Fememord
Als Fememord wurden politische Morde bekannt, die – aufgrund einer Feme – an angeblichen Verrätern aus klandestinen, verschwörerischen rechten Gruppierungen in den ersten Jahren der Weimarer Republik begangen wurden. 1925 wurde die Mordpraxis bekannt. Auch in neuerer Zeit wurden ähnliche Morde in einigen Medien als Fememord bezeichnet.
Begriffsabgrenzung
Feme (von mittelniederdeutsch veime = Strafe) bezeichnete im Sprachgebrauch rechtsextremer Untergrundbewegungen einen Akt der Selbstjustiz: die Tötung von „Verrätern“, die – als Gruppenmitglieder oder als Außenstehende – von Waffendepots oder anderen Geheimnissen wussten und diese den Justizbehörden angezeigt hatten bzw. damit drohten. So hieß es in der Satzung der Organisation Consul, einem 1920 gegründeten rechtsterroristischen antisemitischen Geheimbund: „Verräter verfallen der Feme“.[1] Im November 1925 veröffentlichte die Zeitschrift Die Weltbühne einen anonymen Artikel von Carl Mertens über Fememorde an mehr als zwanzig Mitgliedern rechtsgerichteter Gruppen.[2]
Mitunter wird der Begriff auch für die politischen Morde an demokratischen Politikern wie Matthias Erzberger (1921), Karl Gareis (1921) und Walther Rathenau (1922) sowie das gescheiterte Attentat auf Philipp Scheidemann (1922) durch Mitglieder der Organisation Consul gebraucht.[3] Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Hans-Helmuth Knütter sind diese Morde aber ebenso wie die politischen Morde von links von den eigentlichen Fememorden zu unterscheiden.[4] Ähnlich unterschied ein Reichstagsausschuss 1926 Fememorde von anderen politischen Morden, indem er die Verwendung des Begriffs auf die von einer Gruppe geplante Ermordung von Geheimnisverrätern beschränkte, aber unter Einbeziehung ähnlicher Taten linksextremer Gruppierungen.
Opferzahlen
Nahezu alle diese Fememorde ereigneten sich in den unruhigen Anfangsjahren der Weimarer Republik. Ein Höhepunkt wurde erreicht, als im Jahr 1923 Inflation (bis hin zur Hyperinflation), alliierte Ruhrbesetzung, Hitlerputsch und separatistische Bestrebungen das Deutsche Reich erschütterten. Insgesamt fielen bis 1924 fast 400 politische Gegner[5][6] rechtsradikalen und nationalsozialistischen Attentaten der Organisation Consul, des Bundes Wiking, der Schwarzen Reichswehr, der Sturmabteilung Roßbach, der bayerischen Einwohnerwehr und deren Nachfolgeorganisationen zum Opfer.
Reaktionen
Der Erste, der versuchte, das Phänomen systematisch und für ganz Deutschland zu erforschen, war der Statistiker Emil Julius Gumbel, der 1922 die Schrift Vier Jahre politischer Mord vorlegte (später fortgeschrieben unter dem Titel: Vom Fememord zur Reichskanzlei). Gumbel war wegen dieser Studie schweren Drohungen ausgesetzt.
Die polizeilichen und gerichtlichen Untersuchungen der Femeverbrechen verliefen schleppend, die Mörder, soweit sie identifiziert wurden, kamen mit geringen Strafen oder sogar mit Freispruch davon. Die offenbaren Mängel in der Rechtsverfolgung beschäftigten während der Weimarer Zeit mehrere Parlamente: 1920 setzte der Bayerische Landtag einen eigenen Untersuchungsausschuss ein, um das Femeverbrechen an dem Reichswehrsoldaten Hans Dobner zu untersuchen. 1924 wurde im Preußischen Landtag der Untersuchungsausschuss „Politische Morde“ eingesetzt, zwei Jahre später ein weiterer Untersuchungsausschuss. Auf Antrag der SPD sollte im Januar 1926 ein Untersuchungsausschuss des Reichstags, unter der Bezeichnung „Feme-Organisationen und Fememorde“ diese Verbrechen und ihr politisches Umfeld in Parteien, Reichswehr und Justiz aufklären.[7] Das Vorhaben wurde von Anfang an durch die rechtslastige parlamentarische Mehrheit, die verweigerte Kooperation der bayerischen Justizbehörden[8] und nicht zuletzt durch die damalige Unentschlossenheit der SPD selbst[9] behindert.
