Deutsche Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Deutsche Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg sind Reparationen, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet hat. Anders als die Reparationsverpflichtungen nach dem Ersten Weltkrieg erfolgten diese zunächst nicht auf friedensvertraglicher Grundlage. Sie bestanden zunächst auch nicht in Geldzahlungen von deutscher Seite, sondern in Demontagen durch die Siegermächte. Zwei der während des Krieges von der Wehrmacht besetzten Staaten erheben bis heute Anspruch auf deutsche Reparationen.

Siegermächte

Bereits während des Zweiten Weltkriegs wurden Ansprüche auf Reparationen erhoben, über deren Gesamthöhe sich die Alliierten jedoch auf der Konferenz von Jalta nicht einigen konnten. 1946 wurde das deutsche Auslandsvermögen beschlagnahmt, außerdem wurden die Devisenbestände eingezogen, Warenzeichen und Patente beschlagnahmt und Demontagen nach dem Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946 vorgenommen. Die Wertberechnung dieser Entnahmen ist schwer feststellbar und umstritten. So reichen die Schätzungen für das Auslandsvermögen von 315 Millionen US-Dollar bis zu 20 Milliarden Reichsmark und differieren damit umgerechnet um den Faktor 16.[1] Beim Londoner Schuldenabkommen vom 1953 wurde die Verrechnung aller bislang entnommenen Reparationen ausgeschlossen: Sie seien geringfügig angesichts der möglichen Reparationsforderungen, und die deutsche Seite sei gut beraten, die Frage der Reparationen ruhen zu lassen.[2]

Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 hatte vorgesehen, dass jede Besatzungsmacht ihre Reparationsansprüche durch Demontagen und Sachlieferungen aus ihrer eigenen Besatzungszone befriedigen sollte. Da die Sowjetunion die größten Kriegsschäden erlitten hatte und die deutschen Industriezentren in den westlichen Besatzungsgebieten konzentriert waren, erhielt sie das Recht zugestanden, Reparationen auch aus den anderen Zonen zu erhalten. Die Sowjetunion sollte im Gegenzug durch Lebensmittellieferungen aus dem Osten die Ernährungslage in den westlichen Bevölkerungszentren des besetzten Deutschland verbessern. Hieran entzündete sich bald Streit: Da die Sowjetunion sich weigerte, diese Lieferungen mit Lebensmittellieferungen aus ihrer Zone zu vergüten, beendete der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay am 25. Mai 1946 die Lieferungen auf das Reparationskonto aus der amerikanischen Zone an die Sowjetunion. Die beiden anderen Westmächte schlossen sich diesem Vorgehen an.[3] Mit dem Beginn des Kalten Krieges schränkten zuerst die westlichen Alliierten die Demontagen ein und verschoben ihre Reparationsforderungen bis zum Abschluss eines Friedensvertrages. Nach dem Fall der Berliner Mauer erreichte die Regierung Kohl, dass die anschließende Regelung der deutschen Frage, die nun anstand, nicht in Form von Friedensverhandlungen mit sämtlichen Staaten erfolgte, mit denen sich das Deutsche Reich 1945 im Kriegszustand befunden hatte, sondern nur mit den vier Hauptsiegermächten. Dadurch wurden Polen und Griechenland, die Ansprüche auf deutsche Reparationen bzw. Entschädigungen für ihre Staatsbürger erhoben, ganz oder weitgehend ausgeschlossen. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990, der im Einvernehmen der Vertragsparteien „anstelle eines Friedensvertrages“ geschlossen wurde, enthält daher keinerlei Aussagen zu Reparationsverpflichtungen, und die deutsche Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, dass es dafür auch zu spät sei. Dies wird als „völkerrechtlicher Spagat“ angesehen, da sie etwa nach der Londoner Schuldenkonferenz 1953 und im Überleitungsvertrag 1954 behauptet hatte, die Reparationsfrage könne nur Gegenstand von Friedensverhandlungen sein, für die es aber noch zu früh sei.[4]

