Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

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Flugblatt des C.-V. gegen antisemitische Propaganda, um 1925
Berliner Gedenktafel für den C.-V. am Haus Pariser Straße 44

Der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (auch: Zentral-Verein, Central Verein, CV, C.V., C.-V.) wurde am 26. März 1893 in Berlin gegründet. Er repräsentierte die Mehrheit der assimilierten bürgerlich-liberalen Juden in Deutschland, trat für deren Bürgerrechte und ihre gesellschaftliche Gleichstellung ein und versuchte, Judentum und Deutschtum miteinander zu vereinbaren.

Geschichte

Hauptanstoß zur Gründung des Centralvereins war die 1893 erschienene Schrift von Raphael Löwenfeld: Schutzjuden oder Staatsbürger. Von einem jüdischen Staatsbürger. Der Versuch, einen Verein zur organisierten Selbsthilfe zu etablieren, geht jedoch auf frühere Anstrengungen zurück und berief sich auf mehrere Edikte zur Judenemanzipation im 19. Jahrhundert.[1]

Nach anfänglichen 1.420 zählte der Verein 1926 bereits über 60.000 Mitglieder.[2] Der Centralverein war die bedeutendste Organisation unter den zahlreichen jüdischen Vereinen und Verbänden, die sich als Reaktion auf den erstarkenden Antisemitismus im Kaiserreich bildeten. 1929 war der Centralverein die Dachorganisation für insgesamt 31 Landesverbände mit ca. 500 Ortsgruppen, 1938 wurde er verboten.

Der Centralverein sah seine Hauptaufgabe in der Durchsetzung bereits erreichter staatsbürgerlicher Rechte und der Abwehr von Angriffen auf die staatsbürgerliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Juden. Das Bekenntnis zur deutschen Nation stand dabei im Vordergrund. Die Mitglieder verstanden sich primär als Bürger des Deutschen Reichs mit einer eigenen Religion. Der C.V. betonte die deutsche Volkszugehörigkeit und ging davon aus, dass eine Synthese von Deutschtum und Judentum möglich sei. Der Centralverein stand der zionistischen Auffassung kritisch gegenüber, es gebe eine jüdische Nation mit eigener Geschichte, Kultur und Zukunft. Die aufkommende national-jüdische Bewegung und das Streben nach einem jüdischen Staat stand den Bemühungen des Centralvereins entgegen, der in der Öffentlichkeit immer wieder die Loyalität der deutschen Juden zu Deutschland betonte. Durch Aufklärungsarbeit versuchte er, Kenntnisse über das Judentum zu verbreiten und das jüdische Selbstbewusstsein zu stärken. Ein bekanntes Mitglied des Centralvereins war der Großvater von Hannah Arendt, Max Arendt in Königsberg.

Durch seine Rechtsschutzarbeit, seit Vereinsgründung Schwerpunkt der Tätigkeit, versuchte der C.V., allgemein die gesellschaftliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland zu erreichen und speziell die Wiederherstellung von individuell verletzten Rechten zu erstreiten. Der C.V. hatte schon vor 1900 eine eigene Rechtsschutzstelle in Berlin, wo Sprechstunden für Mitglieder eingerichtet wurden. In den letzten Jahren der Weimarer Republik engagierte sich der Verein insbesondere im Zivilrechtsschutz gegen den antisemitischen Boykott.[3]

Der Titel des CV-Organs Im deutschen Reich war programmatisch. Ab 1922 gab der Centralverein im Rudolf-Mosse-Verlag die wöchentlich erscheinende CV-Zeitung heraus. Mit Denkschriften, Publikationen und Gesprächen versuchte der Vereinsvorstand, den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und die Vertreter der deutschen Wirtschaft auf die Gefahr des Antisemitismus aufmerksam zu machen. Zum Centralverein gehörte auch der in Berlin ansässige Philo-Verlag, neben Schocken der einflussreichste jüdische Verlag der Vorkriegszeit.

1928 wurde das Büro Wilhelmstraße eingerichtet, welches die Aktivitäten der Nationalsozialisten dokumentierte und bis 1933 antifaschistische Aufklärung betrieb, woran Alfred Wiener federführend beteiligt war. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten setzte der Centralverein seine Arbeit zunächst fort. Der langjährige Vereinsdirektor Ludwig Holländer gab in einer Stellungnahme zu Hitlers Ernennung als Reichskanzler die „Parole: Ruhig abwarten“ aus.[4]

Nach dem Judenboykott am 1. April 1933 sowie dem Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 beteiligte sich der Centralverein an der Gründung des Zentralausschusses für Hilfe und Aufbau. Das waren erste Vorzeichen für die im September 1933 gegründete Reichsvertretung der deutschen Juden, in welcher sich sowohl die zionistische ZVfD als auch der liberale C.V. sowie andere, kleinere jüdische Organisationen und Verbände, wie aber auch die einflussreiche Berliner Jüdische Gemeinde zusammenfanden.[5]

Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 schafften den Begriff des „Staatsbürgers“ ab und ersetzten ihn durch die Begriffe „Reichsbürger“ bzw. „Reichsangehöriger“. Durch eine an einer außerordentlichen Mitgliederversammlung beschlossene Satzungsänderung nannte sich der C.V. am 21. Oktober 1935 provisorisch Centralverein der Juden in Deutschland.[6] Nachdem der C.V.-Direktor Ludwig Holländer am 11. Februar 1936 und der langjährige Vereinsvorsitzende Julius Brodnitz am 17. Juni 1936 gestorben waren, wurde Ernst Herzfeld aus Essen der letzte Vereinsvorsitzende. Um eine stärker auf jüdische Auswanderung ausgerichtete Arbeit des Centralvereins auch nach außen deutlich zu machen, beschloss Herzfeld, den Verein im August 1936 nochmals umzubenennen. Der C.V. nannte sich nun Jüdischer Central-Verein e. V., andere Bezeichnungen sollten fortan nicht mehr verwendet werden.[7] Anlässlich der Novemberpogrome 1938 wurde der Verein am 10. November 1938 verboten, und die CV-Zeitung musste ihr Erscheinen einstellen.