Als Fememord bezeichnete aktuellere Fälle
Ähnliche Taten wurden auch in neuerer Zeit als Fememorde bezeichnet, so der Mord am linken Studenten Ulrich Schmücker am 5. Juni 1974,[10] der Mord an Joachim Peiper am 14. Juli 1974[11], der Mord am ANS-Aktivisten Johannes Bügner am 29. Mai 1981, der Mord an dem Skinhead und Neonazi-Aussteiger Gerd-Roger Bornemann am 3. Februar 1987,[12] oder der Mord am Bundesgrenzschützer Hans Plüschke 1998.[13] Heute wird der Begriff eher mit Selbstjustiz oder Lynchjustiz gleichgesetzt.
Siehe auch
- Omertà, Schweigegebot der Mafia
Literatur
in der Reihenfolge des Erscheinens
- Emil Julius Gumbel: Vier Jahre politischer Mord. Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin-Fichtenau 1922 (und mehrere Nachdrucke).
- Achim Richter: 200 amtliche Fememorde. Wie zu Eberts Zeiten das Vaterland gerettet wurde. Amnestieverräter heute, Fememordkommandeure damals. Internationaler Arbeiter-Verlag, Berlin 1928.
- Emil Julius Gumbel: Vom Fememord zur Reichskanzlei. Mit einem Vorwort von Walter Fabian, Lambert Schneider, Heidelberg 1962.
- Irmela Nagel: Fememorde und Femeprozesse in der Weimarer Republik (= Kölner historische Abhandlungen, Bd. 36). Böhlau, Köln 1991, ISBN 3-412-06290-1, (zugleich: Diss., Universität Köln 1989).
- Ulrike Claudia Hofmann: „Verräter verfallen der Feme!“ Fememorde in Bayern in den zwanziger Jahren. Böhlau, Köln 2000, ISBN 3-412-15299-4 (zugleich: Diss., Universität Bamberg 1998/99).
- Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik (= Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin – Reihe Dokumente, Texte, Materialien, Bd. 50). Metropol, Berlin 2004, ISBN 3-936411-06-9.
Weblinks
- Ulrike Claudia Hofmann: Fememorde. In: Historisches Lexikon Bayerns
- Mario Niemann: Bormann, Martin und Rudolf Höß. In: Kurt Groenewold, Alexander Ignor, Arnd Koch (Hrsg.): Lexikon der Politischen Strafprozesse. März 2016.
Einzelnachweise
- ↑ Ulrike Claudia Hofmann: „Verräter verfallen der Feme!“ Fememorde in Bayern in den zwanziger Jahren. Böhlau, Köln/Weimar 2000, S. 119.
- ↑ Die Fememorde. In: Die Weltbühne vom 17. November 1925, S. 750–756 (online)
- ↑ So zum Beispiel Detlef Wienecke-Janz (Hrsg.): Die Chronik. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute. Chronik Verlag, Gütersloh/München 2006, S. 152 f. und 156.
- ↑ Hans-Helmuth Knütter: Fememorde. In: Carola Stern, Thilo Vogelsang, Erhard Klöss und Albert Graff (Hrsg.): dtv-Lexikon zur Geschichte und Politik im 20. Jahrhundert. dtv, München 1974, Bd. 1, S. 252.
- ↑ Statistiker Emil Gumbel – Rechnen gegen den Terror von Daniel Furth, Spiegel Online 27. April 2012
- ↑ Emil Julius Gumbel: Das rechte Auge von Benjamin Lahusen, Zeit Online 9. Februar 2012
- ↑ Reichstagsprotokolle, 1924/28,5 Debatte am 23. Januar 1926
- ↑ Reichstagsprotokolle, 1924/28,5 Debatte am 11. November 1926
- ↑ Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914–1945. 3. Auflage 2016, C.H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-59236-2.
- ↑ Kopfschuss im Grunewald, Von Andreas Förster Berliner Zeitung 1. Dezember 2004
- ↑ AFFÄREN : Pech für ihn - DER SPIEGEL 30/1976. Abgerufen am 29. Januar 2020.
- ↑ Skinheads – Rechte Armee Fraktion, Der Spiegel 10. August 1987
- ↑ Bad Salzungen „Fememord alter Seilschaften“, insuedthueringen.de 16. August 2013.