Die Reparationsleistungen der späteren DDR an die Sowjetunion geschahen bis 1948 hauptsächlich durch Demontage von Industriebetrieben. Davon betroffen waren 2000 bis 2400 der wichtigsten und bestausgerüsteten Betriebe innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Bis März 1947 wurden zudem 11.800 Kilometer Eisenbahnschienen demontiert und in die Sowjetunion verbracht. Damit wurde das Schienennetz bezogen auf den Stand von 1938 um 48 Prozent reduziert. Der Substanzverlust an industriellen und infrastrukturellen Kapazitäten durch die Demontagen betrug insgesamt rund 30 Prozent der 1944 auf diesem Gebiet vorhandenen Fonds. Ab Juni 1946 begann sich mit dem SMAD-Befehl Nr. 167 die Form der Reparationen von Demontagen auf Entnahmen aus laufender Produktion im Rahmen der Sowjetischen Aktiengesellschaften zu verlagern, die von 1946 bis 1953 jährlich zwischen 48 und 12,9 Prozent (durchschnittlich 22 Prozent) des Bruttosozialprodukts betrugen.[5] Die Reparationen endeten nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Auf der Grundlage erstmals erschlossener Archivmaterialien, vor allem in Moskau, kamen Lothar Baar, Rainer Karlsch und Werner Matschke vom Institut für Wirtschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin etwa 1993 auf eine Gesamtsumme von mindestens 54 Milliarden Reichsmark bzw. Deutsche Mark (Ost) zu laufenden Preisen bzw. auf mindestens 14 Milliarden US-Dollar zu Preisen des Jahres 1938.[6]

Als die Reparationen 1953 für beendet erklärt wurden, hatte die SBZ/DDR die höchsten im 20. Jahrhundert bekanntgewordenen Reparationsleistungen erbracht.[7] Siegfried Wenzel, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR, bezifferte die Reparationen der SBZ und der DDR auf insgesamt 99,1 Milliarden DM (zu Preisen von 1953) und die der Bundesrepublik Deutschland demgegenüber auf 2,1 Milliarden DM (zu Preisen von 1953). Die SBZ/DDR soll demzufolge 97 bis 98 Prozent der Reparationslast Gesamtdeutschlands – pro Person also das 130-fache – betragen haben. Wenzel bezog sich dabei auf unterschiedliche Quellen wie die Interalliierte Reparationsagentur für die Reparationsleistungen der westlichen Besatzungszonen und das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen für die Reparationsleistungen von SBZ und DDR und zog unterschiedliche Bezugsgrößen (US-Dollar zu Preisen von 1938 bzw. Deutsche Mark zu Preisen von 1944 [sic]) heran.[8]

Zwar wird eine exakte Berechnung der Reparationsleistungen, wie Wenzel selbst einräumt, durch unterschiedliche Bezugsgrößen tatsächlich erschwert; gleichwohl bleiben die enormen Unterschiede der Reparationslasten offensichtlich. 1995 wurden durch die Historiker Konstatin Akinscha und Grigori Koslow nach Einsicht in die Originaldokumente in russischen Archiven eigene Belege vorgelegt: Sie bezeichnen diese Phase als Die Plünderung Deutschlands (mit „Deutschland“ ist mit wenigen Ausnahmen nur die sowjetische Besatzungszone gemeint).[9] Ähnliche Informationen sind aus dem Uranbergbau der SDAG Wismut sowie aus dem Schiffbau bekannt.

