Jakob Steiner

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Jakob Steiner

Jakob Steiner (* 18. März 1796 in Utzenstorf; † 1. April 1863 in Bern) war ein Schweizer Mathematiker. Er gilt als einer der Hauptvertreter der synthetischen Geometrie.

Leben und Wirken

Steiner war der Sohn eines Kleinbauern, besuchte die heimatliche Dorfschule, wo er erst mit vierzehn Jahren schreiben lernte, und ging im Alter von siebzehn Jahren nach Yverdon zu Johann Heinrich Pestalozzi, an dessen Anstalt er später einige Zeit als Hilfslehrer tätig war. Als diese geschlossen wurde, zog er 1818 nach Heidelberg, um unter anderem bei Ferdinand Schweins (1780–1856) Mathematik zu studieren, war aber wegen der Kümmerlichkeit der dortigen Vorträge[1] fast gänzlich auf das Selbststudium angewiesen.[2] Seinen Lebensunterhalt finanzierte er dabei durch Privatstunden. Die Vorlesungen zur Algebra sowie zum Differential- und Integralkalkül stimulierten Untersuchungen zur Mechanik, die er 1821, 1824 und 1825 in seinen Kompendien festhielt.

Seit dem Winter 1820/21 lebte er in Berlin, anfangs als Privatlehrer der Mathematik, und galt bald als bester Privatlehrer der Stadt. Unter anderem unterrichtete er den Sohn des ehemaligen Ministers Wilhelm von Humboldt, was seinen Aufstieg förderte.[3] Auch Felix Eberty erhielt in seiner Schulzeit von ihm Privatstunden.[4] Während dieser Zeit veröffentlichte Steiner einige Arbeiten über geometrische Probleme in Crelles Journal für die reine und angewandte Mathematik. Dann war er Lehrer an der Plamannschen Erziehungsanstalt, die von der Pädagogik Pestalozzis beeinflusst war. Seit 1827 arbeitete Steiner an der Gewerbeakademie (Oberlehrer, ab 1833 mit Professoren-Titel), seit 1834 als ausserordentlicher Professor an der Universität und als ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1854 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Académie des sciences aufgenommen.[5] Die letzten Lebensjahre verbrachte er, von schweren Körperleiden gequält, in der Schweiz.

Steiner Jakob verfügte über eine außergewöhnliche geometrische Vorstellungskraft, er arbeitete vor allem in der synthetischen Geometrie. Der steinersche Satz in der Mechanik,[6] das Steinerbaumproblem, der Satz von Steiner über die Erzeugung von Kegelschnitten, das Poncelet-Steiner-Theorem (das besagt, dass geometrische Konstruktionsaufgaben mit Zirkel und Lineal auch mit dem Lineal allein und einem vorgegebenen Kreis ausführbar sind), die Steiner-Tripel-Systeme, die Steinersche Römerfläche, die Steiner-Kette und über ein Dutzend weiterer mathematischer Begriffe sind nach ihm benannt. Bekannt ist seine geometrische Lösung des isoperimetrischen Problems (zu zeigen, dass der Kreis die Kurve ist, die bei gegebenem Umfang den grössten Inhalt umschliesst).

Steiner legte in seinen Vorlesungen viel Wert auf die Heranbildung geometrischer Anschauung, was auch ein wichtiges Thema der Pestalozzi-Pädagogik war. Zur Förderung der Anschauung verzichtete Steiner in seinen Vorlesungen auf geometrische Figuren. Ein weiteres Kennzeichen, das aus der Schule von Pestalozzi stammte, war das Eingehen auf die Bedürfnisse der Schüler, die mathematische Erkenntnisse möglichst selbst entdecken sollten, wobei der Lehrer nur die Richtung andeutet, ähnlich der Sokratischen Methode[7] bzw. der später in den USA einflussreichen Moore-Methode. Steiner verlangte viel von seinen Schülern, es herrschte oft ein rauer Ton und er war nicht leicht zufriedenzustellen,[8] trotzdem konnte er einen Kreis ihm treuer Schüler um sich versammeln.

