Chet Baker
Chet Baker, mit bürgerlichem Namen Chesney Henry Baker Jr. (* 23. Dezember 1929 in Yale, Oklahoma; † 13. Mai 1988 in Amsterdam), war ein US-amerikanischer Jazzmusiker (Trompete, Flügelhorn), Sänger und Komponist.
Biografie
Im Alter von zehn Jahren erhielt Baker von seinem Vater, der Gitarrist war, eine Posaune.[1][2] Der junge Chet tauschte sie gegen eine Trompete ein. Innerhalb kürzester Zeit konnte er einfache Swing-Melodien nachspielen und lernte nebenbei als Autodidakt das Improvisieren. Seine besondere Fähigkeit bestand darin, harmonische Zusammenhänge schnell zu erfassen und harmonische Vorgaben melodisch zu umspielen. Baker hat in seinem Leben nur wenig komponiert.
Zunächst spielte er im Schulorchester, sodann bei öffentlichen Tanzveranstaltungen. 1946 meldete er sich zum Militär und kam zur 298th Army Band nach Berlin. 1948 wurde er ausgemustert. Er studierte Theorie und Harmonie im El Camino College in Los Angeles, abends spielte er in Clubs.[1] 1950 trat er erneut in die Armee ein und wurde Mitglied der 6. Armee-Band in Presidio in San Francisco. Dann bat er um seine Entlassung und entschloss sich, professioneller Jazzmusiker zu werden.
In Frühjahr 1952 wurde er Trompeter in der Band von Charlie Parker.[1] Berühmt wurde Baker als Trompeter im klavierlosen Quartett von Gerry Mulligan, das in Los Angeles im The Haig spielte. Die 1952 auf Fantasy Records veröffentlichte Single My Funny Valentine wurde zu einem Hit und sie war für Baker fortan eine Art Signatur, die er in unzähligen Variationen bis zu seinem Lebensende immer wieder spielte. Baker wird, auch aufgrund seiner Assoziation mit Mulligan, der neben Lennie Tristano als federführende Figur des Cool Jazz gilt, oft als Vertreter dieser Stilrichtung bezeichnet. Seine Aufnahmen beweisen seine große Wandlungsfähigkeit auf vielen Stilgebieten des Jazz.
Als Mulligan wegen eines Drogenvergehens im Frühjahr 1953 ins Gefängnis musste, gründete Baker mit dem Pianisten Russ Freeman ein eigenes Quartett (zusätzlich mit Bob Neel, Carson Smith). Protegiert von dem Besitzer der Plattenfirma Pacific Jazz, Richard „Dick“ Bock, der in Baker eine Geldquelle witterte, entstanden zahlreiche Aufnahmen unterschiedlicher Qualität. Baker wurde – von dem Fotografen William Claxton dank seines Aussehens und seiner Ähnlichkeit mit James Dean perfekt in Szene gesetzt – zum Superstar und ließ in Umfragen Jazzgrößen wie Dizzy Gillespie, Miles Davis und Clifford Brown hinter sich. Ungefähr zu jener Zeit begann jedoch seine Abhängigkeit von Heroin, die bis zu seinem Tod andauern sollte.[1] Im Jahr 1955 verließ Freeman das Quartett. Baker heuerte den begabten, gleichfalls heroinsüchtigen Pianisten Dick Twardzik an und begab sich auf Tournee nach Europa. Für Eddie Barclay spielte Baker in Paris eine Reihe von herausragenden Aufnahmen ein. Die Erfolge wurden im Oktober 1955 jedoch von Twardziks Tod infolge einer Überdosis Heroin überschattet.[3]
1956 kehrte Baker in die USA zurück. Nach einigen weiteren Aufnahmen für Pacific Jazz, darunter Sessions mit Art Pepper und erneut mit Russ Freeman, wechselte er zu dem Label Riverside, für das er drei Platten aufnahm. Nachdem er 1959 wegen Drogenbesitzes festgenommen worden war, ging Baker nach Italien, doch wurde er auch dort wegen Fälschens von Arzneirezepten verhaftet und verbrachte eineinhalb Jahre im Gefängnis.[1]
Unmittelbar nach seiner Entlassung entstand im Jahr 1962 (er war noch auf Entzug) für RCA Italia eine seiner bis dahin besten Platten, Chet Is Back! Noch bevor die Platte in die Läden kam, verfiel Baker der Sucht erneut. Um die Mitte der 1960er wechselte er für kurze Zeit von der Trompete zum Flügelhorn.[1] 1964 wurde er in Deutschland zum zweiten Mal wegen eines Drogenvergehens verhaftet und in die USA ausgewiesen.
