Die Graßmann-Algebra oder äußere Algebra eines Vektorraums
ist eine assoziative, schiefsymmetrisch-graduierte Algebra mit Einselement. Sie ist – je nach Definition – Unteralgebra oder eine Faktoralgebra einer antisymmetrisierten Tensoralgebra von
und wird durch
dargestellt. Die Multiplikation wird als äußeres Produkt, Keilprodukt, Dachprodukt oder Wedgeprodukt bezeichnet. Ein Spezialfall dieses Produkts ist mit dem Kreuzprodukt verwandt. Anwendung findet dieser Kalkül nicht nur in der elementaren linearen Algebra (zum Beispiel in der Theorie der Determinanten), sondern vor allem in der algebraischen Geometrie und der Differentialgeometrie als Algebra der Differentialformen. In dieser Form geht die Theorie der alternierenden Differentialformen auf Élie Cartan zurück, der damit die bestehenden Begriffe der Flächentheorie vereinheitlichte. Antikommutative Produkte von Vektoren wie auch abstrakte Vektorräume überhaupt wurden erstmals 1846 von Hermann Graßmann betrachtet.
Definition
Äußere Potenz
Es sei
ein Vektorraum über einem Körper
. Weiter sei

(mit den Konventionen
und
). Der Untervektorraum
sei erzeugt durch Elementartensoren, bei denen zwei Faktoren gleich sind:

Die
-te äußere Potenz ist dann definiert als der Quotientenraum
.
Äußere Algebra
Die direkte Summe

ist ein zweiseitiges, homogenes Ideal in der Tensoralgebra

Die äußere Algebra ist die Faktoralgebra

Als Vektorraum aufgefasst ist dies isomorph zu

Für
ist
.
Das Produkt in der äußeren Algebra wird traditionell als
geschrieben.
Analog kann man die äußere Algebra von Moduln über kommutativen Ringen definieren.
Alternierende Tensoren
Neben der oben angeführten Definition der äußeren Algebra gibt es noch weitere äquivalente Möglichkeiten die äußere Algebra zu definieren. Beispielsweise kann man die Elemente der äußeren Algebra als alternierende Tensoren auffassen. Im Folgenden sei die Charakteristik des Körpers
gleich 0.
Auf den homogenen Bestandteilen
operiert jeweils die symmetrische Gruppe
. Ein Tensor
heißt alternierend, wenn

für alle Permutationen
gilt (
ist das Signum der Permutation). Der Vektorraum der alternierenden Tensoren der Stufe
sei
.
Man kann jedem Tensor mit Hilfe der Antisymmetrisierungsabbildung (auch „Alternator“)
auf kanonische Weise einen alternierenden Tensor zuordnen. Sie ist definiert durch

Sie ist eine Projektion auf
. Dabei sorgt der Faktor
dafür, dass sie die Identitätsabbildung auf
ist, also alternierende Tensoren auf sich abbildet.
Mit dem Produkt

für
und bilinearer Fortsetzung entsteht insgesamt im Raum
der alternierenden Tensoren eine assoziative, antikommutativ-graduierte Algebra. Die kanonische Abbildung
ist ein Algebrenisomorphismus.
Eigenschaften
In diesem Abschnitt wird auf die wesentlichen Eigenschaften der äußeren Algebra wie ihre Graduierung und die universelle Eigenschaft und auf ihr Produkt eingegangen. Vorausgesetzt wird dafür immer, dass
ein
-dimensionaler Vektorraum ist.
Äußeres Produkt
Das Produkt
der äußeren Algebra ist assoziativ. Außerdem ist es kommutativ-graduiert, das heißt, es gilt

