Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union

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Freie Arbeiter*innen-Union
(FAU)
Rechtsform Gewerkschaft
Gründung 1977
Sitz Krefeld[1]
Motto Mehr als nur Gewerkschaft
Methode direkte Aktion
Aktionsraum Deutschland und Schweiz
Mitglieder unbekannt
Website www.fau.org

Die Freie Arbeiter*innen-Union (FAU) ist eine anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderation, bestehend aus lokalen Einzel- und Branchengewerkschaften.

Sie wurde 1977 zunächst als Initiative FAU (I-FAU) gegründet. Dies geschah im Zusammenhang mit der Reaktivierung der Schwestergewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) in Spanien, nach dem Ende des Franco-Regimes. An der Gründung der FAU waren maßgeblich auch Exilmitglieder der CNT beteiligt. Sie bezeichnet sich als Nachfolgeorganisation der Freien Arbeiter-Union Deutschlands, die sich 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aufgelöst und ihre Aktivitäten im Untergrund fortgesetzt hatte.

Kampagnen

Im Herbst 2007 produzierte im thüringischen Nordhausen die auch von FAU-Anhängern inspirierte Belegschaft einer Fahrradfabrik das StrikeBike in Selbstverwaltung, nachdem die Firma Biria nach einer Übernahme geschlossen worden war.[2][3] StrikeBike ging 2010 in die Insolvenz.[4]

Demonstration der FAU vor dem Kino Babylon Mitte 2009

Nach einem Prozess der Betreiber des Kino Babylon Mitte gegen die FAU Berlin in Zusammenhang mit dem Arbeitskampf der Beschäftigten des Kinos wurde vom 10. Senat des Berliner Landesgerichtes im Urteil vom 6. Januar 2010 eine einstweilige Verfügung vom 11. Dezember 2009[5] bestätigt, in der es der FAU Berlin wegen fehlender Tarifmächtigkeit bis auf Weiteres verboten wurde, sich Gewerkschaft oder Basisgewerkschaft zu nennen. Die einstweilige Verfügung wurde am 10. Juni 2010 vom Kammergericht Berlin wieder aufgehoben.[6][7] Mit diesem Konflikt beschäftigt sich der Film Babylon System – Prekäre Organisierung mit Vorführ-Effekt.[8]

2015 starteten Mitglieder der „Foreigner Section“ der FAU Berlin einen Arbeitskampf gegen Unternehmer und Subunternehmer, die das Bauprojekt Mall of Berlin betreuten. Konkret geht es dabei um eine größere Gruppe rumänischer Bauarbeiter, die ihren Lohn für mehrere Monate nicht bekommen haben sollen.[9]

Die FAU wird heute auch von Beschäftigten der Gig Economy, wie beispielsweise Beschäftigte von Online-Essensbestelldiensten, als Vertretungs- und Organisationsform genutzt. Im Juni 2017 luden FAU-organisierte Demonstranten in diesem Zusammenhang vor der Berliner Deliveroo-Zentrale Fahrradschrott ab, um gegen die Arbeitsbedingungen der Fahrradboten des Unternehmens zu protestieren.[10]

Während der Corona-Krise organisierten sich im Mai 2020 rumänische Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen in der FAU Bonn, die in Bornheim für den Betrieb Spargel Ritter tätig waren. Die Wanderarbeiter traten in den Streik, nachdem ihnen die Auszahlung der vertraglich zugesicherten Löhne verweigert wurde. Sie protestierten außerdem gegen die Wohnverhältnisse und die schlechte Nahrungsmittelversorgung auf dem Spargelhof. Durch den Streik konnte die Auszahlung eines größeren Teils der Löhne durchgesetzt werden. In den regionalen und überregionalen Medien wurde der Fall als ein Beispiel für die Ausbeutung von osteuropäischen Arbeitern in Deutschland rezipiert.[11][12]

Ausrichtung

Aufkleber der FAU, gesehen in Dortmund

Die Gewerkschaftsföderation lehnt den Parlamentarismus und die Volksvertretung als Tätigkeitsfelder ab. Laut eigenen Darstellungen sollen realpolitische Ziele nicht über das Parlament, sondern direkt durch das Engagement der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder erreicht werden. Gegenüber Betriebsratswahlen hat sie ein taktisches Verhältnis.[13] Das Prinzip der Sozialpartnerschaft und freigestellte oder bezahlte Funktionäre werden abgelehnt.

Mit dem Anarchosyndikalismus gehen, je nach Ortsvereinigung, auch Theorien und Praxis der Autonomen sowie des Operaismus einher. Mit ihrer Aktivität will die FAU neben einer konkreten Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen die soziale Revolution vorbereiten, mit der die klassen- und herrschaftslose Gesellschaft mittels Generalstreik erreicht werden soll.