Griechenland

Griechische Forderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland richten sich im 21. Jahrhundert insbesondere auf eine vermeintliche „Deutsche Restschuld“ aus einer Zwangsanleihe von 1942.[10][11]

Polen

Potsdamer Konferenz 1945

Auf der Potsdamer Konferenz wurde 1945 festgelegt, dass Polens Reparationsansprüche wie die der Sowjetunion durch Demontagen in der Sowjetischen Besatzungszone sowie durch das deutsche Auslandsvermögen in Bulgarien, Finnland, Rumänien, Ungarn und Österreich befriedigt werden sollten. Im Anschluss an die Konferenz einigten sich Washington und Moskau, dass Polen fünfzehn Prozent der Reparationsleistungen erhalten solle, die die SBZ aufzubringen hatte.[12] Am 16. August 1945 unterzeichneten die Vertreter Moskaus und Warschaus einen Vertrag, in dem auch ein Verteilungsschlüssel definiert wurde.[13]

Laut der Potsdamer Vereinbarung sollte die sowjetische Seite keine Güter als Reparationen aus den unter polnische Verwaltung gekommenen deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße entnehmen. Doch in der Realität wurden ganze Eisenbahnzüge mit Fabrik-, Werkstatts‑ und Wohnungsausstattungen nach Osten geschickt. Überdies verlangte die Sowjetunion als Preis für den Wertzugewinn des polnischen Territoriums aufgrund der Eingliederung der deutschen Ostgebiete von Polen die Lieferung von Kohle zu so niedrigen Preisen, dass nicht einmal die Kosten von Abbau und Transport gedeckt waren. Von den Reparationsleistungen an die Sowjetunion, deren Umfang mit rund drei Milliarden US-Dollar zum damaligen Kurs angegeben wurde, erhielt Warschau nach Darstellung polnischer Historiker lediglich 7,5 Prozent, also den Gegenwert von 231 Millionen US-Dollar.[14]

Verzichtserklärung Warschaus 1953

Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR waren die Führung der SED und ihre sowjetischen Aufseher in internen Analysen zum Schluss gekommen, dass die Demontage von Industrieanlagen die wirtschaftliche Entwicklung stark hemmten, so dass die DDR gegenüber der Bundesrepublik, die gerade die Anfänge des Wirtschaftswunders erlebte, im Kampf der Systeme immer mehr ins Hintertreffen geriet. Die Sowjetregierung verzichtete somit offiziell auf weitere Reparationen aus der DDR und drängte die polnische Führung unter dem Stalinisten Bolesław Bierut ebenfalls dazu. In der Erklärung des polnischen Ministerrats vom 23. August 1953 wurde indes keineswegs die DDR genannt, sondern „das deutsche Volk“, also Deutschland. In dem Text hieß es, dass Deutschland „seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Reparationen bereits in bedeutendem Maße nachgekommen“ sei und dass die Volksrepublik Polen deswegen mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf weitere Zahlungen verzichte, „um damit einen Beitrag zur Lösung der deutschen Frage […] zu leisten“.[15]

Alle Bundesregierungen beharrten seitdem auf dem Standpunkt, dass diese Verzichtserklärung völkerrechtlich bindend sei. Hingegen vertraten polnische Historiker und Völkerrechtler, die die nationalkonservative Partei PiS seit 2004 mit Expertisen dazu beauftragt hat, übereinstimmend die Auffassung, dass diese Erklärung ungültig sei, da die polnische Führung 1953 nicht demokratisch legitimiert und überdies vollständig von Moskau abhängig gewesen sei.[16] Von deutscher Seite wird dagegen angeführt, dass nach dieser Argumentation Polen auch nicht die deutschen Oder-Neiße-Gebiete hätte eingliedern dürfen, da 1945 in Warschau ebenfalls eine von Josef Stalin eingesetzte Marionettenregierung amtierte. So wie die Bundesregierung ihre Verpflichtungen als Rechtsnachfolgerin der nationalsozialistischen Reichsregierung akzeptiert habe, sei auch das souveräne Polen nach 1989 rechtlich Erbe der Volksrepublik.[17][18][19]

Warschauer Vertrag 1970

Bei seinem Treffen mit Bundeskanzler Willy Brandt aus Anlass der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags im Dezember 1970 bekräftigte der polnische Parteichef Władysław Gomułka den Verzicht auf deutsche Reparationen, den der polnische Ministerrat 1953 verkündet hatte. Doch bleibe die Frage der individuellen Entschädigungen für polnische Opfer des NS-Regimes offen. Im Vertrag selbst blieben diese Punkte unerwähnt.[20]

