Jurafrage

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Die jurassischen Bezirke

Die Jurafrage bzw. der Jurakonflikt ist eine politische Auseinandersetzung in der Schweiz, die die politische Unabhängigkeit der Region Jura vom Kanton Bern zum Gegenstand hat. 1978 entschied sich die Bevölkerung des nördlichen Jura, als Kanton Jura selbstständig zu werden, wobei sich der Berner Jura für den Verbleib bei Bern entschied. Weil der jurassische Separatismus im Berner Jura, besonders in der Gemeinde Moutier weiterlebt, bleibt das Thema weiterhin aktuell.

Hintergrund

Der Jurakonflikt hat seinen Ursprung in der Vereinigungsurkunde vom 23. November 1815, mit der Gebiete des ehemaligen Fürstbistums Basel dem Kanton Bern zugesprochen wurden. Dies wurde am Wiener Kongress so von den Grossmächten vorgeschlagen und beschlossen, um den Kanton Bern für die verlorenen Untertanengebiete Waadt und Aargau zu entschädigen.[1] Die Bestrebungen, einen eigenständigen Kanton Jura zu gründen, wie das vor allem die Stadt Biel vorschlug, wurden dabei nicht berücksichtigt.[2] Die Jurassier fanden sich so als sprachliche und kulturelle Minderheit im Kanton Bern wieder. Aber auch innerhalb des Juras gab es Unterschiede, die südlichen Bezirke waren reformiert und aus früheren Jahrhunderten enger mit Bern verbunden als die nördlichen, römisch-katholischen Bezirke. Von der Vereinigung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es vereinzelte Vorstösse zur Loslösung von Bern, die allerdings nur wenig Anklang fanden.

1947 bis 1979

Moeckli-Affäre

Die Jurafrage wurde 1947 in zugespitzter Form zum gesellschaftlichen und politischen Thema, als dem jurassischen Sozialdemokraten Georges Moeckli die Leitung des Baudepartements nicht anvertraut wurde, da dieses Amt nach der Auffassung des Grossen Rats in den Händen eines Altberners bleiben sollte. Infolgedessen kam es am 20. September 1947 in Delsberg zu einer Protestdemonstration mit 2000 Teilnehmern. Die Demonstranten verlangten die Bildung eines Komitees zur Verteidigung der Rechte und Interessen des Juras. Das daraus entstandene Komitee von Moutier setzte sich erfolgreich für eine verfassungsrechtliche Anerkennung des jurassischen Volkes ein, welche an der Volksabstimmung vom 29. Oktober 1950 angenommen wurde. Andere Teilnehmer der Demonstration von 1947, beispielsweise Daniel Charpilloz, verlangten die Schaffung eines eigenen Kantons. Die Gruppierungen, die dies forderten, schlossen sich zum Mouvement séparatiste jurassien zusammen, welches 1951 zum Rassemblement jurassien wurde.

1957 lancierte das Rassemblement jurassien eine kantonale Volksinitiative, die am 5. Juli 1959 zur Abstimmung kam und die Schaffung eines neuen Kantons zum Ziel hatte. Die Initiative wurde mit über drei Viertel Nein-Stimmen klar verworfen, einzig in den drei nordjurassischen Bezirken wurde die Initiative angenommen, die südjurassischen Bezirke lehnten sie mit 52 % Nein-Stimmen knapp ab. Für das RJ war dies eine Niederlage, besonders weil es die von ihnen betonte «Einheit des Jurassischen Volkes» widerlegte.[3]

In den 1960er Jahren spitzte sich der Konflikt immer weiter zu. Neben dem Rassemblement jurassien formierten sich 1963 und 1964 die Jugendgruppe «Béliers» und der Front de libération jurassien (FLJ), der in dieser Zeit mehrere Anschläge verübte, darunter drei Brandanschläge auf Bauernhöfe in den Gemeinden Les Genevez und Lajoux. Am 30. August 1964 wurde der Bundesrat Paul Chaudet bei einer Gedenkfeier in Saint-Ursanne von mehreren tausend Separatisten niedergeschrien. Kompromissversuche scheiterten, besonders weil die Berner Regierung am Prinzip der Kantonalen Einheit festhielt und Bestrebungen nach mehr Autonomie oder einer Separation weiterhin ablehnte.

