Germanischer Göttername in Nordeuropa

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Ein Germanischer Göttername in Nordeuropa zählt in der Namenforschung zur Gattung der germanischen Sakralnamen Skandinaviens und des Nordatlantiks und benennt namentlich eine Gottheit mit einem Eigennamen (Nomen proprium) oder mit einem Beinamen. In Ortsnamen und Personennamen der germanischen Sprachen kommt oftmals als Bestandteil ein nordeuropäischer germanischer Göttername vor. Solche Namen werden in der Namenkunde als theophore Namen[1] aufgefasst. Vor allem in skandinavischen und nordatlantischen Ortsnamen enthalten die Erstglieder Götternamen oder -bezeichnungen für Götter, Göttinnen oder andere transzendente Wesen.[2]

In der Anthroponymie zählen Namen für mythische Wesen – wie etwa Dämonen, personifizierte Tiere oder Gottheiten des nordeuropäischen germanischen Kulturraums – zu den Personennamen.[3]

Die germanischen theophoren Ortsnamen in Großbritannien enthalten zwar auch germanische Götternamen und gehören zu den nordeuropäischen Ortsnamen, sie werden jedoch nicht hier, sondern im Hauptartikel Germanischer Göttername in Großbritannien abgehandelt.[2]

Germanische Götternamen in skandinavischen und nordatlantischen Ortsnamen

Nach allgemeiner Auffassung in der Forschung kommen folgende Gottheiten (in altwestnordischer Form) als Erstglieder z. B. in den hier angeführten skandinavischen und nordatlantischen Ortsnamen vor:

  • Baldr: Baldursheimur (heimur ‚heim‘), Baldersberg, Balleshol (hol ‚Hügel‘), Bollesager (ager ‚Acker‘);
  • Freya: Frövi Froihov[4], Frölunda[5];
  • Freyr: Freysnes (nes ‚Landzunge‘), Frösåker, Frösvi, Frösö[6] (ö ‚Insel‘);
  • Njǫrðr: Narum (rum ‚offener Platz‘), Nälberga, Njärdevi, Narland;
  • Oðinn: Odense[7], Onsild[8], Odensharg, Odenssal;
  • Þórr: Þórsnes, Tórshavn (havn ‚Hafen‘), Torsager, Torshov, Torslunda;
  • Týr: Tiset (altdänisch with ‚Wald‘), Tislund, Tysnes;
  • Ullr: Ullvi, Ullunda, Ulleroy (oy ‚Insel‘), Ulland.[2]

Weitere Götternamen ließen sich mehr oder weniger erfolgreich aus den Ortsnamen selbst ableiten.[9] Für diese Ableitungen bekannter oder rekonstruierter Götternamen aus Ortsnamen gilt:

  • der vermutete Göttername steht im Ortsnamen als Genitiv,
  • der Göttername tritt als Erstglied zu Zweitgliedern mit bekannter sakraler Konnotation hinzu,
  • der Göttername tritt nicht isoliert auf, sondern findet sich in mehreren Ortsnamen.[2]

In einigen Fällen gelten diese Forderungen als erfüllt, etwa bei *Ullinn in *Ullensvang (vang ‚Feld‘), Ullershow (< *Ullinshof) und anderen Ortsnamen mehr in Norwegen[10] und wohl ebenso bei *Liudhgudha[11] in Ludgo, Luggavi und Luggude hårad[12] in Schweden.[13] Regional tritt *Harn(-)/*Ærn in Härnevi, Ärnevi in Uppland, Schweden, auf,[14] In anderen Fällen geht man zudem davon aus, dass ein Göttername nur in einem einzigen Ortsnamen repräsentiert war, etwa Forseti in Forsetiland in Ostfold, Norwegen, Hel in Helligsø in Dänemark[15] oder Rindr in Vriennevi in Ostergötland, Schweden.[16] Solchen Interpretationen ist allerdings mit Vorbehalt zu begegnen, da es in der Regel mehrere Wege zur Deutung des Namens gibt.[2]

