Evin-Gefängnis

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Das Evin-Gefängnis (persisch زندان اوین 

Zendan-e Ewin

) ist das bekannteste iranische Gefängnis. Es liegt am nördlichen Stadtrand von Teheran und entstand 1971 durch den Umbau des ehemaligen Domizils von Seyyed Zia'eddin Tabatabai. Ursprünglich für 320 Insassen ausgelegt, waren dort während der Schah-Zeit bis zu 1500 Menschen inhaftiert und seit dem Beginn der islamischen Revolution 1979 bis zu 15.000 Menschen. Nach Angaben der Gefängnisleitung waren im Jahre 2006 insgesamt 2575 Männer und 375 Frauen in Haft.[1]

Das Gefängnis ist für die Inhaftierung von politischen Häftlingen des Iran berüchtigt.[2]

Evin-Gefängnis

Schah-Zeit

Während der Regierungszeit von Schah Mohammad Reza Pahlavi waren es unter anderem Kleriker der heutigen (2009) Staatsspitze, Anführer der Volksmodschahedin, der Fedajin-e Islam und der Tudeh-Partei die im Evin-Gefängnis, dem Zentralgefängnis des SAVAK, inhaftiert waren. Bekannte Häftlinge waren u. a. Hossein Ali Montazeri, Mahmud Taleghani, Ali Chamene’i, Akbar Hāschemi Rafsandschāni, Khosrow Golsorkhi und Massoud Rajavi.[2]

Islamisches Regime

Nach der islamischen Revolution zählten Regimegegner, Kritiker, Schriftsteller, Chefredakteure und abgesetzte Minister zu den Inhaftierten. Vor der iranischen Präsidentschaftswahl 2001 las sich die Liste der Insassen „wie das Who’s Who“ des Iran.[3]

Bekannte Häftlinge

Bekannte Häftlinge waren oder sind:

Folter

Das Gefängnis darf von außen und innen nicht fotografiert werden; Aufnahmen sind daher selten. Die Fotografin Zahra Kazemi wurde 2003 wegen Aufnahmen vor diesem Gefängnis zu Tode gefoltert.[8] Marina Nemat saß über zwei Jahre im Evin-Gefängnis. Sie beschrieb ihre Erlebnisse in einer Biographie, die 2006 auf Englisch und später auch in anderen Sprachen erschien.[9] Von ihren Zellengenossinnen im Trakt 246 soll keine die Haftzeit überlebt haben. Während der Haftzeit von Nemat war nach ihren Angaben der Trakt, der in Schah-Zeiten mit 50 Personen belegt war, mit 650 Frauen belegt.[10]

Für seine Einzelzellen mit der Grundfläche 1 × 2 m[11] berüchtigt ist der Trakt 209, der dem Geheimdienst untersteht und in dem politische Gefangene inhaftiert sind.[12] Folter und sexueller Missbrauch (u. a. harte Gegenstände in das Rektum oder in die Vagina schieben) um die Gefangenen zu Geständnissen zu zwingen, ist im Evin-Gefängnis eine gängige Praxis.[13] „Gefangene wurden monatelang in kleine Särge mit den Maßen 50 × 80 × 140 cm gesteckt. 1984 waren 30 Gefangene in solchen Särgen. Manche wurden verrückt,“ so Abbas Amir-Entezam, 1979 stellvertretender Premierminister unter Mehdi Bāzargān und 27 Jahre im Evin-Gefängnis inhaftiert.[2][14]

Roxana Saberi beschreibt darüber hinaus die Weiße Folter, eine Kombination aus Manipulation, Einschüchterung, Isolation […], die zu falschen Geständnissen oder Verleumdung von Freunden und Kollegen führt.[15] „Viele Gefangene verschweigen gegenüber dem Gefängnisarzt die Wahrheit über ihren Gesundheitszustand. Sie haben Angst davor, dass die genannten Krankheiten oder verwendeten Medikamente als Ursache ihres ungewollten Todes im Gefängnis erklärt werden könnten,“ so Mehdi Khazali, Sohn des Ajatollah Abolghassem Khazali.[16] → siehe Said Emami

Hinrichtungen

Die Massenhinrichtung politischer Gefangener im Iran von 1988 hatte ihren Ausgangspunkt im Evin-Gefängnis.[17] Hinrichtungen nach Verurteilungen werden vor Ort durchgeführt, überwiegend durch Hängen[18], so u. a. bei Abdolmalek Rigi.

Das Gefängnis ist nicht ausschließlich mit politischen Häftlingen belegt, konventionelle Straftäter sind in einem anderen Teil des Gebäudes inhaftiert.[3][19]

Europäische Sanktionen

Der jetzige (2011) Generalsekretär der Teheraner Gefängnisverwaltung Farajollah Sedaqat, der bis Oktober 2010 das Evin-Gefängnis leitete, steht neben dem Leiter der Evin-Abteilung 350, Mostafa Bozorgnia, seit dem 12. April 2010 auf Europäischen Sanktionslisten.[20] Sedaqat wird für Folter, Bedrohung und Unterdrucksetzung zahlreicher Inhaftierter in Evin verantwortlich gemacht.[20] Der Leiter der Iranischen Gefängnisverwaltung, Mohammad-Ali Zanjirei, steht ebenfalls auf Sanktionslisten; ihm wird die Überführung von zahlreichen Häftlingen in Einzelhaft vorgeworfen.

