Harry Domela

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Harry Domela (lettisch Harijs Domela; * 1904/05 in Grusche, Gouvernement Kowno; † 4. Oktober 1979 in Maracaibo) war ein deutsch-baltischer Hochstapler und Autor. Als noch Jugendlicher war er Mitglied der Baltischen Landeswehr und Soldat der Reichswehr. Ab 1936 kämpfte er als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg beim Fünften Regiment auf Seiten der Zweiten Spanischen Republik.

Leben

Harry Domela wurde als Sohn eines deutsch-baltischen Müllers in dem Dörfchen Grusche unweit der Gouvernementsgrenze in Livland geboren und verlebte seine Kindheit im kurländischen Bauske. Der Vater starb kurz nach Domelas Geburt. Harry besuchte 1915 einen seiner Brüder in Riga, der dort überraschend zum russischen Heeresdienst einberufen wurde und kam daraufhin für zwei Jahre in ein Erziehungsheim. 1917 kehrte er zu seiner Mutter nach Bauske zurück. Von ihr entfremdet, schloss er sich 1919 der Baltischen Landeswehr an, um nach dem Ersten Weltkrieg im Baltikum gegen die bolschewikischen Besatzer zu kämpfen. Später schloss er sich dem Freikorps Brandis an. Infolge des Friedensvertrages von Brest-Litowsk entstanden 1918 die unabhängigen Republiken Estland, Lettland und Litauen. Diese mussten sich gegen Machtansprüche der Kommunisten (russische Rote Armee), der Monarchisten (russische Weiße Armee im Verbund mit den von Teilen des deutschen Adels unterstützten deutschen Freikorps) und der Polen zur Wehr setzen. Mit Abschluss dieser Bürgerkriegsphase bis 1920 verblieb ein Teil Litauens (Mittellitauen) unter polnischer Hoheit. Die Truppe wurde 1920 in Jüterbog, Brandenburg aufgelöst. Die Korpsteilnehmer wurden in Lettland zu Hochverrätern erklärt; somit war ihnen die Rückkehr verwehrt. Domelas Weg zurück in die Heimat wurde unmöglich, er war nun staatenlos, zudem kam seine Mutter bei den Kampfhandlungen ums Leben. Die deutschen Behörden verweigerten ihm einen Pass, den er aber gebraucht hätte, um Arbeit zu bekommen. Er nahm in den Goldenen Zwanzigern Arbeiten an, bei denen nicht nach einem Pass gefragt wurde. Er war Ziegeleiarbeiter, Hausbursche, Bettler, Vertreter, Schnellzeichner und Gärtner.[1]

1920 wurde er im Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch in eine Kaserne in Neuruppin einberufen. Er schloss sich dort der Reichswehr zur Niederschlagung von Arbeiterunruhen im Ruhrgebiet an, da er befürchtete, anderenfalls in einem Freikorps im Baltikum eingesetzt zu werden. Nach mehreren Nacht-Einsätzen gegen Ende der Aufstände wurde seine Einheit nach Berlin zurückbeordert. Dort wurde er als zu jung befunden und aus dem Militär entlassen. Nunmehr war er obdachlos und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Als Zigarettenverkäufer legte er sich hin und wieder einen Adelstitel zu, um seine Geschäfte anzukurbeln. Es folgten mehrere Arrest- und Gefängniskurzaufenthalte.

Werbeinserat (um 1920) für das Luxushotel Haus Kossenhaschen in Erfurt.

Domela legte sich später den Namen „von Liven“ zu. Der in Darmstadt wegen einer Beschäftigung angesprochene Hofmarschall Kuno Graf von Hardenberg bot dem vermeintlichen Standesgenossen Unterstützung an. Im Herbst 1926 stellte er sich in Heidelberg im Verbindungslokal des Corps der „Saxo-Borussen“ als „Prinz Liven, Leutnant im 4. Reiterregiment Potsdam“ vor und wurde begeistert empfangen. Wenige Wochen später logierte er in Erfurt als „Baron Korff“ im Hotel Erfurter Hof. Der Hoteldirektor hielt ihn für den Kaiserenkel Wilhelm, den ältesten Sohn des „Kronprinzen“ Wilhelm von Preußen.

