Jeanne und Gilles

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Operndaten
Titel: Jeanne und Gilles
Jeanneundgilles.jpg

Szenenbild

Form: Kammeroper
Originalsprache: Deutsch
Musik: François-Pierre Descamps
Libretto: Kristine Tornquist
Uraufführung: 21. September 2018
Ort der Uraufführung: Wien, sirene Operntheater im Reaktor Wien
Spieldauer: ca. 1 ½ Stunden
Ort und Zeit der Handlung: Orléans, Paris, Rouen, Tiffauges, um 1429 bis 1440
Personen

Jeanne und Gilles[1] ist das dritte Bühnenwerk des französischen Komponisten François-Pierre Descamps und der österreichischen Librettistin Kristine Tornquist aus dem Jahr 2018 in Zusammenarbeit mit dem sirene Operntheater Wien. Die Geschichte erzählt von der französischen Nationalheldin Jeanne d’Arc und ihrer Beziehung zu Marschall Gilles de Montmorency-Laval, Baron de Rais. Historische Fakten und Fiktion werden dabei gemischt.

Handlung

Die Oper erzählt von der Liebe zwischen der charismatischen Jeanne d’Arc und dem charakterschwachen Grafen Gilles de Montmorency-Laval, Baron de Rais.

Der Augustinermönch Pasquerel prüft die junge Feldherrin Jeanne auf ihre Glaubenssicherheit. Sie überzeugt ihn, von Gott in den Krieg geschickt zu werden.

Siegreich kehrt sie aus der Schlacht bei Orléans zurück, die Stadt ist endlich befreit.

Der Feldherr Jean d’Orléans und der Söldnerführer Étienne de Vignolles bewundern das ungewöhnliche Kriegstalent. Der junge Adelige Gilles de Rais aber glaubt leidenschaftlich an die kriegerische Jungfrau und verliebt sich.

Jeanne hat keine Zeit für die Liebe, sie ist ganz auf ihre Mission konzentriert. Gottes Stimme hat ihr befohlen, Frankreichs König zu krönen und das Land von den Engländern zu befreien, koste es, was es wolle.

Die Gräuel des Krieges erscheinen Gilles nur wegen Jeannes sicheren Versprechens erträglich, Gott selbst habe sie befohlen.

Als sie in der Schlacht um Paris erstmals eine Niederlage erleiden, distanzieren sich der König und seine Gefolgsmänner von Jeanne – und liefern sie den Burgundern und Engländern aus, um einen Waffenstillstand zu erreichen.

Jeanne wird gefangen genommen und zum Feuertod verurteilt.

Der an Menschen und Gott zweifelnde Pasquerel macht sich Sorgen um das Seelenheil seines Schützlings, doch sie geht voller Zuversicht und Glauben ins Feuer.

Die Kriegskameraden fügen sich widerwillig in den Befehl des Königs und sehen ihre von Gefangenschaft und Prozess gezeichnete einstige Anführerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Der Krieg ist beendet, das Leben geht weiter. Nur Gilles de Rais kann nicht vergessen. Denn mit Jeanne ist auch sein moralischer Halt verbrannt.

Albträume aus dem Krieg suchen ihn heim, in seinem Kopf hört er die Schreie der Schlachtfelder und sieht Jeannes Feuertod aufs Neue.

Zurückgezogen lebt er auf seinem düsterem Schloss Tiffauges, nur in Gesellschaft seines Dieners Poitou, und hofft, mithilfe von Alchimisten und Magiern Antwort auf die Frage zu erhalten, warum Gott Krieg und Tod befohlen hat.

Der Alchimist und Arzt Jean de la Rivière kann sich mit seinen aufgeklärten Ratschlägen nicht durchsetzen, er kommt schließlich um.

Der Teufelsbeschwörer Francesco Prelati rät dem unglücklichen Baron, im Schrei der Unschuld das Echo von Jeannes Stimme und die Antwort zu suchen. Ein Kind soll dafür sterben.

Gilles wird wie Jeanne dafür verurteilt und hingerichtet.

Der Krieg geht weiter, Orléans und Vignolles ziehen in die nächste Schlacht.

Pasquerel erkennt im friedlichen Gesang der Vögel Gottes Stimme.

Jeanne d’Arc

Jeanne d’Arc, die Jungfrau, Kriegsherrin, zum Feuertod Verurteilte und Heilige ist eine vieldeutige und umstrittene Figur der französischen Geschichte, deren Glanz je nach politischem Bedarf immer wieder aus der Versenkung geholt und dann wieder mit Misstrauen und Ablehnung bedacht wird.

Zwar gibt es durch die akribisch aufgezeichneten Prozesse – erst ihrer Verurteilung 1431, dann 1455 ihrer posthumen Rehabilitierung – eine sehr ausführliche Dokumentation ihres Lebens und Archive voller Materialien zum Umfeld, dennoch bleibt sie seltsam unfassbar und rätselhaft.