Proteste

2009 gab es vor dem Gefängnis Kundgebungen von Angehörigen der Inhaftierten der Proteste nach der iranischen Präsidentschaftswahl 2009. 2010 fanden diese in täglichem Rhythmus statt; jeden Abend von 17 bis 23 Uhr wurde die Freilassung der Gefangenen gefordert und deren Folterung beklagt.[21]

Veröffentlichung von Überwachungsvideos

Im August 2021 wurden Überwachungsvideos aus dem Gefängnis von 2020 und 2021 veröffentlicht.[22] Die Veröffentlichungen zeigen unter anderem Misshandlungen von Gefangenen.[23] Der Leiter des Iranischen Gefängnissystems, Mohammad Mehdi Haj Mohammadi, akzeptiert die Verantwortung für dieses „inakzeptable Verhalten“.[24]

Siehe auch

Literatur

als Roman
  • Ava Farmehri: Through the Sad Wood Our Corpses Will Hang. Reihe: Essential Prose Book, 134. Guernica, Oakville 2017 ISBN 978-1771831567
    • Übers. Sonja Finck: Im düstern Wald werden unsere Leiber hängen. Roman. Nautilus, Hamburg 2020

Film

Maryam Zaree kam 1983 im Evin-Gefängnis zur Welt. Ihre Eltern waren beide dort inhaftiert; sie sprachen nach ihrer Freilassung nie über diese Zeit. Maryam Zaree veröffentlichte 2019 den Dokumentarfilm Born in Evin.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. bbc.co.uk vom 14. Juni 2006 Inside Iran's most notorious jail
  2. a b c Fariba Amini, 4. September 2009: A Place Called Evin (Memento vom 10. August 2010 im Internet Archive) (deutsch: Ein Ort namens Evin)
  3. a b Katajun Amirpur: Die Willkür hat Methode. In: Die Zeit, 31. Mai 2001.
  4. BBC 18. März 2006: Iranian dissident freed from jail
  5. www.hrw.org (englisch)
  6. Clotilde Reiss. Ses 47 jours à la prison d’Evin
  7. Sie wurde wegen ihres Einsatzes für die Rechte von Frauen zu 33 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt.
  8. Tod in der Folterzelle. In: Die Zeit, 31. Mai 2005.
  9. Marina Nemat: Ich bitte nicht um mein Leben. Aus dem Amerikanischen von Holger Fock und Sabine Müller. Weltbild Verlag, Augsburg 2007. Titel des Originals: Prisoner of Tehran: A Memoir. ISBN
  10. faz.net vom 30. Juli 2007: Ich war die Gefangene von Teheran
  11. süddeutsche.de vom 1. Dezember 2010 Mit Glück: Gefängnis
  12. amnesty.de UA 262/2006
  13. "Sie müssen verstehen, sie fürchten sich sehr – Abolfazl Eslami im Gespräch über die iranische Außenpolitik", Jungle World Nr. 6, 10. Februar 2011
  14. siehe auch Ervand Abrahamian: Tortured Confessions: Prisons and Public Recantations in Modern Iran, University of California Press 1999, S. 140.
  15. heise.de vom 17. April 2011 Ein Gespräch mit der Journalistin Roxana Saberi, die 2009 im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis einsaß
  16. transparency-for-iran.org vom 31. März 2011 Sicherheitsabteilung 209
  17. alischiarsi.de Das Gefängnismassaker vom September 1988
  18. Sina unter dem Galgen – berlinonline.de vom 20. März 2007 Sina unter dem Galgen
  19. Ihr habt Waffen aber wir haben Handys. In: Die Welt, 15. Juni 2010.
  20. a b Europäische Gemeinschaft: COUNCIL REGULATION (EU) No 359/2011 of 12. April 2011 concerning restrictive measures directed against certain persons, entities and bodies in view of the situation in Iran (PDF), Seite L 100/9
  21. Iran News, abgerufen am 26. Februar 2010.
  22. heise online: Hacker veröffentlichen Bilder aus Irans Folterknast. Abgerufen am 25. August 2021.
  23. Markus Reuter: Iran: Hacker knacken Videoüberwachung in berüchtigtem Gefängnis. Abgerufen am 25. August 2021 (deutsch).
  24. Iran: Leaked video footage from Evin prison offers rare glimpse of cruelty against prisoners. Amnesty International, 25. August 2021, abgerufen am 28. August 2021 (englisch).

Koordinaten: 35° 47′ 45″ N, 51° 23′ 1″ O