Godly Play
Godly Play (deutsche Weiterentwicklung: Gott im Spiel[1]) ist ein religionspädagogisches Konzept, das die existenziellen Erfahrungen und Fragen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auf spielerisch-kreative Weise in einen Bezug zu biblischen Geschichten und christlichen Traditionen bringt. Die Pädagogik von Godly Play/Gott im Spiel knüpft an wesentliche Einsichten Maria Montessoris und ihrer Schülerin Sofia Cavaletti an.
Die Entwicklung von Godly Play begann in den USA. Jerome Berryman, ein Pfarrer der Episkopalkirche und in der Montessori-Pädagogik ausgebildet, testete sein Konzept im Gemeindedienst und in Einrichtungen mit Kindern. Seit Anfang der 1990er Jahre kann dieses Konzept in Theorie und Praxis nachgelesen werden, seit 2006 erschienen deutsche Übersetzungen.[2]
Die Geschichten und ihre Genres
Jerome Berryman hat die Geschichten, die in einer Godly Play-Einheit dargeboten werden, in drei Hauptgattungen aufgeteilt: Glaubensgeschichten, Gleichnisse und liturgische Handlungen. In diesen drei Gattungen entfalten sich unterschiedliche „Sprachspiele“ der Gotteserzählung. Gott im Spiel differenziert dies an manchen Stellen, entwickelt eigene Geschichten und erweitert die Genres.[3]
Glaubensgeschichten erzählen von den Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben und von ihrer Beziehung zu Gott. Diese wird dargestellt als ein andauerndes Spiel von Suchen und Finden. Menschen suchen Gott, verlieren ihn und suchen neu.
Die Glaubensgeschichten aus dem Alten Testament handeln von der Geschichte des Volkes Gottes mit Gott. Sie erzählen, häufig vermittelt durch die Erfahrung bestimmter Personen, vor allem von der Nähe oder auch der wahrgenommenen Abwesenheit Gottes und wie die Gemeinschaft der Menschen des Volkes Gottes von der Beziehung zu Gott geprägt ist. Damit stehen die Themen Zusammengehörigkeit und Identität im Glauben im Zentrum dieser Geschichten aus dem Alten Testament. Laut des Konzeptes von "Gott im Spiel" soll das Miterleben der Gotteserfahrungen aus den Glaubensgeschichten Anknüpfungspunkte zur eigenen Identität liefern und für eine Ausweitung auf alle Menschen geeignet sein.
Folgende Untergattungen der Glaubensgeschichten werden laut des Konzeptes von Godly Play/Gott im Spiel unterschieden:
- Biographiegeschichten stellen einen einzelnen Menschen in den Mittelpunkt, zum Beispiel Mose.
- Menschheitsgeschichten thematisieren Grunderfahrungen des Menschseins wie Freiheit und Verantwortung, Schuld und Leid, zum Beispiel Hiob.
- Prophetengeschichten handeln von Menschen, deren Leben von einem besonderen Auftrag Gottes bestimmt ist.
Als Glaubensgeschichten des Neuen Testaments werden vor allem Geschichten von Jesus betrachtet, mit dem Ziel, Jesus auf dem Weg zu den Menschen und Menschen, die auf dem Weg zu Jesus und seiner Botschaft sind, vorzustellen. Sie werden als Identifikationsangebote gesehen und sollen die Zuhörenden einladen, ein Stück dieses Weges mitzugehen.
Gleichnisse erzählen von Gottes Wirklichkeit und nutzen dazu bekannte Sachverhalte und Erfahrungen aus dem Alltag der damaligen Zuhörer in einer, so das Konzept, "doppelbödigen" Weise, um einen kreativen Prozess des Verstehens anzuregen. Solche Gleichnisse sollen Vertrautes in Frage stellen und im Alltäglichen Gottes Wirklichkeit und auch neue Deutungen erkennen lassen, so das Konzept.
Gleichnisse werden bei Godly Play/Gott im Spiel in goldenen Schachteln aufbewahrt. Diese sollen symbolisieren, dass Gleichnisse wertvolle Geschenke seien, die sich dem Verstehen manchmal entzögen, aber immer wieder neu geöffnet werden könnten. Die verwendeten Materialien, die sich in den goldenen Schachteln befinden, sind – anders als bei den Glaubensgeschichten – nur zweidimensional. Die dritte Dimension, die die doppelbödigen Geschichten mit Leben erfülle, müss im Prozess erst noch gefunden werden, so das Konzept.