2 plus 4-Verhandlungen 1990

Als sich nach dem Fall der Mauer 1989 die Möglichkeit einer deutschen Wiedervereinigung bot, beschloss man, die notwendigen völkerrechtlichen Regelungen nicht auf einer allgemeinen Friedenskonferenz mit allen Staaten, mit denen sich das Deutsche Reich 1945 im Krieg befunden hatte, zu klären, sondern im engeren Rahmen der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen. Polen forderte zwar, an diesen Verhandlungen beteiligt zu werden, wurde jedoch sowohl von sowjetischer als auch von US-amerikanischer Seite gedrängt, nicht zu insistieren, und gab daher nach.[21]

Die bundesdeutsche Seite verfolgte mit dem Zwei-plus-vier-Format explizit den Zweck, neue Reparationsforderungen auszuschließen. In einem internen Papier des Auswärtigen Amts vom 21. März 1990 hieß es, 45 Jahre nach Kriegsende, „nach Jahrzehnten friedlicher und vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit […] mit der internationalen Staatengemeinschaft und nach umfangreichen für die Regelung der Kriegsfolgen erbrachten Leistungen“ habe „die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren“.[22] Da der Zwei-plus-Vier-Vertrag anstelle eines Friedensvertrag geschlossen wurde und keinerlei Reparationsverpflichtungen enthielt, steht die Bundesregierung seitdem auf dem Standpunkt, „dass damit auch die Reparationsfrage endgültig erledigt ist“.[23]

Polen hat während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen keine Forderungen erhoben. Es wird in dem Zusammenhang vermutet, dass damit die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch das dann vereinigte Deutschland nicht gefährdet werden sollte; diese Frage wurde im deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990 völkerrechtlich abschließend geregelt. Politiker der PiS vertraten hingegen seit 2004 die Ansicht, dass jegliche Vereinbarungen darüber nicht wirksam seien, da Polen als betroffenes Land überhaupt nicht an den Verhandlungen teilgenommen habe. Doch sogar Rechtsexperten der Polnischen Akademie der Wissenschaften halten dem entgegen, dass die Regierung in Warschau seinerzeit keinen Einspruch gegen die Vereinbarungen zwischen den früheren Siegermächten und den beiden deutschen Staaten erhoben und somit indirekt den Verzicht auf Reparationen bekräftigt habe.[24]

Deutsch-polnisches Regierungsgutachten 2004

Als Reaktion auf die Entschädigungs- und Restitutionsforderungen der auf Initiative Rudi Pawelkas, des Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien, gegründeten Preußischen Treuhand, die Eigentumstitel für Immobilien in den Oder-Neiße-Gebieten geltend machte, verabschiedete der Sejm in Warschau 2004 eine vom nationalkonservativen Oppositionsführer Jarosław Kaczyński vorgeschlagene Resolution, in der die von der postkommunistischen Demokratischen Linken gestellte Regierung unter Marek Belka aufgefordert wurde, von der Bundesrepublik Deutschland Reparationen zu verlangen.[25] Um dieses Problem zu entschärfen, gaben die beiden Außenminister Joschka Fischer und Włodzimierz Cimoszewicz gemeinsam ein Rechtsgutachten in Auftrag, Verfasser waren der deutsche Völkerrechtler Jochen A. Frowein und sein Warschauer Kollege Jan Barcz. Die beiden Juraprofessoren kamen zum Ergebnis, dass im Lichte des Völkerrechts weder die früheren deutschen Bewohner der an Polen abgetretenen Ostgebiete Anspruch auf Rückgabe oder Entschädigung für verlorene Immobilien hätten, noch der polnische Staat Anspruch auf Reparationen habe.[26]