Domela stieg in der Gesellschaft Thüringens binnen weniger Tage in schwindelnde Höhen auf. Auf Einladung des Erfurter Hoteliers Georg Kossenhaschen logierte er in dessen Luxushotels in Erfurt und Gotha und übernachtete auf dessen privatem Wohnsitz, der Burg Creuzburg nordwestlich Eisenach.[2] Domela besuchte als „Königliche Hoheit“ u. a. den Gothaer Oberbürgermeister, nahm an Jagden, Opernaufführungen und privaten Gesellschaften teil.

Als ein vermeintlicher Hohenzollern-Prinz hielt Domela in Heidelberg, Erfurt, Gotha und Weimar die bürgerliche Gesellschaft zum besten – gutes Aussehen, gewandte Sprache, perfektes Benehmen, vornehmes und weltmännisches Auftreten halfen ihm dabei. Aber schon der schwere Rucksack und der staubige, abgetragene Reiseanzug bei seiner Ankunft passten nicht dazu. Als er mitbekam, dass er kriminalpolizeilich gesucht wurde, setzte er sich mit der Eisenbahn in Richtung Rheinland ab, um in die französische Fremdenlegion einzutreten. Er wurde jedoch im Januar 1927 in Köln festgenommen, als er den Zug nach Frankreich besteigen wollte. Noch im gleichen Monat wurde ihm unter größtem öffentlichem Interesse der Prozess gemacht, der mit einer Verurteilung wegen Rückfallbetrugs in vier Fällen zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten endete.

Während seiner Haft schrieb er die Vorlage für das Buch Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer des Harry Domela. Wieland Herzfelde brachte das Buch, textlich überarbeitet, in seinem Malik-Verlag heraus. Sechs Auflagen mit insgesamt 122.000 Exemplaren verkauften sich innerhalb eines Jahres, Harry Domela verdiente damit 250.000 Mark.

Er war einer der ersten deutschen Medienstars, wenn nicht gar der erste.[3] Die literarische Prominenz, darunter Thomas Mann, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky, feierte ihn, er trat in Theatern und Revues auf, Zeitschriften brachten Artikel über ihn. Die Hochstapler-Geschichte wurde 1959 von Wolfgang Luderer im Auftrag des Deutschen Fernsehfunks für die Reihe Weimarer Pitaval und sechs Jahre später von Wolfgang Schleif im Auftrag des ZDF verfilmt.

Im Sommer 1929 eröffnete Domela in der Rostocker Straße im Norden Berlins ein kleines Kino. Es lief ausschließlich der eigene Stummfilm Der falsche Prinz. 6 Akte mit Harry Domela. Das Kino machte nach drei Monaten Pleite. Domela, der inzwischen all sein Geld verloren hatte, versuchte sich als Journalist und plante ein weiteres Buch (Hinter den Kulissen der Sensation). Er wurde mehrfach verhaftet, meist unter obskuren Anschuldigungen, im Januar 1931 wegen „Verdacht auf Landesverrat“. Er sympathisierte mit der KPD. Verstrickt in Geldnöte und wegen verschiedener Veranstaltungen zugunsten der Roten Hilfe von den Nationalsozialisten bedroht, emigrierte Domela 1933 nach deren Machtergreifung über Wien, wo er sich einen falschen Pass beschaffte, und Paris in die Niederlande. Er nannte sich jetzt Victor Zsajka: geboren 12. August 1908 in Wien und dort wohnhaft, Matteottiplatz 2.[4]