Nahezu Konsens herrscht in der Forschung darüber, welche Götternamen in skandinavischen Ortsnamen auftreten. Kontroversen gab es jedoch wohl schon betreffs der Götternamen Freya und Frigg. Das Vorkommen von Freyas Namen in Ortsnamen etwa wurde in Frage gestellt.[17] In Friggeråker[18] in Västergötland wurde zwar der Name der Göttin Frigg nachgewiesen, jedoch auch hierzu entwickelte sich eine kontroverse Debatte.[2]

Ungeachtet der kontroversen Interpretationen lässt sich vor allem beobachten, dass die Zahl der in Ortsnamen vorkommenden Götternamen sehr begrenzt ist im Vergleich zu den zahlreichen Gottheiten und mythologischen Wesen, deren Namen die schriftlichen Quellen nennen. Die Ortsnamen zeigen zudem auf, dass die Beziehungen zwischen den Gottheiten teils andere waren, als die schriftlichen Quellen es angeben. Odins Stellung als Hauptgott etwa ist außerhalb von Dänemark nicht nachweisbar.[2]

In Schweden tritt oftmals Ull als ein wichtiger Gott hervor, nach der Anzahl sowie der zentralen Stellung der Ortsnamen jedoch steht Thor zweifelsfrei an erster Stelle.[19] Auch in Island gilt Thor als wichtigste Gottheit,[20] zudem ist er durch Tórshavn und Hósvík (< *Þórsvík; vik ‚Bucht‘) am deutlichsten in färöischen Ortsnamen vertreten.[21] Die Interpretationen zur Bedeutung der Gottheiten sind jedoch auch in Bezug auf eine chronische Dimension hin zu durchdenken. Entsprechende Forschungsdebatten gab es bereits, jedoch bedarf es auch der Überprüfung und neuer Untersuchungen.[2]

Siehe auch

Literatur

  • Thorsten Andersson: Haupttypen sakraler Ortsnamen Ostskandinaviens. In: Karl Hauck: Der historische Horizont der Götterbild-Amulette aus der Übergangsepoche von der Spätantike zum Frühmittelalter. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse 3. Folge 1992, S. 241–256.
  • Stefan Brink: Västsvenska namnmiljöanalyser. In: Ortnamn i språk och samhälle. Hyllningsskrift till Lars Hellberg. 1997, S. 61–84.
  • Klaus Düwel: Zur religionsgeschichtlichen Deutung der germanischen Götterbezeichnungen auf der Grundlage des nordgermanischen Wortschatzes. In: J. Weinstock (Hrsg.): The Nordic Languages and Modern Linguistics. Procedings of the Third International Conference of Nordic and General Linguistics. 1978, S. 332–345.
  • Lennart Elmevik: Fornnordiska gudagestalter och svenska ortnamn, Saga och sed. 1995, S. 11–19.
  • Lennart Elmevik: Svenska ortnamn med förleden „Frö-“. In: Ortnamn i språk och samhälle. Hyllningsskrift till Lars Hellberg. 1997, S. 107–115.
  • Kristian Hald: The cult of Odin in Danish place-names. In: Early english and Norse studies presented to H. Schmith. 1963, S. 99–109.
  • John Kousgård: Haupttypen sakraler Ortsnamen Südskandinaviens. In: Karl Hauck (Hrsg.): Der historische Horizont der Götterbild-Amulette aus der Übergangsepoche von der Spätantike zum Frühmittelalter. Göttingen 1992, S. 228–240.
  • Bernhard MaierGötternamen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 12, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1998, ISBN 3-11-016227-X, S. 295 f.
  • Magnus Olsen: Om Balder-digtning og Balder-Kultus. In: Arkiv för nordisk filogogi (ANF) 40. 1924, S. 148–175.
  • Magnus Olsen: Minner om guderne og deres dyrkelse i norske stedsnavn. In: Peder Andreas Munch (Hrsg.): Norrøne gude- og heltesagn. 3. Auflage, 1923, S. 210–244.
  • Magnus Olsen: Kultminne i stadnamn. 3. Norge. In: N. Lid (Hrsg.): Religionshistoria. Nordisk kulture 26. 1942, S. 59–78.
  • Per Vikstrand: Sacral place-names in Scandinavia. In: Onoma 37. 2002, S. 121–143.
  • Per Vikstrand: Sakrale Namen. §2a Theophore Namen. Götternamen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 26, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 3-11-017734 X, S. 168–170.
  • Elias Wessén: Forntida gudsdyrkan i Östergötland 1, Meddelanden från Östergötlands fornminnes- och museiförening. 1921, S. 85–147.

