Gaußscher Integralsatz
Der gaußsche Integralsatz, auch Satz von Gauß-Ostrogradski oder Divergenzsatz, ist ein Ergebnis aus der Vektoranalysis. Er stellt einen Zusammenhang zwischen der Divergenz eines Vektorfeldes und dem durch das Feld vorgegebenen Fluss durch eine geschlossene Oberfläche her.
Der nach Gauß benannte Integralsatz folgt als Spezialfall aus dem Satz von Stokes, der auch den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung verallgemeinert.
Formulierung des Satzes
Es sei eine kompakte Menge mit abschnittsweise glattem Rand , der Rand sei orientiert durch ein äußeres Normaleneinheitsvektorfeld . Ferner sei das Vektorfeld stetig differenzierbar auf einer offenen Menge mit . Dann gilt
wobei das Standardskalarprodukt der beiden Vektoren bezeichnet.
Beispiel
Ist die abgeschlossene Einheitskugel im , dann gilt sowie .
Für das Vektorfeld mit gilt .
Es folgt
sowie
Bei der Rechnung wurde verwendet, dass für alle gilt und dass die dreidimensionale Einheitskugel das Volumen und die Oberfläche hat.
Folgerungen
Aus dem gaußschen Integralsatz können weitere Identitäten hergeleitet werden. Zur Vereinfachung wird im Folgenden die Notation und sowie die Nabla-Schreibweise verwendet.
- Wendet man den gaußschen Integralsatz auf das Produkt eines Skalarfeldes mit einem Vektorfeld Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec G} an, dann erhält man
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \int_V\left(\left(\nabla f\right) \cdot \vec{G} + f \left(\nabla\cdot \vec{G}\right)\right) \mathrm dV =\int_V\nabla\cdot\left(f \vec{G}\right) \mathrm dV = \oint_{S}f \vec{G} \cdot \mathrm d\vec{S}\,. }
- Betrachtet man den Spezialfall Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec{G}=\nabla g} , dann erhält man die erste greensche Identität.
- Betrachtet man hingegen den Spezialfall Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec{G}=\mathrm{const.}}
, dann erhält man
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \int_V\left(\nabla f\right)\mathrm{d}V = \oint_{S} f\,\mathrm d\vec S }
- bzw., nach Komponenten aufgeschlüsselt,
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \int_V \frac{\partial f}{\partial x_i} \,\mathrm dV = \oint_{S} f n_i \,\mathrm d^{\left(n-1\right)}S\,. }
- Wendet man den gaußschen Integralsatz für Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle n = 3} auf das Kreuzprodukt zweier Vektorfelder Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec{F}} und Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec{G}} an, dann erhält man
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \int_V \left(\vec{G}\cdot\left(\nabla\times\vec{F}\right) - \vec{F}\cdot \left( \nabla\times\vec{G}\right)\right)\, \mathrm dV = \int_V \left( \nabla \cdot \left(\vec{F}\times\vec{G} \right) \right) \, \mathrm{d}V = \oint_{S}\left(\vec{F}\times\vec{G}\right)\cdot \mathrm d\vec{S}\,.}
- Betrachtet man den Spezialfall Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec{G}=\mathrm{const.}}
, dann erhält man
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \int_V \left(\nabla\times\vec{F}\right)\, \mathrm dV = \oint_{S} \mathrm d\vec{S} \times\vec{F}\,. }
- Wendet man den gaußschen Integralsatz auf Vektorfelder im ℝn an, multipliziert die Integrale mit Basisvektoren ê1,2,...,n der Standardbasis, nutzt die Eigenschaften des dyadischen Produktes „⊗“ aus und addiert die Ergebnisse, erhält man die Verallgemeinerung auf Tensoren:[1]
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \begin{align} \oint_S \vec{F}_i\cdot\mathrm{d}\vec{S} =& \int_V \nabla\cdot\vec{F}_i\,\mathrm{d}V = \int_V \operatorname{div}\vec{F}_i\,\mathrm{d}V\,,\quad i=1,2,...,n \\ \rightarrow\sum_{i=1}^n\oint_S \vec{F}_i\cdot\mathrm{d}\vec{S}\;\hat{e}_i =& \oint_S \sum_{i=1}^n (\hat{e}_i\otimes\vec{F}_i)\cdot\mathrm{d}\vec{S} \\ =& \sum_{i=1}^n \int_V \nabla\cdot\vec{F}_i\,\mathrm{d}V\; \hat{e}_i = \int_V \sum_{i=1}^n \nabla\cdot(\vec{F}_i\otimes\hat{e}_i)\,\mathrm{d}V \\ \rightarrow \oint_S \mathbf{T}^\top\cdot\mathrm{d}\vec{S} =& \int_V(\nabla\cdot\mathbf{T})\,\mathrm{d}V \end{align}}
- Das Superskript ⊤ steht für die Transposition. Mit dem Divergenzoperator Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \operatorname{div}(\mathbf{T}):=\nabla\cdot(\mathbf{T}^\top)}
schreibt sich das:[2]
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \oint_S \mathbf{T}\cdot\mathrm{d}\vec{S} = \int_V\operatorname{div}(\mathbf{T})\,\mathrm{d}V }
- Wendet man den gaußschen Integralsatz Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle n = 1} auf die Ableitung einer reellen Funktion Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle f} auf dem Intervall Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle [a,b]} an, dann erhält man den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung. Die Auswertung des Integrals an den Intervallenden im Hauptsatz entspricht dabei der Auswertung des Randintegrals im Divergenzsatz.