Persönlichkeiten

Vorsitzende

Weitere Persönlichkeiten

Siehe auch

Literatur

  • Avraham Barkai: „Wehr dich!“ Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) 1893–1938. Beck, München 2002, ISBN 3-406-49522-2 (Eine Veröffentlichung des Leo-Baeck-Instituts Jerusalem).
  • Avraham Barkai, Pavel Golubev: Die Abwehr des Nationalsozialismus durch den Centralverein. In: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte. 22. September 2016. doi:10.23691/jgo:article-6.de.v1
  • Rebekka Denz, Tilmann Gempp-Friedrich (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte im Spiegel des Centralvereins. In: Medaon 13 (2019), 25 (online).
  • Evyatar Friesel: The Political and Ideological Development of the Centralverein before 1914. In: Leo Baeck Institute Yearbook. 31, 1986, ISSN 0075-8744, S. 121–146.
  • Regina Grundmann / Bernd J. Hartmann / Daniel Siemens (Hg.): „Was soll aus uns werden?“ Zur Geschichte des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens im nationalsozialistischen Deutschland; Berlin: Metropol 2020. ISBN 978-3-86331-530-6.
  • Deborah Hertz: Wie Juden Deutsche wurden. Die Welt jüdischer Konvertiten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Campus, Frankfurt am Main 2010 (Originaltitel: How Jews became Germans, übersetzt von Thomas Bertram), ISBN 978-3-593-39170-0.
  • Johann Nicolai: „Seid mutig und aufrecht!“ Das Ende des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1933–1938. be.bra wissenschaft, Berlin 2016, ISBN 978-3-95410-072-9.
  • Arnold Paucker: Zur Problematik einer jüdischen Abwehrstrategie in der deutschen Gesellschaft. In: Werner E. Mosse (Hrsg.): Juden im Wilhelminischen Deutschland. 1890–1914. Ein Sammelband. 2. Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 1998, ISBN 3-16-147074-5 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts 33)
    • dsb.: Das Berliner jüdische Bürgertum im „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. In: Reinhard Rürup (Hrsg.): Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien. Hentrich, Berlin 1995, ISBN 3-89468-182-9, S. 215–225.
  • Jehuda Reinharz: Fatherland or Promised Land. The Dilemma of the German Jew 1893–1914. University of Michigan Press, Ann Arbor MI 1975, ISBN 0-472-76500-0.
  • Paul Rieger: Ein Vierteljahrhundert im Kampf um das Recht und die Zukunft der deutschen Juden. Ein Rückblick auf die Geschichte des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in den Jahren 1893–1918. Verlag des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Berlin 1918
  • Ismar Schorsch: Jewish Reactions to Anti-Semitism 1870–1914. Columbia University Press u. a., New York 1972, ISBN 0-231-03643-4 (Reihe: Columbia University Studies in Jewish History, Culture and Institutions, 3)
  • Annegret Stalder: Der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Organisation, Ziele, Probleme des jüdischen Abwehrvereins. GRIN, München 2013, ISBN 3-640-62868-3 (32 S.)
  • Inbal Steinitz: Der Kampf jüdischer Anwälte gegen den Antisemitismus. Die strafrechtliche Rechtsschutzarbeit des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1893–1933. Metropol, Berlin 2008, ISBN 978-3-938690-66-6 (Reihe Dokumente, Texte, Materialien, 68), (Zugleich: Frankfurt am Main, Univ., Diss., 2006)
  • Jürgen Matthäus: Kampf ohne Verbündete. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1933–1938. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, 8, 1999, S. 248–277.

Weblinks

Commons: Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Zur Geschichte Jüdischer Vereine: CV. In: Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin, 1931, S. 33.
  2. 1923 über 200.000 Mitglieder in 13 Landesverbänden mit 174 Ortsgruppen. Siehe Kurt Jagow: Politisches Handwörterbuch (redaktionelle Mitwirkung, hrsg. von Paul Herre). Leipzig 1923, S. 1011.
  3. Cord Brügmann: Flucht in den Zivilprozess. Antisemitischer Wirtschaftsboykott vor den Zivilgerichten der Weimarer Republik. (= Dokumente. Texte. Materialien, Bd. 72). Metropol, Berlin 2009, ISBN 978-3-940938-22-0.
  4. C.V.-Zeitung (CVZ) vom 2. Februar 1933.
  5. CVZ vom 20. September 1933.
  6. CVZ, 24. Oktober 1935, S. 2.
  7. CVZ, 13. August 1936.
  8. Jehuda Reinharz: Deutschtum and Judentum in the Ideology of the Centralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1893–1914. In: Jewish Social Studies. 36 (1974), S. 27f.
  9. Michael Brocke, Julius Carlebach (Herausgeber) et al.: 2051 Braunschweiger, David, Dr., in dies.: Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871-1945, Berlin/Boston: De Gruyter, 2009, ISBN 978-3-598-44107-3 und ISBN 978-3-598-24874-0, S. 101; Vorschau über Google-Bücher
  10. Wildt, Michael: Reichmann, Eva. In: Neue Deutsche Biographie 21 (2003). Abgerufen am 6. September 2020.
  11. Wildt, Michael: Reichmann, Hans. In: Neue Deutsche Biographie 21 (2003). Abgerufen am 6. September 2020.