Intermodale Kongruenz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als intermodale Kongruenz oder intermodale Konsistenz (englisch intermodal congruency) bezeichnet man in der Wahrnehmungsphysiologie die Übereinstimmung der Wahrnehmungserfahrung zweier oder mehrerer unterschiedlicher Sinnessysteme innerhalb eines Individuums. Dieses Phänomen bildet u. a. die notwendige Voraussetzung für die räumliche Orientierung von Lebewesen. Dabei zeigte sich in einer Reihe von Untersuchungen deutlich, dass zeitliche und räumliche Synchronität wichtig für die Bildung von intermodalen Kongruenzen sind.[1]

Diese Beobachtungen widersprechen auch dem Paradigma in der Psychologie, dass etwa zwischen auditiven und visuellen Reizen eine Konfliktsituation bestünde, die in experimentellen Arrangements Aufschlüsse über die Dominanz einer Modalität in einer bestimmten Wahrnehmungssituation geben könnten. Insbesondere die empirischen Ergebnisse neuester wahrnehmungspsychologischer Forschung belegen, dass die intermodale Kongruenz von Reizen die Integration von auditiven und visuellen Reizen zu einem gemeinsamen Wahrnehmungsobjekt förderlich sind.[2]

Die Partielle Isomorphie (Strukturgleichheit) in der evolutionären Erkenntnistheorie bildet die epistemische Grundlage für eine intermodale Kongruenz: Nur aufgrund des Passungscharakters des Erkenntnisapparates ist wiederum die „objektive“, d. h. intersubjektive Realität in Übereinstimmung zu bringen mit dem Erkenntnissystem des Individuums.[3]

Verschiedene Indizien aus der Psychophysik weisen darauf hin, dass unsere Sinneserfahrung sogar noch weitreichender innerhalb des individuellen Gehirns konstruiert wird. Möglicherweise sind unsere Wahrnehmungen gar keine isomorphen Abbildungen der so genannten „Wirklichkeit“. Die intermodale Kongruenz stünde jedoch auch zu einem radikalen Konstruktivismus nicht im Widerspruch.

Nach dem Neurophysiologe Wolf Singer[4] wird den verschiedenen Sinnesmodalitäten in der Hierarchie der Sinne unterschiedliche Überzeugungskraft zugebilligt; bezogen auf Primaten ergibt sich folgende Abstufung:

  1. Haptische Wahrnehmung,
  2. Visuelle Wahrnehmung,
  3. Auditive Wahrnehmung,
  4. Olfaktorische Wahrnehmung.

Für andere tierische Lebewesen können vollständig abweichende Sinneshierarchien gelten.

Siehe auch

Literatur

  • Gilles Pourtois, Beatrice de Gelder, Jean Vroomen, Bruno Rossion, Marc Crommelinck: The time-course of intermodal binding between seeing and hearing affective information. Cognitive Neuroscience, Vol 11, No 6, 27 April 2000 (PDF auf beatricedegelder.com)
  • Raymond van Ee, Jeroen J. A. van Boxtel, Amanda L. Parker, David Alais: Multisensory Congruency as a Mechanism for Attentional Control over Perceptual Selection. Journal of Neuroscience 16 September 2009, 29 (37) 11641-11649; doi:10.1523/JNEUROSCI.0873-09.2009 (PDF)
  • Bernhard Graf, Astrid B. Müller: Sichtweisen: Zur veränderten Wahrnehmung von Objekten in Museen. Band 19, Berliner Schriften zur Museumskunde, Springer-Verlag, Heidelberg/Berlin/New York 2015, ISBN 978-3-322-80678-9, S. 151 auf books.google.de

Weblinks

  • Lars C. Grabbe: Comic goes Virtual. Multimodaler Transfer der Comic-Wahrnehmung vom Bild-Medium zum Raum-Medium. CLOSURE #3, Kieler e-Journal für Comicforschung. (auf closure.uni-kiel.de)

Einzelnachweise

  1. Kim, K.-H., Iwamiya, S.-I.: Formal Congruency between Telop Patterns and Sound Effects. Music Perception, Vol. 25 (2008)No. 5, 429–448
  2. Parise, Cesare V., Spence, Charles: When Birds of a Feather Flock Together: Synesthetic Correspondences Modulate Audiovisual Integration in Non-Synesthetes. In: PloS ONE. Mai 2009, Vol. 4, Issue 5, S. 1–7.
  3. Thiemo Breyer: Das Phantom im Spiegel: Ein phänomenologischer Versuch über somatosensorische Plastizität und Leibgedächtnis. IZPP, 7. Ausgabe 2/2012, Themenschwerpunkt „Erinnern und Vergessen“ (PDF)
  4. Wolf Singer: Das Bild in uns. Vom Bild zur Wahrnehmung. In: Klaus von Sachs-Hombach (Hrsg.): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, S. 104–126.