1832 wurde er Ehrendoktor der Albertus-Universität Königsberg. Das geschah auf Initiative von Carl Gustav Jacob Jacobi, der Steiner förderte und auch mit den Gebrüdern Humboldt dafür verantwortlich war, dass an der Berliner Universität für Steiner ein Lehrstuhl für Geometrie eingerichtet wurde. Steiner verkehrte auch mit Niels Henrik Abel und Dirichlet in Berlin. Steiner wiederum förderte den Schweizer Autodidakten und Geometer Ludwig Schläfli, den er 1843 in Bern traf und ein Jahr darauf nach Rom einlud, wo er ihn unterrichtete. Er stand mit ihm in Briefwechsel.[9]

Felix Klein[10] vermutet, dass Steiner keine ordentliche Professur in Berlin erhielt, da es ihm an gesellschaftlichen Umgangsformen mangelte – er deutet auch an, dass Steiner in späteren Jahren streitbar und isoliert war, mit Gott und der Welt zerfallen und seinen Argumenten im Gespräch häufig durch eine nicht leicht zu übertreffende urwüchsige Grobheit Nachdruck zu verleihen pflegte. In späteren Jahren zerstritt er sich sowohl mit seinem Freund Jacobi (beide duzten sich)[11] als auch mit Schläfli und anderen. Ausschlaggebend dürfte aber gewesen sein, dass er keine höhere Schulbildung erhalten hatte und keine Fremdsprachen sprach und kein Latein beherrschte, damals so etwas wie die offizielle Sprache an der Berliner Universität, in der Dissertationen verfasst wurden. Selbst auf dem Gebiet der Mathematik hatte er außerhalb der Geometrie (zum Beispiel in Analysis, Algebra und Zahlentheorie) nur sehr beschränkte Kenntnisse und gab dies unumwunden zu. Er drang aber darauf, dass sich seine Studenten darin ausbildeten[12] – Studenten, die es ihm gleichtun wollten und nur Geometrie betreiben schmetterte er mit den Worten ab: Es werden nicht alle, die zu mir Herr, Herr sagen, ins Himmelreich kommen. Klein deutet auch an, dass Steiner ab etwa 1845 (als er sich mit algebraischen Gebilden höherer als zweiter Ordnung befasste) in seiner Schaffenskraft nachliess und willentlich oder unwillentlich Schriften englischer algebraischer Geometer benutzte, ohne diese zu zitieren.[13] Nach seinem Schüler Lampe entsprach es hingegen der typischen Arbeitsweise von Steiner, keine Literatur zu studieren, außer um festzustellen, ob ein von ihm gefundener Satz schon bekannt war (und auch da überliess er die Literaturrecherche häufig seinem Freund Jacobi) – er verhöhnte sogar häufig angelerntes Wissen.[14] Ein Grund des Nachlassens seiner Produktivität waren auch seine ständigen Krankheiten. In Berlin war er ein häufiger Theaterbesucher und verkehrte unter anderem mit dem Schauspieler Ludwig Devrient. Als Mitglied der Akademie war er obwohl kein ordentlicher Professor diesen gleichgestellt und er verdiente gut. Bei seinem Tod hinterliess er seinen Verwandten 60.000 Franken und stiftete ein Drittel dieser Summe als Preisgeld für den nach ihm benannten Steiner Preis der Berliner Akademie.[15] Träger des Steiner-Preises waren unter anderem Rudolf Sturm, Luigi Cremona (1866), Henry John Stephen Smith, Hermann Kortum, Georges Henri Halphen (1880), Wilhelm Fiedler und Sigmund Gundelfinger.

