Hermann Gundert (Missionar)

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Hermann Gundert
Hermann Gundert (1832)

Hermann Gundert (* 4. Februar 1814 in Stuttgart; † 25. April 1893 in Calw) war ein deutscher Missionar, Sprachwissenschaftler, Indologe, Lehrer, Schriftsteller und Verleger. Er schrieb die erste Grammatik der südindischen Sprache Malayalam, „A Malayalam and English Dictionary“, und verfasste geschichtliche und geografische Werke in der Malabar-Region und in Deutschland. Er übersetzte die Bibel ins Malayalam und wird daher auch als „Luther Keralas“ bezeichnet. Hermann Gundert war der Großvater des Dichters und Schriftstellers Hermann Hesse und des Missionars und Ostasienwissenschaftlers Wilhelm Gundert.

Leben

Hermann Gundert besuchte die Stuttgarter Lateinschule und die Klosterschule in Maulbronn sowie das Tübinger Stift, wo er unter anderem Schüler von David Friedrich Strauß war. Er studierte Theologie in Tübingen, wo er 1831 Mitglied der Burschenschaft der Patrioten wurde, aus der er später jedoch wieder austrat.[1] Während seines Studiums hatte er auch Kontakt mit Ludwig Uhland. 1835 wurde er zum Dr. phil. promoviert.

Er war Lehrer, Missionar, Sprachwissenschaftler, Schriftsteller und Verleger. Er erwarb sich große Verdienste um die Erforschung der südindischen Malayalam-Sprache und die Erschließung der Geschichte Malabars (heute Kerala), ebenso um die Einführung des modernen Schulwesens, das schließlich zum Neu-Malayalam führte. Kerala ist heute das Bundesland Indiens mit der höchsten Alphabetisierungsrate. Gundert brachte nicht nur eine solide klassische Bildung, sondern auch seine Erfahrung, die er in anderen Teilen Südindiens gemacht hatte, mit. In Kerala genießt er heute große Anerkennung.

Als erster Schulinspektor für Malabar und Kanara beeinflusste Gundert den Aufbau des modernen Schulsystems von der Grundschule bis hin zur universitären Ausbildung in einem Gebiet, das sich etwa 600 km von Kozhikode im Süden über Mangaluru bis Hubballi im Norden erstreckte und von Thalassery ca. 100 km ins Landesinnere bis nach Manantavadi in den Wynad-Berge reichte.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1859 war Gundert in Calw zunächst Mitarbeiter im Calwer Verlag und ab 1862 dessen Leiter. Von namhaften Autoren edierte Gundert einschlägige historische Werke und Kommentare zum Alten und Neuen Testament oder verfasste sie selbst. Jahrelang publizierte er gleichzeitig fünf Zeitschriften und schrieb dafür selbst hunderte Artikel, ohne – in der Regel – seine Autorenschaft preiszugeben. Bei Vorträgen im ganzen Land und auf internationalen Missionskonferenzen brachte er sein umfassendes Wissen ein und belebte die weltweite Diskussion zur Verständigung zwischen den Völkern und Religionen.

Eine wichtige Rolle in Gunderts Leben und Werk spielt seine aus der französischen Schweiz stammende Frau Julie geb. Dubois, die er im Juli 1838 in Chittoor geheiratet hatte. Sie war nicht nur die erste Missionarsfrau der Basler Mission in Indien, sondern gründete auch die ersten „Mädchen-Institute“ (Mädchenschulen mit Heim) in Mangaluru, in Thalassery und in Chirakkal bei Kannur. Aus diesen Schulen gingen gut ausgebildete und im evangelischen Glauben unterwiesene Frauen hervor, die zu großen Stützen der neuen Gemeinden wurden.

In Kerala und zunehmend auch in Deutschland erfährt Hermann Gundert an Bedeutung. Anlässlich seines hundertsten Todesjahres fanden 1993 Seminare in Calw und die Hermann-Gundert-Konferenz in Stuttgart unter großer indischer Beteiligung statt. Die Malayalam-Forschung sowie der Bekanntheitsgrad Gunderts erfuhren dadurch in Indien und Europa neuen Auftrieb.

Anlässlich des 200. Geburtstags von Gundert erklärte die Hermann-Hesse-Stadt Calw das Jahr 2014 zum Gundert-Jahr. Verschiedene Einrichtungen in der Stadt veranstalteten in Zusammenarbeit mit der Hermann-Gundert-Gesellschaft Feiern, Vorträge, Ausstellungen, Schulprogramme, Seminare und einen Gundert-Familientag. Am 9. Oktober 2015 wurde – in Zusammenarbeit mit der Thunchath Ezhuthachan University Tirur, Kerala – an der Universität Tübingen ein Gundert-Lehrstuhl eingerichtet: In jedem Semester wird ein indischer Gastdozent aus Kerala Kurse sowohl in der Malayalam-Sprache als auch über die Literatur, Geschichte und Kultur Keralas abhalten. Durch Gunderts Enkel Hermann Hesse (1877–1962) lebt die Tradition der Familie zu einem guten Teil in der Literatur weiter – sowohl im Deutschen als auch in vielen Sprachen der Welt, in denen Hesses Werke übersetzt vorliegen. Von seinem Großvater hatte Hesse die Begeisterung fürs Mystische und die indische Kultur. So konnte er, ohne je Indien besucht zu haben, Bücher wie Siddhartha schreiben. Die enge Bindung an den Großvater zeigte sich auch in dem Verständnis, das Gundert seinem Enkel entgegenbrachte, als dieser das Seminar in Maulbronn verließ. Später widmete Hesse seinem Großvater literarische Denkmäler: In seinen Schriften Großväterliches und Kindheit des Zauberers wird Gundert direkt beschrieben; in Siddhartha lebt er als Fährmann „Vasudeva“ sowie im Glasperlenspiel als „Musikmeister“ dichterisch weiter.