Dort entstanden im Jahr 1965 mit dem Saxophonisten George Coleman für das Label Prestige Hardbop-Aufnahmen, die im Laufe der beiden folgenden Jahre auf fünf LPs veröffentlicht wurden. Danach nahm Baker für Dick Bocks neues Label World Pacific mit der Formation The Mariachi Brass eine Reihe von kommerziellen Easy-Listening- und Mariachi-Platten auf.[4]
Im Sommer 1966 wurde er in San Francisco Opfer einer Schlägerei, bei der seine Zähne beschädigt wurden.[1] Trotz der sich daraus ergebenen Beeinträchtigungen schaffte er Ende der 1960er-Jahre mit Hilfe von Dizzy Gillespie ein Comeback.
Zwischen 1974 und 1977 entstanden eine Reihe von Aufnahmen, darunter einige mit Paul Desmond – auch eine Wiederbegegnung mit Gerry Mulligan, an welcher der junge Gitarrist John Scofield teilnahm. Ende der 1970er spielte er im Quartett mit Phil Markowitz und Jeff Brillinger sowie im Trio mit Philip Catherine und Jean-Louis Rassinfosse. 1979 begann die Zusammenarbeit mit dem deutschen Vibraphonisten Wolfgang Lackerschmid und die Aufnahmen für das gemeinsame Album Ballads for Two.[5]
1987 folgte die Japantournee mit Harold Danko, Hein van de Geyn und John Engels, bei der das Live-Album Chet Baker in Tokyo entstand. Zwei Wochen vor seinem Tod nahm Baker ein posthum als Last Great Concert betiteltes Konzert mit der NDR Bigband und dem Rundfunkorchester Hannover auf.[6]
Tod
Baker hatte begonnen, Heroin mit Kokain (Speedball) sowie Amphetaminen zu mischen. Am 13. Mai 1988 fiel er aus dem Fenster seines Zimmers im Prins Hendrik Hotel in Amsterdam.[7] Er wurde auf dem Inglewood Park Cemetery (Parzelle Elm, Abteilung C, Nummer 152) in Los Angeles beigesetzt.[8]
Diskografie (Auswahl)
- 1952–53: The Original Chet Baker & Gerry Mulligan Quartet: Complete Recordings (Definitive, 4 CD)
- 1952: Complete 1952 Fantasy & Pacific Jazz Sessions (Definitive, 2002)
- 1954: Jazz at Ann Arbor (Pacific Jazz)
- 1954: Chet Baker Sings
- 1954: Chet Baker & Strings (Columbia/Sony) (auch unter dem Titel Love Walked In veröffentlicht)
- 1955: Sings & Plays with Bud Shank, Russ Freeman and Strings (Pacific Jazz/EMI)
- 1955: Chet Baker Quartet Featuring Dick Twardzik (Barclay/Universal)
- 1956: Quartet: Russ Freeman & Chet Baker (Pacific Jazz/EMI)
- 1956: Chet Baker & Art Pepper – Playboys (Pacific Jazz/EMI) (auch unter dem Titel Picture of Heath veröffentlicht)
- 1959: Chet (Riverside/OJC)
- 1959: Chet Baker & Bill Evans
- 1962: Chet Is Back! (RCA/BMG) (auch unter den Titeln The Italian Sessions und Somewhere Over the Rainbow veröffentlicht)
- 1967: Boppin’ with the Chet Baker Quintet (Prestige/OJC)
- 1974: She Was Too Good to Me (CTI/Sony)
- 1975: Jim Hall – Concierto (CTI/Sony)
- 1977: You Can’t Go Home Again (A&M)
- 1977: The Best Thing for You (A&M)
- 1978: Broken Wing (Sonopresse/Universal)
- 1978: Live at Nick’s (Criss Cross)
- 1979: The Touch of Your Lips (SteepleChase)
- 1979: Ballads for Two (Sandra), mit Wolfgang Lackerschmid
