Peter Gustav Lejeune Dirichlet
Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet ([ləˈʒœn diʀiˈkleː][1][2] oder [ləˈʒœn diʀiˈʃleː][3][4]; * 13. Februar 1805 in Düren; † 5. Mai 1859 in Göttingen) war ein deutscher Mathematiker.
Dirichlet lehrte in Berlin und Göttingen und arbeitete hauptsächlich auf den Gebieten der Analysis und der Zahlentheorie.
Leben
Dirichlets Großvater stammte aus Verviers (heute Belgien, damals Hochstift Lüttich) und siedelte nach Düren über, wo er eine Tochter einer Dürener Familie heiratete. Der Vater des Großvaters trug als erster zur Unterscheidung von seinem Vater den Namen Lejeune Dirichlet („der junge Dirichlet“), der Name Dirichlet entstand aus Le jeune de Richelette („der Junge aus Richelette“) nach einem kleinen, heute belgischen Ort,[5] worauf sich die Aussprache [ləˈʒœn diʀiˈʃleː] gründet.
Mit zwölf Jahren besuchte Dirichlet zunächst das heute so genannte Beethoven-Gymnasium Bonn. In dieser Zeit wurde er von Peter Joseph Elvenich, einem Bekannten der Familie Dirichlet, betreut. Zwei Jahre später wechselte er zum Marzellen-Gymnasium in Köln, wo er von 1819 bis 1821 unter anderem von Georg Simon Ohm unterrichtet wurde.[6] Im Mai 1822 begann er ein Mathematikstudium in Paris und traf dort mit den bedeutendsten französischen Mathematikern dieser Zeit – unter anderem Biot, Fourier, Francoeur, Hachette, Laplace, Lacroix, Legendre und Poisson – zusammen.
1825 machte er erstmals auf sich aufmerksam, indem er zusammen mit Adrien-Marie Legendre für den Spezialfall die Fermatsche Vermutung bewies: Für existiert keine nichttriviale ganzzahlige Lösung der Gleichung . Später lieferte er noch einen Beweis für den Spezialfall ; die Allgemeingültigkeit dieses Satzes konnte erst 1994 bewiesen werden.
1827 wurde er von der Universität Bonn ehrenhalber promoviert und habilitierte sich 1827 – auf Empfehlung Alexander von Humboldts – als Privatdozent an der Universität Breslau. 1828 zog ihn Alexander von Humboldt nach Berlin. Hier unterrichtete er zunächst an der allgemeinen Kriegsschule, und später lehrte er an der Bauakademie. 1829 wurde er Privatdozent, 1831 a.o. Professor und 1839 o. Professor der Mathematik an der Berliner Friedrich-Wilhelms Universität. 1832 wurde er zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt.[7] Seit 1833 war er Mitglied der Académie des sciences in Paris und seit 1837 der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.
Dirichlet heiratete am 22. Mai 1832 Rebecka Henriette Mendelssohn, eine Schwester der Komponistin Fanny Hensel und des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy.[8][9] Ihre Tochter Florentine war die Mutter der Sozialpolitikerin Marie Baum, ein Sohn des Paares war der Landwirt Walter Lejeune Dirichlet, ein Urenkel der Philosoph Leonard Nelson.
Er war seit 1846 auswärtiges und seit 1855 ordentliches Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften.[10] Der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehörte er seit 1854 als auswärtiges Mitglied an.[11] 1855 trat er in Göttingen als Professor der höheren Mathematik die Nachfolge von Carl Friedrich Gauß an. Diese Position hatte er bis an sein Lebensende 1859 inne.
Dirichlet forschte im Wesentlichen auf den Gebieten der partiellen Differentialgleichungen, der bestimmten Integrale und der Zahlentheorie. Er verknüpfte die bis dahin getrennten Gebiete der Zahlentheorie und der Analysis. Dirichletreihen sind als Verallgemeinerung der Betafunktion nach ihm benannt. Er gab Kriterien für die Konvergenz von Fourierreihen und bewies die Existenz von unendlich vielen Primzahlen in arithmetischen Progressionen, bei denen das erste Glied teilerfremd zur Differenz aufeinanderfolgender Glieder ist. Nach ihm benannt ist der dirichletsche Einheitensatz über Einheiten in algebraischen Zahlkörpern. Seine neue Art von Betrachtungen der Potentialtheorie wurden später von Bernhard Riemann verwendet und weiterentwickelt. Er beschäftigte sich auch mit mathematischer Physik (unter anderem Gleichgewichtsfiguren rotierender Flüssigkeiten). Das nach Dirichlet benannte Variationsprinzip wurde später von Ray William Clough (1920–2016) u. a. zur Grundlegung der Finite Elemente Methode (FEM) herangezogen[12]. Seine Vorlesungen über Zahlentheorie wurden nach seinem Tod von Richard Dedekind herausgegeben und mit einem berühmten eigenen Anhang versehen. Dirichlet war zu seiner Zeit für die (nach damaligen Verhältnissen) Strenge seiner Beweise bekannt. Carl Gustav Jacobi schrieb in einem Brief an Alexander von Humboldt am 21. Dezember 1846: Wenn Gauß sagt, er habe etwas bewiesen, ist es mir sehr wahrscheinlich, wenn Cauchy es sagt, ist ebensoviel pro wie contra zu wetten, wenn Dirichlet es sagt, ist es gewiß.[13]
Zu seinen Schülern gehörten neben Dedekind auch Bernhard Riemann, Gotthold Eisenstein, Rudolf Lipschitz und Hans Sommer.