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \int_{[a,b]} \frac{\mathrm df}{\mathrm dx} \, \mathrm dx = \oint_{\partial[a,b]} f \cdot \, \mathrm d\vec{S} = f(b)-f(a)\,.}
Anwendungen
Flüssigkeiten, Gase, Elektrodynamik
Der Satz wird genutzt zur Beschreibung der Erhaltung von Masse, Impuls und Energie in einem beliebigen Volumen: Das Integral der Quellenverteilung (Summe der Divergenz eines Vektorfeldes) über das Volumen im Innern einer Hülle multipliziert mit einer Konstanten ergibt den gesamten Durchfluss (das Hüllenintegral) der gesamten Strömung durch die Hülle dieses Volumens.
Gravitation
Im Gravitationsfeld erhält man: Das Oberflächenintegral ist -4πG mal die Masse innen, solange die Masse darin radialsymmetrisch verteilt ist (konstante Dichte bei gegebener Entfernung vom Mittelpunkt) und unabhängig von irgendwelchen (ebenfalls radialsymmetrisch verteilten) Massen außerhalb. Insbesondere gilt: Die ganze Sphäre außerhalb einer Kugel hat keinen (zusätzlichen) Einfluss, sofern ihre Masse radialsymmetrisch verteilt ist. Allein die Summe der Quellen und Senken im Innengebiet wirken.
Partielle Integration im Mehrdimensionalen
Der gaußsche Integralsatz führt auf eine Formel zur partiellen Integration im Mehrdimensionalen
- Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \int_\Omega \varphi\, \operatorname{div}\, \vec v \; \mathrm d V = \int_{\partial \Omega} \varphi\, \vec v \cdot \mathrm d \vec S - \int_\Omega \vec v\cdot \operatorname{grad}\, \varphi \; \mathrm dV } .
Bedeutung
Der gaußsche Integralsatz findet in vielen Bereichen der Physik Anwendung, vor allem auch in der Elektrodynamik und der Fluiddynamik.
Im letzteren Fall wird die Bedeutung des Satzes besonders anschaulich. Nehmen wir an, das Vektorfeld Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec F} beschreibt fließendes Wasser in einem gewissen Raumbereich. Dann beschreibt die Divergenz von Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \vec F} gerade die Stärke von allen Quellen und Senken in einzelnen Punkten. Möchte man nun wissen, wie viel Wasser aus einem bestimmten Bereich Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle V} insgesamt herausfließt, so ist intuitiv klar, dass man folgende zwei Möglichkeiten hat:
- Man untersucht bzw. misst, wie viel Wasser durch die Oberfläche von Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle V} aus- und eintritt. Dies entspricht dem Durchfluss von senkrechten Komponenten auf der Oberfläche als Oberflächenintegral.
- Man bilanziert (misst) im Innern des dadurch begrenzten Volumens, wie viel Wasser insgesamt innerhalb von Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle V} in Senken (Löchern) verschwindet und wie viel aus Quellen (Wasserzuflüssen) hinzukommt. Man addiert also die Effekte von Quellen und Senken. Dies wird alternativ und gleichwertig dann durch das Volumenintegral über die Divergenz realisiert.
Der gaußsche Integralsatz besagt, dass tatsächlich beide Möglichkeiten stets absolut gleichwertig zum Ziel führen. Er hat damit auch den Charakter eines Erhaltungssatzes der Energie.
Geschichte
Der Satz wurde wahrscheinlich zum ersten Mal von Joseph Louis Lagrange im Jahre 1762 formuliert und unabhängig davon später von Carl Friedrich Gauß (1813), George Green (1825) und Michail Ostrogradski (1831) neu entdeckt. Ostrogradski lieferte auch den ersten formalen Beweis.
Einzelnachweise
- ↑ Holm Altenbach: Kontinuumsmechanik. Einführung in die materialunabhängigen und materialabhängigen Gleichungen. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-642-24118-5, S. 45, doi:10.1007/978-3-642-24119-2.
- ↑ M. E. Gurtin: The Linear Theory of Elasticity. In: S. Flügge (Hrsg.): Handbuch der Physik. Band VI2/a, Bandherausgeber C. Truesdell. Springer, 1972, ISBN 3-540-05535-5, S. 16.
Literatur
- Otto Forster: Analysis. Band 3: Maß- und Integrationstheorie, Integralsätze im Fehler beim Parsen (MathML mit SVG- oder PNG-Rückgriff (empfohlen für moderne Browser und Barrierefreiheitswerkzeuge): Ungültige Antwort („Math extension cannot connect to Restbase.“) von Server „https://wikimedia.org/api/rest_v1/“:): {\displaystyle \mathbb{R}} n und Anwendungen, 8. verbesserte Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden, 2017, ISBN 978-3-658-16745-5.
- Konrad Königsberger: Analysis 2, Springer, Berlin 2004.