Dorisches Griechisch
Das Dorische ist ein altgriechischer Dialekt, der vom Stamm der Dorer gesprochen wurde. Das Verbreitungsgebiet des Dialekts umfasste große Teile der Peloponnes (u. a. Sparta, Argos, Korinth), Kreta, Rhodos, Teile der kleinasiatischen Westküste (u. a. Knidos) sowie die dorischen Kolonien am Schwarzen Meer, auf Sizilien und in Süditalien.[1] Das Dorische wird oft zusammen mit den nah verwandten nordwestgriechischen Dialekten, die in Phokis (Delphi), Lokris und Elis (Olympia) gesprochen wurden, zum Dorisch-Nordwestgriechischen zusammengefasst.
Der dorische Dialekt war in zahlreiche lokale Varianten gegliedert, die hauptsächlich durch Inschriften überliefert sind. Zu den Vertretern der dorischsprachigen Literatur zählen die Lyriker Pindar, Bacchylides und Alkman, die syrakusanischen Komödiendichter Sophron und Epicharmos, der syrakusanische Mathematiker Archimedes sowie die alexandrinischen Dichter Theokritos und Kallimachos. Traditionell war Dorisch die Sprache der Chorlyrik. In der Attischen Tragödie (z. B. Sophokles, Aischylos, Euripides) wird der Dialog auf Attisch gesprochen, das Chorlied aber im dorischen Dialekt gesungen.
In hellenistischer Zeit wurde das Dorische, wie auch die übrigen griechischen Dialekte, durch die Koine, eine weitgehend auf dem Attischen beruhende Gemeinsprache, verdrängt. Jedoch hat sich in abgelegenen Teilen der Peloponnes bis heute das Tsakonische, ein auf dem antiken Dorischen beruhender Dialekt, erhalten. Auch der kretische Dialekt des Neugriechischen ist durch das Dorische geprägt worden.
Charakteristika
Wichtige Unterschiede zwischen dem Dorischen und dem Attischen, der klassischen Form des Altgriechischen:[2]
- Ursprüngliches langes ᾱā bleibt stets erhalten.
Beispiel: dorischμάτηρmātēr gegenüber attischμήτηρmētēr oderφάμαpháma (die Kunde, der Ruf) zu attischφήμηphếmê. - Verwendung von Doppelsigma/Sigma (σσ/σ) an Stelle von attisch Doppeltau/Tau/Theta (ττundτ/θ) vor Vokalen
Beispiel: dorischθάλασσαthálassa zu attischθάλατταthalatta (Meer),Ἀσάνα/ἈθάναAsána/Athána zu attisch/ionischἈθηνᾶ(ausἈθηναία > *Ἀθηνάα > Ἀθηνᾶ)/ἈθήνηAthéne. - Teilweise Erhaltung des [w]-Lautes (Ϝ, ϝ)
Beispiel: dorischϜοῖκοςwoikos gegenüber attischοἶκοςoikos. - Ursprüngliches -τι-ti bleibt erhalten.
Beispiel: dorischφέροντιpheronti gegenüber attischφέρουσιpherousi. - Ersatzdehnung auf ηē undωō stattειei undουou.
- Das Kardinalzahlwort τέτορεςtetores (vier) statt attischτέτταρεςtettares und Ionisch/Koineτέσσαρεςtessares.
- Das Ordinalzahlwort πρᾶτοςprātos (erster, der Erste) statt attischπρῶτοςprōtos.
- Das Demonstrativpronomen τῆνοςtēnos (dieser) für(ἐ)κεῖνος(e)keĩnos.
- Die Endung 3. Person Plural Aorist und Imperfekt ist -n gegenüber attisch -san
Beispiel: dorischἔδον/ἐδίδονédon/edídon, Aorist/Imperfekt vonδιδόναι/δίδωμιdidónai/dídômi (geben) gegenüber att.ἔδοσαν/ἐδίδοσανédosan/edídosan. - Die Futurform -σε-ω-se-ō für attisch-σ-ω-s-ō
Beispiel Medium/Passiv von dorischπράσσεινprássein, att.πράττεινpráttein (tun): dor.πραξῆταιprāxētai (ausπραγ-σ-έ-εταιprāg-sé-etai) für att.πράξεταιprāxetai (ausπράγ-σ-εταιprāg-s-etai) – Dorisches Futur (futurum Doricum). - Endung der 1. Person Plural auf -μες-mes statt-μεν-men.
- Im Nominativ Plural des Artikels und des Demonstrativpronomens dorisch τοίtoi,ταίtai,τοῦτοιtoutoi,ταῦταιtautai gegenüber attischοἱhoi,αἱhai,οὗτοιhoutoi,αὗταιhautai.
- Eigene Vokabeln wie die Verben λέειν/λείεινléein/leíein ‚wollen‘,δρᾶνdrãn (ausδράεινdráein ‚tun‘) oderπᾶσθαιpãsthai (ausπάεσθαιpáesthai ‚erwerben‘) =κτᾶσθαιktãsthai (ausκτάεσθαιktáesthai).
Einzelnachweise
- ↑ Ferdinand Neigebaur: Die griechische Sprache in Sicilien. In: Archiv für Philologie und Pädagogik. Vierzehnter Band. Leipzig, 1848, S. 414–420. (bei books.google)
- ↑ Karl Otfried Müller: Die Dorier. Breslau, 1824. S. ?. (bei books.google)