für
und
. Insbesondere ist
für alle
, aber im Allgemeinen ist
für
mit
gerade.
In der Terminologie der Supergeometrie verwendet man statt kommutativ-graduiert den äquivalenten Begriff superkommutativ und mit Hilfe des Superkommutators
lässt sich die Bedingung der Superkommutativität ausdrücken als
![{\displaystyle [a,b]=0}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/67fe10397a99e43e831508fe1293862ec0a9cca3)
für
und
.
Ist
eine
-Form und
eine
-Form, so lautet die explizite Formel für das äußere Produkt von
und
für beliebige endlichdimensionale Vektorräume (und für unendlichdimensionale Banachräume):
,
wobei
die symmetrische Gruppe der Ordnung
und
das Vorzeichen der Permutation
darstellen sollen.
Graduierung, Basis und Dimension
Die äußere Algebra

ist eine graduierte Algebra. Das heißt, sie kann als direkte Summe von Unteralgebren dargestellt werden. Für die äußere Algebra folgt dies direkt aus der Definition. Die äußeren Potenzen sind die entsprechenden Unteralgebren.
Sei nun
eine Basis des
-dimensionalen Vektorraums
. Dann ist

eine Basis von
. Die Dimension ist
. Insbesondere ist
, falls
.
Die Basis der äußeren Algebra erhält man dann durch Vereinigung der Basen aller Grade. Für die Dimension gilt dann

wobei
den Binomialkoeffizienten bezeichnet. Es folgt, dass sich jedes Element der Graßmann-Algebra darstellen lässt als

wobei die
Koeffizienten
das Element bezüglich einer Basis
charakterisieren und
mit
ist.
Als Beispiel kann man den Vektorraum
mit der kanonischen Basis wählen. Der 3. Grad der äußeren Algebra
wird aufgespannt durch:

Durch Abzählen sieht man, dass
ist.
Universelle Eigenschaft
Ist
ein Vektorraum (bzw. Modul) und
eine assoziative Algebra, so gibt es eine Bijektion zwischen
- den Homomorphismen von Vektorräumen (bzw. Moduln)
, so dass
für alle
gilt
und
- den Algebrenhomomorphismen
.
Skalarprodukt
Hat der Vektorraum
ein Skalarprodukt, so kann auch die äußere Algebra mit einem solchen ausgestattet werden. Dabei werden Unterräume verschiedenen Grades als orthogonal definiert. Innerhalb eines Unterraums genügt es, das Skalarprodukt auf reinen Produkten zu definieren. Seien
und
reine Produkte in
. Ihnen kann die Gramsche Matrix der Skalarprodukte zugeordnet werden. Dann kann das Skalarprodukt als Determinante der Gramschen Matrix definiert werden:

Ist
der
-dimensionale Spaltenvektorraum, so kann zu
die Matrix
definiert werden. Von dieser kann man die maximalen quadratischen Untermatrizen
betrachten. Dabei ist
ein Multiindex aus

und
besteht aus genau diesen Zeilen von
.
Es gilt folgende Identität nach dem Satz von Binet-Cauchy, im Falle
und
auch „Flächenpythagoras“ genannt:

Differentialformen
Das Hauptanwendungsgebiet der äußeren Algebra liegt in der Differentialgeometrie. Sei
eine
-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit. So wählt man den Kotangentialraum dieser Mannigfaltigkeit als zugrundeliegenden Vektorraum und bildet die äußere Algebra. Eine Differentialform ist ein Schnitt im Bündel dieser Vektorräume, also eine Abbildung, die jedem Punkt der Mannigfaltigkeit ein Element der äußeren Algebra über dem Kotangentialraum an diesem Punkt zuordnet. Diese Formen haben den großen Vorteil, dass man mit ihrer Hilfe kartenunabhängig auf einer Mannigfaltigkeit integrieren kann.
Hodge-Operator
Sei
(wie oben) ein Vektorraum und
die äußere Algebra von
. Weiterhin sei
orientiert und mit einem Skalarprodukt versehen. Der Hodge-Operator oder Hodge-Stern-Operator ist ein natürlicher Isomorphismus
. Der Hodge-Operator ordnet also jedem
auf eindeutige Weise ein
zu, das sog. „duale Element“ zu
. Ist
eine orientierte Basis von
, so ist
eindeutig durch die Formel

