Hörfunk in Frankreich

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Der Hörfunk in Frankreich zeichnet sich durch ein duales System aus. Dem öffentlich-rechtlichen Radio France steht eine Vielzahl kommerzieller Anbieter gegenüber. Sowohl Radio France als auch die Kommerziellen bieten überregionale und regionale bzw. lokale Dienste an.

Allgemeines

Die Hörfunkrezeption in Frankreich und damit auch Einschaltquotenstruktur nach Formaten ist mit der Situation in Deutschland nicht vergleichbar. In Frankreich hat zunächst das Wort einen höheren Anteil an der Hörfunknachfrage als in Deutschland, entsprechend die Musik einen geringeren. Des Weiteren ist die Hörfunknachfrage insgesamt, also Wort- und Musikprogramme kombiniert, höher als in Deutschland.

Dementsprechend sind die sogenannten radios généralistes, die landesweit senden, die meistgehörten Sender. Darunter befinden sich mit RTL, RMC und Europe 1 sowohl kommerzielle als auch mit France Inter und France Info öffentlich-rechtliche Anbieter. Diese Sender können alle auf Langwelle landesweit auf derselben Frequenz gehört werden, mit Ausnahme von France Info, das auf verschiedenen Mittelwellenfrequenzen sendet. Alle verfügen darüber hinaus über ein weitgehend flächendeckendes UKW-Netz, mit Ausnahme von RMC, das in den nördlichen Regionen nicht auf UKW sendet (in Paris aber durchaus).

Die kommerziellen généralistes haben ihren Ursprung in einer Zeit, als die Veranstaltung kommerziellen Hörfunks in Frankreich noch nicht genehmigungsfähig war; die Langwellen-Sendeanlagen befanden sich stets im Ausland, der von RMC in Monaco, der von RTL in Luxemburg und der von Europe 1 in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Ausweichverhalten ist ursächlich dafür, dass der Langwellenempfang in Frankreich nach wie vor eine große Popularität genießt, was sich zum Beispiel in der Tatsache niederschlägt, dass französische Automobile in der Regel so konstruiert sind, dass alle Funktionseinheiten langwellenentstört sind.

Die radios généralistes sind mit dem deutschen Begriff „Vollprogramm“ nur unzureichend beschrieben, weil ihr Programmschema stark von dem abweicht, was im deutschsprachigen Raum üblich ist. Ein Großteil des Programms besteht aus Talk-Sendungen beziehungsweise Sendungen mit Hörerbeteiligung (Call-In-Sendungen). Nachrichten, Hintergrundsendungen, Interviews, Comedy- und Spielshows nehmen ebenfalls breiten Raum ein. Auffällig sind die Einschaltquoten: Obwohl ihr Programm für deutsche Hörgewohnheiten eher „dröge“ wirkt (wortlastig, mit langatmigen O-Tönen, früher in Telefonqualität) sind die radios généralistes populärer als die Musik-Sender. Vergleichbare Sender, die ebenfalls sehr erfolgreich sind, gibt es dagegen in Spanien und den USA. Das radio généraliste des öffentlich-rechtlichen Senderverbundes Radio France ist das seit 1963 ausgestrahlte France Inter. Daneben entstanden nach 1945 eine Reihe weiterer radios généralistes.

Bis 1981 waren in Frankreich keine Privatsender zugelassen, der Staat hatte das Sendemonopol. Privatradios strahlten allerdings ihre Programme vom grenznahen Ausland auf Langwelle aus und erreichten damit sehr viele Hörer in Frankreich. Bis heute werden diese Programme auf Langwelle gesendet, inzwischen sind sie aber auch flächendeckend in ganz Frankreich auf UKW zu hören – noch immer sind sie aber die populärsten Radios. Geblieben ist aus jener Zeit, als sie aus der Peripherie nach Frankreich hinein sendeten, der Begriff radios périphériques. Die Studios der meisten dieser Sender befanden sich übrigens von Anfang an in Paris.

Im Jahr 1994 wurde in Frankreich eine allgemeine Quote für den Anteil der französischen Musikproduktionen an der tagsüber zwischen 6.30 Uhr und 22.30 Uhr insgesamt gesendeten Musik eingeführt. Seitdem müssen mindestens 60 % der Sendezeit mit Produktionen europäischer Künstler bestritten werden, außerdem 40 % der Sendezeit mit Produktionen von französischen Künstlern. Die Regel gilt nicht für Sender, die klassische Musik oder Programme für die in Frankreich lebenden ethnischen Minderheiten bringen. Die Förderung der französischen Interpreten ist Teil einer Politik, die unter dem Schlagwort der l’exception culturelle française auch auf das Fernsehen und auf das Kino erstreckt wurde (le décret TASCA vom 17. Januar 1990).

