Insulinresistenz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Insulinresistenz (IR) ist die verringerte zelluläre Antwort, vor allem insulinabhängiger Organe, auf endogenes oder exogenes Insulin[1]:16–19 und bezeichnet eine Eigenschaft einzelner Individuen. Deren Körperzellen reagieren auf das Hormon Insulin weniger als die Körperzellen gesunder Individuen. Vor allem die Muskulatur, die Leber und das Fettgewebe reagieren weniger empfindlich auf Insulin. Das beeinträchtigt die Wirkung sowohl des körpereigenen als auch des von außen zugeführten (gespritzten) Insulins. Insulinresistenz ist Bestandteil des Metabolischen Syndroms und ist ein Marker für eine sich entwickelnde Typ-2-Diabetes-mellitus-Erkrankung.

Definition

Den Begriff der Insulinresistenz gibt es seit den 1960er Jahren. Man war der Meinung, dass die Bauchspeicheldrüse bis zu 200 Internationale Einheiten (I. E.) Insulin pro Tag ausschütten könne und definierte als „schwere Insulinresistenz“ einen Insulinbedarf von mehr als 200 I. E. über mehrere Tage, um normale Blutzuckerwerte zu erreichen. Obwohl inzwischen klargestellt wurde, dass eine normale physiologische Insulinproduktion zwischen 20 und 40 Einheiten pro Tag beträgt, wird diese alte Definition weiter als sinnvoll erachtet, um damit Patienten mit schweren, ungewöhnlichen Insulinresistenzproblemen abzugrenzen.[2]

Seit 1985 wurde der Begriff allgemeiner gefasst und bezeichnet ein vermindertes Ansprechen der Zellen des menschlichen oder tierischen Körpers auf Insulin.

Tagesverlauf

Am frühen Vormittag ist die Insulinresistenz am höchsten durch die nächtliche Ausschüttung von Insulinantagonisten (siehe Dawn-Phänomen). Oft gibt es auch am späten Nachmittag einen zweiten, weniger hohen Anstieg der Insulinresistenz.

Ursachen

Die Insulinresistenz tritt als Phänomen beim Typ-2-Diabetes mellitus und seinen Vorstadien auf, und zwar als Störung des Stoffwechsels im Glukose- und Insulin-Haushalt der Zellen und als deren Folge mit Störungen in der Funktionalität der betroffenen Organ-Gewebe.

Als Ursache gilt eine andauernde kohlenhydratreiche Ernährung und der stetige Überkonsum von Zucker, was zu einem erhöhten Insulinspiegel im Blut führt, welcher das Risiko von Übergewicht und Fettleibigkeit erhöht und auf Dauer in der Zuckerkrankheit resultiert. Der Konsum von rotem Fleisch und verarbeiteten Fleischprodukten sowie der tägliche Konsum von zuckergesüßten Getränken ist assoziiert mit einem höheren Risiko an Diabetes zu erkranken.[3]

Die genauen Mechanismen, welche zur Insulinresistenz führen, sind deshalb in intensiver Erforschung, da die Kosten dieser Vorstufe der „Epidemie des 21. Jahrhunderts[4] erheblich sind und steigen.

Die Insulinresistenz betrifft sowohl schlanke als auch übergewichtige Typ-2-Diabetiker, allerdings ist Übergewicht ein wesentlicher Risikofaktor. Die Kombination aus familiärer Disposition (sowohl für Adipositas, für Diabetes mellitus Typ 2 wie auch für die herabgesetzte Insulinempfindlichkeit) und ein Überangebot an Kohlenhydraten aus der Nahrung führt zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel und steigert die Fettsäuresynthese von freien Fettsäuren im Blut durch oxidative Decarboxylierung von Pyruvat in der Glykolyse. Dies wiederum steigert verschiedene Gesundheitsrisiken, zum Beispiel Fettstoffwechselstörung (Hypertriglyceridämie), Übergewicht, Thrombose oder Arteriosklerose der Blutgefäße.[5][6] Dieses häufige Überangebot an Glukose im Blut nach Nahrungsaufnahme von Kohlenhydraten und Zucker charakterisiert die Insulinresistenz. Als Reaktion kommt es zu einer gesteigerten Insulinausschüttung (Hyperinsulinismus) mit Übergewicht. Dies führt zu einer Herabregulation der Insulinrezeptoren an den Zellen, die Resistenz nimmt weiter zu. Das Insulin als Fett aufbauender (adipogener) Faktor steigert die Fettspeicherung (Adipositas), um Glukose aus dem Blut zu bekommen, der Mensch nimmt weiter an Gewicht zu, weil die Nahrungsaufnahme von Zucker und Kohlenhydraten als Primärursache nicht vermindert wird. Die Insulinresistenz kann durch Kohlenhydratminimierung (low carb), ketogene Ernährung oder auch durch Fasten[Anmerkungen 1] gesunden.

