Gruppenzwang

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Gruppenzwang (auch Konformitäts- oder Gruppendruck, engl. unter anderem Peer pressure) gilt als Auslöser für die Anpassung des Verhaltens oder der Einstellung von Personen innerhalb einer Gruppe. Eine solche Anpassung an Gruppennormen zeigt sich vor allem dort, wo mehrheitskonformes Verhalten als Bedingung der Zugehörigkeit gilt und die Gruppe begrenzt ist. Die Wirksamkeit eines Konformitätsdruckes zeigt sich auch in der Anpassung an eine herrschende Sozialmoral und an die öffentliche Meinung. Als Schweigespirale wird eine dynamische Entwicklung bezeichnet, die durch eine Schweigetendenz bei einer von der vermeintlichen Mehrheitsmeinung abweichenden individuellen Auffassung bzw. eine Rede- und Zeigebereitschaft bei Übereinstimmung verursacht wird.

Begriffliche Einordnung und Hintergrund

Der Begriff setzt sich aus den beiden Wörtern Gruppe und Zwang zusammen. Für den Menschen als soziales Wesen ist die Aufnahme von Beziehungen zu anderen Menschen ein angeborenes Grundbedürfnis.[1] Interaktionen zwischen Personen in sozial vergleichbarer Lage sind oftmals geprägt von einer Demonstration der Zugehörigkeit.[2] Mit der Gruppenzugehörigkeit einher geht eine Abgrenzung von Nicht-Gruppenmitgliedern. Zudem wirken Gruppen identitätsstiftend.[3]

Einzelne werden zum einen durch den Wunsch nach Anerkennung zur Anpassung ihres Denkens und Handelns an die Anderen veranlasst.[4] Zum anderen bewirkt ein drohender bzw. befürchteter Ausschluss aus der Gruppe eine Anpassung des Verhaltens innerhalb der Gruppe.[5] Mit einem stärker werdenden Wir-Gefühl wächst parallel der Druck, die Gruppennormen einzuhalten, gemeinsame Ziele und Wertvorstellungen zu entwickeln und zu verfolgen.[6] Diesem normativen sozialen Einfluss steht ein informativer sozialer Einfluss gegenüber, bei dem andere Gruppenmitglieder in uneindeutigen Situationen als Informationsquelle herangezogen werden. Durch Anpassung soll die Unsicherheit darüber, wie man sich angemessen verhält, verringert werden.

Einflussfaktoren

Unterschiedliche Faktoren können die Anpassung des Verhaltens an die Gruppennorm beeinflussen. So erhöhen ein starkes Solidaritätsgefühl, die Zugehörigkeit zu einer Randgruppe sowie hierarchische Strukturen und eine hohe Meinungsübereinstimmung innerhalb der Gruppe den Konformitätsdruck.

Zu den persönlichen Faktoren zählen ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung und Gewissheit, sowie ein geringes Selbstwertgefühl als Verstärker des Konformitätsdrucks. Viele Menschen fühlen sich unwohl oder unsicher, wenn sie abweichende Meinungen vertreten. Sie befürchten, damit bei anderen Gruppenmitgliedern Antipathie und Abneigung hervorzurufen.[7] Die Gruppenerwartung beeinflusst auf diese Weise das Verhalten ihrer Mitglieder. Wenn sich Gruppenmitglieder nicht konform verhalten, laufen sie Gefahr als Abweichler ausgegrenzt werden.

Je mehr dieser Faktoren zutreffen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Anpassung der Einzelnen an die Gruppennorm.[8]

Experimentelle Untersuchungen

Bekannte Personen, die den Konformitätsdruck erforschten, sind Muzafer Sherif (1935), William Foote Whyte (1943) und Solomon Asch (1951).

Muzafer Sherif nutzte 1935 den autokinetischen Effekt, eine optische Täuschung, bei der ein feststehender Lichtpunkt in einem vollkommen abgedunkelten Raum als bewegt wahrgenommen wird, zur Untersuchung des Gruppeneinflusses. Während die Probanden in aufeinanderfolgenden Allein-Durchgängen zu stark voneinander abweichenden Ergebnissen bei der Einschätzung des Bewegungsumfangs kamen, glichen sich die Urteile im Gruppenkontext nach wenigen Durchgängen einander an. Diese Übereinstimmung blieb auch in den darauf folgenden Einzel-Beobachtungen erhalten.