Im Oktober 2015 wurde in Zusammenarbeit der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und der Thunchath Ezhuthachan Malayalam University Tirur ein „Gundert-Chair“ für Malayalam gegründet.[2]

Die Hermann-Gundert-Gesellschaft als gemeinnütziger Verein setzt das geistige Erbe Gunderts fort und dient der Pflege des interkulturellen Dialogs. Hierfür sind die Tätigkeiten in fünf Schwerpunkte gegliedert: Austausch, Ausbildung, Wissenschaft, Kunst und Reise.

Hermann Gunderts Nachlass wird von der Universitätsbibliothek Tübingen verwaltet und ist mittlerweile vollständig digitalisiert. Er enthält neben Grammatiken und Fibeln sowie religiösen Texten auch literarische Werke, so etwa den ersten auf Malayalam erschienenen Roman. Ebenso umfasst er Werke auf unterschiedlichen Medien, von Palmblattmanuskripten bis hin zu gedruckten und lithographierten Büchern. Ein Großteil der Werke sind in den Sprachen Malayalam, Kannada, Tulu, Tamil, Telugu und Sanskrit verfasst. Ein Teil des Nachlasses besteht darüber hinaus aus Texten und Notizbüchern, die Hermann Gundert und seine Missionarskollegen in unterschiedlichen Sprachen verfasst haben.[3]

Lebenswerk

Thalassery

Neben der Bibelübersetzung erstellte Hermann Gundert ein Wörterbuch und die erste systematische Grammatik der Malayalam-Sprache.

Er beschäftigte sich intensiv mit der lokalen Kultur, schrieb Schulbücher und brachte 1847 im Städtchen Thalassery (Tellicherry) die erste Zeitung in der lokalen Sprache heraus. Er übersetzte Werke aus dem Sanskrit nach Malayalam, darunter eine buddhistische Streitschrift aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert gegen das Kastensystem. Für seine Verdienste wird Gundert in Kerala heute noch verehrt, eine Straße in Thalassery ist nach ihm benannt und ein fünf Meter hohes Denkmal ihm gewidmet.

Die neue Universitätsbibliothek in Kannur, die größte Bibliothek in Südindien, wurde 2014 nach ihm benannt. Eine Statue von ihm soll das Eingangsportal zieren.[4]

Literatur

  • Christoph Friedrich EpplerGundert, Hermann. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 49, Duncker & Humblot, Leipzig 1904, S. 632–634.
  • Albrecht Frenz (Hrsg.): Hermann Gundert – Brücke zwischen Indien und Europa. Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Ulm 1993, ISBN 3-88294-186-3
  • Albrecht Frenz: Hermann Gundert. Mit dem Bleistift in der Hand zum Wörterbuch. In: In: Anke te Heesen u. a. (Hrsg.): Wortschatz. Vom Sammeln und Finden der Wörter, Universitätsstadt Tübingen, Tübingen 2008 (Tübinger Kataloge, Band 81), S. 58–69, ISBN 978-3-910090-85-9.
  • Hermann Gundert: Hesses Großvater mit globalem Weltverständnis. In: Momente: Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg. 2 / 2002. ISSN 1619-1609
  • Johannes Hesse: Aus Dr. Hermann Gundert's Leben. Reprint der Ausgabe von 1894. Calwer Verlag, Stuttgart 1993, ISBN 3-7668-3233-6 Buch, Inhaltsverzeichnis und Leseprobe
  • Andreas Römer: Missionar Dr. Hermann Gundert. (1814–1893). Evangelische Gesellschaft, Stuttgart 1914
  • Karl Frohnmeyer: Hermann Gundert: Missionar und Gelehrter. Evangelischer Missionsverlag, Stuttgart 1955
  • Gerhard RosenkranzGundert, Hermann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 7, Duncker & Humblot, Berlin 1966, ISBN 3-428-00188-5, S. 315 f. (Digitalisat).
  • Jutta Rebmann: Julie Gundert: Missionarin in Indien und Großmutter Hermann Hesses. Stieglitz-Verlag, Mühlacker 1993, ISBN 3-7987-0314-0 Rezension
  • Wolfgang Schöllkopf: Zwischen Stadt, Stift und Stunde. Das Tübinger Theologiestudium von Hermann Hesses Großvater Hermann Gundert im Spiegel seines Tagebuchs. In: Sönke Lorenz, Volker Schäfer (Hrsg.): Tubingensia. Impulse zur Stadt- und Universitätsgeschichte; Festschrift für Wilfried Setzler. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2008, ISBN 978-3-7995-5510-4, S. 483–501
  • Siegfried Pick, Albrecht Franz, P. Kristudes, Johanna Pick: Überall war Wirklichkeit, überall war Zauber. Hermann Gundert, Hermann Hesse und das Sehnsuchtsland Indien., Draupadi-Verlag, Heidelberg 2015 ISBN 978-3-945191-06-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band II: Künstler. Winter, Heidelberg 2018, ISBN 978-3-8253-6813-5, S. 269–272.
  2. Asien-Orient-Wissenschaften – Gundert Chair für Malayalam (Memento des Originals vom 23. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uni-tuebingen.de
  3. Hermann Gundert Portal - Home. Abgerufen am 21. November 2018.
  4. Calw: Abermals großes Denkmal gesetzt, Schwarzwälder Bote, 25. Mai 2014, abgerufen am 9. Juni 2014.