Emblem des Fünften Regiments

Im Sommer 1936 war er mit seinem neuen Freund Jef Last in Paris. Der war Sozialist und Homosexueller wie er, Schriftsteller und gut bekannt mit dem als Reichstagsbrandstifter verurteilten Marinus van der Lubbe. Als der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, waren Domela und Last unter den ersten Ausländern, die der Spanischen Republik zu Hilfe eilten. Auf Vermittlung seines Freundes Jef bei André Malraux gelangten beide in eine republikanische Einheit. Trotz der Bitten von Ludwig Renn – den Domela von Berlin her kannte – lehnte er es ab, in einer der kommunistisch geführten Internationalen Brigaden zu kämpfen. Domela diente in den ersten Kriegstagen Ludwig Renn als Adjutant. Er traf Franz Dahlem als Leiter der Politischen Kommission der Internationalen Brigaden. Am 20. September 1936 waren sie in Madrid und dienten in der regulären spanischen Volksarmee im 5. Regiment Enrique Lísters. Als die Volksarmee im Januar 1939 zusammenbrach, floh auch Domela Richtung Frankreich. Als ab dem 5. Februar 1939 auch spanische Soldaten die Grenze passieren durften, wurde Harry Domela als Offizier eines Divisionsstabes im Lager Gurs, später in Saint-Cyprien unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert. In den Lagern bekam er als Trotzkist Anfeindungen deutscher Kommunisten zu spüren. Der Schriftsteller André Gide setzte sich auf Bitten von Jef Last mehrfach für Domela ein und er kam im Mai frei.

Mit einer entsprechenden Aufenthaltsgenehmigung reiste er nach Luxemburg. Seine Bemühungen, nach Mexiko oder Schweden auszureisen, fruchteten nicht. Es drohte ihm weiterhin Verhaftung, da er seit 1932 mit falschen Papieren lebte.

Gide vermittelte ihn an Aline Mayrisch-de Saint-Hubert, die Witwe des luxemburgischen Stahlindustriellen Emil Mayrisch. Domela gab sich immer noch als Victor Zsajska aus. Die luxemburgische Fremdenpolizei überprüfte im Juli 1939 seine Identität. Domela setzte sich sicherheitshalber nach Belgien ab, wurde verhaftet, konnte jedoch dem deutschen Einmarsch entkommen und tauchte unter. Im Frühling des Jahres 1941 traf er in der Christi Bar in Nizza, in der unbesetzten Zone Frankreichs, André Gide und Roger Martin du Gard und empfahl ihnen, nicht nach Paris zu gehen, woher er gerade kam. Domela wurde im Sommer verhaftet und im Lager Vernet eineinhalb Jahre eingesperrt. Er entkam der Auslieferung an die deutschen Behörden dank Gide, der ihm ein Visum und ein Schiffsticket nach Mexiko besorgte. Dort kam er jedoch nie an und blieb für viele für immer verschollen, denn in Jamaika musste er das Schiff verlassen und wurde neuerlich für zweieinhalb Jahre interniert. Er konnte danach nach Kuba weiterreisen. Über den Inselstaat gelangte er schließlich nach Venezuela, wo er – erneut Staatenloser mit gefälschten Papieren – als Zeichenlehrer arbeitete und auch starb.

Im September 1965 erhielt sein Exfreund Jef Last aus Maracaibo einen Brief von Domela: Er sei auf abenteuerlichen Wegen nach Venezuela gelangt und habe sich eine einfache Existenz als Gymnasiallehrer aufgebaut. Last sollte jedoch nichts über ihn verlauten lassen, da er immer noch mit falscher Identität lebe und auch keine Möglichkeit sehe, je wieder einen regulären Pass zu erhalten. Ein Brief an den niederländischen Widerstandskämpfer und Journalisten Tom Rot[5], datiert vom März 1978, war Domelas letztes bekanntes Lebenszeichen. Er ist am 4. Oktober 1979 in Maracaibo in Venezuela gestorben.[6]

Rezeption

Prinz Wilhelm (rechts) mit Vater und Großvater (1927)

In der DDR wurde Domela zunächst als persona non grata gehandelt. Obwohl Spanienkämpfer – beim Fünften Regiment – wurde er dort verleugnet: Er galt als Außenseiter und politisch unzuverlässig, vor allem wegen seiner Kritik an den Internationalen Brigaden, der KPD und ihrer zukünftigen Rolle.

1959 wurde in der DDR sein Leben im Film Der Fall Harry Domela als 6. Folge der DFF-Reihe Weimarer Pitaval von Friedrich Karl Kaul und Walter Jupé verfilmt.