Öffentlich-rechtliche Sender

Die öffentlich-rechtliche Anstalt Radio France strahlt sieben Programme aus. Das Klassikprogramm France Vivace wurde Ende August 2010 eingestellt. Die Einschaltquoten beziehen sich auf die Daten von "Médiametrie" für das erste Halbjahr von 2015. Die Angaben entsprechen dem weitesten Hörerkreis ("mindestens einmal tagsüber gehört")

Name des Senders Genre Marktanteil
France Inter aktuelle Berichterstattungen, Reportagen, Talk 10,6
France Info Nachrichten (Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Wetter, Umwelt, Gesundheit) 8,1
France Bleu Regionale Themen, Oldies 7,5
France Culture Kultur, Wissenschaft, Gesellschaft 2,3
France Musique Klassische Musik -
FIP Jazz, Pop, Chanson, Weltmusik, Klassik -
MOUV´ aktuelle Chartmusik, Rap 1,0

Privatsender

„Radios périphériques“

(Einschaltquote im ersten Halbjahr 2015):

Name des Senders Marktanteil (in %)
RTL 12,1
Europe 1 9,2
RMC 7,8

Musiksender

Die Senderketten strahlen ihre Programme landesweit über UKW aus: Die Sender für die junge Zielgruppe (14 bis 29 Jahre) haben dabei einen größeren Höreranteil als die der älteren Zielgruppe (30 +). Vor allem Sender wie NRJ und Fun Radio genießen beim jungen Publikum große Bekanntheit, da sie im ganzen Land auch Events und Konzerte veranstalten.

Name des Senders Genre Marktanteil (in %)
NRJ aktuelle Chartmusik 11,8
Fun Radio Dance, RnB 6,7
Skyrock Rap, RnB 6,6
Virgin Radio Pop, Rock, Elektro 4,5
Nostalgie französische/internationale Chansons 5,5
RFM größte Hits aus 70ern, 80ern, 90ern, 200ern 4,6
Chèrie FM größte Hits aus 70ern, 80ern, 90ern, 2000ern 4,5
RTL2 Mix aus Pop und Rock 4,3
MFM Radio ausschließlich französischsprachige Musik
Rire & Chansons Sketche und Chansons -

Geschichte

Standorte der Sender (1939;[1] öffentliche in Blau, private in Rot)

Am 24. Dezember 1921 begann der Eiffelturm-Sender mit täglichen Programmen für die Allgemeinheit, nachdem er seit 1910 militärisch genutzt worden war. Ein knappes Jahr später, am 6. November 1922, startete der Regelbetrieb des Privatsenders „Radiola“, der der Absatzförderung des gleichnamigen Empfangsgeräts dienen sollte. So entstand in Frankreich von Anfang an ein duales Rundfunksystem. Dessen öffentliche Seite wurde von der Post-, Telegrafen- und Telefonverwaltung PTT getragen. Auf privater Seite kontrollierte der Eigentümer von Radio Toulouse, Jacques Trémoulet, mit der Zeit immer mehr Sender. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt 1945 Radiodiffusion française (RDF; ab 1964 ORTF; ab 1975 Radio France) für fast 40 Jahre ein Monopol auf Rundfunksendungen, was die Entwicklung privater französischsprachiger „Peripherie-Radios“ in Luxemburg, Andorra, Monaco, dem Saarland und Spanien begünstigte.

