Gilgamesch (Clemencic)

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Operndaten
Titel: Gilgamesch
Gilgamesch1.jpg

Szenenbild

Form: Szenisches Oratorium
Originalsprache: Deutsch
Musik: René Clemencic
Libretto: Kristine Tornquist
Literarische Vorlage: Gilgamesch-Epos
Uraufführung: 22. Mai 2015
Ort der Uraufführung: Wien, sirene Operntheater, Expedithalle Wien
Spieldauer: ca. 1 ½ Stunden
Ort und Zeit der Handlung: Uruk, Mesopotamien, 13. Jahrhundert v. Chr.
Personen

Gilgamesch[1] ist das letzte Bühnenwerk des österreichischen Komponisten René Clemencic und der österreichischen Librettistin Kristine Tornquist aus dem Jahr 2015 in Zusammenarbeit mit dem sirene Operntheater Wien. Die Geschichte entstammt dem Gilgamesch-Epos, der ältesten schriftlich überlieferten Geschichte der Menschheit.

Handlung

Gilgamesch, der König von Uruk, riesenhaft und schön, zu einem Drittel ein Mensch, zu zwei Dritteln ein Gott, vernachlässigt seine herrschaftlichen Aufgaben, die Stadt leidet unter seiner Willkür.

Die Bürger von Uruk wenden sich an die Götter und flehen um Hilfe, woraufhin jene beschließen, ihn durch den Einfluss eines Gefährten zur Vernunft zu bringen.

Dieser Freund, Gefährte und Beschützer wird Enkidu, ein mit den Tieren lebender Mensch der Wildnis, der die Sprache der Tiere kennt und sich, wie sie, von Gras ernährt.

Schamchat, „die Üppige“, wird von den Göttern bestimmt, Enkidu in die Liebe und das kultivierte menschliche Leben einzuführen. Sieben Tage lieben sie einander, danach ist Enkidu der Wildnis entfremdet.

Enkidu erfährt von Gilgameschs Machtmissbrauch und ist empört. Es kommt zu einem Kampf zwischen den beiden körperlich ebenbürtigen Gegnern, der in ihrer Freundschaft einen glücklichen Ausgang findet.

Beide Freunde machen sich auf, Humbaba zu besiegen, den mächtigen Hüter des Zedernwaldes. Mit Hilfe von Enkidu und unter dem Schutz des Sonnengottes Schamasch gelingt es Gilgamesch, Humbaba zu besiegen. Ein Felsblock stürzt herab und teilt den Berg in zwei Gebirge, Libanon und Antilibanon.

Als Gilgamesch und Enkidu siegreich nach Uruk zurückkehren, erwartet sie dort Ischtar, die Gilgamesch als Mann begehrt. Ischtar ist die mächtige Stadtgöttin Uruks, Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, aber auch des Todes und des Krieges.

Der Held weist die Göttin zurück, die sich empört an ihren Vater Anu wendet und von ihm den Himmelsstier verlangt, der Gilgamesch vernichten soll. Aber auch diesen besiegen Gilgamesch und Enkidu, Gilgamesch beleidigt in seiner Hybris Ischtar weiter. Die Götter beschließen, ihm zur Strafe den geliebten Freund zu nehmen: Enkidu stirbt an einer rätselhaften Krankheit.

Der untröstliche Gilgamesch begibt sich auf der Suche nach der Unsterblichkeit bis an den östlichen Rand der Erde zum sagenhaften Zwillingsberg, der den Blick auf die Sonnenbahn freigibt.

Er sucht bei Utanapischti, dem babylonischen Vorbild des biblischen Noah und Überlebenden der vorzeitlichen Sintflut, und gewinnt zwar nicht den Freund zurück oder überwindet die Sterblichkeit, aber erlangt Erkenntnis über sein menschliches Dasein, mit dem Rat des Utanapischti: „Tue das, was eines Königs Pflicht ist.“ Am Ende seines Weges, am Ufer des unterirdischen Süßwasserozeans, verwandelt er sich und findet wieder in die Welt der Menschen.

Gilgamesch kehrt nach Uruk zurück und wird zu einem lange regierenden, klugen Herrscher. Er lässt die Stadtmauer Uruks erbauen und den Tempel der Göttin Ischtar.