Die FAU wurde durch den Verfassungsschutz Niedersachsen im Verfassungsschutzbericht 2013 im Abschnitt Linksextremismus geführt.[14] Auch im Bundesverfassungsschutzbericht 2019 wurde sie in diesem Abschnitt erwähnt[15], nachdem dies in den Jahren zuvor nicht der Fall war.

Struktur

FAU-Lokal „V6“, Volmerswerther Straße 6, Düsseldorf-Unterbilk (2020)

Die Organisation ist entsprechend der Theorie des Anarchosyndikalismus eine basisdemokratische, die föderalistisch aufgebaut ist. Sie organisiert sich bundesweit mittels eines Delegiertensystems. Ein wesentliches Merkmal ist das imperative Mandat, das heißt, die Delegierten der FAU sind der Organisation nicht nur rechenschaftspflichtig, sondern können auch jederzeit abgewählt werden.

Die Grundlage der Gewerkschaftsföderation bilden die sogenannten Syndikate, unabhängige Basisgewerkschaften einer wirtschaftlichen Branche. Sie sind in ihren Entscheidungen autonom von der restlichen Struktur. Die Syndikate der einzelnen Branchen eines Ortes schließen sich vor Ort zu sogenannten Lokalföderationen zusammen. Die Syndikate einer Branche verschiedener Orte wiederum bilden bundesweite Branchenföderationen. Lokale Entscheidungen werden in der Regel durch Vollversammlungen herbeigeführt.

Die Lokalföderationen ihrerseits, also der Zusammenschluss der einzelnen branchenspezifischen Basisgewerkschaften (Syndikate) eines Ortes, bilden die bundesweite FAU. Diese tritt einmal jährlich zu einem Kongress zusammen. Auf diesem werden bundesweite Beschlüsse gefasst sowie die bundesweiten Mandatsträger wie zum Beispiel eine ehrenamtliche Geschäftskommission gewählt – in der Regel für die Dauer von maximal zwei Jahren (Rotationsprinzip).

Die Kassen der Gewerkschaftsföderation, also deren finanzielle Töpfe wie Rechtsmittel- oder Streikfonds, sind so aufgebaut, dass sie sich möglichst weit an der Basis befinden. Das heißt, sie sind genauso wie die organisatorischen Strukturen der FAU von unten nach oben aufgebaut (lokalistisches Prinzip), zuerst nach Syndikaten, dann Lokalföderationen, Regionen und dann Bundes-FAU.

Mitglieder der FAU beteiligen sich am Aufbau von Betriebsgruppen. Diese stehen auch Nichtmitgliedern offen und dienen in erster Linie als Plattform für die betriebliche Arbeit.

Organisation

Die Mitglieder der FAU sind in rund 37 Lokalföderationen und Syndikaten organisiert.[16]

Branchenorganisationen der FAU gibt es in den Bereichen der Kultur (Neustadt/Weinstraße), der Medien (Berlin und Bonn), des IT-Sektors (Frankfurt am Main und Bonn), Gesundheit und Soziales (Hannover, Berlin, München, Frankfurt am Main, Stuttgart) sowie Nahrung und Gastronomie (Dresden).[17] Die Organisation im Bildungsbereich – vor allem im universitären Sektor – als Bildungssyndikate konnte nur teilweise (Berlin) aufrechterhalten werden.

Seit 2008 existiert die unabhängige Anarcho-Syndikalistische Jugend als Jugendvernetzung.

In der Schweiz existiert mit der FAU Bern[18] ein eigenständiger Ableger in der Schweiz und ist Herausgeber von "Schwarzi Chatz" (schweizerdt., hochdeutsch: Schwarze Katze).

Die FAU war Mitglied der Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation (IAA). Im Dezember 2016 wurde sie gemeinsam mit der CNT und der Unione Sindacale Italiana (USI) aus der IAA ausgeschlossen, nachdem sich diese drei Mitgliedssektionen für eine „Neuformierung des Anarchosyndikalismus auf internationaler Ebene“ ausgesprochen hatten.[19][20] Im Mai 2018 war sie mit sechs anderen Gewerkschaften Gründungsmitglied der Internationalen Konföderation der Arbeiter*innen (IKA).[21]

Die Gewerkschaftsföderation ist Herausgeber der anarchosyndikalistischen Zeitung Direkte Aktion, die bis 2016 alle zwei Monate gedruckt erschien und nach Angaben des Verfassungsschutzes im Jahr 2011 eine Auflage von 3000 Exemplaren hatte.[22] Seit Dezember 2016 wird sie in geringerem Umfang online publiziert.