Juraplebiszite und Kantonsgründung

Resultate der ersten Abstimmung vom 23. Juni 1974. Hellrot: Für die Schaffung eines neuen Kantons, Rot: Dagegen

Erst 1967 schuf die Berner Regierung einen Massnahmenplan, mit dem der Jura über sein Selbstbestimmungsrecht abstimmen konnte. Diesem Plan wurde in einer kantonalen Abstimmung am 1. März 1970 zugestimmt. Der Plan sah drei Volksabstimmungen über eine Trennung vor:

  • In der ersten Abstimmung stimmten die sieben betroffenen Amtsbezirke über die Schaffung eines neuen Kantons.
  • Zweite Abstimmung:
    • Falls im ganzen Jura keine Mehrheit vorlag, durften die Bezirke, in denen Ja gestimmt wurde, nochmals separat über eine Trennung vom Kanton Bern abstimmen.
    • Falls der Jura mehrheitlich ja stimmte, durften die Bezirke, in denen Nein gestimmt wurde, nochmals separat über einen Verbleib bei Bern abstimmen.
  • In der dritten Abstimmung konnten Gemeinden, die an der Grenze zwischen befürwortenden und ablehnenden Bezirken lagen nochmals abstimmen, ob sie zum Kanton Bern oder Kanton Jura gehören wollten.

Dieses Verfahren wurde von den Separatisten kritisiert, denn es führe zu einem Auseinanderfallen des Juras.

3. Februar 1977, bei der Zeremonie der Annahme der Verfassung des Kantons Jura durch den Verfassungsrat. Roland Béguelin, François Lachat, Joseph Boinay (von links)

Die erste Abstimmung fand am 23. Juni 1974 statt. Entgegen den Erwartungen stimmte eine Mehrheit für den neuen Kanton, es zeigte aber auch erneut, wie uneinig der Jura war: Nur die drei nordjurassischen Amtsbezirke Delsberg, Ajoie und Freiberge stimmten Ja. Die südjurassischen Bezirke Courtelary, Moutier und La Neuveville, welche heute den Verwaltungskreis Berner Jura bilden, sowie der deutschsprachige Bezirk Laufen stimmten für den Verbleib bei Bern. Diese Resultate wurden bei der zweiten Abstimmung vom 16. März 1975 in allen Amtsbezirken bestätigt und die dritte Abstimmung legte am 7. und am 14. September 1975 schliesslich den Verlauf der neuen Kantonsgrenze fest. Da der deutschsprachige Bezirk Laufen nun durch den Kanton Jura von Bern getrennt war, hielt er sich die Option offen, einem benachbarten Kanton beizutreten, was 1994 nach mehreren Abstimmungen auch geschah. Im Nordjura wurde eine Verfassung ausgearbeitet, die am 21. Juni 1977 vom National- und Ständerat angenommen, und mit der eidgenössischen Volksabstimmung vom 24. September 1978 stimmten 82,3 % der Schweizer und alle Kantone für die Gründung des Kantons Jura.[4]

Seit 1979

Nachdem der Kanton Jura offiziell am 1. Januar 1979 gegründet war, verlor das Rassemblement jurassien allmählich an Bedeutung zugunsten traditioneller politischer Parteien und der Konflikt zwischen Separatisten und Antiseparatisten beruhigte sich in den frühen 1980er Jahren etwas.

