Hantz-Reaktionen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite der Redaktion Chemie eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel aus dem Themengebiet Chemie formal und inhaltlich auf ein in der Wikipedia gewünschtes Niveau zu bringen. Wir sind dankbar für deine Mithilfe, bitte beteilige dich an der Diskussion (neuer Eintrag) oder überarbeite den Artikel entsprechend.

Als Hantz-Reaktionen wird eine Klasse von Reaktions-Diffusionssystemen bezeichnet, bei denen Reaktionen zwischen zwei Elektrolyten in einem Gel ein räumliches Niederschlagmuster mit einer speziellen Oberfläche ergeben. Die Niederschlagsoberfläche bildet eine Barriere für die weitere Diffusion der Elektrolyte, wodurch sich typische Muster von kolloidalen Präzipitatszonen ergeben.

In einigen Gelen (z. B. in einem Polyvinylalkohol-Gel) entstehen selbst innerhalb des Niederschlags periodisch organisierte mikroskopische Strukturen.

Das Experimentdesign ähnelt einem der Liesegangschen Ringe: Das Präzipitat kommt durch die Reaktion zwischen Elektrolyten in einem Hydrogel zustande, wobei ein "innerer" Elektrolyt im Gel selbst aufgelöst ist und der andere, "äußere" Elektrolyt aus einer hochkonzentrierten Lösung ins Gel diffundiert. Die Niederschlagszonen bilden sich hinter der Diffusionsfront des "äußeren" Elektrolyts und die Niederschläge werden durch das Gel am Entstehungsort festgehalten[1].

Sie sind nach dem ungarischen Biophysiker Peter Hantz benannt.

Reaktionsvarianten und Arten von gebildeten Mustern

Der erste Vertreter dieser Reaktionsklasse war die Reaktion NaOH (äußerer Elektrolyt) + CuCl2 (innerer Elektrolyt).[2] Später hat es sich erwiesen, dass auch NaOH + AgNO3,[3] CuCl2 + K3[Fe(CN)6],[4] NaOH + AlCl3[5] und NH3 + AgNO3[6] in mehreren Hydrogelen ein ähnliches Verhalten zeigten. Die erscheinenden Muster hängen auch von der Art des Hydrogels ab, welches den inneren Elektrolyt enthält.

Niederschlagsmuster, die sich bei diesen Reaktionen bilden, sind außerordentlich reich. Neben den Formen wie dreieckige Mustern, Helices und Kardioiden (Primäre Muster) können auch regelmäßige kolloidale Niederschlagsschichten mit einer Periodizität von weniger als 20 Mikrometern (mikroskopische, Sekundäre Muster) auftreten.

Primäre Muster

Abfolge der Bildung Primärer Muster. Es werden zwei aufeinanderfolgende Schnappschüsse angezeigt. Dunkelgrau stellt den Niederschlag dar, hellgrau das Hydrogel mit dem inneren Elektrolyt, weiß die semipermeablen „passiven“ Kanten und schwarz die vorrückenden, „aktiven“ Niederschlagsfrontsegmente. Einfache Pfeile geben die Wachstumsrichtung der aktiven Niederschlagssegmente an, während Doppelpfeile deren Regressionsrichtung angeben.
3D primäre, makroskopische Muster bei der NaOH+CuCl2 Reaktion in PVA Gel

Die Anordnung, die am besten die Abfolge der Ereignisse, die zur Bildung primärer Muster führen, zeigt, ist diejenige, bei der der äußere Elektrolyt in eine dünne Gelschicht zwischen zwei Glasplatten eindringt. In diesem Fall haben sowohl die Diffusionsfront als auch die „aktive“" (vorrückende) Niederschlagsfront eine eindimensionale Form.[3][7] Wenn sich im Gel Verunreinigungen oder Hindernisse befinden, kann die Präzipitation an diesen Punkten aufhören, und die vorrückende Niederschlagsfront, die der Diffusionsfront folgt, wird sich aufteilen.

