Bronisław Geremek

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Bronisław Geremek (2004)

Bronisław Geremek (ursprünglich Benjamin Lewertow; * 6. März 1932 in Warschau; † 13. Juli 2008 in Lubień bei Nowy Tomyśl) war ein polnischer Historiker und Politiker. Von 1997 bis 2000 bekleidete er das Amt des polnischen Außenministers.

Leben

Geremek stammte aus einer jüdischen Familie, sein Großvater war Rabbiner. Sein Vater, der eine Kürschnerei besaß, wurde im KZ Auschwitz ermordet, er selbst wurde mit seiner Mutter 1943 aus dem Warschauer Ghetto geschmuggelt und überlebte bei einer polnischen Familie. Nach dem Abitur in Wschowa studierte er an der Universität Warschau Geschichte, wurde 1955 Magister, promovierte 1960 und schloss 1972 seine Habilitation an der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) ab. 1989 wurde Geremek außerordentlicher Professor für mittelalterliche Geschichte, 1993 ordentlicher Professor; er erhielt zudem über 20 Ehrendoktortitel.

Geremeks Grab in Warschau

In den Jahren 1962–1965 war er Hochschuldozent an der Pariser Sorbonne, 1992/93 Gastprofessor am Collège de France und 2002 wurde er Professor am Europakolleg in Natolin im Süden Warschaus.

1990 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Academia Europaea gewählt.[1]

Bronisław Geremek starb im Alter von 76 Jahren am 13. Juli 2008 um 13.20 Uhr am Steuer seines Autos bei einem Frontalzusammenstoß in der Nähe von Lubień (bei Nowy Tomyśl).[2] Er wurde am 21. Juli auf dem Warschauer Powązki-Friedhof unter Anteilnahme seiner Familie, in- und ausländischer Politiker und der Warschauer Bevölkerung beigesetzt[3].

Politische Aktivitäten

Geremek war von 1950 bis 1968 Mitglied der kommunistischen PVAP. Er verließ die Partei wegen des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei[4][5]. 1980 war er Berater der Solidarność. Nach der Verhängung des Kriegsrechtes 1981 wurde er interniert.

1989 nahm er an den Gesprächen am Runden Tisch teil. Ab 1990 war er Mitglied der liberalen Parteien Unia Demokratyczna (UD) und ihrer Nachfolgepartei Unia Wolności (UW). Von 2000 bis 2001 führte er die UW als Parteivorsitzender an. Von 1989 bis 2001 war Geremek Mitglied des Sejm der Republik Polen, unter anderem Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsfragen, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Vorsitzender des Ausschusses für europäisches Recht. Von 1997 bis 2000 war er Außenminister Polens in der Regierung Buzek. Für seine Verdienste um die europäische Einigung wurde er 1998 mit dem Karlspreis ausgezeichnet.[6]

2002 sprach Bronisław Geremek anlässlich der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Deutschen Bundestag. Seit Beginn der 6. Wahlperiode des Europäischen Parlaments 2004 war Geremek als Europa-Abgeordneter (MdEP) der linksliberalen Partei Partia Demokratyczna (DP) tätig. Die Abgeordneten der Partia Demokratyczna waren Mitglieder der europäischen Liberalen-Fraktion Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE). Geremek war Mitglied des ALDE-Fraktionsvorstands, er war 2004 Kandidat der Europäischen Liberalen für das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments. Er war Mitglied im Ausschuss für konstitutionelle Fragen, im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und Mitglied der Delegation im Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU–Russland.

Geremek war erklärter Gegner des in Berlin geplanten Zentrums gegen Vertreibungen. Er war Unterstützer der im April 2007 gegründeten internationalen Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen.[7]

Aus einem Nachruf

„Geremek war ein unerschütterlicher Europäer, der mit seinem großen internationalen Ansehen den Weg Polens in die Nato und die EU geebnet hat. […] Geremek war ein zutiefst liberaler Mann, der die Kunst der geschmeidigen Lügen und den abrupten Frontwechsel der postkommunistischen Wendehälse stets verachtet hat. Ob Außenminister […], ob Vortragender oder Zuhörer ist der polnische Historiker, in welcher Funktion immer, ein offener, freundlicher Brückenbauer, ein liberaler Europäer geblieben. […] Zur Zeit des großen Ausverkaufs der europäischen Werte und des Aufstiegs stromlinienförmiger Opportunisten fallen die Masken der Politiker von Berlin bis Warschau, von Wien bis Budapest. Bronislaw Geremek trug nie eine Maske.“

Orden und Auszeichnungen (Auswahl)

Posthume Ehrungen

Am 14. Januar 2009 gab das Europäische Parlament bekannt, dass der Hauptinnenhof seines offiziellen Sitzungsgebäudes, das „Immeuble Louise Weiss“ in Straßburg, fortan den Namen „Bronisław-Geremek-Agora“ (Agora Bronisław Geremek) tragen würde.[9] Die Agora wurde am 21. April 2009 eingeweiht.[10]

Schriften (Auswahl)

  • Geschichte der Armut: Elend und Barmherzigkeit in Europa, Artemis-Verlag, München 1988, ISBN 3-7608-1917-6.
  • Inutiles au Monde. Vagabonds et marginaux en Europe aux XIVe-XVIe siècle, Paris 1980.
  • The Common Roots of Europe, Polity Press, Cambridge, 1996.

Literatur

  • Bronisław Geremek, in: Internationales Biographisches Archiv 43/2008 vom 21. Oktober 2008, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  • Vetter, Reinhold: Bronislaw Geremek. Der Stratege der polnischen Revolution, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-8305-3251-4.

Weblinks

Commons: Bronisław Geremek – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Eintrag auf der Internetseite der Academia Europaea
  2. Unfallort, -zeit und fotos (tvn24.pl)
  3. Pogrzeb Bronisława Geremka Wprost
  4. Kurznotiz
  5. Nachruf auf Bronislaw Geremek (Memento des Originals vom 3. August 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.europolitan.de
  6. Internationaler Karlspreis zu Aachen – Detail (Memento vom 26. November 2006 im Internet Archive)
  7. Unterzeichner der „Kampagne für die Einrichtung eines Parlaments bei den Vereinten Nationen“ (Memento des Originals vom 4. August 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/de.unpacampaign.org
  8. Paul Lendvai: Der Mann ohne Maske. In: Der Standard, 17. Juli 2008, S. 30.
  9. „La cour Geremek“, relatio-europe.eu, 14. Januar 2009 (Memento vom 26. Februar 2009 im Internet Archive)
  10. Address of the President of the European Parliament, Hans-Gert Pöttering Gazeta.pl