Als Liturgische Handlungen werden alle Geschichten zusammengefasst, die die kirchlichen Traditionen und das gottesdienstliche Handeln thematisieren sollen. Sie erzählen von Gottes Gegenwart, wie es sich in den Zeiten, Symbolen und Handlungen der christlichen Gemeinschaft ausdrücke und erfahren ließe, so das Konzept.
Jede Gattung hat spezifische Ergründungsfragen, mit denen die Vertiefung in die dargebotene Geschichte und die Suche nach eigenen existenziellen Anknüpfungspunkten angeleitet und gefördert werden soll.
Materialien
Abhängig von der erzählten Geschichte kommen bei Godly Play/Gott im Spiel verschiedene Materialien zum Einsatz. Mithilfe von Figuren und Gegenständen aus Holz sowie Steinen, Filz- und Stoffteilen spielen die Glaubensgeschichten des Alten Testaments hauptsächlich im sogenannten Wüstensack oder in der Wüstenkiste. Andere Geschichten, wie beispielsweise die Schöpfungsgeschichte, werden durch mit entsprechenden Szenen bemalte Holztafeln dargestellt. Für Glaubensgeschichten des Neuen Testaments empfiehlt das Konzept, mit denselben Materialien auf großen Filzstücken zu arbeiten. Gleichnisse sollen auf zweidimensionale Art dargestellt werden. Menschen, Tiere, Städte und einzelne Gegenstände werden größtenteils auf Holz aufgemalt und ausgesägt. Bei den liturgischen Handlungen sollen detailgetreue Miniaturgegenstände sowie ähnliche Materialien wie bei den Glaubensgeschichten verwendet werden.
Raum
Der Godly Play-Raum soll in seinem Aufbau der von Montessori entwickelten vorbereiteten Umgebung entsprechen.
Als abgeleitete Kriterien dafür werden genannt:
- Der Raum ist einladend, bis ins Detail durchdacht und liebevoll eingerichtet.
- Alles hat seinen besonderen Platz, wird als wertvoll erachtet und die grundsätzliche Ordnung wird nicht verändert.
- Alles, was in den Regalen steht, ist für die Kinderhand gemacht: ansprechend, qualitativ, robust, gepflegt, elementar, natürlich (Holz, Filz, Korb, Stoffe etc.).
- Die Materialien erziehen durch ihre Farbgebung und ihre Natürlichkeit zur Ruhe, Langsamkeit und zum respektvollen Umgang.
- Die Einrichtung des Raumes sollte den Kindern helfen, ohne grundsätzliche Hilfe der Erwachsenen selbst tätig zu werden.
- Alles ist zugänglich, vorbereitet, vollständig und einsatzbereit (gespitzte Stifte, gefüllte Wasserbehälter, bereit gestelltes Putzzeug, sortierte Blätter und Stifte, griffbereite Matten und Unterlagen).
- Der Raum sollte die Kinder dabei unterstützen, sich ohne Ablenkungen auf das zu konzentrieren, was sie tun möchten.
Weitere Besonderheiten des Raumes sind:
- Sichtbare Schwelle: Die Kinder werden von der Türperson an der Schwelle in den Raum begleitet. Die Kinder ziehen ihre Schuhe aus.
- Freie Mitte des Raumes: Es werden keine Tische oder Stühle benötigt. Die Kinder sitzen auf dem Boden.
- Regale mit den Geschichten: Der Kreis der Kinder in der Mitte des Raumes ist umgeben von offenen, niedrigen Regalen. Darin befinden sich Materialien zu den Geschichten. Sie sind nach den einzelnen Geschichtengenres (Fokusregal, Weihnachts- und Osterregal, Gleichnisse, Glaubensgeschichten des AT und NT) geordnet.