Publikationen

  • FAU. Die ersten 30 Jahre (1977–2007). erschienen bei Syndikat-A, ISBN 978-3-86841-004-4. (Inhalt: Kapitel I - Der Anarchosyndikalismus in der BRD im Vorfeld der Gründung der FAU | Kapitel II - Konsolidierung der FAU in den 1980er Jahren. | Kapitel III - Gewerkschaft oder Propagandaorganisation? Die FAU in den 1990er Jahren. | Kapitel IV - Die Entwicklung seit 2000 und die FAU heute | Kapitel V - Die IAA und ihre deutsche Sektion FAU. | Kapitel VI - 100 Jahre Syndikalismus in Deutschland von 1878 bis 1978 | Anhang. 256 Seiten, mehr als 300 Fotos und Dokumente).
  • A.G Amsterdam/FAU Bremen (Hrsg.): Notes From The Class Struggle. Small group workplace organising in present-day Germany and the Netherlands. Amsterdam/Bremen 2007. (archive.org)
  • FAU-Bremen (Hrsg.): Kurze Einführung in die Geschichte des Anarcho-Syndikalismus und der FAU-IAA, Bremen 1998.

Literatur

  • Hansi Oostinga: Für eine Handvoll Dollar? Der Arbeitskampf im Berliner Kino Babylon. In: emanzipation – Zeitschrift für sozialistische Praxis und Theorie, Jahrgang 2, Nummer 2 (Dezember 2012), ISSN 2192-2837, S. 32–43; online

Weblinks

Einzelnachweise

  1. FAU.de: Impressum. Abgerufen am 29. Dezember 2021.
  2. Hans-Gerd Öfinger: Das Strike Bike lebt. In: Christoph Links, Kristina Volke: Zukunft erfinden: kreative Projekte in Ostdeutschland. Links, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-542-3, S. 104–114; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  3. Oliver Haustein-Tessmer, Dirk Nolde: Fabrikbesetzung: Der knallrote Aufstand der Fahrradwerker, Die Welt, 2. Oktober 2007
  4. Strike Bike hat Insolvenz angemeldet in Thüringer Allgemeine vom 11. November 2010
  5. Einstweilige Verfügung vom 11. Dezember 2009. (PDF; 3,28 MB) Pressemitteilung der FAU Berlin, 14. Juli 2008, abgerufen 11. Juli 2010.
  6. FAU Berlin gewinnt Prozess um Gewerkschaftsfreiheit. Pressemitteilung der FAU Berlin, 10. Juni 2010 (abgerufen am 14. Juli 2010)
  7. Felix Guth: FAU-IAA Berlin: Basisgewerkschaft siegt vor Gericht, Frankfurter Rundschau, 11. Juni 2010
  8. Babylon System – Prekäre Organisierung mit Vorführ-Effekt. Film zum Arbeitskampf im Kino Babylon Mitte, abgerufen 8. März 2014.
  9. Sarah Emminghaus: Ein Fall, der zum Himmel stinkt. In: taz.de, 14. April 2015, abgerufen am 26. April 2015.
  10. Bernd Kramer: Kurierfahrer: Der Arbeitskampf begann bei WhatsApp | ZEIT Arbeit. In: Die Zeit. 27. Oktober 2017, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 27. Oktober 2017]).
  11. Dennis Pesch: Wild streiken statt Spargel ernten. In: Jungle World, 28. Mai 2020, abgerufen am 22. Juni 2020.
  12. Béla Csányi: Spargel-Chaos in Bornheim zeigt, warum wir als Kunden schuld sind. In: Express, 27. Mai 2020, abgerufen am 22. Juni 2020.
  13. Die FAU und Betriebsratswahlen: Pro-Contra-Diskussion in der Direkten Aktion in den Ausgaben Januar/Februar und März/April 2008 (abgerufen am 26. Januar 2011).
  14. Verfassungsschutzbericht 2013. (PDF; 3,2 MB) Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport; S. 141
  15. Verfassungsschutzbericht 2019. (PDF; 5,91 MB) Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Juli 2020, S. 120–121, 156, abgerufen am 11. Juli 2020.
  16. Lokale Gewerkschaften. In: fau.org. Freie Arbeiter*innen-Union, abgerufen am 12. März 2021.
  17. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 29. August 2003 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.fau.org
  18. Aktuell - FAU-Bern - DE. Abgerufen am 9. Januar 2021.
  19. Secretariat: Statement of the XXVI Congress. (Nicht mehr online verfügbar.) 5. Dezember 2016, archiviert vom Original am 7. Dezember 2016; abgerufen am 7. Dezember 2016 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.iwa-ait.org
  20. Erklärung des FAU-Kongress 2016. FAU, 17. Mai 2016, abgerufen am 31. Dezember 2016.
  21. Gründung der Internationalen Arbeiter*innen Konföderation (IAK) in Parma. In: fau.org. 13. Mai 2018, abgerufen am 24. November 2018.
  22. Traditionelle Anarchisten – FAU-IAA. (PDF; 2,53 MB) (Nicht mehr online verfügbar.) In: Verfassungsschutzbericht 2011. Bundesministerium des Innern, 23. Juli 2013, S. 165–167, archiviert vom Original am 13. September 2013; abgerufen am 17. November 2013.