Axiomatische Homologie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Eilenberg-Steenrod-Axiome)

Der Begriff der Homologietheorie stammt aus der algebraischen Topologie und charakterisiert axiomatisch die Weise, wie beispielsweise die Singuläre Homologie oder die Bordismustheorien topologischen Räumen abelsche Gruppen zuordnen (Homologiegruppen, siehe Homologietheorie). Unter dem Begriff Axiomatische Homologie fasst man die Untersuchung derjenigen Homologietheorien zusammen, die die Eilenberg-Steenrod-Axiome erfüllen.

Eilenberg-Steenrod-Axiome

Funktoren und natürliche Transformationen

Es seien für alle Funktoren von der Kategorie der topologischen Raumpaare (d. h. Paaren von topologischen Räumen , so dass ) in die Kategorie der abelschen Gruppen. Für eine Abbildung sei dabei abkürzend mit bezeichnet. Dabei ist eine Abbildung von einem Raumpaar in ein Raumpaar eine stetige Abbildung von nach , so dass . Weiterhin sei für jedes eine natürliche Transformation von dem Funktor zu dem Funktor definiert, wobei derjenige Funktor von der Kategorie der Raumpaare in sich selbst ist, der jedem Raumpaar das Raumpaar zuordnet. Jedem Raumpaar ordnet also einen Homomorphismus zu. Hier und im Folgenden bezeichnet verkürzend das Raumpaar . Ausgeschrieben bilden diese Bedingungen die ersten drei Eilenberg-Steenrod-Axiome:

1) Wenn gleich der Identität ist, so ist auch gleich der Identität

2) Für zwei Abbildungen und gilt

3)

Weitere Axiome

Die mehr inhaltlich-topologischen Axiome, die direkt am Modell der singulären und simplizialen Homologie gestaltet wurden, sind die folgenden drei:

4) Exaktheits-Axiom: Es existiert eine lange exakte Sequenz von Gruppen:

Die Abbildungen und sind dabei jeweils von den entsprechenden Inklusionen induziert. Die Abbildung ist durch die natürliche Transformation definiert.

5) Homotopie-Axiom: Es seien zwei stetige Abbildung, die homotop sind. Dann sind die beiden induzierten Gruppenhomomorphismen identisch.

6) Ausschneidungsaxiom: Sei ein Raumpaar und , so dass der Abschluss von enthalten ist im Inneren von . Dann ist die von der Inklusion induzierte Abbildung ein Isomorphismus.

Eine Familie von Funktoren und natürlichen Transformationen, die die oben genannten Axiome erfüllen, nennt man Homologietheorie oder auch verallgemeinerte Homologietheorie. Dreht man alle Pfeile um in den Axiomen, betrachtet man also kontravariante Funktoren , so erhält man die Axiome für eine Kohomologietheorie.

Dimensionsaxiom

Klassisch nahm man zu den genannten Axiomen noch das sogenannte Dimensionsaxiom hinzu:

7) Es gilt

für eine abelsche Gruppe .

Erst dann wurde eine Familie von Funktoren und natürlichen Transformationen eine Homologietheorie genannt. So geschah es auch im Buch Foundations of Algebraic Topology von Eilenberg und Steenrod von 1952, wo diese Axiome erstmals behandelt wurden. Zur damaligen Zeit waren nur Homologietheorien bekannt, die das Dimensionsaxiom erfüllten. Später wurden jedoch noch andere Beispiele entdeckt, wie unter Beispiele noch ausgeführt wird. Allgemein nennt man die Homologiegruppen eines Punktes die Koeffizienten einer Homologietheorie.

Folgerungen

Einfache Folgerungen

Direkte Folgerungen sind, dass für alle und nach Ausschneidungssatz und für homotopieäquivalent zu . Daraus folgt auch für homotopieäquivalent zu .

