Karl Julius Keim

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Elegie an Prag
F. E. Binders Weinstube

Karl Julius Keim (* 18. Januar 1823 in Barby, Provinz Sachsen; † 14. Januar 1906 in Magdeburg) war ein deutscher Arzt.[1] Bekannt war er zu seiner Zeit als medizinisch-humoristischer Schriftsteller.[2] Adolf Siegl, der große Chronist des Prager Studentenlebens, hat ihm ein kleines Denkmal gesetzt.

Leben

Keim studierte an der Friedrichs-Universität Halle Medizin. 1844 wurde er im Corps Thuringia Halle (II) aktiv.[3] Er wurde 1848 in Halle zum Dr. med. promoviert und 1849 als Arzt approbiert.[A 1] Wie viele junge Mediziner kam er zu Beginn der 1850er Jahre an die Karls-Universität. Zu ihrer Glanzzeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts zog Prags medizinische Fakultät viel mehr Mediziner aus deutschen Landen, der Schweiz und den Niederlanden zur praktischen Ausbildung an als die Wiener.[4] Keim steht weder in der Dozenten- noch in der Studentenmatrikel der Prager Universität. Nach den Examen eröffnete er eine Arztpraxis in Magdeburg. In der Medizinischen Gesellschaft Magdeburg spielte er eine hervorragende Rolle.[5] Auch in Magdeburg ging er seiner Neigung zum Verseschmieden nach.[2] Die meisten seiner humoristischen Dichtungen spielten im Arztmilieu – „heitere Scherze bei heitrem Festmahl“, die ihn im Freundeskreis der Magdeburger Medizinischen Gesellschaft

seinen alten Schimmel,
seinen braven Pegasus,
aus dem Stalle ziehen ließen.

Schöne Selbstironie ist sein Pseudonym „Supinator longus“. Der „lange Außendreher“ bezieht sich auf den Musculus supinator, der den gebeugten Unterarm nach außen rotiert und die Hand in eine Nehmestellung bringt. Eine Zeitlang war Keim Stadtverordneter in Magdeburg. Als Geheimer Sanitätsrat charakterisiert, starb er vier Tage vor seinem 79. Geburtstag.

Elegie an Prag

Elegie an Prag

In der Weinstube von Ferdinand E. Binder am Bethlehemsplatz schrieb Keim am 31. Mai 1853 die Elegie an Prag.[A 2] Als „Prager Lied“ ist sie in den Kommersbüchern der damaligen Zeit verzeichnet. Es soll nach Prinz Eugen, der edle Ritter gesungen worden sein.[6] Hingegen wies Paul Nettl nach, dass dem Medizinerlied eine Melodie von Carl Kuntze zugrunde liegt. Sie ähnelt dem Beginn von Beethovens Andante favori (WoO 57).[7] Der Inhaber der Weinstube Binder ließ die Elegie drucken und überreichte sie den bei ihm verkehrenden „Herren Doctoren der Medicin“ als Erinnerungsstück. In den Kommersbüchern war die 3., auf die Gebäranstalt bezogene Strophe aus Keuschheit in griechischen Buchstaben wiedergegeben; erst in späteren Ausgaben gelangte der deutsche Text zum Abdruck. In Prag waren die Frauenfächer damals räumlich getrennt, die Geburtshilfe im Kaiser-Franz-Joseph-Pavillon und die Gynäkologie in einem Gebäude auf dem erwähnten Windberg. Apolligen meint die Gifthütte bei St. Apollinaris.[8]

1. Hin nach Pragien, hin nach Pragien,
sollst du Musengaul mich tragien,
wo die Gulden flöten gehn,
wo mit Deutschlands blonden Söhnen
sich des Slawenstammes Schöne
nur in einem Punkt verstehn!

2. Zum Spital, dem allgemeinigen,
soll ich den Fuß beschleunigen,
wo der Jüngling arzten lernt,
wo auch ohne venae sectio
die entzündliche affectio
aus der Pleura sich entfernt.

3. Auf dem Windberg, auf dem steiligen,
möcht ich zu den Jungfraun eiligen,
mit geräumigem Utero,
drin am Nabelstrang, dem keuschen,
nach den Plazentargeräuschen
lächelnd hüpft der Embryo.

4. Zu Apolligen, zu Apolligen,
will ich auch im Geist mich trolligen,
wo der Tischgast atrophiert,
wo zum Tanz die Heska Holka
nach dem Klang der muntern Polka
der Primär' am Bändchen führt.

5. Zur Bastei möcht ich hinaningen,
wo der Herbstwind mit Kastaningen
nach dem Haupt des Wandrers zielt,
dort wo unter Samtmantillen
für den Lustwandlör im Stillen
menschlich die Chlorose fühlt.