Weitere Ursachen

Mechanismen der Insulinresistenz

Die Insulinresistenz wird gesteigert durch:

Insulinresistenz

Bei Insulinresistenz kommt es zu einer (kompensatorisch) erhöhten Insulinsekretion. Ein erster Hinweis auf eine Insulinresistenz kann erhöhtes Körpergewicht sein, das durch erhöhte Insulinspiegel im Blut entsteht, weil Insulin das einzige Hormon ist, das Körperfett aufbaut (adipogene Wirkung des Insulins). Bei allen Typ-2-Diabetikern ist eine genetisch bedingte Neigung zur Insulinresistenz gegeben, kommt jedoch insbesondere bei krankhaftem Übergewicht zum Vorschein. Man nimmt heute an, dass vor allem das Fett im Bauchbereich vermehrt hormonell aktive Substanzen ausschüttet, die eine Insulinresistenz weiter fördern und verstärken.

Als Maß für das Bauchfett kann der Bauchumfang gemessen werden sowie der Body-Mass-Index (BMI), der ab Werten von 27 kg/m² zusammen mit familiärer Disposition ein Hinweis auf Insulinresistenz ist.[9][10]

Weiterhin kann die Höhe der Triglyceride ein Hinweis auf eine Insulinresistenz sein. Bei Triglyzerid-Werten oberhalb von 2,44 mmol/l (beziehungsweise 215 mg/dl)[9][10] kann eine Insulinresistenz vorliegen, vor allem, wenn gleichzeitig hohe Fetuin-A-Werte gemessen werden.[11]

Adiponektin

Das Fettgewebshormon Adiponektin wird vom Fettgewebe des insulinresistenten Menschen vermindert produziert. Verminderte Adiponektinspiegel zeigen eine Insulinresistenz an.

Proinsulin

Bei der Herstellung von Insulin in der Bauchspeicheldrüse wird zunächst ein Vorläufermolekül – das sogenannte Proinsulin – synthetisiert. Das eigentliche Hormon Insulin entsteht erst durch Abspaltung des sogenannten C-Peptids. Im Rahmen der Insulinresistenz wird immer mehr Insulin, also auch überproportional viel Proinsulin hergestellt. Letzteres wird nur unzureichend in Insulin aufgespalten und lässt sich als erhöhter Proinsulinspiegel (über 11 pmol/l) im Blut nachweisen.

Weitere Insulinresistenz-Tests

  • Zuckerbelastungstest (oraler Glukosetoleranztest, kurz oGTT)
  • Nüchtern-Insulinspiegel: bei Diabetikern mit Insulinresistenz ist zumindest in den ersten Jahren des Typ-2-Diabetes der Insulinspiegel erhöht, siehe Hyperinsulinismus.
  • Glucose-„Clamp“-Technik: Bestimmung der Glucose-Infusionsrate, die für einen leicht erhöhten (z. B. 125 mg/dl beziehungsweise 6,9 mmol/l), jedoch konstanten Blutzucker-Wert erforderlich ist.[12]
  • Bestimmung des HOMA-Index (Homeostasis Model Assessment) als Maß für die Insulinresistenz:[13][14] = Nüchtern-Insulin (mU/l) × Nüchtern-Blutzucker (mmol/l) / 22,5[Anmerkungen 2]
    • Werte < 2: normal
    • Werte > 2: Hinweis auf Insulinresistenz
    • Werte > 2,5: Insulinresistenz sehr wahrscheinlich
    • Werte > 5: Durchschnittswert bei Typ-2-Diabetikern[15]
    • Der HOMA-Index stellt bei normalem Proinsulinspiegel ein Maß für die Funktion der β-Zellen dar und ist ein zuverlässiger Nachweis der Insulinresistenz.[1]:18–19