Allerdings wurde wenig später in Warschau verbreitet, dass Barcz in den Zeiten der Volksrepublik Informant des Geheimdienstes SB gewesen sei. Politiker der von Kaczyński geführten PiS erklärten daraufhin den Teil des Gutachtens, der Reparationen für Warschau ausschloss, für wertlos.[18] 2017 erklärten PiS-Abgeordnete, dass Belka und die anderen Verantwortlichen für das für Polen nachteilig ausgefallene Gutachten von 2004 strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten.[27]

Erklärung des polnischen Außenministeriums 2006

In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage aus den Reihen der nationalistischen Liga der polnischen Familien bekräftige Außenministerin Anna Fotyga (PiS) im Jahr 2006, dass Warschau 1953 auf deutsche Reparationen verzichtet habe. Wörtlich heißt es in ihrer schriftlichen Antwort: „Trotz der hier zitierten Diskussion ist die Position der polnischen Völkerrechtslehre eindeutig und lässt keinen Zweifel daran, dass Polen auf Reparationen von Deutschland verzichtet hat. In den folgenden Jahren hat die polnische Regierung wiederholt erklärt, dass das Problem der Umsetzung der polnischen Reparationsansprüche gegenüber Deutschland abgeschlossen ist.“

Fotyga widersprach mit dieser Erklärung einigen ihrer Parteifreunde aus der PiS. Ministerpräsident war zu diesem Zeitpunkt der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński.[13]

Gutachten des Sejms 2017

2017 fand die Parlamentsfraktion der Regierungspartei PiS eine Mehrheit für ihren Antrag, dass der Sejm ein Gutachten über die von den deutschen Besatzern zu verantwortungen Kriegsverluste und -schäden als Grundlage für Reparationsforderungen in Auftrag geben sollte.[28] Laut dem 40-seitigen Rechtsgutachten beläuft sich deren Umfang auf 840 bis zu 850 Milliarden Euro.

Ministerpräsidentin Beata Szydlo (PiS) kommentierte das Gutachten mit den Worten: „Wir wollen über Gerechtigkeit sprechen, sie steht dem polnischen Staat zu.“ Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, ein Vertrauter des PiS-Vorsitzenden Kaczyński, erklärte dazu: „Sechs Millionen ermordete polnische Bürger lassen sich nicht wiedergutmachen, auch nicht, dass Warschau und Dutzende andere Städte dem Erdboden gleich gemacht wurden. So viel Geld gibt es gar nicht. Aber eine finanzielle Entschädigung würde es möglich machen, dass Deutschland und Polen eine echte, langfristige Partnerschaft aufbauen.“ Die Verzichtserklärung von 1953 sei von Moskau erzwungen worden und daher ungültig.[29]

Nahezu gleichzeitig kamen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in einem Gutachten zum gegenteiligen Ergebnis: Die Verzichtserklärung sei sehr wohl gültig, polnische Regierungen hätten sie seitdem wiederholt bekräftigt.[30]

Forderungen Warschaus 2022

Ein am 1. September 2022, dem Jahrestag des Angriffs der deutschen Wehrmacht auf Polen, von der polnischen Regierung unter Mateusz Morawiecki vorgestelltes, in ihrem Auftrag erstelltes Gutachten beziffert die durch Deutschland angerichteten Schäden im damaligen Polen sowie die Folgen für das heutige Polen[31] auf umgerechnet etwa 1,3 Billionen Euro.[32][33]

Der polnische Historiker Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław, warf den Verfassern des Gutachtens schwere methodologische Mängel, die Ignorierung der Fachliteratur sowie das Aussparen bereits geleisteter deutscher Zahlungen vor.[14] Polnische Rechtsexperten wiesen auch darauf hin, dass es kein Gericht gebe, bei dem die polnische Regierung die Bundesrepublik Deutschland auf Reparationen verklagen könnte.[24]

Bundeskanzler Olaf Scholz wies die Forderungen zurück; nach seinen Worten ist die Frage völkerrechtlich abschließend geregelt.[34]