Mayer-Vietoris-Sequenz

Ein sehr praktisches Hilfsmittel ist die sogenannte Mayer-Vietoris-Sequenz, die man per Diagrammjagd aus Ausschneidungs- und Exaktheitsaxiom beweisen kann. Diese besagt, dass für einen Raum , zwei abgeschlossene Teilmengen und , so dass die Vereinigung des Inneren von mit dem Inneren von gleich ist, und einer Teilmenge folgende Sequenz exakt ist:

Eine einfache Anwendung ist, dass , wozu man einfach in der Sequenz und die zwei Kopien von mit bzw. bezeichnet (der Schnitt ist leer, also auch ).

Bemerkung: Die Mayer-Vietoris-Sequenz gilt für Homologietheorien , wenn die Inklusionen Isomorphismen auf den Homologiegruppen von induzieren. Das ist insbesondere bei der obigen Voraussetzung wegen des Ausschneidungs-Axioms der Fall.

Einhängungsisomorphismus

Wahl von A, B und C

Mit Hilfe der Mayer-Vietoris-Sequenz kann man auch beweisen, dass der Einhängungsisomorphismus gilt, wobei die Einhängung von bezeichnet und einen Punkt in . Dazu setzt man in der Mayer-Vietoris-Sequenz und wie in der Zeichnung und gleich einem Punkt im Schnitt von und . Die Teilräume und sind beide homotopieäquivalent zu einem Punkt, ihr Schnitt zu . Die exakte Sequenz wird so zu:

Daran sieht man den geforderten Isomorphismus.

Homologie der Sphären

Nimmt man nun an, dass zusätzlich das Dimensionsaxiom gilt, kann man damit die Homologie der Sphäre berechnen. Die besteht nur aus zwei Punkten. Es gilt daher nach Ausschneidungssatz und für n>0. Nach dem Einhängungsisomorphismus gilt induktiv nun und für , da die Einhängung der (n-1)-Sphäre die n-Sphäre ist. Wenn man jetzt die exakte Sequenz für das Paar betrachtet, bekommt man, dass für für und und sonst für . Für bekommt man direkt , was gleich ist für und sonst. Man kann zeigen, dass man nun die Homologie von jedem endlichen CW-Komplex mit Hilfe der zellulären Homologie berechnen kann. Man bekommt also für endliche CW-Komplexe bei Homologietheorien, die das Dimensionsaxiom erfüllen, die gleichen Ergebnisse wie bei der singulären Homologie.

Eilenberg-Steenrod-Eindeutigkeitssatz

Die historische Situation 1945, als Eilenberg und Steenrod die oben genannten Eilenberg-Steenrod-Axiome erstmals veröffentlichten, war die, dass es mehrere Vorschläge gab, wie man die Homologie eines Raumes definieren konnte, die alle ähnliche Eigenschaften hatten und die zumindest auf den meisten Räumen die gleichen Gruppen ausrechneten. Das prominenteste Beispiel ist sicherlich die singuläre Homologie. Weitere Beispiele sind die heute fast vergessene Vietoris-Homologie und auf der Kohomologieseite die Čech-Kohomologie. Eilenberg und Steenrod wollten diese Theorien auf eine gemeinsame Basis stellen und zeigen, dass sie auf einer großen Klasse von Räumen die gleichen Gruppen ausrechnen.

Um ihren Eindeutigkeitssatz genau zu formulieren, müssen wir zunächst eine natürliche Transformation zwischen zwei Homologietheorien definieren. Diese ist eine natürliche Transformation zwischen zwei Funktoren und , die beide eine Homologietheorie bilden, die mit dem Verbindungshomomorphismus verträglich ist. Das heißt, dass für jedes Raumpaar und jedes gelten muss, dass das Diagramm

kommutiert.

Der Eindeutigkeitssatz von Eilenberg und Steenrod besagt nun, dass jede natürliche Transformation zweier Homologietheorien, die ein Isomorphismus auf allen Sphären ist, auch ein Isomorphismus auf allen endlichen CW-Komplexen ist.

