Funkschlüsselnetz

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Als Funkschlüsselnetze wurden insbesondere während des Zweiten Weltkriegs die von der deutschen Wehrmacht betriebenen Funknetze bezeichnet, über die geheime Nachrichten, Lagemeldungen und militärische Befehle mithilfe der Funktechnik übermittelt wurden.

Alle Nachrichten, welche durch Unbefugte nicht gelesen werden sollten, waren bestimmungsgemäß mit dem vom OKW vorgeschriebenen Schlüsselverfahren zu verschlüsseln. Zur Verschlüsselung der Funksprüche setzten alle Teilstreitkräfte der Wehrmacht Maschinenschlüssel ein, in erster Linie die Enigma-Maschine. Der Umgang mit dem Maschinenverfahren wurde in zwei Dienstvorschriften einheitlich geregelt (H.Dv.g. 13, L.Dv.g. 13 und H.Dv.g. 14, M.Dv. Nr. 168, L.Dv.g. 14) und der Einsatz eines Schlüssels befohlen. Während Heer und Luftwaffe hauptsächlich die Enigma I nutzten, setzte die deutsche Kriegsmarine kryptografisch stärkere Modelle ein, wie die Enigma-M3 und die Enigma-M4. Neben dem Maschinenverfahren existierte noch ein Handverfahren, wobei die Texte handschriftlich verschlüsselt wurden. Der Umgang mit den Schlüsseln wurde in einer Dienstvorschrift einheitlich geregelt (H.Dv.g. 7, M.Dv. Nr. 534, L.Dv.g. 7).

Funkschlüsselnetze der Wehrmacht

Spezifische Funknetzschlüssel

Heeres-Stabs-Maschinen­schlüssel zu sehen im National Cryptologic Museum

Grob unterteilt gab es die folgenden Kategorien von Maschinenschlüsseln:[1]

  • OKH-Maschinenschlüssel
  • Heeres-Stabs-Maschinenschlüssel (Bild)
  • Wehrmacht-Maschinenschlüssel
  • Oberquartiermeister-Maschinenschlüssel
  • Rundspruch-Maschinenschlüssel
  • Reichsbahn-Maschinenschlüssel
  • Armee-Maschinenschlüssel
  • Sonder-Maschinenschlüssel
  • Wehrkreis-Maschinenschlüssel
  • Maschinenschlüssel der SS

Neben dem Maschinenschlüssel existierte meist noch ein Hand- bzw. Notschlüssel. Zusätzlich gab es einen Funkschlüssel für die Übermittlung von Wetterdaten.

Jede der genannten Kategorien wies, häufig gegliedert nach Einheiten oder geographischen Regionen, zahlreiche individuelle Schlüsselnetze mit eigenen Schlüsseln auf. Beispielsweise hatte jede der drei an der Ostfront operierenden Heeresgruppen, Nord, Mitte und Süd, allein für Rundsprüche ein separates Funkschlüsselnetz.

Heer

Allein das deutsche Heer betrieb während des Krieges mehr als einhundert unterschiedliche Schlüsselnetze.[2]

SS

Bei der SS existierten unterschiedlichste Schlüssel, wie z. B. ein SS-Stabs-Maschinenschlüssel, SS-Querverkehr-Maschinenschlüssel oder ein SS-Frontschlüssel, welche im Funkverkehr eingesetzt wurden.

Luftwaffe

Diese Schlüsseltafel enthält, im Gegensatz zu den üblicherweise verwendeten, eine zusätzliche Spalte „Steckerverbindungen an der Umkehrwalze“ für die UKW D

Dazu kamen weitere etwa hundert Schlüsselnetze der Luftwaffe.[3]

Bemerkenswert ist die Einführung einer besonderen Umkehrwalze für die Enigma ab Anfang 1944 innerhalb einiger Schlüsselnetze der Luftwaffe, beispielsweise bei der im deutsch besetzten Frankreich stationierten Luftflotte 3, aus der im September 1944 das Luftwaffenkommando West hervorging. Hier nutzten die Deutschen, im Gegensatz zu den anderen Wehrmachtteilen, die sogenannte Umkehrwalze D, kurz UKW Dora genannt. Diese zeichnete sich dadurch aus, dass ihre Verdrahtung, anders als bei allen anderen Enigma-Walzen, durch den Benutzer schlüsselabhängig geändert werden konnte.[4] Dies bewirkte eine deutliche Vergrößerung der kombinatorischen Komplexität der Chiffriermaschine und hätte leicht dazu führen können, dass die Verschlüsselung praktisch „unbrechbar“ gewesen wäre, falls das neue Verfahren schlagartig und flächendeckend eingeführt worden wäre.[5]

Kriegsmarine

Für die Kriegsmarine war die Führung ihrer teilweise in weit entfernten Gebieten und auf Hoher See operierenden Wasserfahrzeuge von entscheidender Wichtigkeit. Hierzu wurden für die unterschiedlichen Einheiten und die verschiedenen Seegebiete jeweils eigene Schlüsselnetze mit passenden Decknamen gebildet. Beispiele sind Funkschlüsselnetze:[6]