Therapie

Die Insulinresistenz kann beim übergewichtigen Typ-2-Diabetiker kurzfristig durch eine deutliche Reduktion der Energiezufuhr (z. B. für wenige Tage weniger als 4.200 kJ (1.000 kcal) pro Tag) oder langfristig durch vermehrte körperliche Aktivität reduziert werden.

Auch eine kurzfristige Steigerung der Insulinzufuhr auf sehr hohe Dosen, z. B. auch intravenös über eine Medikamentenpumpe oder bei subcutaner Gabe (Spritzen ins Unterhautfettgewebe) von Normal- oder Analog-Insulin (siehe Insulinpräparate) in kurzen zeitlichen Abständen von wenigen Stunden „durchbricht“ nach einigen Tagen die Insulinresistenz. Nach Erreichen normaler Blutzuckerwerte ist zur weiteren Therapie dann eine deutlich geringere Insulindosis notwendig.

Der Einfluss von Ernährungsformen (z. B. Low-Fat, Low-Carb) auf den Ursprung und bei der Behandlung von Insulinresistenzen wird kontrovers diskutiert.[16][17]

Wirksame und klinisch gebräuchliche Wirkstoffe zur Verringerung der Insulinresistenz sind:

Geschichte

Das Konzept der Insulinresistenz als grundlegende Ursache von Diabetes mellitus Typ 2 wurde zuerst von Wilhelm Falta vorgeschlagen und in Wien 1931 veröffentlicht,[18] die Idee wurde 1936 durch Harold Percival Himsworth vom Hospital der University College London bestätigt.[19]

Literatur

  • Stefan Silbernagl, Florian Lang: Taschenatlas der Pathophysiologie. Thieme, Stuttgart/New York 1998, ISBN 3-13-102191-8.
  • Hellmut Mehnert, Eberhard Standl, Klaus-Henning Usadel: Diabetologie in Klinik und Praxis. Hrsg.: Hans-Ulrich Häring. 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Thieme, Stuttgart/New York 2003, ISBN 3-13-512805-9.

Weblinks

Wiktionary: Insulinresistenz – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Fasten bedeutet hier, dass insbesondere auch keine Kohlenhydrate oder Zucker für einen längeren Zeitraum aufgenommen werden. Beim intermittierenden Fasten wird der Zeitraum des natürlichen Fastens im Schlaf verlängert. Bei Fastenzeiten von 36 Stunden und mehr werden die menschlichen Zuckerspeicher des Körpers entlehrt (Glykogen in Leber und Muskelfasern) und der Stoffwechsel stellt sich auf Ketose um.
  2. bei Angaben in mg/dl Division durch 405 statt 22,5.