festgelegt. Zum Beispiel gilt, falls
zusätzlich eine Orthonormalbasis ist,
für
(wobei das leere Produkt, für
oder
, als 1 zu interpretieren ist). Der Hodge-Operator kann also als algebraische Verallgemeinerung des geometrischen Begriffs des orthogonalen Komplements von Unterräumen von
aufgefasst werden.
Beziehung zum Kreuzprodukt und Spatprodukt (Hodge-Dualität von Vektoren) und Begriffen der Physik
Sei
die kanonische Basis des
und
seien zwei Elemente aus der äußeren Algebra (bzw. äußeren Potenz) des reellen Vektorraumes. Mit
wird der Hodge-Operator bezüglich des Standard- (euklidischen) Skalarprodukts und der Standardorientierung bezeichnet. Für das äußere Produkt von
und
gilt mithilfe des Distributivgesetzes
![{\displaystyle {\begin{array}{rl}*(\alpha \wedge \beta )=&*((a_{1}\mathbf {e} _{1}+a_{2}\mathbf {e} _{2}+a_{3}\mathbf {e} _{3})\wedge (b_{1}\mathbf {e} _{1}+b_{2}\mathbf {e} _{2}+b_{3}\mathbf {e} _{3}))\\[0.5em]=&*((a_{2}\mathbf {e} _{2}\wedge b_{1}\mathbf {e} _{1})+(a_{3}\mathbf {e} _{3}\wedge b_{1}\mathbf {e} _{1})+(a_{1}\mathbf {e} _{1}\wedge b_{2}\mathbf {e} _{2})\\&+(a_{3}\mathbf {e} _{3}\wedge b_{2}\mathbf {e} _{2})+(a_{1}\mathbf {e} _{1}\wedge b_{3}\mathbf {e} _{3})+(a_{2}\mathbf {e} _{2}\wedge b_{3}\mathbf {e} _{3}))\\[0.5em]=&*((a_{1}b_{2}-a_{2}b_{1})(\mathbf {e} _{1}\wedge \mathbf {e} _{2})+(a_{2}b_{3}-a_{3}b_{2})(\mathbf {e} _{2}\wedge \mathbf {e} _{3})+(a_{3}b_{1}-a_{1}b_{3})(\mathbf {e} _{3}\wedge \mathbf {e} _{1}))\,.\end{array}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/95a62e54b51ea8c4c7cb506a71bd7f71e2bbee9d)
Der Hodge-Operator ordnet im dreidimensionalen Raum dem Produkt der Basisvektoren
den Vektor
zu. Durch zyklisches Vertauschen der Indizes ergeben sich die Zuordnungen der anderen Basisvektoren. Damit ergibt sich das Kreuzprodukt im dreidimensionalen reellen Raum. Also kann man
auf der äußeren Algebra als Verallgemeinerung des Kreuzproduktes verstehen. Mit Hilfe dieser Verallgemeinerung lässt sich ebenfalls der aus der Vektoranalysis bekannte Differentialoperator Rotation
auf den
-dimensionalen Fall verallgemeinern.
Das Spatprodukt dreier
Vektoren im
lässt sich entsprechend als Element
der dritten äußeren Potenz auffassen. Man beachte, dass der Hodge-Stern-Operator nur bezüglich eines Skalarprodukts und einer Orientierung definiert ist. Das äußere Produkt dagegen lässt sich unabhängig von einer solchen Wahl definieren.
Der klassischen Physik entstammende Größen, die in der Physik Pseudovektoren genannt werden, wie zum Beispiel eine magnetische Feldstärke oder ein Drehimpuls, lassen sich als Elemente von
auffassen. Mit einem Pseudoskalar ist in vielen Fällen eine Größe gemeint, die sich als Element von
verstehen lässt.
Beziehung zur Determinanten-Theorie; Ausdehnungsmaß von m-Vektoren
Noch einfacher ist der mit dem Hodge-Operator einhergehende Begriff der Dualität bei Skalaren: Diese sind dual zur Determinante einer
-Matrix. [1] Im Einzelnen:
Es sollen die gleichen Voraussetzungen wie im vorigen Abschnitt gelten; nur sei jetzt
zugelassen, und es sei
Wenn nunmehr, für
ein
-Bein der Form
gegeben ist (also eine Summe von
elementaren
-Beinen[2]), dann ergibt wie oben das antisymmetrisierte [3] Produkt
, bis auf ein alternierendes Vorzeichen, das von der jeweiligen Orientierung abhängt („Rechtshändigkeit“ versus „Linkshändigkeit“), das Hyperflächenmaß des
-Beins dual zur jeweiligen „Basisrichtung“, also dessen
-dimensionales „Volumen“ im
bzw.
Zugleich stellt dieser Ausdruck eine Unterdeterminante einer Matrix mit
Spalten und
Zeilen dar. Man erhält so auf elementare Weise, nämlich wegen der Multilinearität und Multi-Assoziativität des angegebenen Ausdrucks, die bekannten Determinanten-Entwicklungsätze. Insbesondere ist das so erzeugte Volumenmaß (=Grundflächenmaß mal Höhe) des jeweiligen Parallel-Epipeds invariant gegen Verschiebungen parallel zur Grundfläche[4], weil Determinanten von linear abhängigen Vektoren verschwinden.[5]
Beziehung zur Clifford-Algebra
Sei
eine symmetrische Bilinearform auf
.
Nun sei die zweistellige, bilineare Verknüpfung