Bereits erbrachte Zahlungen

Polnische Opfer erhielten bis 1991 umgerechnet 225 Millionen Euro an Reparationen. Eine Milliarde ging an ehemalige polnische Zwangsarbeiter. KZ-Häftlinge und Opfer von pseudomedizinischen Versuchen der SS hatten in den 1970er Jahren fast eine halbe Milliarde Euro bekommen.[35]

Die von der Bundesregierung finanzierte Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung in Warschau zahlte seit ihrer Gründung 1992 zunächst 500 Millionen DM an polnische NS-Opfer aus, später folgten Zahlungen in Höhe von fast zwei Milliarden DM an noch lebende ehemalige Zwangsarbeiter.[36]

Kontroverse um die Westverschiebung Polens

In den Debatten auf deutscher Seite wurde angeführt, dass die Abtretung der deutschen Ostgebiete an Polen 1990 politisch als Reparation zu werten sei.[37][38] Doch in Warschau wurde dieses Argument zurückgewiesen, weil Polen nach 1945 wiederum seine Ostgebiete (den östlichen Teil Galiziens, Wolhynien, den Südteil Litauens sowie die westlichen Regionen des heutigen Belarus) an die Sowjetunion verloren hatte.

Diese Argumentation wurde indes von deutschen Experten zurückgewiesen: Die auf der Konferenz von Teheran 1943 von den Alliierten beschlossene Westverschiebung Polens (es bekommt die deutschen Ostgebiete als Entschädigung für die Annexion der polnischen Ostgebiete durch die Sowjetunion) sei völkerrechtswidrig gewesen, da es eine Entscheidung ohne Einbeziehung der Betroffenen gewesen sei. Verwiesen wird auch auf die Einschätzung Winston Churchills, dass der materielle Wert der deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie den der an die UdSSR verlorenen polnischen Ostgebiete erheblich übersteige.[18] Churchill hatte dazu auf der Konferenz von Teheran erklärt: „Der Wert dieses Landes ist viel größer als der der Pripjet-Sümpfe.“ (The value of this land is much greater than the Pripet marshes.)[39]

Die sowjetische Seite schätzte nach dem Krieg den Verkehrswert der von Polen übernommenen deutschen Ostgebiete auf 9,6 Milliarden Dollar, während der Verkehrswert der an die UdSSR abgetretenen polnischen Ostgebiete lediglich 3,5 Milliarden Dollar betragen habe.[40] In den Verhandlungen mit der polnischen Seite über die Verzichtserklärung von 1953 erklärten die Vertreter Moskaus, das mit der Übernahme der Oder-Neiße-Gebiete durch Polen die Reparationsfrage erledigt sei; in sowjetisch-polnischen Regierungskonsultationen hatten sie diesen Standpunkt nach Darstellung polnischer Historiker bekräftigt.[41] Polnische Historiker Der PiS nahestehende Historiker bestritten die Darstellungen Churchills und der sowjetischen Seite: Vielmehr habe der Wert der polnischen Ostgebiete den der deutschen Ostgebiete überstiegen.[14]

Literatur

  • Werner Otto Reichelt: Die Demontageliste. Eine vollständige Übersicht über die Reparationsbetriebe sowie die amtlichen Erklärungen der Militärbefehlshaber der Britischen und USA-Zone. Drei Türme, Hamburg 1947 (Digitalisat).
  • Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten … betreffend Untersuchung über deutsches Auslandsvermögen. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949. Bd 17. Drucksache 3389 vom 16. Mai 1952. (Reparationsabkommen von 1946/Deutsche Schätzwerte/Schätzwerte der IARA)
  • Jörg Fisch: Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg. C.H. Beck, München 1992, ISBN 978-3-406-35984-2.
  • Rainer Karlsch, Jochen Laufer, Friederike Sattler (Hrsg.): Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944–1949. Hintergründe, Ziele und Wirkungen (= Zeitgeschichtliche Forschungen; ZGF 17). Duncker & Humblot, Berlin 2002, ISBN 3-428-10739-X.
  • Helmut Rumpf: Die deutsche Frage und die Reparationen. In: ZaöRV, Band 33 (1973), S. 344–371 (PDF).