In Dirichlets Haus in Göttingen musizierten der Geiger Joseph Joachim und Agathe von Siebold, die zeitweilige Verlobte von Brahms. Dort besuchte ihn im Juni 1856 Karl August Varnhagen von Ense aus Berlin und beschrieb in seinen Tagebüchern das Haus, den Garten und dessen Pavillon.[14]
Dirichlet wurde auf dem Bartholomäusfriedhof in Göttingen beigesetzt.
An der Weierstraße 11 in Düren, wo Dirichlets Geburtshaus stand, erinnert eine Gedenktafel an Dirichlet. Der Dirichletweg in Düren ist nach ihm benannt.
Verfahren, die auf Dirichlet zurückgehen oder nach ihm benannt sind
- Dirichletscher Approximationssatz
- Dirichlet-Bedingung
- Dirichletsche Betafunktion
- Dirichlet-Funktion (oder auch Dirichletsche Sprungfunktion)
- Dirichlet-Kern
- Dirichletscher Primzahlsatz
- Dirichlet-Prinzip
- Dirichlet-Randbedingung
- Dirichletreihe
- Dirichlet-Verteilung
- Schubfachprinzip
- Dirichlet-Zerlegung
- Konvergenzkriterium von Dirichlet
- Dirichlet-Faltung (siehe Zahlentheoretische Funktion#Faltung)
- Dirichletsche L-Funktionen
- Dirichlet-Charaktere
- Dirichletsche η-Funktion
- Dirichletscher Einheitensatz
- Dirichletsches Teilerproblem
- Klassenzahlformel
Werke
- Sur la convergence des séries trigonométriques qui servent à représenter une fonction arbitraire entre des limites données, Journal für reine und angewandte Mathematik 4, 1829, S. 157–169; bei Google Books; arxiv:0806.1294
- Beweis des Satzes, dass jede unbegrenzte arithmetische Progression, deren erstes Glied und Differenz ganze Zahlen ohne gemeinschaftlichen Factor sind, unendlich viele Primzahlen enthält. Abhandlungen der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1837, S. 45–71
Postum herausgegeben
- Richard Dedekind (Hrsg.): Untersuchungen über ein Problem der Hydrodynamik. Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen 8, 1860, S. 3–42
- Richard Dedekind (Hrsg.): Vorlesungen über Zahlentheorie. Friedrich Vieweg und Sohn, Braunschweig 1863 1871 1879 1894 (nach Vorlesungen Dirichlets vom Winter 1856/57 herausgegeben und ergänzt von Richard Dedekind) archive.org bei Google Books: 1. Auflage; im Internet-Archiv: 2., 2., 2., 2., 3., 3., 3., 3., 4., 4. Auflage; beim GDZ: 2. Auflage
- F. Grube (Hrsg.): Vorlesungen über die im umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernung wirkenden Kräfte, B. G. Teubner, Leipzig 1876 1887 (nach Vorlesungen Dirichlets vom Winter 1856/57; im Internet-Archiv: 1., 1. Auflage; bei der Cornell University: 2. Auflage)
- G. Lejeune Dirichlet’s Werke. In zwei Bänden, Georg Reimer, Berlin
- Leopold Kronecker (Hrsg.): Erster Band, 1889 (mit Bildnis; im Internet-Archiv, dito)
- Leopold Kronecker, Lazarus Fuchs (Hrsg.): Zweiter Band, 1897 (im Internet-Archiv)
- Kurt-R. Biermann (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Peter Gustav Lejeune Dirichlet, Akademie-Verlag, Berlin 1982
Ehrungen
Nach Dirichlet benannt ist die Pflanzengattung Dirichletia Klotzsch aus der Familie der Rötegewächse (Rubiaceae).[15] 1970 wurde ein Mondkrater[16] nach ihm benannt und 1999 wurde der Asteroid (11665) Dirichlet nach ihm benannt.[17]
Literatur
- Karl Wilhelm Borchardt: Gustav Lejeune-Dirichlet. In: Journal für die reine und angewandte Mathematik, 57, 1859, S. 91–92 (Nachruf)
- Moritz Cantor: Dirichlet, Gustav Lejeune-. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 5, Duncker & Humblot, Leipzig 1877, S. 251 f.
- Sebastian Hensel: Gustav Peter Lejeune Dirichlet in Die Familie Mendelssohn 1729–1847. Nach Briefen und Tagebüchern Band 1, 6. Auflage, B. Behr’s Verlag, Berlin 1888, Digitalisat, S. 349–357
- Gottlob Kirschmer: Dirichlet (eigtl. Lejeune D.), Gustav Peter. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, ISBN 3-428-00184-2, S. 739 f. (Digitalisat).
