Farbrevolutionen

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Die vier Farbenrevolutionen der Jahre 2003 bis 2005 (englisch). Zusätzlich eingetragen ist der Aufstand in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), der im Jahr 2000 zum Sturz von Slobodan Milošević führte. Dieser Aufstand wird manchmal wegen des historischen Zusammenhangs zu den Farbrevolutionen gezählt.

Farbenrevolutionen ist eine Bezeichnung für unbewaffnete, meist friedliche, jedoch nicht immer gewaltfreie Transformationen seit den frühen 2000er-Jahren, die nach einer identifikationsbildenden Farbe oder nach einer allgemein als positiv bewerteten Pflanze (wie bspw. Tulpe, Zeder) benannt werden. Initiatoren und Träger dieser Revolutionen waren häufig Studenten.

Übersicht

Rosenrevolution in Tiflis, 2003

Die erste derartige erfolgreiche Ausübung zivilen Ungehorsams und gewaltlosen Widerstands gegen ein erstarrtes Regime und dessen gefälschte Wahlen durch Studentenvereinigungen ereignete sich im Jahr 2000 in Serbien-Montenegro mit den Protesten nach der serbischen Präsidentschaftswahl 2000.

Als Farbenrevolutionen im engeren Sinne gelten vier historische Vorgänge:

In diesen Fällen war der Widerstand erfolgreich. Dagegen scheiterten 2006 die Proteste in Belarus, deren Vorbild die Orange Revolution in der Ukraine war. 2014 kam es in der Ukraine mit dem Euromaidan erneut zu einem Bürgeraufstand. Ab 2020 fanden erneut Proteste gegen die Ergebnisse der Präsidentenwahl in Belarus statt, die blutig niedergeschlagen wurden. Russland warf den USA im Januar 2022 vor, in einem weiteren Nachfolgestaat der Sowjetunion, Kasachstan, eine neue „Farbrevolution“ zu befeuern, als die Unruhen in Kasachstan 2022 ausbrachen.

Weitere Protestbewegungen wurden von internationalen Medien nach diesem Muster bezeichnet, zum Beispiel:

Eine vergleichbare Entwicklung schien sich im November 2016 auch in Marokko abzuzeichnen, es fand dort aber keine Revolution statt.[1] Die Samtene Revolution in Armenien erfolgte im Jahr 2018, nachdem sich der Präsident mit einem „Taschenspielertrick“ ermöglichen wollte, dieselbe Macht trotz Amtszeitbeschränkung nun als Premierminister zu behalten.[2]

Die Aktionen zivilen Ungehorsams zur Aufklärung und Information der Bevölkerung wurden teilweise mit modernen Marketing-Methoden und Kommunikationsmitteln durchgeführt,[3] dabei ist das Vorhandensein oder die Gründung von unabhängigen Medien im Land eine Voraussetzung:[4] Während der Revolutionsphase produzierten die Organisatoren täglich neue Nachrichten, die den örtlich vertretenen internationalen Medien vermittelt und mit Hintergrundwissen kommentiert wurden. Berichte von BBC World, CNN und Al Jazeera wirkten dann jeweils unmittelbar auf das eigene Land zurück und animierten hunderttausende Menschen zu Demonstrationen.

Ursprung und Ausbreitung

Das Modell eines friedlichen Machtwechsels in nicht pro-westlich regierten Ländern, der durch vom Westen finanzierte Nichtregierungsorganisationen unterstützt wurde – die „Mär von der westlichen Unterwanderung“[5] –, fand u. a. in der Slowakei statt, aber auch schon in der samtenen Revolution in der Tschechoslowakei 1989. 1998 trug die Plattform Občaňská kampaň ’98 maßgeblich zur Abwahl von Ministerpräsident Vladimír Mečiar in der Slowakei bei. In Jugoslawien wurde das Modell bei der Ablösung von Slobodan Milošević 2000 beobachtet.[6]

Die Auslöser in den vier postsowjetischen Staaten Georgien, Ukraine und Kirgisistan sowie in Belarus waren Vorwürfe von Wahlfälschungen. Im Libanon war die Wut über den Mordanschlag auf den ehemaligen Premierminister Rafiq al-Hariri Auslöser der Zedernrevolution.

In Georgien sorgte der oppositionelle TV-Sender Rustawi 2 für eine landesweite Verbreitung der Otpor-Lektionen: Wenige Tage vor der Rosenrevolution übertrug er zweimal eine ausführliche Dokumentation des serbischen Aufstandes. Die Organisatoren von Otpor haben inzwischen ein international tätiges Beratungsinstitut gegründet, das Belgrader Center for applied nonviolent action and strategy – CANVAS (dt. Zentrum für angewandte gewaltlose Aktion und Strategie).