Diesen Satz kann man unter der zusätzlichen Annahme, dass die beiden Homologietheorien das sogenannte Milnor- oder Wedge-Axiom

erfüllen, noch verschärfen. Dann gilt nämlich, dass unter den gleichen Bedingungen die natürliche Transformation ein Isomorphismus auf allen CW-Komplexen ist. Fordert man zusätzlich noch, dass Abbildungen, die auf allen Homotopiegruppen Isomorphismen induzieren, auch auf allen Homologiegruppen Isomorphismen induzieren, ist die natürliche Transformation sogar ein Isomorphismus auf allen topologischen Räumen.

Reduzierte Homologietheorien

Es stellt sich heraus, dass es für viele Zwecke nützlich ist, den Basispunkt in eine Homologietheorie einzubeziehen, ohne generell relative Gruppen zu definieren. Dies ist besonders nützlich, wenn man Homologiegruppen mit Homotopiegruppen vergleicht. Diese reduzierten Homologietheorien lassen sich wie folgt axiomatisch beschreiben.

Es seien für jedes Funktoren von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der abelschen Gruppen. Weiterhin gebe es natürliche Transformationen , wobei der Einhängungsfunktor auf der Kategorie der punktierten topologischen Räume ist. Es sollen folgende Axiome gelten:

1) Jede punktierte Abbildung induziert eine lange exakte Sequenz

Hierbei bezeichnet den Abbildungskegel von f.

2) Sind zwei Abbildung homotop, so gilt .

3) Die natürliche Transformation ist für alle n und X ein Isomorphismus.

Man kann zeigen, dass jede Homologietheorie mittels eine reduzierte Homologietheorie definiert. Andersherum definiert eine reduzierte Homologietheorie mittels eine Homologietheorie, wobei die Inklusion bezeichnet.

Da im Fall der singulären Homologie die reduzierte Homologie eines Punktes gleich null ist, bezeichnet man hier die Homologie der 0-Sphäre als die Koeffizienten.

Beispiele

Singuläre Homologie

Das grundlegendste und wichtigste Beispiel für eine Homologietheorie ist die singuläre Homologie mit Koeffizienten in einer Gruppe G. Sie war die erste bekannte Homologietheorie, die auf allen topologischen Räumen definiert ist. Wie im entsprechenden Artikel ausgeführt, erfüllt sie alle Eilenberg-Steenrod-Axiome, einschließlich des Dimensionsaxioms. Die singuläre Homologie erfüllt weiterhin auch das Milnor-Axiom und die Bedingung, dass Isomorphismen auf Homotopiegruppen Isomorphismen auf Homologiegruppen induzieren.

Bordismustheorien

Die einfachste Bordismustheorie ist die des unorientierten Bordismus. Sie wurde Mitte der fünfziger Jahre von René Thom entwickelt.

Zwei kompakte, unberandete Mannigfaltigkeiten M und N heißen bordant, wenn es eine berandete Mannigfaltigkeit W gibt, so dass . Man kann zeigen, dass diese Relation eine Äquivalenzrelation ist. Die Äquivalenzklassen heißen Bordismusklassen. Mittels der disjunkten Vereinigung und dem kartesischen Produkt kann man Addition und Multiplikation auf den Bordismusklassen definieren. Sie bilden somit einen Ring. Ein Beispiel für zwei bordante Mannigfaltigkeiten ist die n-Sphäre und die leere Menge, die mittels der (n+1)-dimensionalen Vollkugel bordant sind. Beispiele für Mannigfaltigkeiten, die nicht bordant zur leeren Menge sind, sind der Punkt und der 2-dimensionale reell projektive Raum .

Eine «singuläre p-Mannigfaltigkeit M in einen topologischen Raum X» ist ein Paar (M, f), wobei f eine Abbildung von M nach X und M eine p-dimensionale Mannigfaltigkeit ist. Zwei solche singuläre Mannigfaltigkeiten (M,f) und (N,g) heißen bordant, falls sie bordant über eine Mannigfaltigkeit W sind und eine Abbildung F von W nach X existiert, die eingeschränkt auf M und N die Abbildungen f bzw. g ergibt. Die von den singulären p-Mannigfaltigkeiten erzeugte abelsche Gruppe, aus der die Bordismusrelation herausgeteilt ist, bezeichnet man mit . Ähnlich kann man auch relative Gruppen definieren. Diese bilden eine Homologietheorie. Die Koeffizienten, d. h. die Homologie von einem Punkt, sind hier genau der oben erwähnte Bordismusring. Der zeigt, dass nicht null ist und der unorientierte Bordismus somit nicht das Dimensionsaxiom erfüllt.