Referenzen

  1. a b Richard Daikeler, Götz Use, Sylke Waibel: Diabetes. Evidenzbasierte Diagnosik und Therapie. 10. Auflage. KT-Books, Sinsheim 2015, ISBN 978-3-00-050903-2.
  2. Piya Ballani, Michael T. Tran, Maria D. Navar, Mayer B. Davidson: Clinical Experience With U-500 Regular Insulin in Obese, Markedly Insulin-Resistant Type 2 Diabetic Patients. In: Diabetes Care. Band 29, Nr. 11, November 2006, S. 2504–2505, doi:10.2337/dc06-1478 (diabetesjournals.org [abgerufen am 30. Juni 2022]).
  3. Lukas Schwingshackl, Georg Hoffmann, Anna-Maria Lampousi, Sven Knüppel, Khalid Iqbal, Carolina Schwedhelm, Angela Bechthold, Sabrina Schlesinger, Heiner Boeing: Food groups and risk of type 2 diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. In: European Journal of Epidemiology. Band 32, Nr. 5, 10. April 2017, S. 363–375, doi:10.1007/s10654-017-0246-y.
  4. Diabetes epidemic out of control. International Diabetes Federation, 4. Dezember 2006, archiviert vom Original am 20. November 2009; abgerufen am 30. Juni 2022.
  5. Triglyzeride. internisten-im-netz.de, abgerufen am 30. Juni 2022.
  6. Christina Hohmann: Gute Fette, schlechte Fette. In: Pharmazeutische Zeitung online. Band 2008, Nr. 34, 20. August 2008 (pharmazeutische-zeitung.de [abgerufen am 30. Juni 2022]).
  7. Insulinreistenz-Syndrom Typ A. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  8. Insulinreistenz-Syndrom Typ B. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  9. a b Anja Lütke: Insulinresistenz in der Praxis erkennen. Informationssystem der Universität Düsseldorf zum Diabetes mellitus, 7. März 2005, archiviert vom Original am 18. April 2005; abgerufen am 30. Juni 2022.
  10. a b Steven E. Stern, Ken Williams, Eleuterio Ferrannini, Ralph A. DeFronzo, Clifton Bogardus, Michael P. Stern: Identification of Individuals With Insulin Resistance Using Routine Clinical Measurements. In: Diabetes. Band 54, Nr. 2, 1. Februar 2005, S. 333–339, doi:10.2337/diabetes.54.2.333 (diabetesjournals.org [abgerufen am 30. Juni 2022]).
  11. Norbert Stefan, Hans-Ulrich Häring Häring: Circulating fetuin-A and free fatty acids interact to predict insulin resistance in humans. In: Nature Medicine. Band 19, Nr. 4, 4. April 2013, S. 394–395, doi:10.1038/nm.3116.
  12. Patentanmeldung DE102005011755A1: Verfahren und System zur Untersuchung des Glucosestoffwechsels. Angemeldet am 15. März 2005, veröffentlicht am 28. September 2006, Anmelder: Roche Diagnostics GmbH, Erfinder: Arnulf Staib et Al.
  13. R. C. Turner, R. R.Holman, D. Matthews, T. D. R. Hockaday, J. Peto: Insulin deficiency and insulin resistance interaction in diabetes: estimation of their relative contribution by feedback analysis from basal plasma insulin and glucose concentrations. In: Metabolism. Band 28, Nr. 11, November 1979, S. 1086–1096, doi:10.1016/0026-0495(79)90146-X.
  14. A. S. Rudenski, D. R. Matthews, J. C. Levy, R. C. Turner: Understanding insulin resistance: Both glucose resistance and insulin resistance are required to model human diabetes. In: Metabolism. Band 40, Nr. 9, 1. September 1991, S. 908–917, doi:10.1016/0026-0495(91)90065-5.
  15. Homeostasis Model Assessment. doccheck.com, abgerufen am 30. Juni 2022.
  16. Satoru Kodama, Kazumi Saito, Shiro Tanaka, Miho Maki, Yoko Yachi, Mutsumi Sato, Ayumi Sugawara, Kumiko Totsuka, Hitoshi Shimano, Yasuo Ohashi, Nobuhiro Yamada, Hirohito Sone: Influence of fat and carbohydrate proportions on the metabolic profile in patients with type 2 diabetes: a meta-analysis. In: Diabetes Care. Band 32, Nr. 5, Mai 2009, S. 959–965, doi:10.2337/dc08-1716, PMID 19407076.
  17. Guenther Boden, Karin Sargrad, Carol Homko, Maria Mozzoli, T. Peter Stein: Effect of a low-carbohydrate diet on appetite, blood glucose levels, and insulin resistance in obese patients with type 2 diabetes. In: Annals of internal medicine. Band 142, Nr. 6, 2005, S. 403–411, doi:10.7326/0003-4819-142-6-200503150-00006, PMID 15767618.
  18. W. Falta, R. Boller: Insulärer und Insulinresistenter Diabetes. In: Klinische Wochenschrift. Band 10, 1931, S. 438–443, doi:10.1007/BF01736348.
  19. H. P. Himsworth: Diabetes Mellitus: Its Differentiation into Insulin-Sensitive and Insulin Insensitive Types. In: The Lancet. Band 227, Nr. 5864, 18. Januar 1936, S. 127–130, doi:10.1016/S0140-6736(01)36134-2.