Ähnlich dem serbischem Muster waren farbenrevolutionäre Jugendbewegungen inzwischen auch in Aserbaidschan (YOX, dt. Nein), Belarus (Zubr, dt. Wisent), Usbekistan (Bolga, dt. Hammer) und Ägypten (Kifaya, dt. Genug) tätig. Zu einem Treffen in Tirana im Juni 2005 kamen 80 Delegierte aus elf Staaten zusammen, die ihnen nacheifern wollten. YOX strebte eine Grüne Revolution in Aserbaidschan an, Subr eine Kornblumenblaue Revolution in Belarus.

US-Unterstützung

Eine Reihe von den Leitmedien gegenüber kritischen Journalisten und Publizisten wie Ian Traymor[7] sowie die Verschwörungstheoretiker F. William Engdahl[8] und Udo Ulfkotte[9] behaupteten, eine nicht nur ideelle, sondern auch materielle und logistische Unterstützung der Farbenrevolutionen durch US-amerikanische Regierungsbehörden, Nachrichtendienste und von den USA finanzierte NGOs seit den 2000er-Jahren nachweisen zu können. Auch berichtete eine Reportage des Spiegels 2005 über eine massive Förderung jeweils einheimischer Aktivistengruppen durch US-amerikanische Behörden und Institutionen.[4] Uneinigkeit besteht jedoch in der Bewertung der Motivation. Während besagte Spiegel-Journalisten bei den US-Aktivitäten vor allem uneigennützige Absichten wie die Unterstützung von Demokratie und Menschenrechten sahen und damit im Wesentlichen die Selbstdarstellung der US-Förderer übernahmen, warfen Ulfkotte und Engdahl den USA vor, mit „US-freundlichen Regimewechseln“ eine Neue Weltordnung (New World Order) im Sinne von George H. W. Bushs Rede am 11. September 1990 durchsetzen zu wollen.[8]

Die Washington Post berichtete, dass die USA im Vorfeld der jugoslawischen Wahlen vom 24. September 2000 77 Millionen Dollar einsetzte. Sie dienten u. a. dazu, den Oppositionsparteien Computer, Faxgeräte und andere Büroausrüstung bereitzustellen und ihre Mitglieder für die Parteiarbeit zu schulen. Eine New Yorker Firma habe zudem in Serbien Meinungsumfragen erhoben. Auch Gewerkschaften und Studentengruppen bekamen Geld. Die Aktion sei mit den europäischen Verbündeten eng abgestimmt gewesen und sei teilweise über Ungarn abgewickelt worden.[10] Finanzielle Mittel für die Bezahlung von Trainern und Kampagnen-Managern der Farbenrevolutionen flossen bisher vor allem aus den USA und Westeuropa.[11] Einer der bekanntesten Trainer war Robert Helvey, ein früherer Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes DIA.[12] Die US-Stiftungen Freedom House und National Endowment for Democracy (NED) sowie die private Stiftung Open Society Institute von George Soros stellten mehrere Millionen US-Dollar zur Verfügung. Ein Artikel in der New York Times im April 2011 bestätigte die systematische Ausbildung von Jugendlichen durch US-Institutionen. Namentlich genannt wurde ein Treffen 2008 in New York City für ägyptische Aktivisten, das von Facebook, Google, der Columbia Law School und dem State Department unterstützt wurde.[3] Vertreter von Otpor erklärten, dass ihnen diese Problematik sehr wohl bewusst war; Marovic sagte im Rückblick: „Wir schauten uns nach Unterstützung um. Wohlgemerkt, nach Hilfe, nicht nach Instruktionen.“, während Maric dazu sagte: „Wir haben genau hingehört und nur das übernommen, was uns nützte.“[4]

Techniken

Das zentrale Mittel war in einigen Fällen die Auswahl und Ausbildung von kleinen Gruppen. Die Kommunikation erfolgt im jeweils aktuellen Krisenfall über Prepaid-Handys zwecks schneller und flexibler Bildung von Demonstrantengruppen (Flash Mob), in der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre vermehrt über Internet, besonders mittels Facebook- und Twitter-Pseudonymen und Handy-Filmen auf YouTube.[4] Um der Überwachung von Twitter und Facebook in Libyen zu entgehen, verwendeten Aufständische versteckte Botschaften auf Hochzeitsportalen im Internet, um etwa zu übermitteln, wie viele Bewaffnete sich bei ihnen gerade aufhielten.[13]

