch: Bluthochzeit, nach dem gleichnamigen Theaterstück von Federico García Lorca), Carmen (1983, nach der gleichnamigen Oper von Georges Bizet) und El amor brujo (1986, deutsch: Liebeszauber, nach dem gleichnamigen Ballett von Manuel de Falla) legte er in den 1980er Jahren eine erste dem Flamenco[9] gewidmete Trilogie vor. Der „Pseudo-Dokumentarfilm“[10] Sevillanas (1992) zeigt verschiedene Interpretationen des gleichnamigen Tanzes.[11] Eine weitere Trilogie erkundete mit Flamenco (1995), Tango (1998) und Fados (2007) moderne städtische Musikstile.

Auch die Würdigung seines Heimatlandes wurde ihm nach der Demokratisierung Spaniens zuteil. 1980 wurde ihm der Nationale Filmpreis Spaniens verliehen „als Anerkennung seines Wirkens für das Ansehen unseres Kinos im Ausland“.[5] Für ¡Ay, Carmela! (1990, deutsch: Ay Carmela! – Lied der Freiheit) erhielt er 1991 den spanischen Filmpreis Goya in den wichtigsten Kategorien. 1992 produzierte Saura mit Maratón den offiziellen Film zu den Olympischen Sommerspielen in Barcelona.

Im Jahre 2000 fand Saura wieder zum Thema des Spanischen Bürgerkriegs zurück, dieses Mal allerdings nicht hinter der Kamera, sondern in seinem ersten Roman ¡Esa Luz! (deutsch: Dieses Licht!) in dem er auch literarisch einen Film im Kopf des Lesers entstehen ließ. Carlos Saura sieht sich in der Tradition von drei großen Regisseuren: „Buñuel, Bergman und Fellini“.[12]

Filme

Auszeichnungen (Auswahl)

Handabdrücke am BIFF Square in Busan, Juliette Binoche, Emi Wada, William Dafoe, Carlos Saura, Oliver Stone und Kim Ji-min

Fotobücher

  • Antonio García-Rayo (Hrsg.): Las fotografías pintadas de Carlos Saura. Ed. El Gran Caíd, San Sebastian de los Reyes, Madrid 2005, ISBN 84-609-7798-6. (Text englisch und spanisch)
  • Carlos Saura: Vanished Spain. Steidl, Göttingen 2016, ISBN 978-3-86930-911-8.

Literatur

  • Frank Arnold u. a.: Carlos Saura (Reihe Film 26). Hanser, München 1981, ISBN 3-446-13370-4.
  • Hans M. Eichenlaub: Carlos Saura. Ein Filmbuch. Dreisam-Verlag, Freiburg im Breisgau 1984, ISBN 3-921472-90-3.
  • Harald Eggebrecht: Der spanische Blick: Carlos Saura. In: Jörg-Dieter Kogel: Europäische Filmkunst. Regisseure im Porträt. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-596-24490-0, S. 143–155.
  • Hans-Jörg Neuschäfer: „Macht und Ohnmacht der Zesur. Literatur, Theater und Film in Spanien (1933-1976)“, Stuttgart (Metzler) 1991, ISBN 3-476-00739-1.
  • Marvin D'Lugo: The Films of Carlos Saura: The Practice of Seeing. Princeton University Press, Princeton, NJ 1991, ISBN 0-691-03142-8.
  • Sebastian Ruppe: Carlos Saura und das spanische Kino: Zeitkritik im Film. Ed. tranvia, Berlin 1999, ISBN 3-925867-34-1.
  • Linda M. Willem (Hrsg.): Carlos Saura: Interviews. University Press of Mississippi, Jackson 2003, ISBN 1-57806-493-7.

Weblinks

Commons: Carlos Saura – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Carlos Saura Atarés, In: Internationales Biographisches Archiv. 25/2004, 19. Juni 2004, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  2. Persönlich neige ich zur Anarchie. Interview von Angel S. Harguindey mit Carlos Saura. In: Ursula Beckers, Albrecht Lempp: Carlos Saura: Züchte Raben. Filmland Presse, München 1981, S. 108.
  3. Filmspiegel. Nr. 3, 1987, S. 20.
  4. a b Carlos Saura zu Gast im Filmmuseum Potsdam. Interview von 2003 (Memento des Originals vom 24. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.filmmuseum-potsdam.de
  5. a b c Wolfgang Schuch (Hrsg.): Spanische Filmtexte. Henschelverlag, Berlin 1982, S. 260.
  6. Dieter E. Zimmer: Ein vergreistes Regime. In: Die Zeit. Nr. 33/1974.
  7. Wolfgang Schuch (Hrsg.): Spanische Filmtexte. Henschelverlag, Berlin 1982, S. 254.
  8. Paul Julian Smith: The Past is Not the Past. In: The Criterion Collection. 13. August 2007. (englisch)
  9. Vgl. Ángel Custodio Gómez González: La reconstrucción de la identidad del flamenco en el cine de Carlos Saura. Sevilla 2002.
  10. Kersten Knipp: Flamenco. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-45824-8, S. 230 f.
  11. Rob Stone: Spanish Cinema. Pearson, Harlow 2002, ISBN 0-582-43715-6, S. 80.
  12. Persönlich neige ich zur Anarchie. Interview von Angel S. Harguindey mit Carlos Saura. In: Ursula Beckers, Albrecht Lempp: Carlos Saura: Züchte Raben. Filmland Presse, München 1981, S. 109.