Energiestreit
Als Energiestreit, in speziellen Fällen auch Gasstreit oder Erdgasstreit, bezeichneten die europäischen Medien seit Ende 2005 die heftigen, über mehrere Jahre zunehmenden Preiskämpfe zwischen Russland und ehemaligen Sowjetrepubliken. Eine zusätzliche Schärfe in diese Dispute barg die Tatsache, dass diese Republiken meistens wichtige Transitländer für den Transport des Erdöls oder des Erdgases nach Westeuropa waren und diese Stellung mit Blockadedrohungen und ungenehmigten Abzapfungen in die Verhandlungswaagschale warfen. Seit 2022 wird dieser Begriff auch auf die Auseinandersetzungen um Gaslieferungen Russlands in die Europäische Union angewendet.
Energiekonflikte zwischen Russland und den Nachbarrepubliken
Besonders heftig waren die folgenden Energiekonflikte zwischen Russland und den Nachbarrepubliken:
- Der russisch-ukrainische Gasstreit erreichte seinen bisherigen Höhepunkt im Januar 2009, als der russische Energiekonzern Gazprom die Gaslieferungen an die Ukraine und über die Ukraine nach Europa einstellte. Alexander Medwedew, der Vize-Chef von Gazprom, warf den ukrainischen Handelspartnern Diebstahl von Gas vor[1]. Zum Streit kam es vormals bereits im Jahre 2005, als Gazprom die der Ukraine gewährten Subventionen auf Gas kündigte und damit den Erdgaspreis für die Ukraine verdoppelte. Damals wurde auch Westeuropa von zeitweiligen Liefer-Engpässen betroffen, insbesondere als eine längere Kältewelle erhöhte Gaslieferungen erfordert hätte. Die 1994 gegen solche Fälle ausgehandelte Energiecharta hat Russland (Stand wann ?) nicht ratifiziert. Im Laufe des Jahres 2006 wich die neue ukrainische Regierung unter dem prorussischen Ministerpräsidenten Wiktor Janukowytsch einem neuerlichen Streit aus und einigte sich diesmal schon früh mit Gazprom über den Preis für 2007: 130 Dollar (100 Euro) für 1.000 m³ Gas waren 40 % mehr als 2006, aber nur die Hälfte des Gaspreises, den Russland von anderen ehemaligen Sowjetrepubliken verlangte.
- Im Dezember 2006 kulminierte der Gasstreit zwischen Gazprom und Belarus, von dem statt bis dato etwa 50 Dollar pro 1000 m³ (relativ günstig) nun 105 $ gefordert wurden. Gleichzeitig sollte Russlands westlicher Nachbarstaat 50 % der Anteile am Erdgas-Verteilersystem an den Energiekonzern abtreten. Anfang Januar stimmte Belarus zwar einem Gaspreis von 100 $ zu, forderte aber seinerseits eine Transitsteuer für die Weiterleitung der Energieträger nach dem Westen. Russland lehnte dies ab und seine Betreibergesellschaft Transneft sperrte am 9. Januar 2007 vorübergehend die wichtige Erdölleitung Freundschaft – wovon vor allem Deutschland, Tschechien und Ungarn betroffen waren.
- Zu Preisstreitigkeiten in etwas geringerem Maß kam es auch mit zwei anderen Erdöl-Lieferanten der ehemaligen Sowjetunion – mit den zentralasiatischen Staaten Usbekistan und Turkmenistan. Ende 2006 musste das kleine Tadschikistan bzw. seine Versorgerfirma Tajikgaz einem fast verdoppelten Preis für Erdgas aus Usbekistan zustimmen; das diesbezügliche Marktvolumen betrug 2007 insgesamt 700 Mill. Kubikmeter Gas für 70 Mill. Dollar betragen (100 $ pro 1000 m³). Usbekistan war damals nach Russland und Turkmenistan der drittgrößte Erdgaslieferant der früheren Sowjet-Staaten.