Nachdem 1983 der Amtsbezirk Laufen den Wechsel zum Kanton Basel-Landschaft an der Urne ablehnte, flammte der Jurakonflikt erneut auf. Den Berner Behörden wurde vorgeworfen, den Abstimmungskampf der berntreuen Antiseparatisten finanziell unterstützt zu haben und das Bundesgericht erklärte die Abstimmung für ungültig. Bei der wiederholten Abstimmung 1989 stimmten die Laufentaler für den Kantonswechsel. Aufgrund dieser Ereignisse setzte der Bundesrat eine Kommission unter dem Vorsitz von Sigmund Widmer ein, die schliesslich die Gründung der Interjurassischen Versammlung empfahl. Diese setzte sich seither für eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden Kantone ein.

Datei:Carte votation Question jurassienne 2013.png
Abstimmungsresultate vom 24. November 2013 über die Schaffung eines neuen Kantons Jura mit allen sechs Amtsbezirken.
Pro-Jurassier versammeln sich im Zentrum von Moutier nach der kommunalen Abstimmung zum Kantonswechsel am 18. Juni 2017.

Die Interjurassische Versammlung wurde von den Behörden der Kantone Jura und Bern beauftragt, Möglichkeiten für die zukünftige Zusammenarbeit zu untersuchen. Einer der Vorschläge, die die Interjurassische Versammlung in ihrem Schlussbericht 2009 vorschlug, war die Vereinigung aller sechs Amtsbezirke in einen Kanton. Dieser Vorschlag scheiterte 2013 an der Urne. Während die Bevölkerung im Kanton Jura mit 76,6 % deutlich Ja stimmte, wurde die Vorlage von den bernjurassischen Bezirken mit 71,9 % Nein-Stimmen deutlich abgelehnt.[5] Moutier stimmte als einzige Berner Gemeinde Ja und führte deshalb am 18. Juni 2017 eine Abstimmung auf kommunaler Ebene durch, bei der sich eine knappe Mehrheit von 51,72 % für den Kantonswechsel aussprachen. Die beiden Gemeinden Belprahon (mit 51,5 % Nein) und Sorvilier (mit 66,1 % Nein) führten ebenfalls Abstimmungen durch und sprachen sich am 17. September 2017 gegen einen Kantonswechsel aus.[6] Am 5. November 2018 hob die Regierungsstatthalterin des Berner Jura die Abstimmung in Moutier auf, nachdem mit Beschwerden Unregelmässigkeiten geltend gemacht wurden. Die Gemeinde Moutier zog das Urteil nicht weiter, sondern wiederholte die Abstimmung am 28. März 2021.[7] Dabei stimmten 54,9 % der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Moutiers für einen Kantonswechsel.[8]

Literatur

  • Christian Moser: Der Jurakonflikt: eine offene Wunde der Schweizer Geschichte. NZZ Libro, Basel 2020, ISBN 978-3-03810-463-6.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vereinigungsurkunde des ehemaligen Bisthums Basel mit dem Kanton Bern (1815). Abgerufen am 2. Oktober 2020.
  2. Jura bernois (5 et fin) : «Le centre de la périphérie». Abgerufen am 2. Oktober 2020 (französisch).
  3. François Wisard: Moeckli-Affäre. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 23. Januar 2008, abgerufen am 2. Oktober 2020.
  4. Bundeskanzlei BK: Politische Rechte. Abgerufen am 3. Oktober 2020.
  5. Tagesschau Hauptausgabe vom 24. November 2013. SRF, 24. November 2013, abgerufen am 3. Oktober 2020.
  6. Sorvilier und Belprahon bleiben beim Kanton Bern. SRF, 17. September 2017, abgerufen am 29. September 2017.
  7. Bern oder Jura? Moutier stimmt im März 2021 erneut über Kantonszugehörigkeit ab. In: NZZ. Abgerufen am 8. Oktober 2020.
  8. Ticker zur Moutier-Abstimmung. In: Basler Zeitung. Abgerufen am 28. März 2021.