definiert durch

für
. Die Hüte über den Faktoren bedeuten hier deren Auslassung im Produkt. Durch Einführen dieser neuen Verknüpfung als Multiplikation erhält man die Clifford-Algebra
. Insbesondere erhält man mit der Nullbilinearform wieder die Graßmann-Algebra:
, da der Zusatzterm in der obigen Gleichung wegfällt und somit
gilt.
Für einfache
meint obige Definition die elementare Beziehung
,
wonach das "geometrische"[6] Produkt
zweier Vektoren in einen antisymmetrischen Keilprodukt- und einen symmetrischen Skalarproduktanteil
zerlegt werden kann. Die Summe ist hier in der Graßmannalgebra definiert, wobei das Vorzeichen eine Frage der Konvention ist.
Siehe auch
Fußnoten
- ↑ In der Physik wird in diesem Zusammenhang von pseudoskalaren Größen gesprochen.
- ↑
und
ergeben also duale
-Beine.
- ↑ In der Antisymmetrisierung der angegebenen Produkte liegt keine Beschränkung der Allgemeinheit, weil Zusatzterme sich automatisch zu Null aufsummieren würden.
- ↑ Das sind sog. „Scherungen“, z. B. Transformationen
mit
- ↑ Präzise gilt für das Ausdehnungsmaß des
-Beins
:
. Das ist erneut ein „verallgemeinerter Satz von Pythagoras.“
- ↑ D. Hestenes: A Unified Language for Mathematics and Physics. In: J.S.R. Chisholm/A.K. Common (eds.): Clifford Algebras and their Applications in Mathematical Physics (Reidel: Dordrecht/Boston, 1986), p. 1–23.
Literatur
- Hans-Joachim Kowalsky, Gerhard O. Michler: Lineare Algebra. De Gruyter, Berlin 2003, ISBN 978-3-11-017963-7.
- Ralph Abraham, Jerrold E. Marsden, Tudor S. Rațiu: Manifolds, tensor analysis, and applications. Addison-Wesley, Reading MA 1983, ISBN 0-201-10168-8.
- Herbert Federer: Geometric measure theory. 1. Auflage. Springer, Berlin 1996, ISBN 3-540-60656-4 (englisch).
- I. R. Shafarevich, A. O. Remizov: Linear Algebra and Geometry. Springer, 2012, ISBN 978-3-642-30993-9.
Weblinks