Diskussion:Dorfkirche Wildenbruch
Wehrkirche Wildenbruch ?
Hierher kopiert von Benutzer Diskussion:Ulrich Waack.. --Lienhard Schulz Post 16:51, 15. Jun. 2010 (CEST)
Hallo Ulrich. Du hast Dich an verschiedenen Stellen gegen den Begriff Wehrkirche im Zusammenhang mit heimatkundlichen Darstellungen zu Dorfkirchen unserer hiesigen Umgebung gewandt. Da ich grade an Wildenbruch (Michendorf) arbeite: können diese beiden Webseiten [1][2] Recht haben, die der Wildenbrucher Kirche, angeblich um 1230 gebaut, diesen Begriff zuschreiben? Der Turm ist tatsächlich sehr "gewaltig". Die Schutzfunktion wird hier nicht bezogen auf Zisterzienser/Slawen gesehen, sondern zum Schutz der alten Heer- und Handelsstraße aus Richtung Wittenberg nach Norden (über Treuenbrietzen, Beelitz, Saarmund ... und eben Wildenbruch). Oder ist die Bezeichnung Wehrkirche Deines Erachtens auch hier eher Mumpitz? Gruß --Lienhard Schulz Post 17:46, 14. Mär. 2010 (CET) PS Die "offizielle" Homepage der Gemeinde Michendorf führt aus:
- In der Mitte des 13. Jahrhunderts entstand hier eine Wehrkirche. Diese besitzt 1 m dicke Mauern aus Feldsteinen und einen Breitturm, dessen Fachwerkaufsatz aus dem Jahre 1737 stammt. Die Kirche, die gleichzeitig als Festung diente, hatte die Aufgabe, den Schutzring um das Dorf zu schließen, denn die alte Heerstraße nach Berlin führte hier vorbei.
Gruß --Lienhard Schulz Post 18:44, 14. Mär. 2010 (CET)
- Hallo Lienhard, nein: auch Wildenbruch hat keine „Wehrkirche“. Von Wehrkirchen kann man erst dann sprechen, wenn sie mehr als nur ein Fluchtort sind, weil sie einer mehrtägigen Belagerung widerstehen können, weil sie über mehr verfügen als nur die dicken feuerbeständigen Feldsteinmauern, z. B. Vorratshäuser, Brunnen, umschlossen von einer hohen Mauer; siehe Artikel Wehrkirche (vor allem zum Thema aktive Verteidigung, insbesondere "Schießscharten"). Dort siehst Du, dass besser von Kirchenburgen gesprochen wird. Wenn überhaupt von Wehrkirchen gesprochen werden kann, so entstanden sie erst im Spätmittelalter und südlich des Thüringer Waldes; Brandenburg fällt zu diesem Thema gänzlich aus. In Leipzig hat 2005 zu diesem leidigen Thema extra eine „Wehrkirchentagung“ stattgefunden (an der u. a. ich als Referent teilnahm); das Ergebnis findest Du in
- Wolfgang Schenkluhn (Hrsg.): Die mittelalterliche Dorfkirche in den Neuen Bundesländern II. Funktion, Form, Bedeutung (= Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte 8), Halle 2006, ISBN 3-86010-867-0.
- Zur Zeit wird gerade von einem einschlägigen Professorenkonsortium ein Aufsatzband erarbeitet, der den neuesten Forschungsstand zur Ostsiedlung darstellen soll, um die gängigen Vorurteile auszutrocknen. Prof. Eike Gringmuth-Dallmer hat mich gebeten, einen Beitrag über die Dorfkirchen zu schreiben, und da wirst Du dann (2011) den offiziell abgesegneten neuesten Stand haben, auch zum Thema "Dorfkirchen - Wehrkirchen?". (Zum ideologischen Hintergrund bereite ich seit längerer Zeit einen WP-Artikel vor).– Liebe Grüße --Ulrich Waack 19:43, 14. Mär. 2010 (CET)
- Hallo Ulrich, danke für die wie immer profunden Informationen. Mal sehen, wie ich die Aspekte verarbeite, ohne in die Theoriefindung hineinzukommen. Kirchenburg passt übrigens, zumnindest nach der WP-Definition, ebensowenig, denn eine zusätzlich "umgebende Verteidigungsanlage" aus Mauern und Türmen dürfte die Wildenbrucher Kirche nicht gehabt haben, zumindest habe ich bislang keine entsprechenden Angaben gefunden. Gruß --Lienhard Schulz Post 12:19, 15. Mär. 2010 (CET)
- Hallo Lienhard, richtig: Kirchenburg passt noch weniger, weil sie ja noch umfangreicher und aufwändiger ist.