- 1980: No Problem (SteepleChase)
- 1982: Peace (Enja)
- 1983: Stan Getz & Chet Baker – The Stockholm Concerts (Verve)
- 1985: Chet Baker & Paul Bley – Diane (SteepleChase)
- 1985: Chet’s Choice (Criss Cross)
- 1986: As Time Goes By (Timeless)
- 1986: Chet In Chicago (Enja)
- 1987: Chet Baker in Tokyo (King/Evidence, 2 CD)
- 1988: The Last Great Concert: My Favorite Songs Vol. I & II (Enja, 2 CD)
- 1990: Silent Nights (DE: Gold (German Jazz Award))[9]
- 1990: The Best Of Chet Baker Sings (UK: Silber)
- 2009: Chet in Chicago: The Legacy Vol. 5
- 2013: Early Chet: Chet Baker in Germany 1955–1959
Sammlung
- The Complete Pacific Jazz and Capitol Recordings of the Original Gerry Mulligan Quartett and Tentette with Chet Baker – (1952-53) – (Mosaic – 1983) – 5 LPs oder 3 CDs mit Red Mitchell, Chico Hamilton, Jimmy Rowles, Joe Mondragon, Bobby Whitlock, Carson Smith, Larry Bunker, Pete Candoli, Bob Enevoldsen, John Graas, Bud Shank, Lee Konitz
- The Complete Pacific Jazz Live Recordings of the Chet Baker Quartet with Russ Freeman (1954) – (Mosaic 1986) – 4 LPs mit Carson Smith, Bob Neel dm
- The Complete Pacific Jazz Studio Recordings of the Chet Baker Quartet with Russ Freeman (1953-1956) - (Mosaic 1987) - 4 LPs bzw. 3 CDs, mit Red Mitchell, Bobby White, Carson Smith, Larry Bunker, Joe Mondragon, Shelly Manne, Bob Neel, Jimmy Bond, Peter Littman, Lawrence Marable, Leroy Vinnegar
- Chet Baker – Milestones Of A Jazz Legend, 10 CD, Remastered Box Set, Compilation include 17 Originals 1953 - 1962 - (The Intense Media – 600269, Documents – 600269 - 2015)
Dokumentarfilme und Spielfilm
- (1955) Hell's Horizon, by Tom Gries: Schauspieler
- (1959) Audace colpo dei soliti ignoti, by Nanni Loy: Musik
- (1960) Howlers in the Dock, by Lucio Fulci: Schauspieler
- (1963) Ore rubate ["stolen hours"], by Daniel Petrie: Musik
- (1963) Tromba Fredda, by Enzo Nasso: Schauspieler und Musik
- (1963) Le concerto de la peur, by José Bénazéraf: Musik
- (1964) L'enfer dans la peau, by José Bénazéraf: Musik
- (1964) Nudi per vivere, by Elio Petri, Giuliano Montaldo and Giulio Questi: Musik
- (1988) Chet’s Romance, Regie Bertrand Fèvre: Preisgekrönter Kurzfilm mit Interviews.
- (1988) Let’s Get Lost, Regie Bruce Weber: Ein filmisches Porträt, mit Interviews mit Chet, Familienmitgliedern und wenigen Musikern (sowie William Claxton, Richard Bock), Konzert- und diversen Spielfilmausschnitten.
- (1990) Chet Baker: The Last Days : Niederländische Dokumentation mit Interviews und Konzertmitschnitten.
- (2006) Chet Baker: Live in ’64 & ’79 : Eine Belgische Fernsehproduktion von 1964 und ein Norwegischer Konzertmitschnitt von 1979 inkl. Interview, veröffentlicht auf "Jazzicons".
- (2015) Born to be Blue, Regie: Robert Budreau, mit Ethan Hawke als Chet Baker.
Literatur
- Chet Baker: Als hätte ich Flügel – verlorene Erinnerungen. Hannibal 1998 (Hrsg. Carol Baker), ISBN 978-3854451617.