Der Hintergrund

Die Geschichte des Königs von Uruk, Gilgamesch, und seines Freundes Enkidu ist einer der ältesten literarischen Texte der Menschheit.

Sie wurde im 13. Jahrhundert v. Chr. in Mesopotamien aufgezeichnet und überliefert Erzählungen, die zurück bis in das frühe dritte vorchristliche Jahrtausend nachzuweisen sind.

„Es sind kaum hundert Jahre her, dass der mesopotamische Gilgamesch entdeckt und in seiner Bedeutung erkannt wurde. Dieses Epos beginnt mit der Verwandlung des unter den Tieren der Wildnis lebenden Naturmenschen Enkidu in einen Stadt-und Kulturmenschen, ein Thema, das uns heute (…) erst recht angeht. Es mündet, da Enkidu seinem Freunde Gilgamesch wegstirbt, in eine ungeheure Konfrontation mit dem Tod. (…) Kein Werk der Literatur, buchstäblich keines hat mein Leben so entscheidend bestimmt wie dieses Epos, das viertausend Jahre alt ist und bis vor hundert Jahren niemand bekannt war.“ Elias Canetti (Der Beruf des Dichters, in: Das Gewissen der Worte, Fischer tb 1981, S. 284)

Canettis Eindrücke beruhten, als er 1976 diese enthusiastischen Worte schrieb, auf der Fassung des Epos, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts in England bekannt wurde.

Als das Gilgamesch-Epos 1872 in der Übersetzung von George Smith veröffentlicht wurde, war nur ein Teil der heute bekannten akkadischen und sumerischen Keilschrifttexte entschlüsselt, in denen die mythische Geschichte des altbabylonischen Königs Gilgamesch erzählt wurde.

Seit 2003 liegt eine umfangreiche textkritische Ausgabe des Epos durch Andrew R. George vor, die den neueren deutschsprachigen Ausgaben, wie jener des Assyriologen Stefan M. Maul, zugrunde liegt. Diese haben die Textgestalt entscheidend erweitert und ermöglichen nun eine neue Sicht auf das Epos.

Zum Ende des Epos wird wie zu seinem Beginn die Stadt Uruk selbst vermessen: „Eine (ganze) Quadratmeile ist Stadt, eine (ganze) Quadratmeile ist Aue, eine halbe Quadratmeile der Tempel der Ischtar. Drei Quadratmeilen und eine halbe, das ist Uruk, das sind die Maße.“ (Übers. Stefan M. Maul)

So schwingt im Epos die Geschichte der mesopotamischen Metropole Uruk mit, der Königstadt Gilgameschs, in der die Schrift entstand, als deutlichstes Zeichen einer hochkomplexen urbanen Organisation im vierten vorchristlichen Jahrtausend.

„Von einer Vorfreude auf Wiedervereinigung der Liebenden im Jenseits ist in dem ältesten Epos nicht die Rede. Doch wird die babylonische Kultur im Ganzen zum Resonanzraum für die Erzählung von heroischer Freundschaft, Verlustkatastrophe und Trauerfahrt.“ (P. Sloterdijk, Sphären, Suhrkamp 1999, S. 176)

Das Gilgamesch-Epos hat seit seiner Wiederentdeckung Künstler wie Canetti begeistert und inspiriert, Rilke sprach von einem „Epos der Todesfurcht“, beide lasen vermutlich die 1916 im Inselverlag erschienen deutsche Übersetzung. In den fünfziger Jahren schufen Bohuslav Martinu (The Epic of Gilgamesh, UA 1958) und Alfred Uhl (Gilgamesch, UA 1957) Oratorien, die auf dem Epos beruhten, und Willi Baumeister setzte sich in einem Bilderzyklus mit dem Gilgamesch auseinander.

Text und Musik

René Clemencic bei der Uraufführung der Oper Gilgamesch durch das sirene Operntheater 2015

Frühen sumerischen Aufzeichnungen zufolge wurden die Epen dem Herrscher vorgesungen, während er mit seinen Beratern und Freunden zu Tisch saß und Bier trank. René Clemencic setzte deshalb bei seiner Vertonung des Epos auf den Gesang. 16 Protagonisten besingen die Kämpfe und Leiden und die Reisen des Helden ans Ende der Welt, begleitet von einem sehr ungewöhnlich besetzten Kammerorchester von fünf Streichern, fünf Blechbläsern und sage und schreibe fünf Schlagwerkern. Als Spezialist auch für Alte Musik weiß Clemencic dabei genau, was die menschliche Stimme kann: erzählen.