- Eine Friedhofsmauer müsste, wenn sie einen Verteidigungszweck sinnvoll erfüllen soll, mindestens so hoch sein, wie ein Reiter vom Pferd aus reichen kann – das ist die Definition des Sachsenspiegels für eine genehmigungspflichtige Wehranlage = Burg. Ich kenne in Brandenburg keine einzige mittelalterliche Friedhofsmauer, die höher wäre als mannshoch, selbst unter Berücksichtigung, dass die alten Mauern durch spätere Aufschüttungen heutzutage oft rund 60 cm unter dem heutigen Bodenniveau liegen.
- Was absolut unterschätzt wird: Der Bau einer Friedhofsmauer in der heutigen Höhe (hüft- oder schulterhoch) hätte mindestens ebenso viel gekostet wie eine komplette nicht gequaderte Dorfkirche. Und ein Drittel aller Dörfer auf dem Barnim konnten sich im Mittelalter noch nicht einmal eine solche simple ungequaderte Kirche leisten. Rest per E-Mail. Gruß --Ulrich Waack 14:42, 15. Mär. 2010 (CET)
- Also Ulrich hat vollkommen recht. Wildenbruch ist definitiv keine Wehrkirche. Romanische Kirchen wirken durch die damals üblichen sehr dicken Mauern und die kleinen Fenster generell "wehrhaft" oder trutzig, auch wenn sie hinter Stadtmauern lagen, also schon durch diese geschützt waren. Der Begriff Wehrkirche sollte auf solche Kirchen beschränkt bleiben, die tatsächlich verteidigt werden konnten. Das ist bei Wildenbruch, trotz des trutzigen Aussehens sicher nicht der Fall gewesen. Durch die Kirchenfenster und die Schlitzfenster im Turm konnte kein Angriff abgewehrt werden. Die Schlitzfenster im Turm haben dazu das falsche Profil. Da konnte kein Bewaffneter mit Armbrust oder Bogen heraus schießen. Ganz anders sieht es mit den erzgebirgischen Wehrkirchen aus, oder den Kirchhofburgen in Franken, Baden-Württemberg und auch Kärnten. Ganz gut bekannt sind auch die Kirchhofburgen in Siebenbürgen. In Südfrankreich gibt es festungsartige Kirchen, von denen sogar urkundlich überliefert ist, dass sie militärisch besetzt, belagert und verteidigt wurden. Die brandenburgischen Dorfkirchen konnten nicht mit Bewaffneten besetzt und verteidigt werden. Möglich ist allenfalls eine gewisse Schutzfunktion. Manche Westtürme hatten keinen ebenerdigen Zugang. Der lag im ersten Geschoss in vier, fünf Meter Höhe, das Erdgeschoß war von einer massiven Tonne überwölbt. Manche Türme hatte sehr enge Zugänge in den Wänden des Turms. Die Kirchen boten schon einen gewissen Schutz gegen marodierende Söldner, oder sehr wenige Bewaffnete, die sich auf keine Belagerung einlassen konnten. Sofern es die Bevölkerung tatsächlich schaffte, in die Kirche zu fliehen. Das war bei der Feldarbeit sich nicht immer möglich; da war der Feind schneller im Dorf als die Bauern in der Kirche. Auch die Wehrbalken der Literatur sind grob irreführend. Im Mittelalter waren Schlösser teuer. Deshalb hatte die Kirche in aller Regel nur eine von außen verschließbare Tür. Die anderen Portale wurden von innen durch quergelegte Balken verschlossen. Das findet man z.T. noch heute in südlichen Kirchen (schon selbst gesehen). Also der Begriff Wehrkirche darf nicht auf brandenburgische Dorfkirchen angewendet werden. In anderen Regionen sieht das z.T. anders aus (s.o.). Gruß -- Engeser 14:02, 23. Mär. 2010 (CET)
- Danke, Engeser, so isses. Gruß --Ulrich Waack 20:44, 23. Mär. 2010 (CET)