- englisches Original: As Though I Had Wings: The Lost Memoir. St Martins Press, 1997.
- Jeroen de Valk: Chet Baker: His Life and Music. Soesterberg, Uitgeverij Aspekt 2017; ISBN 9789463381987 (2., völlig überarbeitete Ausgabe; dt. Übersetzung einer älteren Auflage unter dem Titel Chet Baker: Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten bei Oreos)
- Lothar Lewien: Chet Baker-Blue Notes – Engel mit gebrochenen Flügeln. Hannibal 2002.
- James Gavin: Deep in a Dream: The Long Night of Chet Baker. New York: Alfred A. Knopf, 2002.
- Matthew Ruddick: Funny Valentine: The Story of Chet Baker. Melrose Books, 2012.
Belletristik
- Bill Moody: Auf der Suche nach Chet Baker. Unionsverlag, Zürich 2004, ISBN 3-293-00330-3.
- Im Roman 1965 – Rue de Grenelle von J. R. Bechtle spielt ein Konzert von Chet Baker in einem Pariser Club eine wichtige Rolle.[10]
- Gabriela Jaskulla: Die Geliebte des Trompeters. dtv, München 2008, ISBN 978-3423210584.
Hörspiele
- Auf der Suche nach Chet Baker – Nach dem Roman von Bill Moody – Produktion des NDR 2016 – Bearbeitung und Regie: Wolfgang Seesko
Lieder
- Reinhard Mey: Chet – Auf dem Album 'Einhandsegler' (2000)[11]
- Rausch: Who killed Chet Baker[12]
Weblinks
- Literatur von und über Chet Baker im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- www.jazzdisco.org umfassende Diskographie mit allen Aufnahmesessions
- chetbakertribute.com Kommentierte umfangreiche Auswahldiskographie
- www.herrenzimmer.de Archi Bechlenberg: Erinnerungen an Chet Baker anlässlich seines 80. Geburtstags von Knut Kiesewetter, Lothar Lewien, Lothar Lackerschmid, Toots Thielemans und anderen
- www.herrenzimmer.de Archi Bechlenberg: Chet Baker: Tod in Amsterdam
- www.gokudo.co.jp Dokumentation der Cover Art mit diskographischen Angaben
- Chet Baker Circle Records Germany Live Recordings
- Chet Baker bei Discogs
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g Chet Baker | Biography & History. Abgerufen am 13. Juli 2020 (amerikanisches Englisch).
- ↑ mubi.com: Chet Baker
- ↑ Richard Twardzik | Biography & History. Abgerufen am 13. Juli 2020 (amerikanisches Englisch).
- ↑ The Mariachi Brass. Abgerufen am 13. Juli 2020.
- ↑ Chet Baker & Wolfgang Lackerschmid: Ballads For Two (CD) – jpc. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
- ↑ Bayerischer Rundfunk: 28. April 1988: Chet Baker nimmt "The Last Great Concert" auf | BR-Klassik. Abgerufen am 13. Juli 2020.
- ↑ Jon Pareles: Chet Baker, Jazz Trumpeter, Dies at 59 in a Fall. In: The New York Times. 14. Mai 1988 (nytimes.com [abgerufen am 13. Juli 2020]).
- ↑ Chet Baker in der Datenbank von Find a Grave. Abgerufen am 7. September 2017 (englisch).
- ↑ Auszeichnungen für Musikverkäufe: UK DE
- ↑ J. R. Bechtle: 1965 – Rue de Grenelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-627-00217-6.
- ↑ CHET - Reinhard Mey. Abgerufen am 13. Juli 2020 (spanisch).
- ↑ Who Killed Chet Baker? von Rausch – laut.de – Song. Abgerufen am 13. Juli 2020.
Personendaten | |
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NAME | Baker, Chet |
ALTERNATIVNAMEN | Baker, Chesney Henry Jr. (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | amerikanischer Jazzmusiker, Sänger und Komponist |
GEBURTSDATUM | 23. Dezember 1929 |
GEBURTSORT | Yale, Oklahoma, Vereinigte Staaten |
STERBEDATUM | 13. Mai 1988 |
STERBEORT | Amsterdam, Niederlande |