Reaktionen

Im Interview mit dem russischen TV-Sender „Mir“ im April 2017 bekräftigte Russlands Präsident Wladimir Putin die Entschlossenheit seines Landes, die „farbigen Revolutionen“ zu bekämpfen. Dafür sei man bereit, den Partnerstaaten in der Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit (OVKS) „volle Unterstützung“ zu gewähren.[14] Im Jahr 2022 griff Russland die Ukraine an, um die ukrainische Regierung zu stürzen.[15]

Literatur

  • Pavol Demeš, Joerg Forbrig (Hrsg.): Reclaiming Democracy: Civil Society and Electoral Change in Central and Eastern Europe German Marshall Fund, 14. November 2011
  • Joerg Forbrig (Hrsg.): Revisiting Youth Political Participation: Challenges for research and democratic practice in Europe. Europarat, Straßburg, 2005, ISBN 92-871-5654-9.
  • Shinkichi Fujimori, Hirotake Maeda, Tomohiko Uyama:
    „Minshuka kakumei“ to wa nandatta no ka: Gurujia, Ukuraina, Kuruguzusutan
    [dt. Vergleichende Analyse der „Farbrevolutionen“ Georgien, Ukraine, Kirgisistan]. Sapporo-shi, Hokkaido Daigaku Surabu Kenkyu Senta, 2006.
  • Julia Gerlach: Color Revolutions in Eurasia. Cham, Heidelberg, New York, Dordrecht, London: Springer 2014 (Springer Briefs in Political Science).
  • Lincoln A. Mitchell: The Color Revolutions. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2012, ISBN 978-0-8122-4417-5.
  • Ron Nixon: U.S. Groups Helped Nurture Arab Uprisings. In: New York Times, 14. April 2011.
  • Joshua A. Tucker: Enough! Electoral Fraud, Collective Action Problems, and the Second Wave of Post-Communist Democratic Revolutions. Arbeitspapier, vorgestellt auf dem ersten jährlichen Danyliw Forschungsseminar zum Studium ukrainischer Zeitgeschichte, Ottawa, 30. September bis 1. Oktober 2005.
  • Anselm Weidner: Diktatorensturz und Demokratieexport. Die „Junge Internationale“ als fünfte Kolonne. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 9, 2007.
Handbücher

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hans-Christian Rößler: Ein Fischhändler als „Märtyrer". In: FAZ.net. 3. November 2016, abgerufen am 13. Oktober 2018.
  2. Das Land, das auf Russland angewiesen ist, Spiegel, 24. April 2018
  3. a b Ron Nixon: U.S. Groups Helped Nurture Arab Uprisings. In: New York Times. 14. April 2011.
  4. a b c d Renate Flottau, Erich Follath, Uwe Klussmann, Georg Mascolo, Walter Mayr, Christian Neef: Die Revolutions-GmbH. In: Der Spiegel. Nr. 46, 2005, S. 178–199 (online). Traum vom Frühling. In: Der Spiegel. Nr. 47, 2005, S. 184–194 (online). Zitat: „Die Amerikaner helfen bei den Volksaufständen mit Geld und Logistik.“
  5. Friedrich Schmitt: Die Mär von der westlichen Unterwanderung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 190. Frankfurt 17. August 2020, S. 3.
  6. Hannes Hofbauer, David X. Noack: Slowakei: Der mühsame Weg nach Westen. Promedia Verlag, Wien, 2012, ISBN 978-3-85371-349-5, S. 116.
  7. Ian Traynor: US campaign behind the turmoil in Kiev. In: The Guardian, 26. November 2004.
  8. a b F. William Engdahl: Egypt’s Revolution: Creative Destruction for a 'Greater Middle East’? (PDF; 121 kB) – 5. Februar 2011, 9 S.
  9. Udo Ulfkotte: Der Krieg im Dunkeln. Die wahre Macht der Geheimdienste. Heyne, München, 2008, ISBN 978-3-453-60069-0, S. 255 ff., 544 S.
  10. Süddeutsche Zeitung, 7. Oktober 2000.
  11. US campaign behind the turmoil in KievThe Guardian
  12. Georg Mascolo: Robert Helvey. Der Umsturzhelfer. In: Spiegel Online. 21. November 2005.
  13. böl: Statt Facebook und Twitter. Revolutionäre organisieren sich über Hochzeitsportal. In: Spiegel Online, 27. Februar 2011
  14. Путин заявил, что власти не допустятцветных революцийв России. In: РИА Новости. 12. April 2017 (ria.ru [abgerufen am 9. Oktober 2017]).
  15. Lawrow bestätigt: Kreml will "Regimewechsel" in Ukraine. In: tagesschau.de. 25. Juli 2022, abgerufen am 28. Juli 2022.
  16. Nicole Markwald: Ein Büchlein mit weltweiter Schlagkraft. (Memento vom 1. Januar 2012 im Internet Archive) – Tagesschau.de, am 20. Februar 2011.