- Lars Gårding: The Dirichlet problem, The Mathematical Intelligencer 2, 1979, S. 43–53 (englisch)
- Helmut Koch: Gustav Peter Lejeune Dirichlet, in: Heinrich Begehr et al. (Hrsg.): Mathematics in Berlin, Birkhäuser, Berlin 1998, S. 33–39 (sowie Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 1981 und Mitteilungen der Mathematischen Gesellschaft der DDR 1981)
- Uta Merzbach: Dirichlet: A Mathematical Biography, Birkhäuser 2018
- David E. Rowe: Gauss, Dirichlet, and the law of biquadratic reciprocity, The Mathematical Intelligencer 10 Nr. 2, 1988, S. 13–26 (englisch)
- Allen Shields: Lejeune Dirichlet and the birth of analytic number theory: 1837–1839, The Mathematical Intelligencer 11 Nr. 4, 1989, S. 7–11 (englisch)
- Rüdiger Thiele: Mathematics in Göttingen (1737–1866), The Mathematical Intelligencer 16 Nr. 4, 1994, S. 50–60 (englisch)
- Jürgen Elstrodt: The Life and Work of Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859). (PDF; 323 kB), in William Duke, Yuri Tschinkel: Analytic number theory: a tribute to Gauss and Dirichlet. In: Clay Mathematics Proceedings, 7, 2007, S. 1–37 (englisch)
Weblinks
- Literatur von und über Peter Gustav Lejeune Dirichlet im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- John J. O’Connor, Edmund F. Robertson: Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet. In:
- Historische Persönlichkeiten Göttingens in der Mathematik. Peter Gustav Lejeune-Dirichlet. – Kurzbiografie an der Universität Göttingen
- Gustav Peter Lejeune Dirichlet. im Mathematics Genealogy Project (englisch)
- Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet – Œuvres complètes. – Gesammelte Werke bei Gallica
- Spektrum.de: Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859) 1. Mai 2013
Einzelnachweise
- ↑ Helmut de Boor, Hugo Moser, Christian Winkler (Hrsg.): Siebs: Deutsche Hochsprache. Bühnenaussprache, de Gruyter, Berlin 1957, S. 270
- ↑ „Dirikläh“ nannte sich Dirichlet selbst; siehe Helmut Koch, Jürg Kramer: Die Mathematik bis 1890 in Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.): Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010. Band 4, Akademie Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-05-004669-3, S. 468
- ↑ Meyers Großes Konversations-Lexikon. Band 5. Leipzig 1895, S. 27
- ↑ Dirichlet. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 5, Bibliographisches Institut, Leipzig/Wien 1906, S. 42.
- ↑ Elstrodt: The Life and Work of Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859). (PDF; 331 kB) 2007, S. 2
- ↑ Martin Schwarzbach: Kölner Abiturienten -- Spätere Naturforscher. In: Martin Schwarzbach (Hrsg.): Naturwissenschaften und Naturwissenschaftler in Köln zwischen der alten und der neuen Universität (1798–1919). Böhlau, Köln 1985, S. 106.
- ↑ Mitglieder der Vorgängerakademien. Gustav (Johann Peter Gustav) Lejeune Dirichlet. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 15. März 2015.
- ↑ Hans-Günter Klein: Die Familie Mendelssohn. Stammbaum von Moses Mendelssohn bis zur siebenten Generation (2. Auflage), Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Berlin 2007, S. 19
- ↑ Die Verlobung hatte im November 1831 stattgefunden, siehe Elstrodt: The Life and Work of Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859) (PDF; 331 kB), 2007, S. 13.
- ↑ Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 148.
- ↑ Mitgliedseintrag von Gustav Dirichlet bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 7. November 2019.
- ↑ Karl-Eugen Kurrer: The History of the Theory of Structures. Searching for Equilibrium. Ernst & Sohn, Berlin 2018, S. 888ff., ISBN 978-3-433-03229-9.
- ↑ Dieudonné (Hrsg.), Geschichte der Mathematik, Vieweg 1990, S. 389
- ↑ Karl August Varnhagen von Ense: Tagebücher. Hrsg. v. Ludmilla Assing, Hoffmann und Campe, Hamburg 1870, 8.–12. Juni 1856, S. 39–44 (Web-Ressource).
- ↑ Lotte Burkhardt: Verzeichnis eponymischer Pflanzennamen – Erweiterte Edition. Teil I und II. Botanic Garden and Botanical Museum Berlin, Freie Universität Berlin, Berlin 2018, ISBN 978-3-946292-26-5 doi:10.3372/epolist2018.
- ↑ Peter Gustav Lejeune Dirichlet im Gazetteer of Planetary Nomenclature der IAU (WGPSN) / USGS
- ↑ Peter Gustav Lejeune Dirichlet beim IAU Minor Planet Center (englisch)
Personendaten | |
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NAME | Dirichlet, Peter Gustav Lejeune |
ALTERNATIVNAMEN | Lejeune Dirichlet, Johann Peter Gustav (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Mathematiker |
GEBURTSDATUM | 13. Februar 1805 |
GEBURTSORT | Düren |
STERBEDATUM | 5. Mai 1859 |
STERBEORT | Göttingen |