Das hat in den fast 600 Jahren seit ihrem Erscheinen in der Weltgeschichte Historiker und Künstler zu Neudeutungen und Revisionen verführt. An der Art der Deutungen lässt sich jeweils viel über die Epoche ablesen.

Der Engländer William Shakespeare sieht in ihr eine sündige Betrügerin. Aufklärer Voltaire macht sich über die naive Jungfrau lustig. Friedrich Schiller feiert mit viel Euphorie den heroischen Kampf gegen die Machtverhältnisse. Carl Theodor Dreyers berühmte Verfilmung der Gerichtsprotokolle (Die Passion der Jungfrau von Orléans, 1928) stellt vor allem ihre tiefe Gläubigkeit aus, während die letzte große französische Verfilmung durch Luc Besson (Johanna von Orleans, 1999) die kriegerische Jungfrau als Verblendete und Rachsüchtige diskreditiert und damit ein Abbild einer Zeit schafft, die dem Krieg zwiespältig gegenübersteht: er zeigt in den eineinhalb Stunden des Filmes erst eine Blutorgie, um dann Reue einzufordern.

Das ist nur die Spitze des Eisbergs: geschätzte 4000 Werke widmen sich der Jungfrau, die nur 21 Jahre alt wurde. Die Historiker interpretierten die Motive, die Hintergründe und Auswirkungen dabei sehr unterschiedlich.

Jeanne d’Arcs pragmatische Weigerung, am Schlachtfeld Frauenkleider anzuziehen und ihre vielgeprüfte und vielzitierte Jungfernschaft machten sie immer schon zu einem fast modernen Zwischenwesen – nicht Mann, nicht Frau, nicht Kind.

Ihr großer gesellschaftlicher Sprung von der Bauerntochter in einem kleinen Dorf zur geadelten Feldherrin, die mit den Spitzen der Gesellschaft selbstbewusst verkehrte und sogar den König als ihren „kleinen Charles“ bezeichnete, die sich gegen das Dogma der Kirche stellte und sich im Prozess äußerst klug gegen die spitzfindigsten Kleriker selbst verteidigte – all das macht sie jedenfalls neben ihren mächtigeren Zeitgenossen, die in der großen historischen Distanz bereits verblasst sind, zu einer nach wie vor schillernden Größe, zu einem Rätsel und zu einer Chiffre.

Gilles de Rais

Von Gilles de Rais gibt es kein zeitgenössisches Porträt. Das bekannteste Bildnis stammt aus dem 19. Jahrhundert von Éloi Firmin Féron und zeigt eine dunkle grimmige Gestalt. Doch in zeitgenössischen Texten wird er als strahlende Erscheinung mit dem Gesicht eines Engels beschrieben.

Gilles de Rais, Vorbild für die schaurige Märchenfigur des Blaubart, war ein enger Kampfgefährte Jeanne d’Arcs. Als einer der reichsten französischen Erben eines großen Adelshauses und mit vielen Talenten gesegnet, wurde er nach dem Sieg von Orléans – der die Zäsur im Hundertjährigen Krieg darstellte – mit 26 Jahren Marschall von Frankreich.

In dem Jahr, das er an Jeannes Seite verbrachte (1428/29), war er ihr Kampfgefährte, ihr Beschützer und empfand sich als ihr enger Freund.

Gilles de Rais hat die Pucelle wohl nie berührt – das war das Gebot der Jungfrau – aber er hat sie geliebt. Sicher hat er ihre magischen Kräfte verehrt, die sie aus der Illumination, aus dem Übersinnlichen zog, aus den Stimmen, die zu ihr sprachen und sie mit dieser unbegreiflichen Sicherheit in die Siegesräusche führte. Diese Sicherheit fand er, der trotz seines Reichtums und seiner Talente als Frühverwaister, kaum Erzogener haltlos, orientierungslos und ein schwacher Mensch war.

Heute wird er vor allem in Satanistenkreisen mit wohligem Grusel verehrt. Nach Jeannes Verurteilung durch die Kirche und ihrem Feuertod, den er ohnmächtig miterleben musste, zog er sich aus dem Kampf und der Gesellschaft auf sein Schloss Tiffauges zurück und verschwendete sein riesiges Vermögen unter anderem mit der Produktion eines Theaterstückes von 24000 Versen, für 500 Schauspieler und riesigem Orchester über die Entsetzung von Orléans. Le Mistère du Siège d’Orléans war eine Ode an Jeanne d’Arc, und der Auftraggeber und Mitautor Gilles de Rais wies sich selbst einen bedeutsamen Platz an ihrer Seite zu.