Anmerkungen

  1. Vgl. Thorsten AnderssonTheophore Namen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 30, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-018385-4, S. 442–452.
  2. a b c d e f g h Vgl. Per Vikstrand: Sakrale Namen. §2a Theophore Namen. Götternamen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 26, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 3-11-017734 X, S. 168–170.
  3. Vgl. Andrea Brendler, Silvio Brendler: Europäische Personennamensysteme. Ein Handbuch von Abasisch bis Zentralladinisch. Baar, Hamburg 2007, ISBN 978-3-935536-65-3
  4. Vgl. Thorsten AnderssonFroihov. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 10, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1998, ISBN 3-11-015102-2, S. 100 f. online
  5. Vgl. Ulf Erik Hagberg: Fröslunda. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 10, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1998, ISBN 3-11-015102-2, S. 101. online
  6. Vgl. Thorsten Andersson, Klaus DüwelFrösö. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 10, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1998, ISBN 3-11-015102-2, S. 101–103. online
  7. Vgl. Per Vikstrand: Sakrale Namen. §3h Die wichtigsten Zweitglieder. vi. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 26, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 3-11-017734 X, S. 168–170.
  8. Vgl. Per Vikstrand: Sakrale Namen. §3e Die wichtigsten Zweitglieder. hylla. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 26, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 3-11-017734 X, S. 168–170.
  9. Siehe z. B. Gunnar Knudsen: Pseudotheofore Stednavne. In: Namn och Bygd (NoB) 27. 1939, S. 112–115.
  10. Vgl. Botolv Helleland: Stadnamn og religionsskifter. Ei problematisering mod Utgangspunkt i ‚Ullensvang‘. In: Namn och Bygd (NoB) 90. 2002, S. 72 ff.
  11. vgl. Thorsten AnderssonLiothida. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 18, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, ISBN 3-11-016950-9, S. 496–498.
  12. zu hårad siehe Thorsten AnderssonHerred. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 14, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1999, ISBN 3-11-016423-X, S. 435–440.
  13. Vgl. Per Vikstrand: Gudarnas platser. Förkristna sakrala ortnamn i Mälarlandskapen. 2001, S. 310–315.
  14. Vgl. Lennart Elmevik: Härnevi och Friggeråker. In: Namn och Bygd (NoB) 83. 1995, S. 67 ff.; Per Vikstrand: Gudarnas platser. Förkristna sakrala ortnamn i Mälarlandskapen. 2001, S. 304 ff.
  15. John Kousgård: Haupttypen sakraler Ortsnamen Südskandinaviens. In: Karl Hauck (Hrsg.): Der historische Horizont der Götterbild-Amulette aus der Übergangsepoche von der Spätantike zum Frühmittelalter. Göttingen 1992, S. 236.
  16. Vgl. Carl Marstrander: Kleine irische Beiträge. In: Festskrift til Alf Torp. 1913, S. 239–252.
  17. Botolv Helleland: Stadnamn og religionsskifter. Ei problematisering mod Utgangspunkt i „Ullensvang“. In: Namn och Bygd (NoB) 90. 2002, S. 85.
  18. Siehe Mats Wahlberg (Hrsg.): Svenskt ortnamnlexikon. 2003, s. n. Friggeråker.
  19. Vgl. Per Vikstrand: Gudarnas platser. Förkristna sakrala ortnamn i Mälarlandskapen. 2001, S. 310–315, (hier S. 162 ff.)
  20. Svavar Sigmundsson: Átrúnaður og örnefni. In: Úlfar Bragason (Hrsg.): Snorrastefna. 1992, S. 241.
  21. Christian Matras: Færöerne. In: Magnus Olsen (Hrsg.): Ortnamn. Nordisk kultur 5. 1939, S. 58.