Zu den Schülern von Steiner an der Gewerbeschule gehört der Schriftsteller Theodor Fontane.[16]

Schriften

Monographien

  • Systematische Entwickelung der Abhängigkeit geometrischer Gestalten von einander, mit Berücksichtigung der Arbeiten alter und neuer Geometer über Porismen, Projections-Methoden, Geometrie der Lage, Transversalen, Dualität und Reciprocität, etc., G. Fincke, Berlin 1832 (als Erster Theil von geplanten fünf Teilen, es erschien aber kein weiterer Band; archive.org books.google.de)
  • Die geometrischen Konstructionen, ausgeführt mittelst der geraden Linie und Eines festen Kreises, als Lehrgegenstand auf höheren Unterrichts-Anstalten und zur praktischen Benutzung. Ferdinand Dümmler, Berlin 1833. books.google.de; archive.org.
  • Jacob Steiner’s Vorlesungen über synthetische Geometrie. B. G. Teubner, Leipzig 1867; archive.org.
  • Karl Weierstraß (Hrsg.): Jacob Steiner’s Gesammelte Werke, G. Reimer, Berlin 1881/82; Online

Artikel

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Commons: Jakob Steiner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Jakob Steiner – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Geiser: Zur Erinnerung an Jakob Steiner, 1874
  2. Burckhardt: Jakob Steiner, 1976
  3. Felix Klein: Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert. Springer Verlag, 1926, S. 127. Nach Klein wurde er nach Berlin gezogen, da dort in ministeriellen Kreisen ein Interesse an den Methoden Pestalozzi’s bestand.
  4. Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. Nach handschriftlichen Aufzeichnungen des Verfassers von J. von Bülow ergänzte und neu herausgegebene Ausgabe der Jugenderinnerungen von 1878. Verlag für Kulturpolitik, Berlin 1925, S. 238; archive.org.
  5. Verzeichnis der Mitglieder seit 1666: Buchstabe S. Académie des sciences, abgerufen am 5. März 2020 (französisch).
  6. Karl-Eugen Kurrer: The History of the Theory of Structures. Searching for Equilibrium. Ernst & Sohn, Berlin, ISBN 978-3-433-03229-9, S. 89.
  7. Felix Klein: Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert. Teile 1 und 2. Springer, 1926, S. 128. Das Abdunkeln des Vorlesungssaals zur Erhöhung der Anschauung geschah nach Klein nicht durch Steiner, sondern durch Wilhelm Adolf Diesterweg in dessen Lehrer-Seminaren in Moers.
  8. Emil Lampe: Zur Biographie von Jacob Steiner In: Bibliotheca mathematica, 3. Folge, Band 1, 1900, S. 133
  9. Der Briefwechsel wurde 1896 von J. H. Graf herausgegeben, Der Briefwechsel zwischen Jakob Steiner und Ludwig Schläfli, Bern: K. J. Wyss
  10. Felix Klein: Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert. Teile 1 und 2. Springer, 1926, S. 127
  11. Emil Lampe: Zur Biographie von Jacob Steiner. In: Bibliotheca mathematica, 3. Folge, Band 1, 1900, S. 138. Er forderte Jacobi sogar zum Duell, was dieser aber mit den Worten ablehnte, wenn er Suizid begehen wolle, solle er sich Pistolen kaufen und das selbst erledigen, dazu bräuchte er ihn (Jacobi) nicht.
  12. Emil Lampe: Zur Biographie von Jacob Steiner In: Bibliotheca mathematica, 3. Folge, Band 1, 1900, S. 134
  13. Felix Klein: Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert. Teile 1 und 2. Springer, 1926, S. 128 f.
  14. Emil Lampe: Zur Biographie von Jacob Steiner In: Bibliotheca mathematica, 3. Folge, Band 1, 1900, S. 138
  15. Emil Lampe: Zur Biographie von Jacob Steiner In: Bibliotheca mathematica, 3. Folge, Band 1, 1900, S. 132
  16. Martin Lowsky: Unvergessliche Seelenverwandtschaft. Theodor Fontane lernt Mathematik bei Jacob Steiner. In: Katja Legnink, Susanne Prediger, Franziska Siebel: Mathematik und Mensch. Verlag Allgemeine Wissenschaft, Mühltal 2001 (Darmstädter Schriften zur Allgemeinen Wissenschaft, Band 2).