Issam al-Attar

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Issam al-Attar (arabisch عصام العطار, * 1927 in Damaskus) ist ein syrischer Islamist. Er war von 1957 bis 1975 formales Oberhaupt der Muslimbruderschaft in Syrien. Er lebt seit dem Ende der sechziger Jahre im Exil in Deutschland und leitete bis 1996 das von ihm aufgebaute Islamische Zentrum Aachen (IZA).

Leben

Issam al-Attar wurde in Damaskus in eine Familie islamischer Gelehrter geboren, sein Vater war Rechtsgelehrter. Al-Attar war als Elfjähriger Mitglied in der Jugend Mohammeds, die vom späteren ersten Leiter der Bruderschaft in Syrien Mustafā as-Sibāʿī gegründet worden war. Al-Attar studierte islamisches Recht in Damaskus und trat 1947 formell der im Vorjahr von as-Sibāʿī gegründeten Bruderschaft bei. Al-Attar, der sich innerhalb der Bewegung einen Namen als Intellektueller gemacht hatte, wurde 1957 zum Leiter des syrischen Zweigs berufen.[1]

Er war ein vehementer Gegner der Vereinigten Arabischen Republik, da er eine polizeistaatliche Repression gegenüber den Islamisten befürchtete.[1] Al-Attar wurde während des Bestehens der Union mehrmals festgenommen.[2]

Nach der erneuten Unabhängigkeit Syriens nahm al-Attar an den 1961 folgenden Wahlen teil und wurde zusammen mit neun anderen Muslimbrüdern ins Parlament gewählt. Nach dem Putsch der Baath-Partei 1963 endete diese politische Freiheit wieder, und al-Attar wurde nach einem Aufenthalt in Mekka 1964 die Wiedereinreise ins Land verweigert. Aus dem Exil im Libanon agitierte er zunächst für gewaltsamen Widerstand gegen das Regime. 1966 verließ er auf Druck der syrischen Regierung den Libanon in Richtung Europa und fand eine Anstellung in einem islamischen Zentrum in West-Berlin.[2]

Innerhalb der syrischen Bruderschaft blieb al-Attar im Kampf gegen das Baath-Regime politisch und militärisch bedeutungslos. Er geriet unter massive Kritik, und Teile der Organisation in Syrien betrieben seine Absetzung. Al-Attar gründete 1975 mit at-Talia („Die Vorhut“) seine eigene Organisation in Deutschland. Diese zentriert sich um die von ihm mit aufgebaute Bilal-Moschee in Aachen. Obwohl al-Attar nach Eigenangaben seiner Organisation 1977 aus der Bruderschaft ausgeschieden sein soll, entwickelte sich das 1978 gegründete Islamische Zentrum Aachen unter al-Attars Leitung zum Deutschland-Zentrum des syrischen Ablegers der Muslimbrüder.[3] Während des Aufstands der Muslimbrüder in Syrien 1979 bis 1981 wandte sich al-Attar mit der Forderung der Gewaltlosigkeit an die in Syrien verbliebenen Glaubensbrüder.[2] Die syrische Regierung warf ihm jedoch vor, den Aufstand insgeheim logistisch zu unterstützen. Am 17. März 1981 wurde seine Ehefrau in ihrer Aachener Wohnung von drei unbekannten Männern erschossen,[4] bei den Tätern handelte es sich mutmaßlich um syrische Geheimdienstmitarbeiter.[5][6] Nach dem katastrophalen Ausgang des Aufstands wurde al-Attar 1982 bei einem Kongress in Baden-Baden von anderen syrischen Muslimbrüdern seine zu zurückhaltende Haltung gegenüber dem Assad-Regime zum Vorwurf gemacht.[6] 1992 machte der syrische Präsident Hafiz al-Assad al-Attar ein Angebot, nach Syrien zurückzukehren, was dieser jedoch ablehnte.[2]

Issam al-Attar, der noch in den 2010er Jahren regelmäßig in der Aachener Bilal-Moschee auftrat, gilt für viele Syrer in Deutschland wie auch im Ausland bis heute als eine religiöse Instanz und wird als Scheich und geistiger Führer verehrt.[7]

Familie

Issam al-Attars Schwester, die Übersetzerin Nadschah al-Attar (* 1933), war von 1976 bis 2000 Kulturministerin ihres Landes und ist seit 2006 als erste Frau in diesem Amt stellvertretende Staatspräsidentin von Syrien.

Eine Tochter al-Attars war mit dem Syrer Ghaleb Himmat verheiratet,[6] der seit 1968 das Islamische Zentrum München (IZM) leitete und von 1982 bis 2002 die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD, bis 1982 Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland) führte, die als Hauptrepräsentation der Muslimbruderschaft in Deutschland gilt.[3] Nach dem Ende des syrischen Aufstand kam es ab 1982 zu einer Distanzierung zwischen al-Attars IZA und dem radikaleren IZM.[6]

Einzelnachweise

  1. a b Alison Pargeter: The Muslim Brotherhood. From Opposition to Power. 2. Auflage. Saqi, London 2013, ISBN 978-0-86356-859-6, S. 71–73.
  2. a b c d Sami Moubayed: Steel and Silk. Men and Women Who Shaped Syria 1900–2000. Cune Press, Seattle 2006, ISBN 1-885942-40-0, S. 180 f.
  3. a b Lennart Biskup: Saudi-Arabiens radikalisierender Einfluss auf Deutschland Muslime (PDF; 141 kB). Onlinepublikation beim Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam, Frankfurt am Main 2017, S. 9.
  4. Manfred Beissel (Red.): Chronik der Stadt Aachen von 1976 bis 2007. Veröffentlichung der Stadt Aachen, Fachbereich Verwaltungsleitung, Aachen 2007, S. 41.
  5. Guido Steinberg: The Muslim Brotherhood in Germany. In: Barry Rubin (Hrsg.): The Muslim Brotherhood. The Organization and Politics of a Global Islamist Movement. Palgrave Macmillan, New York 2010, S. 151.
  6. a b c d Khadija Katja Wöhler-Khalfallah: Netzwerke und ideologische Wurzeln der arabischen Fundamentalisten in Deutschland. In: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.): Die Araber im 21. Jahrhundert. Politik, Gesellschaft, Kultur. Springer, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-531-18526-2, S. 413–438, hier: S. 418.
  7. Jessica Gielen, Jakob Hanke, Danica Bensmail: Die muslimischen Brüder. In: Die Welt. 15. August 2016, abgerufen am 19. April 2021.