Solche Preisstreitigkeiten verschärften sich regelmäßig gegen Jahresende und wurden bisher zumeist durch stark erhöhte Preisforderungen seitens Russlands an seine östlichen und südlichen Nachbarländer ausgelöst, die als ehemalige Sowjetrepubliken bisher zu relativ günstigen Energiepreisen beliefert worden war. Die Konflikte von Ende 2005 und 2006 ließen auch in der Westhälfte Europas die Sorge über die Zuverlässigkeit der russischen bzw. sibirischen Erdöl- und Erdgaslieferungen wachsen, weil die russische Regierung sie teilweise mit der Androhung von Lieferboykotts und Ultimaten koppelte.
Russland liefert Deutschland seit November 2011 durch die Nord Stream 1-Pipeline Erdgas. Den vorherigen Transitstaaten entgehen seitdem Transitgebühren.
Nord Stream 2 wurde gegen den Protest mitteleuropäischer Staaten (zum Beispiel Polen) gebaut. Die Pipeline ging aber nicht in Betrieb.
Energiekonflikt 2022
Am 24. Februar 2022 begannen russische Streitkräfte auf Befehl von Staatspräsident Putin den Überfall auf die Ukraine.
Im Juni 2022 wurde die Gaslieferung über Nord Stream 1 gedrosselt und im Juli 2022 mit Verweis auf erforderliche Wartungsarbeiten die Kapazitäten von Nord Stream 1 zeitweise ausgesetzt.[2] Eine Turbine wurde in Kanada gewartet und nach Deutschland verbracht; Gazprom verringerte derweil die Liefermenge wegen angeblich nötiger weiterer Wartungsarbeiten auf 20 % des Üblichen.[3] Anfang August erklärte die deutsche Bundesregierung, alle für die ausbleibenden Gaslieferungen von Nord Stream 1 vorgebrachten technischen Gründe seien „nicht auf einer Faktenbasis nachvollziehbar“.[4] Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte, durch die Lieferung der Turbine habe man „Putins Bluff auffliegen lassen“.[5]
Nachdem Ende August 2022 die Gaslieferung über Nord Stream 1 zunächst wegen angeblicher neuerlicher Wartungsarbeiten, dann wegen eines Ölaustritts unterbunden wurde,[6] warf die Europäische Kommission Gazprom vor, den Gasfluss über die Ostseepipeline Nord Stream 1 wegen falscher Vorwände aufzuhalten.[7]
Am 28. September 2022 kam es zu mehreren Lecks in den Nord Stream-Pipelines, die offiziellen Angaben zufolge wohl durch einen gezielten Anschlag entstanden.
Siehe auch
Literatur
Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.): Blick in die Röhre. Europas Energiepolitik auf dem Prüfstand. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8305-1615-6.
Einzelnachweise
- ↑ Wirtschaftswoche (wiwo.de): Russland schaltet auf stur
- ↑ Gasspeicher in Deutschland: So hoch ist der Füllstand. In: ndr.de. 4. August 2022, abgerufen am 4. August 2022.
- ↑ Nord-Stream-1-Pipeline: Gazprom halbiert Gaslieferung. In: tagesschau.de. 25. Juli 2022, abgerufen am 4. August 2022.
- ↑ Turbine „kann geliefert werden“. Scholz: „Putins Bluff“ ist aufgeflogen. In: zdf.de. 3. August 2022, abgerufen am 3. August 2022.
- ↑ Scholz besichtigt Gas-Turbine – „Putins Bluff auffliegen lassen“. In: web.de. 3. August 2022, abgerufen am 3. August 2022.
- ↑ Angebliches Ölleck in Portowaja: Gazprom kündigt längeren Lieferstopp über Nord Stream an. In: spiegel.de. 2. September 2022, abgerufen am 3. September 2022.
- ↑ EU: Nord Stream 1 unter „falschen Vorwänden“ stillgelegt. In: rtl.de. 2. September 2022, abgerufen am 3. September 2022.