Solomon Asch führte 1951 ein erstes Konformitätsexperiment durch, mit dem er zeigte, dass der Konformitätsdruck in einer Gruppe eine Person dahingehend beeinflussen kann, dass sie eine offensichtlich falsche Aussage als richtig bewertet.[9] Das Originalexperiment wurde später in einer Vielzahl von Varianten repliziert, die darauf hinwiesen, dass sich der Konformitätsdruck mit zunehmender Größe der Gruppe verstärkt und sich die Konformitätsrate asymptotisch einer Geraden annähert.

Im Oktober 2011 veröffentlichten Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen eine Studie, die sie an 96 Vierjährigen gemacht hatten. Ergebnis: diese Kinder unterstützen mitunter öffentlich selbst dann eine Mehrheitsmeinung, wenn sie sie eigentlich für falsch halten. Die Forscher vermuten grundlegende soziale Erwägungen, etwa den Wunsch, von der Gruppe akzeptiert zu werden.[10]

Siehe auch

Literatur

  • E. Aronson, T. D. Wilson, R. M. Akert: Sozialpsychologie. 6. Auflage. Pearson Studium, 2008, ISBN 978-3-8273-7359-5.
  • Eddy von Avermaet: Sozialer Einfluss in Kleingruppen. In: Wolfgang Stroebe, Miles Hewstone, Geoffrey M. Stephenson (Hrsg.): Sozialpsychologie. Springer-Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-540-61268-8, S. 503–543.
  • S. Brehm, S. Kassin, S. Fein: Social Psychology. 6. Auflage. Houghton Mifflin, Boston 2004, ISBN 0-618-40337-X.
  • M. Sader: Psychologie der Gruppe. Juventa Verlag, Weinheim/ München 1994, ISBN 3-7799-0315-6.
  • Elliot Aronson, Timothy Wilson, Robin Akert, Sozialpsychologie, 8. Auflage, 2014, Pearson-Verlag, ISBN 978-3-86894-217-0
  • Heinz Abels, Soziale Interaktion, 1. Auflage, 2020, Springer-Verlag, ISBN 978-3-658-26428-4
  • Wolfgang Rechtien, Gruppendynamik, in: Elisabeth Auhagen, Hans-Werner Bierhoff (Hrsg.), Angewandte Sozialpsychologie, 1. Auflage, 2003, Beltz-Verlag, ISBN 3-621-27522-3

Weblinks

  • Studie im New Scientist: Ratten sind auch nur Schafe über Gruppenzwang bei Ratten.
  • Stefan Klein: Wie entsteht Ideologie? In: Zeit-Magazin. 23. Mai 2018, abgerufen am 15. Juni 2018 (mit Überlegungen zur Frage, welche Vorteile homo sapiens durch den sozialen Anpassungsdruck hat).

Einzelnachweise

  1. Elliot Aronson, Timothy Wilson, Robin Akert, Sozialpsychologie, S. 311
  2. Heinz Abels, Soziale Interaktion, S. 150f.
  3. Elliot Aronson, Timothy Wilson, Robin Akert, Sozialpsychologie, S. 311
  4. Heinz Abels, Soziale Interaktion, S. 151
  5. Elliot Aronson, Timothy Wilson, Robin Akert, Sozialpsychologie, S. 312
  6. Wolfgang Rechtien, Gruppendynamik, S. 110
  7. Elliot Aronson, Timothy Wilson, Robin Akert, Sozialpsychologie, S. 3268
  8. Thomas Wimmer: Rauchen, ein ganz normales Konsumverhalten? Springer VS, 2013, ISBN 978-3-658-00337-1, S. 56 (google.de).
  9. Stefan Klein: Wie entsteht Ideologie? In: Zeit-Magazin. 23. Mai 2018, abgerufen am 27. September 2022.
  10. mpg.de 25. Oktober 2011: Gruppenzwang schon im Vorschulalter spiegel.de Oktober 2011: Kleine Opportunisten