Tabelle von Vorkriegssendern

Ort Programm Zeitraum Träger Senderstandort
Paris Poste de la Tour Eiffel 1921– öffentlich Paris (Eiffelturm)
Paris Paris PTT 1923– öffentlich Villebon (1935)
Lyon Lyon La Doua 1925– öffentlich Tramoyes (1935)
Toulouse Toulouse Pyrénées 1925– öffentlich Muret (1936)
Marseille Marseille Provence 1925– öffentlich Realtor (1937)
Bordeaux Bordeaux Lafayette 1926– öffentlich Carreire (1931); Néac (1940)
Grenoble Alpes-Grenoble 1927–1939 öffentlich Grenoble
Limoges Limoges PTT 1927– öffentlich Limoges
Rennes Rennes PTT 1927– öffentlich Thourie (1936)
Lille PTT Nord 1927–1939 öffentlich Camphin (1935)
Montpellier Montpellier Languedoc 1929– öffentlich Montpellier (Hôtel des Postes)
Strasbourg Strasbourg PTT 1930–1940 öffentlich Brumath
Paris Paris Mondial 1931– öffentlich Pontoise (1931); Rambouillet (1936); Allouis (1939)
Paris Radio-Paris 1933– öffentlich Saint-Rémy (1931); Allouis (1939)
Nice Nice PTT 1936– öffentlich Antibes (1936)
Paris Radiola/Radio-Paris (1924) 1922–1933 privat (CSF-SFR) Levallois; Clichy (1924); Saint-Rémy (1931)
Caen Normandie/Caen 1923–1930 privat Caen
Paris Poste Parisien 1924–1940 privat (Dupuy) Les Molières (1932)
Lyon Lyon 1924– privat (Laval) Dardilly (1935)
Agen Agen 1924– privat (Trémoulet 1933) Domaine de Monbran (1932)
Bordeaux Bordeaux Sud-Ouest 1924–1940 privat (Trémoulet 1930) Château Birman, Cenon (1935)
Montpellier Montpellier 1925– privat (Trémoulet 1935/39) Montpellier
Toulouse Toulouse 1925– privat (Trémoulet) Château de Saint Agnan (1933)
Strasbourg Strasbourg 1925–1932 privat (Amateurclub) Strasbourg
Mont-de-Marsan Mont-de-Marsan 1925–1925 privat (Amateurclub) Mont-de-Marsan
Paris Radio LL 1926–1935 privat (Lévy) Paris (rue de Javel)
Paris Radio Vitus 1926–1934 privat (Vitus) Paris (rue Damrémont)
Béziers Béziers/Midi 1926–1936 privat (Bonnefous) Béziers
Fécamp Normandie 1926–1939 privat (Legrand) Louvetot (1938)
Angers Angers/Anjou 1926–1927 privat Angers
Biarritz Côte d'Argent 1926–1928 privat Biarritz
Limoges Limoges 1926–1927 privat Limoges
Juan-les-Pins Juan-les-Pins/Côte d'Azur/Méditerranée 1927– privat (Casino) Juan-les-Pins (Casino)
Nîmes Nîmes 1927– privat (Laval 1940) Vauvert (1938)
Peripherie: Luxemburg Luxembourg 1933– privat (CLR) Junglinster
Paris Poste de l'Ile-de-France 1934–1940 privat (Trémoulet) Romainville
Paris Radio-Cité 1935–1939 privat (Bleustein) Argenteuil (1937)
Paris Radio 37 1937–1940 privat (Prouvost) Rueil-Malmaison
Peripherie: Andorra Andorra 1939–1981 privat (Trémoulet) Encamp, Andorra
Peripherie: Monaco Monte Carlo 1943– privat (SOFIRA) Fontbonne, Monaco
Peripherie: Saarland Europe 1 1955– privat Felsberg, Saarland
Peripherie: Spanien Atlantic 1956–60 & 1968–75 privat (Trémoulet) San Sebastián, Spanien
Peripherie: Andorra Sud Radio 1958– privat Encamp, Andorra

Literatur

  • Christian Brochand: Histoire générale de la radio et de la télévision en France. Tome I. 1921–1944. La documentation Française. Paris. 1994. ISBN 2-11-002992-7
  • Christian Brochand: Histoire générale de la radio et de la télévision en France. Tome II. 1944–1974. La documentation Française. Paris. 1994. ISBN 2-11-003031-3
  • Christian Brochand: Histoire générale de la radio et de la télévision en France. Tome III. 1974–2000. La documentation Française. Paris. 2006. ISBN 2-11-005613-4
  • René Duval: Histoire de la radio an France. Bibliothèque des media. Éditions Alain Moreau. Paris. 1979. ISBN fehlt.
  • Hélène Eck: La guerre des ondes: Histoire des radios de langue française pendant la 2ème Guerre mondiale. Paris : Colin u. a., Editions complexe, 1985. ISBN 2-601-00475-4
  • Ursula E. Koch, Detlef Schröder, Pierre Albert, Rémy Rieffel (Herausgeber): Hörfunk in Deutschland und Frankreich. La Radio en France et en Allemagne. Un dialogue entre journalistes et chercheurs. Journalisten und Forscher im Gespräch. Zweisprachiger Band. Verlag Reinhard Fischer. München. 1996. ISBN 3-88927-169-3

Weblinks

Commons: Französischer Hörfunk – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise