Diskussion:Ich Du Inklusion
Methodenreflexion
Mir ist klar, dass ich mit der Art der Wiedergabe einer auch von Binn als solcher bezeichneten Schlüsselszene hart an die Grenze zur Theoriefindung geraten bin. Deshalb möchte ich hier meine Theorie explizit machen:
Bereits bei der Betrachtung des Films habe ich den Eindruck gewonnen, dass Matthis' Mutter ein Teil des Problems ist. Sie ist sehr engagiert und fordernd, und zwar nicht nur in Situationen, in denen ihr Sohn anwesend ist. Sie hat offenbar das Motto: „Wir schaffen das!“ verinnerlicht.
Tatsächlich ist Scheitern in jeder Schule „normal“. Die Funktion jeder Schule, zumal in einem gegliederten Schulwesen, besteht darin, Schüler nach Leistung zu sortieren. Da Matthis zielgleich unterrichtet wird, wird ihn bald das „ganz normale Schicksal ereilen“, für seine „Minderleistung“ eine schlechte Zensur zu bekommen.
Vor diesem „Schicksal“ bleiben nur diejenigen verschont, denen amtlich bescheinigt worden ist, dass Zielgleichheit in ihrem Fall unangemessen wäre oder dass genau zu benennende Hilfen ihnen zustünden (z.B. Texte in Brailleschrift für blinde Schüler).
In dem Abschnitt Lernbehinderung#Österreich kann man nachlesen, wie österreichische Behörden mit dem Thema „sonderpädagogischer Förderbedarf“ umgehen: Er wird befriedigt, und zwar durchaus großzügig, aber nur dann, wenn Ärzte oder Psychologen eine Diagnose gestellt haben, die eine abweichende Behandlung eines Schülers rechtfertigen (was aber nicht Inklusion, sondern allenfalls Integration zur Folge hat, da eine Markierung und Etikettierung „besonderer“ Schüler als „selbstverständlich“ vorausgesetzt wird).
Der Film hingegen setzt es als selbstverständlich voraus, dass Schülern „einfach so“ geholfen wird (quasi „schnell und unbürokratisch“), wenn sie Hilfe brauchen. Für diese Erwartung wird jeder Finanzminister in einem deutschen Bundesland (außer vielleicht in dem chronisch überschuldeten Bremen, s.u.) nur ein müdes Lächeln haben und die Kategorie „Vorbehalt des Möglichen“ (nicht alles an sich Wünschenswerte ist finanzierbar, Zurückweisung von Wünschen also der durchaus auch so gewollte Regelfall), die das Bundesverfassungsgericht geprägt hat, sowie das Gebot einer „Schwarzen Null“ als Argument anführen. --CorradoX (Diskussion) 09:28, 4. Aug. 2017 (CEST)
PS: Mein Problem besteht darin, dass sich unter den Texten über den Film, die ich gelesen habe (es sind inzwischen weit über 100), keiner befindet, der auch nur annähernd das grundsätzliche Problem genauer analysieren würde. Ansonsten ist es nicht meine Art, „Theoriefindung“ zu betreiben. --CorradoX (Diskussion) 09:45, 4. Aug. 2017 (CEST)
- Das Problem scheint im Fall Matthis nicht darin zu liegen, dass ihm lange gar kein Förderbedarf zuerkannt worden wäre, sondern darin, dass ihm bloß ein Anspruch auf Sprachförderung bescheinigt wurde. Dem RP-Text ist zu entnehmen, dass solche Einstufungen in NRW nur schwer zu revidieren sind. Im Fall Matthis wäre das aber erforderlich, da sich im Laufe der Zeit gezeigt hat, dass er nicht nur Probleme damit hat, angemessen zu sprechen. --37.138.225.138 10:15, 4. Aug. 2017 (CEST)
- Als Lektüre empfehle ich diesen Artikel aus Bremen. Wenn ich die Autorin richtig verstehe, dann verurteilt sie jeden Leistungsdruck, der auf Grundschulkinder ausgeübt werde, ganz im Sinne der Lehre, die das Theaterstück im Film hat: Die einen können gut rechnen, die andere kann prima einen Zirkel zum Malen von Blumenbildern benutzen. Und beide Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten machen die, die über sie verfügen, glücklich. Dieser Logik zufolge wäre es gar nicht schlimm, wenn ein Drittklässler nicht mit einer Analoguhr umgehen kann.
- Zynische (?) Anmerkung: In fast allen Ländervergleichstests (PISA & Co.) ist Bremen das Schlusslicht. --CorradoX (Diskussion) 18:25, 4. Aug. 2017 (CEST)
Repräsentativität der gezeigten Verhältnisse
These: Das, was der Film zeigt, ist nicht repräsentativ, da es außerhalb Nordrhein-Westfalens, außerhalb der „heilen Welt“ ländlicher Gemeinden und außerhalb des Milieus, in dem Binn seit Jahrzehnten verkehrt, anders zugeht.
- Deutschland ≠ NRW: Wenn die oben zitierte Lehrerin aus Bremen die Verhältnisse in ihrem Land richtig darstellt, dann beginnt dort der Leistungsdruck erst in der zweiten Hälfte der dritten Klasse. In Bayern wiederum „stört eine Lehrkraft den Schulfrieden“, wenn sie in Klasse 4 „zu viele“ Schüler als für das Gymnasium geeignet erklärt (vgl. Frieden#Schulfrieden, Fußnoten 28 und 29); nach dieser Logik müsste jede Grundschul-Lehrkraft froh sein, wenn „Problemschüler“ in einer Regelklasse die Übergangsquote aufs Gymnasium zu senken helfen. In Thüringen schließlich wird laut VBE „Inklusion“ nahezu ohne zusätzliches Personal an Grundschulen betrieben.
- „Heile Welt“: Auffällig ist tatsächlich, dass es in dem Film weder gleichgültige Lehrer noch gleichgültige Eltern gibt. Probleme sozialer Art werden allenfalls angedeutet, und zwar im Fall des Jungen, der laut der Klassenlehrerin die Klasse verlässt, weil das bisher in einer Pflegefamilie lebende Kind zu seiner leiblichen Mutter umzieht. Diese spielt weder vor noch nach der Mitteilung in dem Film eine Rolle.
- Binn gibt selbst zu, dass der Film ohne eine große Nähe zu der Schule aufgrund seiner vorangegangenen Projektarbeit so nicht möglich gewesen wäre. Fehlende Distanz zum Gezeigten könnte auch ein Problem sein. --91.96.191.35 11:15, 5. Aug. 2017 (CEST)
Binn = „Unperson“ → Film = „Un-Werk“?
Die These von der „mangelden Distanz“ wird ausgerechnet vom Landgericht Kleve bestätigt.
Das bedeutet aber nicht, dass Binns Werk in Zukunft bei WP komplett ignoriert werden sollte. Selbst das Fernsehspiel „Bambule“ wird inzwischen immer wieder mal im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen gezeigt, obwohl die Terroristin Ulrike Meinhof das Drehbuch zu dem Film geschrieben hat. Obwohl eine „Unperson“ das Drehbuch des Films geschrieben hatte, wurde der Film nicht auf Dauer zum „Un-Werk“.
Für die Beibehaltung des Artikels spricht vor allem, dass Spuren von Binns pädophiler Neigung in seinem Film nicht erkennbar sind. --CorradoX (Diskussion) 19:08, 24. Jul. 2022 (CEST)