Felwine Sarr

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Felwine Sarr im Salon du Livre 2011 in Genf

Felwine Sarr (* 11. September 1972 in Niodior, Senegal) ist ein senegalesischer Sozialwissenschaftler, Autor und Musiker. Seit 2007 ist er Professor für Ökonomie an der Universität Gaston Berger in Saint-Louis, Senegal.

Leben

Nach seinem Abitur am Collège Sacré-Cœur in Dakar studierte er Ökonomie an der Universität Orléans und wurde dort 2006 promoviert. Seit 2007 unterrichtet er an der Universität Gaston Berger (UGB) in Saint-Louis, wo er 2009 habilitiert wurde und seither als Professor tätig ist. Im Jahr 2011 wurde er zum Dekan der Fakultät für Ökonomie und Management und zum Koordinator der neuen Fakultät Civilisations, Religions, Art et Communication (CRAC) an der UGB ernannt.[1] Seit 2014 ist Sarr Vizepräsident der Direktorenkonferenz von OSIWA, der Open Society Initiative for West Africa.[2] Zudem ist er Herausgeber des Journal of African Transformation.[3]

Zusammen mit dem kamerunischen Philosophen Achille Mbembe gründete er im Oktober 2016 die Ateliers de la Pensée, eine Vereinigung von rund 30 Wissenschaftlern und Künstlern mit dem Ziel, einen Raum für intellektuelle Debatten in Afrika zu schaffen.[4][5]

Werk

In der akademischen Lehre und Forschung beschäftigt sich Felwine Sarr mit Makroökonomie, politischer Ökonomie, Ökonometrie, Entwicklungsökonomie, Epistemologie und Religionsgeschichte.[6][7] In seinem vielbeachteten Werk Afrotopia, das 2016 mit dem Grands prix des associations littéraires in der Kategorie Forschung ausgezeichnet wurde, widmet er sich mittels postkolonialer Theorien der Dekolonisation Afrikas und spricht sich für eine Wiederaneignung von afrikanischen Zukunftsmetaphern aus.[8] Bei der Entwicklung afrikanischer Demokratien dürfe es nicht darum gehen, die Geschichte des Westens zu reproduzieren, vielmehr müsse sich Afrika über eine Synthese von traditionellen und zeitgenössischen Organisationsformen neu erfinden.[9] Das Buch erschien im Januar 2019 in deutscher Übersetzung.[10][11] Rainer Gruszczynski übte Kritik an Sarrs darin ausgesprochene Empfehlung an die Afrikaner, auf Familienplanung und Geburtenregelung zu verzichten, damit die „demographischen Verluste“, die Afrika durch die Sklaverei entstanden seien, ausgeglichen werden könnten.[12]

Zum Werk von Sarr gehören noch weitere Essays sowie mehrere literarische Werke.[13] Zudem ist er Mitgründer des senegalesischen Verlags Jimsaan. Außerdem ist Sarr auch als Musiker tätig und hat drei Alben veröffentlicht: Civilisation ou Barbarie (2000), Les mots du Récit (2005) und Bassaï (2007).[14]

Im März 2018 beauftragte der französische Präsident Emmanuel Macron Sarr, gemeinsam mit der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die Möglichkeiten und Kriterien der Rückgabe von kolonialen Kulturgütern französischer Museen an afrikanische Länder zu erkunden.[15] Am 23. November 2018 reichten Sarr und Savoy ihren Abschlussbericht mit dem Titel Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain (deutsch: Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter) ein. Der Bericht ist im französischen Original und in englischer Übersetzung öffentlich einsehbar.[16] In einem Interview ein halbes Jahr später zeigt er sich ernüchtert über die französische Haltung, sieht jedoch aus Deutschland positive Signale.[17]

Veröffentlichungen

  • Dahij. Gallimard, Paris 2009, ISBN 978-2070122677.
  • 105 rue Carnot. Mémoire d’encrier, Montréal 2011, ISBN 978-2923713571.
  • Médiations Africaines. Mémoire d'encrier, Montréal 2012, ISBN 978-2923713731.
  • Afrotopia. Philippe Rey, Paris 2016, ISBN 978-2848765020.
    • Afrotopia. Deutsche Übersetzung von Max Henninger, Matthes & Seitz, Berlin 2019, ISBN 978-3-95757-677-4.
  • Ishindenshin. Mémoire d'encrier, Montréal 2017, ISBN 978-2-89712-516-5.
  • Habiter le monde. Mémoire d'encrier, Montréal 2017, ISBN 978-2-89712-519-6.
  • mit Achille Mbembe (Hg.): Écrire l’Afrique-Monde. Phillipe Rey/Jimsaan, Paris/Dakar 2017, ISBN 978-2848766010.
  • mit Bénédicte Savoy: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter. Matthes & Seitz, Berlin 2019, ISBN 978-3-95757-763-4.

Weblinks

Commons: Felwine Sarr – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Felwine Sarr. In: Festival Histoire et Cité – archive 2017. (histoire-cite.ch [abgerufen am 21. August 2018]).
  2. Board Members. In: OSIWA. (osiwa.org [abgerufen am 21. August 2018]).
  3. Felwine SARR – Fellows – Nantes Institute for Advanced Study Foundation. Abgerufen am 21. August 2018 (englisch).
  4. „Ancrer un espace de débat ouvert en Afrique“. In: Les Ateliers de la pensée. 24. Oktober 2017, abgerufen am 21. August 2018 (englisch).
  5. Thinking Workshops 2017: An open space for debate in Africa. In: ID4D. 24. Oktober 2017 (ideas4development.org [abgerufen am 21. August 2018]).
  6. Felwine Sarr. Université Gaston Berger, abgerufen am 21. August 2018 (englisch).
  7. Felwine SARR – Fellows – Nantes Institute for Advanced Study Foundation. Abgerufen am 21. August 2018 (englisch).
  8. Afrotopia. In: Philippe Rey. Abgerufen am 21. August 2018 (französisch).
  9. Felwine Sarr über „Afrotopia“. ZDF Kulturzeit, 16. Juni 2017, abgerufen am 21. August 2018.
  10. Afrotopia. In: Matthes & Seitz. Abgerufen am 21. August 2018.
  11. Thomas Palzer: Felwine Sarr: "Afrotopia" - Schwarze Vernunft. In: https://www.deutschlandfunk.de. 14. April 2019, abgerufen am 20. Dezember 2021.
  12. Blogeintrag der Freitag-Community, 28. November 2019, abgerufen am 1. Dezember 2019.
  13. Felwine Sarr. In: Mémoire d'encrier. Abgerufen am 21. August 2018 (amerikanisches Englisch).
  14. Felwine SARR – Fellows – Nantes Institute for Advanced Study Foundation. Abgerufen am 21. August 2018 (englisch).
  15. Restitution du patrimoine africain : « Nous sommes face à un défi historique ». In: LeMonde.fr. 22. März 2018, abgerufen am 21. August 2018 (französisch).
  16. Felwine Sarr, Bénédicte Savoy: Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthique relationnelle. Abgerufen am 5. Februar 2019 (französisch, englisch).
  17. Werner Bloch in Die Zeit vom 24. Juli 2019: „Geschehen ist fast nichts“ Der französische Präsident wollte seinen Rat, wie er mit kolonialer Raubkunst umgehen solle – und schlägt ihn jetzt in den Wind. Der senegalesische Ökonom Felwine Sarr über die Arroganz der Europäer und die große Chance der Restitutionsdebatte.