Hans Reissinger

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Hans Carl Reissinger (* 10. April 1890 in Bayreuth; † 23. November 1972 ebenda) war ein deutscher Architekt, der in Bayreuth, Düsseldorf und München tätig war.

Leben und Wirken

Gemeindehaus, Tersteegenstraße 84 a–c, Düsseldorf-Golzheim, erbaut 1929–1930

Von 1908 bis 1912 absolvierte Reissinger ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule München bei Friedrich von Thiersch, Theodor Fischer und Karl Hocheder. Von 1912 bis 1914 wirkte er als Assistent bei German Bestelmeyer in Dresden. Nach seinem Staatsexamen 1918 ließ er sich in Bayreuth nieder. Sein Erstlingswerk war 1919 die für den örtlichen Bauverein gebaute Kriegsbeschädigtensiedlung Herzoghöhe.[1] 1922 schuf er den Westbau (Erweiterung) der Evangelisch-lutherischen Filialkirche St. Bartholomäus in Glashütten. 1923 wurde das von ihm entworfene Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Bischofsgrün errichtet, ein Jahr später die Kriegsgefallenen-Gedächtnisstätte in Helmbrechts.

1922/1923 wurde der Asenturm auf dem Ochsenkopf im Fichtelgebirge von Reissinger geplant. Als 1926 unter seiner Leitung die Kirche in Lindenhardt restauriert wurde, identifizierte Karl Sitzmann die Bilder auf den Flügeln des Altars als Werke von Matthias Grünewald.[2] Von 1927 bis 1929 war als Stadtbaurat in Düsseldorf tätig.

Karriere im Dritten Reich

1934 wurde Reissinger Mitglied der NSDAP. In seiner Verteidigungsschrift für das Spruchkammerverfahren sprach sein Anwalt im Dezember 1947 von einer „praktisch unausweichlichen Zwangslage“, die Reissinger „zu einer rein nominellen Parteizugehörigkeit“ bewogen habe. Er sei „der Partei völlig fernstehend“ gewesen, „selbstverständlich sei er seiner inneren Haltung und Überzeugung immer treu geblieben“.[3]

Nach seiner Rückkehr nach Bayreuth wurde er im April 1934 vom nationalsozialistischen Oberbürgermeister Karl Schlumprecht mit dem Generalbebauungsplan der Stadt beauftragt. In jenem Jahr entwarf er ein Denkmal für die nationalsozialistische Bewegung in Form eines liegenden Hakenkreuzes aus Granit, aus dessen Schnittpunkt eine geballte, Schlangen zerquetschende Faust hervorragte. Zu dem 10.000 Reichsmark teueren Bauwerk äußerte Reissinger seinerzeit: „Ich gebar gerade ein Denkmal der Bewegung“. Das auf dem Bayreuther Luitpoldplatz aufgestellte, 123 cm hohe Hakenkreuz wurde von der örtlichen Bevölkerung jedoch als Pissoir zweckentfremdet und schließlich wieder entfernt.[4]

Im März 1935 inszenierte Reissinger die pompöse Trauerfeier für den tödlich verunglückten Gauleiter Hans Schemm, bei der Adolf Hitler und fast die gesamte NS-Hierarchie anwesend waren.[3]

In der nationalsozialistischen Zeit gestaltete er verschiedene Bauprojekte in Bayreuth:

  • 1935: Umbau des markgräflichen Reithauses zur Ludwig-Siebert-Festhalle
  • 1936: Haus der Deutschen Erziehung am Luitpoldplatz
  • 1938: Planung eines „Gauforums“ für Bayreuth mit einer Prachtstraße und einem Aufmarschplatz für 65 000 Menschen, umgeben von monumentalen Gebäuden, u. a. einer mehr als 10 000 Personen fassenden „Gauhalle“.[5] Diese Planung verfolgte Hitler mit großer Anteilnahme, zumindest am 1. August 1939 trafen sich Hitler und Reissinger diesbezüglich persönlich.[3]
  • 1944: Planung für den „Wiederaufbau“ der Stadt Kassel, u. a. mit Gauforum für 100.000 und Gauhalle für 10.000 Menschen.

Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

Am 25. Februar 1948 erging gegen Reissinger seitens der Spruchkammer, die seine vorgebliche Distanz zur NSDAP für glaubwürdig hielt, ein Sühnebescheid als Mitläufer, der mit einer Geldbuße in Höhe von 1000 Reichsmark verbunden war.[3]

Bei der Wiederaufnahme der Richard-Wagner-Festspiele im Jahr 1951 zeichnete Reissinger „fürs Dekor der Meistersinger verantwortlich und tat sich auch als Verfasser von zwei Erbauungsartikeln im Festspielbuch hervor“.[6]

Zu seinen letzten Tätigkeiten nach dem Krieg zählen:

  • 1949–1962: Wiederaufbau der Villa Wahnfried
  • 1954–1955: Evangelisch-lutherische Auferstehungskirche in Kulmbach
  • 1960: Bau der Kreuzkirche im Stadtteil Kreuz[3]
  • 1961–1965: Umbau des ehemaligen markgräflichen Reithauses zur Stadthalle[7]
  • 1962: Bau der Auferstehungskirche im Stadtteil Saas[3]
  • 1965–1966: Evangelisch-lutherische Friedenskirche in Hemau[8]

Literatur

  • Folckert Lüken-Isberner, Große Pläne für Kassel 1919–1949, Projekte zu Stadtentwicklung und Städtebau. Schüren Verlag. Marburg 2017. ISBN 978-3-89472-297-5

Einzelnachweise

  1. Bernd Mayer: Bayreuth im zwanzigsten Jahrhundert, S. 30.
  2. Inschrift im Chor der Kirche in Lindenhardt
  3. a b c d e f Bernd Mayer, Helmut Paulus: Eine Stadt wird entnazifiziert. Die Gauhauptstadt Bayreuth vor der Spruchkammer. Ellwanger, Bayreuth 2008, ISBN 978-3-925361-67-8, S. 158 f.
  4. Ein Treppenwitz der Geschichte. Wie die Bayreuther ein Nazi-Denkmal „weggepinkelt“ haben in: Nordbayerischer Kurier vom 28./29. Dezember 2019, S. 12.
  5. Bernd Mayer: Bayreuth. Die letzten 50 Jahre. 2. Auflage. Ellwanger/Gondrom, Bayreuth 1988, S. 56 ff.
  6. Jonathan Carr: Der Wagner-Clan S. 331.
  7. Kurt Herterich: Im historischen Bayreuth. Ellwanger, Bayreuth 1998, ISBN 978-3-925361-35-7, S. 122.
  8. Unsere Kirchen. Abgerufen am 20. April 2021.