„Nennen Sie mich einfach Prinz“: das Lebensabenteuer des Harry Domela, erschien 2010 als Band 65 in der Reihe Weimarer Schriften, herausgegeben vom Stadtmuseum Weimar. Diese Veröffentlichung, die ein Stück Stadt-Geschichte im neuen Licht erscheinen lassen möchte, könnte der Beginn einer neuen Domela-Rezeption sein.

Der Literaturwissenschaftler und Buchwissenschaftler Jens Kirsten sagt über ihn: „Domela war sicher weder ein Duckmäuser, noch durch übermäßige Bescheidenheit geschlagen. Seine Rolle als Hochstapler ist leicht überbewertet. Das war eine Rolle. Eine Eskapade, die er sich erlaubte, als er gemerkt hatte, wie sehr diese ganze Weimarer Republik noch der Kaiserzeit verhaftet geblieben war, wie sehr das gesamte Gesellschaftssystem auf Servilität, Status, Schein und Lug gründete.“[4]

Literatur

  • Harry Domela: Der falsche Prinz. Mein Leben und meine Abenteuer. Malik-Verlag, Berlin 1927, Einbandentwurf von John Heartfield
  • Harry Domela: Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer des Harry Domela. Verlag Borstelmann & Siebenhaar, Berlin 2000, ISBN 3-934189-49-0.
  • Steffen Raßloff: „Der falsche Prinz“. Harry Domela zu Gast im „Erfurter Hof“ 1926. In: Ders. (Hrsg.): Das Erfurter Gipfeltreffen 1970 und die Geschichte des „Erfurter Hofes“ (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt; Bd. 6). Jena 2007, S. 137–145, ISBN 978-3-940265-05-0.
  • Kurt U. Bertrams (Hrsg.): Der falsche Prinz und die Saxo-Borussia. Die Abenteuer des Hochstaplers Harry Domela. WJK-Verlag, Hilden 2007, ISBN 3-933892-77-5.
  • Jens Kirsten: Nennen Sie mich einfach Prinz. Das Lebensabenteuer des Harry Domela. Stadtmuseum, Weimar 2010, ISBN 978-3-910053-47-5.
  • Sebastian Rojek: Ein Hochstapler als "Spion" der Weimarer Republik. Der Fall Harry Domela. In: Sebastian Elsbach u. a. (Hrsg.): Demokratische Persönlichkeiten der Weimarer Republik. Stuttgart, Franz Steiner 2020 (Weimarer Schriften zur Republik; 13), ISBN 978-3-515-12799-8, S. 173–187.

Film

Hörspiel

Die Schallplattenfirma Odeon brachte im Frühjahr 1927 ein über zwei Plattenseiten gehendes Hörspiel mit dem Titel Der Prinzenimitator auf Reisen – eine Köpenickiade in einem heiteren Vorspiel und einem gerichtlichen Nachspiel heraus, in welchem Kurt von Wolowski, Charlie Roellinghoff und Viktor Schwanneke die Geschichte Domelas szenisch vortrugen. Den Text hatte Roellinghoff verfasst.[7]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.literaturland-thueringen.de/personen/harry-domela/
  2. Steffen Raßloff: Die Creuzburg und die Ära Georg Kossenhaschen – Der Burgherr und sein falscher Prinz. In: Breustedt, Susanne-Maria (Hg.): 800 Jahre Creuzburg. Eine Festschrift. Creuzburg 2013. S. 68 f.
  3. http://www.literaturland-thueringen.de/artikel/nennen-sie-mich-einfach-prinz-ich-bin-es-seit-jahren-so-gewoehnt-harry-domela-in-thueringen/hinter-den-kulissen-einer-sensation/
  4. a b Der falsche Prinz, Ostthüringer Zeitung, 3. April 2011
  5. Archiv Tom Rot, Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis
  6. [1] Der falsche Prinz: Die Jahrhundertgeschichte des Harry Domela, Leipziger Volkszeitung, 4. Juni 2018
  7. Siehe unter „mx. Be 5564 5565“, S. 477: Der Prinzenimitator auf Reisen - eine Köpenickiade in einem heiteren Vorspiel und einem gerichtlichen Nachspiel. I. u. II. Teil (Charlie . K. Roellinghoff. Berlin, 17. Jan. 1927 (PDF). Information der Gesellschaft für Historische Tonträger (GHT), Wien.)