Haferkrieg

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Reichsjägermeister Hermann Göring mit Oberforstmeister Walter Frevert und Ulrich Scherping bei der Begutachtung von Abwurfstangen
Präsentation weiterer Stangen, 1939

Als Haferkrieg bezeichnet die heutige Geschichtsschreibung eine Auseinandersetzung innerhalb des NS-Regimes im Winter 1942/43, bei der es um die Beschlagnahmung von eigentlich für die Ernährung von Kleinkindern benötigtem Hafer ging, der stattdessen für die Wildfütterung von Rothirschen in den auf Trophäenjagd ausrichteten Staatsjagdrevieren verwendet wurde. In diesem Streit zwischen den Behörden des NS-Staates konnten Reichsjägermeister Hermann Göring und Reichsführer SS Heinrich Himmler ihre Interessen gegen Adolf Hitler und Reichsleiter Martin Bormann durchsetzen.

Verlauf

Der jagdversessene Hermann Göring, der neben vielen weiteren auch den Titel des Reichsjägermeisters führte, war stets an starken Jagdtrophäen interessiert; Trophäenorientierung war ein Kennzeichen nationalsozialistischer Jagdausübung. In den von ihm geschaffenen Staatsjagdrevieren, die er regelmäßig bejagte, ließ Göring deshalb das Wild im Winter und Frühjahr mit Kraftnahrung füttern; vor allem mit Hafer, Kleie und Sesamkuchen. Auch als es im Zweiten Weltkrieg für die deutsche Bevölkerung vor allem in den Städten zu Versorgungsengpässen kam und Lebensmittelzuteilungen gekürzt werden mussten, wurden auf seine Anweisung Kartoffeln und Hafer an Wild verfüttert. Ebenso wurden große Mengen an Obst und Keksen der für Soldaten und Zivilisten gedachten “Kriegswinterhilfe” des Winterhilfswerk des Deutschen Volkes dazu zweckentfremdet.[1] In der Rominter Heide, einem bevorzugten Jagdgebiet Görings, wurde die Anordnung der Reichsführung, Getreide für die notleidende Bevölkerung anzubauen, durch den dortigen Oberforstmeister, Walter Frevert, unterlaufen, um Hafer für die dort bejagten Rothirsche zu produzieren. Verschiedene Ernährungsämter und die Leitung des Ostmark beschwerten sich darüber.[1] Auch beim Leiter der Partei-Kanzlei, Martin Bormann, gingen entsprechende Hinweise ein.[2]

Auf dem Höhepunkt des Russlandfeldzuges etwa zum Jahreswechsel 1942/43 wurde auf Befehl des Reichsjagdamtes für die Ernährung von Kleinkindern benötigter Hafer zur Wildtierfütterung in Staatsjagdrevieren beschlagnahmt.[3] Der zur Herstellung von Babynahrung vorgesehene Hafer sollte an Rotwild verfüttert werden.[4][5]

Neben der Reichskanzlei kritisierte auch Generalforstmeister Friedrich Alpers, Staatssekretär im Reichsforstamt, die Fütterung von Wild mit Grundnahrungsmitteln in Kriegszeiten als unverantwortlich. In der folgenden Auseinandersetzung wurde der verantwortliche Oberstjägermeister und SS-Brigadeführer, Ulrich Scherping, zunächst suspendiert.[6] Göring, der zunehmend das Interesse an Krieg und Politik verloren hatte und sich vorwiegend seinen Sammlungen und der Jagd widmete, konnte sich im Streit um die Verwendung des Hafers die Unterstützung Heinrich Himmlers sichern, der ihn im Herbst 1942 zur Jagd im Reichsjägerhof Rominten besucht hatte[7]. Die beiden setzten sich gegen die Reichskanzlei durch. Alpers nahm in Folge seinen Abschied und starb 1944 an der Front. Scherping kehrte auf seinen Posten zurück.[8]

Einzelnachweise

  1. a b Stefan Dirscherl, Tier- und Naturschutz im Nationalsozialismus: Gesetzgebung, Ideologie und Praxis, ISBN 978-3-8471-0029-4, V&R unipress, 2012, S. 143
  2. Hermann Kellenbenz, Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Hrsg.), Wirtschaftsentwicklung und Umweltbeeinflussung (14.-20. Jahrhundert): Berichte der 9. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (30.3-1.4.1981), ISBN 978-3-5150-3946-8, Franz Steiner Verlag, 1982, S. 119 (Snippet)
  3. Tobias Kaufmann, Der mediale Diskurs über die Jagd im Raum Garmisch-Partenkirchen: Eine qualitative Inhaltsanalyse des Garmischer Tagblatts seit 1925, Bachelorthesis an der Technischen Universität München, 2017, S. 5 (mit Verweis auf Quelle: Rubner 1985, S. 174)
  4. Schrot gegen die Bambi-Plage?, Der Spiegel, Ausgabe 21/1998, S. 69
  5. Der Hafer wurde auch zur Fütterung der Jagdhunde verwendet, gem.Archiv für Sozialgeschichte, Jahrgang 27, Friedrich-Ebert-Stiftung und Institut für Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn (Hrsg.), S. 446 (Snippet)
  6. Paul-Joachim Hopp und Wolfgang Weitz, Walter Frevert – Der Macht verfallen (Rezension zu: Andreas Gautschi, Walter Frevert: Eines Weidmanns Wechsel und Wege, Nimrod), 12. Juli 2017, Wild und Hund
  7. Uwe Neumärker, Görings vergessenes Jagdrevier: Wo die braunen Hirsche röhrten, 4. Mai 2008, Spiegel Geschichte bei Spiegel Online
  8. Wilhelm Bode und Elisabeth Emmert, Jagdwende: vom Edelhobby zum ökologischen Handwerk, Beck'sche Reihe (1242), C.H.Beck, 2000, ISBN 978-3-4064-5993-1, S. 149f.