- Fokusregal: Das Fokusregal ist der zentrale Ort, vor dem Erzähler sitzt. Die drei Regalteile beinhalten die zentralen Geschichten (Taufe – Heilige Familie und Kirchenjahr – Guter Hirte und das Abendmahl).[4]
Zeit
An einer Godly Play-Stunde sind laut Konzept zwei Erwachsene beteiligt: Die Erzählperson und die Person an der Tür. Die Erzählperson leitet die Gruppenzeit und ist für die Darbietung der Geschichte verantwortlich. Die Person an der Tür nimmt die Kinder an der Schwelle in Empfang, unterstützt sie dabei, einen Platz zu finden und zur Ruhe zu kommen, und verabschiedet sie am Ende.[5]
Eine Godly Play-Stunde wird in vier Phasen gegliedert:
Eintreten und einen Kreis bilden
Die Erzählperson betritt als erste den Raum und setzt sich auf ihren Platz vor dem Fokus-Regal. Die Person an der Tür begrüßt jedes Kind an der Schwelle einzeln und stellt die Frage: „Bist du bereit?“. Danach lässt die Person das Kind in den Raum. Sobald jeder einen Platz im Kreis gefunden hat, soll ein lockerer Austausch miteinander ermöglicht werden.
Darbieten und antworten
Die Erzählperson soll den Kindern eine Geschichte mithilfe der Materialien erzählen. Das Konzept sieht vor, während des Erzählens den Blickkontakt mit den Kindern zu vermeiden und empfiehlt, nur sparsame Gestik zu nutzen. Die Geschichte soll in der Ergründungsphase enden, die meist mit den Worten „Ich frage mich …“ beginnt.[6] Vorformulierte oder selbst überlegte Fragen zu der Geschichte können gestellt und Überlegungen, Ansichten und Ideen sollen ausgetauscht werden.
Ausdrucksphase
In der Ausdrucksphase oder Kreativphase sieht das Konzept vor, dass sich alle individuell mit der Geschichte und den eigenen Gedanken dazu auseinandersetzen. Bereitgestellte Mal- und Bastelmaterialien oder die Materialien der Geschichten können genutzt werden, um kreativ zu werden.
Fest und Segen
Den Abschluss einer Godly Play-Stunde soll ein kleines symbolisches Fest darstellen, bei dem die Gemeinschaft erneut im Kreis zusammen kommt. Im lockeren Austausch und bei einer Kleinigkeit zu Essen und Trinken sollen die Beteiligten ins Gespräch kommen. Gemeinsames Aufräumen, ein gemeinsamer oder individueller Segen oder ein Gebet soll den Abschluss bilden, mit dem alle verabschiedet werden.[7]
Weblinks
- Literatur von und über Godly Play im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Godly Play deutsch e. V.
- Godly Play Foundation
- Godly Play UK
Einzelnachweise
- ↑ Ursula Ulrike Kaiser/Ulrike Lenz/Evamaria Simon/Martin Steinhäuser: Gott im Spiel: Godly Play weiterentwickelt. Handbuch für die Praxis. Calwer Verlag, Stuttgart in Kooperation mit Don Bosco Medien, München und Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018, ISBN 978-3-7668-4458-3.
- ↑ Martin Steinhäuser: Godly Play. Gott im Spiel. Handreichung zur Einführungsveranstaltung. Stuttgart 2019, S. 5.
- ↑ Kaiser et al.: Gott im Spiel. Handbuch für die Praxis, S. 57–67.
- ↑ Martin Steinhäuser: Godly Play. Gott im Spiel. Handreichung zur Einführungsveranstaltung. Stuttgart 2019, S. 11.
- ↑ Martin Steinhäuser: Godly Play. In: Birgit Brügge-Lauterjung u. a. (Hrsg.): Handbuch Kirche mit Kindern. Verlag Junge Gemeinde, Stuttgart 2005, S. 343.
- ↑ Martin Steinhäuser: Godly Play. In: Birgit Brügge-Lauterjung u. a. (Hrsg.): Handbuch Kirche mit Kindern. Verlag Junge Gemeinde, Stuttgart 2005, S. 340.
- ↑ Martin Steinhäuser: Godly Play. In: Birgit Brügge-Lauterjung u. a. (Hrsg.): Handbuch Kirche mit Kindern. Verlag Junge Gemeinde, Stuttgart 2005, S. 341f.