Weblinks

Wiktionary: Reparation – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Band 17, Drucksache 3389 vom 16. Mai 1952.
  2. Ursula Rombeck-Jaschinski: Das Londoner Schuldenabkommen. Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg. München 2005, ISBN 3-486-57580-5, S. 178.
  3. Conrad Franchot Latour, Thilo Vogelsang: Okkupation und Wiederaufbau. Die Tätigkeit der Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands 1944–1947. DVA, Stuttgart 1973, S. 159 f.
  4. Jürgen Lillteicher: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Bundesrepublik zwischen Reparationsblockade und Entschädigungsdiplomatie vor und nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag. In: derselbe, Tim Geiger, Hermann Wentker (Hrsg.): Zwei plus Vier. Die internationale Gründungsgeschichte der Berliner Republik. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2021, ISBN 978-3-647-30076-4, S. 67–85, hier S. 77–81; die Formulierung „völkerrechtlicher Spagat“ stammt ursprünglich von dem Historiker Constantin Goschler, zitiert bei Vivien Leue: Zwei-plus-Vier-Vertrag vor 30 Jahren – Ein Friedensvertrag, der keiner war, Deutschlandfunk, 11. September 2020, abgerufen am 26. Dezember 2021.
  5. Siegfried Wenzel: Was war die DDR wert? Und wo ist dieser Wert geblieben? 7. Auflage, Das Neue Berlin, Berlin 2006.
  6. Lothar Baar, Rainer Karlsch, Werner Matschke: Studien zur Wirtschaftsgeschichte. Berlin 1993, S. 100.
  7. Dierk Hoffmann, Michael Schwartz, Hermann Wentker (Hrsg.): Vor dem Mauerbau: Politik und Gesellschaft in der DDR der fünfziger Jahre. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2003.
  8. Siegfried Wenzel: Was war die DDR wert? Und wo ist dieser Wert geblieben? 7. Auflage, Das Neue Berlin, Berlin 2006, S. 43 f.
  9. Konstatin Akinscha, Grigori Koslow: Beutekunst. Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995, ISBN 3-423-30526-6, S. 33 ff.
  10. Kolja Schwartz, Frank Bräutigam: Griechenland will Reparationen. Wie berechtigt sind die Forderungen?, FAQ auf tagesschau.de, Stand: 18. April 2019.
  11. Zu den völkerrechtlichen Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung des griechisch-deutschen Verhältnisses, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 2 – 3000 – 041/13), Ausarbeitung vom 26. Juni 2013.
  12. Thomas Jansen: Nur Israel hat mehr Geld erhalten als Polen, FAZ.net, 6. September 2022.
  13. a b Marcin Kozłowski: Reparacje wojenne. Fotyga w 2006 r.: Mimo dyskusji nie ma wątpliwości, że Polska się ich zrzekła, Wiadomości (gazeta.pl), 8. September 2022.
  14. a b c Krzysztof Ruchniewicz: Die Instrumentalisierung der Opfer und Verluste des Zweiten Weltkriegs, Dialog Forum (forumdialog.eu), 14. September 2022.
  15. Elisabeth Günnewig: Schadensersatz wegen der Verletzung des Gewaltverbotes als Element eines ius post bellum. Nomos, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8487-5712-1, S. 143 f. und 150 f.
  16. Jan Puhl: 6.220.000.000.000 Złoty Schulden – worum es bei den polnischen Reparationsforderungen wirklich geht. In: Der Spiegel. 1. September 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 1. September 2022]).
  17. Andrzej Chwalba: Kurze Geschichte der Dritten Republik Polen 1989 bis 2005. Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2010, S. 9.
  18. a b c Thomas Urban, Auf Konfrontationskurs, Cicero Online, 2. September 2022.
  19. PiS stawia wszystko na jedną kartę. Powtórka wydarzeń sprzed lat, onet.pl, 1. September 2022.
  20. PiS stawia wszystko na jedną kartę. Powtórka wydarzeń sprzed lat, onet.pl, 1. September 2022.