Wenn die Segmente der gebrochenen Niederschlagsfront (die aktiven Segmente) vorrücken, werden sie kürzer, was zu dreieckigen Regionen führt, die mit Niederschlag gefüllt sind. Gleichzeitig entstehen auch komplementäre, dreieckige Bereiche, die frei von Niederschlag sind (siehe Abbildung). Die Präzipitation hört in diesen leeren Bereichen vorübergehend oder dauerhaft auf, weil die schrägen, passiven Kanten des vorher gebildeten Niederschlagsoberfläche als Membrane wirken und die Diffusion des äußeren Elektrolyten (eine der Reagenzien) blockieren.[8]

Der Mechanismus hinter der Regression der aktiven Niederschlagfrontsegmente ist nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass sich an den aktiven Segmenten ein Zwischenprodukt bildet. Die Konzentration des Zwischenprodukts wird an den Rändern der aktiven Segmente (wo die aktiven Segmente und die passiven Kanten sich berühren) verringert, während eine kritische Konzentration erforderlich ist, damit die Präzipitation stattfindet. Diese kritische Konzentration wird an den Rändern der aktiven Segmente nicht erreicht; daher werden die nächsten Niederschlagsebenen kürzer sein.

Wenn der äußere Elektrolyt in einem Glasröhrchen auf die Oberseite einer Gelsäule gegossen wird, hat die Diffusionsfront ungefähr die Form einer (zweidimensionalen) Scheibe. In diesem Fall können die an der Musterbildung beteiligten aktiven Präzipitationsfronten kompliziertere Bewegungen ausführen, was zu komplexeren Niederschlagmustern führt, die von der äußeren und inneren Elektrolytkonzentration abhängen. Dazu gehören die Bildung von mehrarmigen Helices, ineinander gebetteten Kardioiden, Voronoi-Tessellationen[9] (z. B. für Reaktions-Diffusions-Computer),[10] sogenannten Zielmustern und anderen, noch komplexeren Formen.

Sekundäre, mikroskopische Muster

Sekundäre, mikroskopische Muster bei der NaOH+AgNO3 Reaktion in PVA Gel, Skalierungsleiste=25 μm

Unter bestimmten Bedingungen, beispielsweise wenn das Kation des Innenelektrolyten Cu2+ oder Ag2+ ist, werden regelmäßige mikroskopische Schichten aus kolloidalen Körnern gebildet.[11][6] Dieses Phänomen ist besonders auffällig, wenn die Reaktionen in Poly(vinyl)alkohol-Gel (PVA-Gel) ablaufen und die Geschwindigkeit der Niederschlagsfront unter etwa 0,3 μm/s fällt. Die feinsten sekundären, mikroskopischen Muster wurden bei den NaOH + AgNO3 -Reaktionen beobachtet, bei denen die Periodizität unter 10 μm abfiel. Der chemische Mechanismus dieser Musterbildung ist nicht vollständig geklärt; aber Computersimulationen auf der Grundlage der Phasentrennung, die durch die Cahn-Hilliard-Gleichung mit einer sich bewegenden Quellenfront beschrieben werden, zeigen die wichtigsten Eigenschaften des Aufbaus der mikroskopischen Muster.[12] Bei diesem Modell hinterlässt die sich bewegende Quellenfront eine gelöste Substanz (eine instabile Phase), die sich anschließend in leere beziehungsweise niederschlagsreiche Schichten (stabile Phasen) trennt.

Es können auch Defekte in den regulären Mikroschichten vorhanden sein, die sogar während der vorderen Ausbreitung interagieren können. Diese mikroskopischen Muster haben auch auf verschiedenen Gebieten der Mikro- und Nanotechnologie Interesse geweckt.[13]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b P. Hantz: Pattern Formation in a New Class of Precipitation reactions (PDF), Thesis. Université de Genève, 2006.
  2. a b
  3. A. Adamatzky: Advances in Unconventional Computing 2016.
  4. Andy Adamatzki, Ben De Lacy Costello, Tetsuya Asai, Reaction-Diffusion Computers, Elsevier 2005, S. 42.
  5. B. A. Grzybowski: Chemistry in Motion: Reaction-Diffusion Systems for Micro- and Nanotechnology 2009.