Das Libretto von Kristine Tornquist verbindet eine texttreue Bearbeitung des immer noch nicht vollständig vorliegenden Epos in Ergänzung durch andere sumerische bzw. akkadische Mythen und Texte. Und – als einzigen Eingriff in das sonst original belassene Material – den abstrakten Begriff der Zeit, den die mesopotamischen Völker nicht kannten. „Zeit“ ist der Refrain der Götter, „Zeit“ ist das Begehren Gilgameschs.

René Clemencic, vor allem bekannt als Pionier der Alten Musik, hat in seinen eigenen Bühnenkompositionen und Oratorien oft auf antike Stoffe – zum Teil auch in Originalsprachen wie Hebräisch oder Altgriechisch – zurückgegriffen und eine eigene musikalische Sprache dafür entwickelt, die der Unantastbarkeit und Wörtlichkeit der Texte viel Raum gibt und dennoch ganz eine eigene Tonsprache verfolgt.

„GILGAMESCH, das wahrscheinlich älteste Epos der Welt, ist für mich die ewige Geschichte des ICH. Des ICH, das im illusionären Zeitstrom zunächst seine maß- und schrankenlose Hybris auslebt, bis es durch die bestürzende Begegnung mit dem DU zu sich und zur Welt kommt. Der nun erlebbare TOD macht ZEIT als Begrenzung spürbar. Die daraus resultierende ANGST treibt hinein in die hoffnungslose Suche nach UNSTERBLICHKEIT. Die jetzt in Demut erkennbare Weltstruktur führt zu einem, in der Dauer begrenzten, im tätigen Wollen aber unbegrenzten LEBEN. Wie bei meinen anderen Kompositionen wollte ich auch bei der Vertonung des GILGAMESCH im Wesentlichen nichts wirklich Neues schaffen, sondern nur bereits irgendwie Vorhandenes hörbar machen. So ist in diesem Werk Melodisches weitgehend durch Tonbuchstaben des Textes, Rhythmisches durch Zahlensymbolik bestimmt. Auch das Instrumentarium ist zahlensymbolisch geprägt. Es gliedert sich in drei Fünfergruppen: 5 Streicher, 5 Bläser, 5 Schlagzeuger. Bei Plato ist Fünf die Zeugungszahl. Hervorbringen, Zeugen wird als Herausfünfen bezeichnet.“ René Clemencic

Werkgeschichte

Der Uraufführung[2] fand am 21. Mai 2015 in der Expedithalle der ehemaligen Ankerbrot-Fabrik in Wien statt. Das sirene Operntheater gab bis zum 29. Mai sechs Vorstellungen mit einem sehr aufwendigen Schattentheater vor ausverkauftem Haus.

Die musikalische Leitung übernahm François-Pierre Descamps, Regie führte die Autorin Kristine Tornquist.

Sängerinnen und Sänger

  • Nicholas Spanos (Gilgamesch)
  • Gernot Heinrich (Gale)
  • Lisa Rombach (Ischtar/Schamchat)
  • Ingrid Habermann (Aruru/Ninsun)
  • David Jagodich (Schamasch/Ea)
  • Apostol Milenkov (Enlil/Anu)
  • Romana Amerling (Sopran)
  • Susanne Kurz (Sopran)
  • Claudia Haber (Sopran)
  • Wilhelm Spuller (Tenor)
  • Bernd Lambauer (Tenor)
  • Johann Leutgeb (Bariton)
  • Clemens Kölbl (Bariton)

Leading Team

  • Kristine Tornquist (Regie)
  • François-Pierre Descamps (musikalische Leitung)
  • Jakob Scheid (Bühne)
  • Markus Kuscher (Kostüm)
  • Fabricio Ferrari, Manuela Hämmerle, Stamatia Kornaraki, Thomas Iffländer-Wittenberg (Schattenspiel)
  • Csilla Domjan (Maske)
  • Edgar Aichinger (Licht und Ton)
  • Isabelle Gustorff (Dramaturgie)
  • Jury Everhartz (Produktionsleitung)

Weblinks

Einzelnachweise