Versieht man die Mannigfaltigkeiten mit Zusatzstrukturen, wie beispielsweise einer Orientierung oder einer fastkomplexen Struktur, bekommt man viele weitere Beispiele für Bordismustheorien.

Stabile Homotopietheorie

Die Homotopiegruppen eines Raumes bilden keine reduzierte Homologietheorie. Sie erfüllen zwar offensichtlich das Homotopieaxiom, aber der Freudenthalsche Einhängungssatz garantiert nur in einem bestimmten Bereich den Einhängungsisomorphismus. Auch macht die lange exakte Sequenz Schwierigkeiten.

Mittels des Freudenthalschen Einhängungssatzes kann man jedoch die Homotopiegruppen verwenden, um eine reduzierte Homologietheorie zu bekommen. Nach dem Einhängungssatz bekommt man Homomorphismen , die für k>N für ein geeignetes N Isomorphismen sind. Hierbei bezeichnet die k-te Einhängung. Man definiert die stabilen Homotopiegruppen . Der Einhängungsisomorphismus ist jetzt per Definition gültig und auch die Existenz einer langen exakten Sequenz kann man zeigen.

Die Koeffizienten der stabilen Homotopietheorie sind die stabilen Homotopiegruppen der Sphäre, da die k-te Einhängung der 0-Sphäre die k-Sphäre ergibt. Diese sind äußerst schwer zu berechnen und nur teilweise bekannt, obgleich große Anstrengungen in diese Richtung unternommen wurden.

Spektren

Ein Spektrum ist eine Folge von punktierten Räumen mit Abbildungen . Alternativ kann man auch die adjungierten Abbildungen angeben. Hierbei steht für den Schleifenraum von , d. h. die punktierten Abbildungen von der nach versehen mit der kompakt-offenen Topologie. Ist eine Homotopieäquivalenz für jedes n, so nennt man ein Omega-Spektrum.

Es besteht eine sehr enge Verbindung zwischen Spektren und Homologie- und Kohomologietheorien. Definiert man

so kann man zeigen, dass dieses eine reduzierte Homologietheorie bildet. Das steht hierbei für den direkten Limes und das für das Smash-Produkt. Andererseits kann man jede reduzierte Homologietheorie auf diese Weise durch ein Spektrum darstellen.

Für ein Omega-Spektrum ist eine reduzierte Kohomologietheorie. Nach dem Brownschen Darstellungssatz lässt sich jede reduzierte Kohomologietheorie auf diese Weise darstellen.

Das darstellende Spektrum für sowohl die singuläre Homologie als auch die singuläre Kohomologie mit Koeffizientengruppe G besteht aus den Eilenberg-MacLane-Räumen . Dies sind CW-Komplexe, die als n-te Homotopiegruppe G haben und deren sonstige Homotopiegruppen alle verschwinden. Da immer ein ist, kann man immer eine Homotopieäquivalenz finden, was zu einem Omega-Spektrum macht.

Literatur

  • Samuel Eilenberg & Norman Steenrod: Foundations of Algebraic Topology. Princeton University Press, 1964 (erstes Lehrbuch mit den Eilenberg-Steenrod-Axiomen)
  • Allen Hatcher: Algebraic Topology. Cambridge University Press, 2002, ISBN 0521795400 (allgemeine Einführung in die algebraische Topologie)
  • Robert M. Switzer: Algebraic Topology - Homology and Homotopy Springer, 2000, ISBN 3540427503 (geht ausführlich auf die Theorie der verschiedenen verallgemeinerten Homologie- und Kohomologietheorien und die der Spektren ein)

Weblinks