Seine Familie ließ ihn schließlich entmündigen und drängte den in Alkoholismus und Rastlosigkeit Abstürzenden ins Abseits.

Zuletzt lebte Gilles de Rais umgeben von Liebhabern, Betrügern und Speichelleckern in seinem Schloss in Tiffauges, das zu Blaubarts Burg wurde.

Hier versuchte er sich mit Hilfe betrügerischer Alchimisten und Magier in der Beschwörung magischer Kräfte, der Goldmacherei, der Schwarzen Magie. Vor allem aber frönte er seiner Lust, Kinder zu missbrauchen und zu ermorden.

Ein Vergnügen, das in allen schauderhaften Details im Ketzerprozess 1440 gegen ihn zur Sprache kommt. Ob es der Druck der Kirche war, die ihn mit der Exkommunikation sowie Folter erpresste, oder ob er tatsächlich erleichtert war, dem manischen Blutrausch zu entkommen – jedenfalls widmete er sich der Selbstbezichtigung, der Reue, tiefer Gottergebenheit und Demut mit derselben Energie, mit der er Soldat war, Theater gemacht, verschwendet und gemordet hatte.

Dass ein hoher Adeliger vor Gericht kam, hatte wohl mehr politische als kriminelle Gründe – er hatte sich einen Widersacher im Kampf um sein restliches Vermögen geschaffen, der ihn auf diese Weise aus dem Weg zu räumen hoffte.

Die Familie de Rais starb aus, zurückgeblieben ist nur die Ruine von Tiffauges – ein schaurig wie von einem Blitz gespaltener Turm. Und das Märchen Blaubart.

Krieg und Trauma

Die Kammeroper Jeanne und Gilles ist eine Metapher des Krieges, der voran seine glänzende Seite – und im langen Nachhinein die Abgründe in den Seelen der Überlebenden zeigt.

Aus jedem Krieg kehren Soldaten zurück, die überlebt haben und doch seelisch daran schwer verkrüppelt sind. Sie bringen die Gewalt, die sie ausgeübt und der sie ausgesetzt waren, mit sich in die Gesellschaft. Der Krieg hört nicht auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Traumata meist ignoriert und im Wiederaufbau sublimiert. Heute gilt ihnen mehr Aufmerksamkeit, aber weder mit Verständnis noch mit Interesse. Denn den Soldaten haftet der Geruch an, mit etwas in Berührung gekommen zu sein, das in der Gesellschaft keinen Platz hat.

Schon die medizinische Behandlung der US-Kriegsversehrten wird durch Scheinwartelisten und Behördenschikanen zurück- und kurzgehalten, für die psychische Betreuung der Heimkehrer stehen erst recht weder Aufmerksamkeit noch Ressourcen zur Verfügung.

So machen die allein gelassenen Veteranen durch Amokläufe, Aggression, Selbstmorde, soziale und wirtschaftliche Unfähigkeit, wieder zu funktionierenden Staatsbürgern zu werden, auf sich aufmerksam.

Nach dem Ersten Weltkrieg nannte man sie die Kriegszitterer, heute attestiert man gut der Hälfte der US-Veteranen die posttraumatische Störung PTSD mit Schlaflosigkeit, Flashbacks, Panikattacken, Wutausbrüchen, Konzentrationsschwierigkeiten oder tiefer Gleichgültigkeit.

Gestaltung

Szenenfolge

  • Prolog
  • Frühling. Spielt im Hundertjährigen Krieg 1429 im Feldlager vor Orléans
  • Sommer. Spielt am Schlachtfeld vor Paris 1430
  • Herbst. Spielt 1431 in Rouen
  • Winter. Spielt in Gilles de Rais’ Burg Tiffauges 1440
  • Epilog

Die Musik

Komponist und Dirigent François-Pierre Descamps malt für die ariosen Erzählungen der Sänger mit einem streicherlastigen Ensemble variable Klanghintergründe, die Erregung, noblen Pathos und einen Hauch von Hollywood in gemäßigt moderner Tonsprache und swingenden Rhythmen (3+2+3) transportieren.

Werkgeschichte

Der Uraufführung[2] fand am 21. September 2018 im Reaktor in Wien statt. In einer Koproduktion des sirene Operntheaters mit dem Reaktor folgten dort weitere fünf Vorstellungen in der Uraufführungsreihe.

Die musikalische Leitung übernahm Komponist François-Pierre Descamps, Regie führte Kristine Tornquist.

Sänger

  • Jeanne d’Arc. Lisa Rombach
  • Gilles de Rais. Paul Schweinester
  • Jean Pasquerel. Johann Leutgeb
  • Etienne de Vignolles. Andreas Jankowitsch
  • Jean d’Orléans. Bernd Lambauer

Leading Team

Weblinks

Einzelnachweise