  21. Manfred Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik. Von der Gründung bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 1999, S. 760; Jürgen Lillteicher: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Bundesrepublik zwischen Reparationsblockade und Entschädigungsdiplomatie vor und nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag. In: derselbe, Tim Geiger, Hermann Wentker (Hrsg.): Zwei plus Vier. Die internationale Gründungsgeschichte der Berliner Republik. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2021, S. 67–85, hier S. 78.
  22. Jürgen Lillteicher: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Bundesrepublik zwischen Reparationsblockade und Entschädigungsdiplomatie vor und nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag. In: derselbe, Tim Geiger, Hermann Wentker (Hrsg.): Zwei plus Vier. Die internationale Gründungsgeschichte der Berliner Republik. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2021, S. 67–85, hier S. 77–83.
  23. Anfragebeantwortung des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller, Hrsg. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode: Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Bundestag (Nr. 22), BT-Drs. 15/414, 30. Januar 2003, S. 16 (PDF); vgl. dazu aber die Entscheidung des BGH vom 26. Juni 2003, Az.: III ZR 245/98, „Distomo“, abgedruckt in: NJW 2003, S. 3488 ff.
  24. a b Prawnicy: Nie ma szans na reparacje od Niemiec przed sądem, Rzeczpospolita (rp.pl), 1. September 2022.
  25. Gegenseitige Aufrechnung, Deutsche Welle, 27. September 2004.
  26. Die Klagen der Preußischen Treuhand. Zwischen politischer Hysterie und rechtlichen Fragen, in: Polen-Analysen 09/2007.
  27. Paul Flückiger: Polen pocht auf Reparationen, Deutsche Welle, 31. August 2017.
  28. Gutachten bestätigt polnische Forderung nach Reparationen von Deutschland. Verzicht von 1953 verfassungswidrig und Muss Deutschland jetzt Milliarden an Polen zahlen? In: Spiegel Online vom 11. September 2017.
  29. Florian Kellermann: Sejm-Gutachten – Reparationsforderungen an Deutschland, Deutschlandfunk, 11. September 2017.
  30. Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 28. August 2017 (Auszüge), Polen-Analysen, Ausgabe 227, 27. November 2017.
  31. 6.220.000.000.000 Złoty Schulden. In: Spiegel Online. 2. September 2022, abgerufen am 7. September 2022.
  32. Weltkriegs-Reparationen: Polen fordert 1,3 Billionen Euro von Deutschland. In: t-online. 1. September 2022, abgerufen am 6. September 2022.
  33. Polen verlangt 1,3 Billionen Euro von Deutschland – Experte übt Kritik. In: t-online. 2. September 2022, abgerufen am 6. September 2022.
  34. Scholz weist Reparationsforderungen zurück, tagesschau.de, 6. September 2022.
  35. Jan Puhl: 6.220.000.000.000 Złoty Schulden – worum es bei den polnischen Reparationsforderungen wirklich geht. In: Der Spiegel. 1. September 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 1. September 2022]).
  36. Warum Deutschland Polen keine Reparationen schuldet welt.de, 3. August 2017.
  37. Klaus Bachmann, Warum Polens Reparationsforderungen die Grenzen von Polen infrage stellen, Berliner Zeitung, 2. September 2022.
  38. Reparation für Polen – dann gehören auch die Ostgebiete auf den Tisch, merkur.de, 30. August 2019.
  39. The National Archives: Churchill and Stalin – Documents from the British Archives, 1943. No 48: Record of conversation at Soviet Embassy, Tehran, 1st December 1943, on the future of Poland, The National Archives, abgerufen am 4. September 2022.
  40. Michał Jaranowski: Reparacje od Niemiec. „Czysty populizm“, Deutsche Welle, 6. Februar 2019.
  41. Hanna Wieczorek: Sprawa reparacji za II wojnę światową to tylko narzędzie propagandowe w polskiej polityce wewnętrzej, Gazeta Wrocławska, 12. August 2017.