  • Aegir für Überwasserkriegsschiffe und Hilfskreuzer in Übersee („Außerheimische Gewässer“, ab August 1939), ab Januar 1943
  • Hydra für Schiffe in Küstennähe („Heimische Gewässer“, ab August 1939), ab Januar 1943
  • Medusa für U-Boote im Mittelmeer, ab Juni 1943
  • Neptun für Schlachtschiffe und Schwere Kreuzer in Übersee („Kernflotte“, ab Mai 1941), ab Oktober 1941 sowie
  • Triton für die Atlantik-U-Boote („Front-U-Boote“, ab Oktober 1941), ab Februar 1942 (Beta), ab Juli 1943 (Gamma)

Im Gegensatz zur früheren Annahme, dass es vor allem alliierte Radartechnik und Funkpeilung waren, an denen die deutschen U-Boote zugrunde gingen, war es, wie man heute weiß, die Arbeit des britischen Geheimdienstes, insbesondere in Bletchley Park, gepaart mit dem deutschen Trugschluss, dass ein Einbruch in ihre Funkschlüsselnetze nicht möglich sei.[7]

Dienstvorschriften der Wehrmacht (Auswahl)

  • Für alle Truppenteile:
    • H.Dv.g. 14, M.Dv. Nr. 168, L.Dv.g. 14: Schlüsselanleitung zur Chiffriermaschine Enigma. 1940. Neuauflage 2019 – ISBN 978-3750-42559-0
    • H.Dv.g. 11, M.Dv. Nr. 390, L.Dv.g. 11: Die Wehrmachtschlüssel. 1940. Neuauflage 2019 – ISBN 978-3750-42559-0
    • H.Dv.g. 7, M.Dv. Nr. 534, L.Dv.g. 7: Allgemeine Schlüsselregeln für die Wehrmacht. 1940 und 1944. Neuauflage 2019 – ISBN 978-3743-19385-7
  • Für Heer und Luftwaffe:
    • H.Dv.g. 13, L.Dv.g. 13: Gebrauchsanleitung für die Chiffriermaschine Enigma. 1937. Neuauflage 2020 – ISBN 978-3752-66833-9
  • Für Kriegsmarine:
    • M.Dv. Nr. 32: Der Funkschlüssel M (Vorschrift). 1934.
    • M.Dv. Nr. 32/1: Der Schlüssel M Verfahren M Allgemein. 1940.
    • M.Dv. Nr. 32/3: Der Schlüssel M Allgemeine Bestimmungen. 1941.
    • M.Dv.Nr. 114 Signalschlüssel für den Funksignaldienst (Funksignalschlüssel). 1939. Neuauflage 2019 – ISBN 978-3749-46791-4
    • Ergänzende Anweisungen zu ‚Der Schlüssel M Verfahren M Allgemein‘. 1944.

Literatur

  • Arthur O. Bauer: Funkpeilung als alliierte Waffe gegen deutsche U-Boote 1939–1945. Wie Schwächen und Versäumnisse bei der Funkführung der U-Boote zum Ausgang der „Schlacht im Atlantik“ beigetragen haben. Arthur O. Bauer Selbstverlag, Diemen, Niederlande 1997, ISBN 3-00-002142-6.
  • Friedrich L. Bauer: Entzifferte Geheimnisse. Methoden und Maximen der Kryptologie. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2000, ISBN 3-540-67931-6.
  • John Jackson: Solving Enigma’s Secrets – The Official History of Bletchley Park’s Hut 6. BookTower Publishing 2014, ISBN 978-0-9557164-3-0.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. John Jackson: Solving Enigma’s Secrets – The Official History of Bletchley Park’s Hut 6. BookTower Publishing 2014, ISBN 978-0-9557164-3-0, S. 439–441.
  2. John Jackson: Solving Enigma’s Secrets – The Official History of Bletchley Park’s Hut 6. BookTower Publishing 2014, ISBN 978-0-9557164-3-0, S. 442–449.
  3. John Jackson: Solving Enigma’s Secrets – The Official History of Bletchley Park’s Hut 6. BookTower Publishing 2014, ISBN 978-0-9557164-3-0, S. 427–434.
  4. Philip Marks: Umkehrwalze D – Enigma’s rewirable reflector – Part 1. Cryptologia 2001, 25:2, doi:10.1080/0161-110191889842, S. 125.
  5. Army Security Agency: Notes on German High Level Cryptography and Cryptanalysis. European Axis Signal Intelligence in World War II, Vol 2, Washington (D.C.), 1946 (Mai), S. 13, PDF; 7,5 MB (englisch), abgerufen 26. Januar 2021.
  6. Die FUNKSCHLÜSSEL der deutschen Kriegsmarine. Abgerufen am 31. Januar 2021.
  7. Günter Böddeker: Die Boote im Netz. Gustav Lübbe 1981, ISBN 3-7857-0301-5, Werbetext.