6. Endlich auch zum edlen Bindinger
möcht ich sein ein Pfadefindiger,
wo der Hase gülden hüpft,
wo des fröhlichen Tokayer
kühlend heißes Freudenfeuer
durch den Pharynx willig schlüpft.

7. Hierher wird mit Wehmutsthränigen
stets das Herz sich sehnigen,
klopft es wiederum daheim,
hier, wo jetzt bei Weines Blitzen
abortiert in schlechten Witzen
Doctor medicinae Keim.

8. Arzt, Chirurgus und für Kinder
auch vereidigter Entbinder
aus der preuß'schen Monarchei,
Prag im Mai am letzten Datum,
in dem Jahr post Christum natum
achtzehnhundert, fünfzig, drei.

Bezüge

1. Strophe: Pegasos (Mythologie), Gulden, Slawen[A 3]
2. Strophe: Kais. Königl. Allgemeines Krankenhaus zu Prag, venae sectio = Veneneröffnung = Aderlass, Affektion, Pleura
3. Strophe: Uterus, Nabelschnur, Plazenta, Embryo
4. Strophe: Atrophie, Holka = Mädchen, Polka, Primarius = Chefarzt
5. Strophe: Bastei,[A 4] Mantilla, Lustwandeln, Chlorose
6. Strophe: ein güldener Hase war das Hausemblem der Weinstube Binder, Tokajer, Pharynx = Rachen
7. Strophe: abortieren = von sich geben
8. Strophe: Entbinder = Geburtshelfer; Keims Heimat, die Provinz Sachsen, gehörte zu Preußen

Ergänzung

Joseph Willomitzer, Chefredakteur der deutschen Bohemia, schrieb eine 9. Strophe:Im deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikt war sie eine Anspielung auf die Sitte mancher Tschechen, die im Habsburger Schwarz-Gelb gehaltenen Straßenschilder mit ausgeblasenen und eisenlackgefüllten Eiern zu bewerfen.[8]

Hin nach Pragien, hin nach Pragien,
sollst, o Musenross, mich tragien,
wo der Typhus stets grassiert,
wo's gibt Tafeln weiß-blau-rote,
gelbe auch – doch die mit Kote
und mit Eisenlack beschmiert.

Werk

In jungen Jahren hatte Keim einige Novellen veröffentlicht. Heute längst vergessen, ging Der Frack, ein Einakter, in den 1850er Jahren über mehrere Bühnen. Es folgten zwei Schwänke und eine Reihe lyrischer Gedichte. Keims Zeitgenossen sahen im Parasitenlied sein bestes Werk. Als ebenso gelungen empfand man das Lied vom „Flotten Burschen“, das er zum 25. Stiftungsfest der Medizinischen Gesellschaft Magdeburg geschrieben hatte. In den Archivbeständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach ist Karl Julius Keim nicht nachgewiesen. Verzeichnet ist er im World Biographical Information System Online (WBIS).[9]

  • Der Mensch und der Parasit. Magdeburg 1872.
  • Vier Jahrzehnte innerer Therapie. Vortrag, gehalten in der Versammlung des Aerztevereins Regierungsbezirk Magdeburg im November 1886.

Literatur

  • Adolf Siegl: Die Elegie an Prag des Dr. med. Keim. Einst und Jetzt, Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, Bd. 18 (1973), S. 197–201.

Anmerkungen

  1. Dissertation: De carcinomate bulbi oculi humani dissertatio inauguralis medica quam ... in Academia Fridericiana Halensi cum Vitebergensi consociata ad summos in medicina et chirurgia honores rite adipiscendos die XXIX. m. decembris a. MDCCCXLVIII una cum thesibus defendet [1].
  2. Am 20. September 1849 hatte Carl Spitzweg die Weinstube besucht.
  3. „In den Preußen ist eine starke Mischung von slavischem und germanischem Element. Das ist eine Hauptursache ihrer staatlichen Brauchbarkeit. Sie haben etwas von der Fügsamkeit des slavischem Wesens und von der Männlichkeit der Germanen.“ (Otto v. Bismarck zu J. C. Bluntschli, 1861)
  4. Die damals noch erhaltene Prager Bastei war eine breite Umwallung. Von Oberstburggraf Chotek errichtet, erstreckte sie sich von der Karlshofer Kirche zum Korntor, von dort zum Rosstor und weit über das Poritscher Tor hinaus zur Moldau. Die schönen Anlagen waren bei den Pragern sehr beliebt. Von der Hibernergasse aus promenierten sie auf die Bastei, um das Café Bohémia zu besuchen. Im großen Saal des ersten Stocks wurde im Februar 1863 der Kommers zu Ehren des Staatsministers Anton von Schmerling gefeiert. Im Café Bohémia sollen auch die ersten Mensuren in Prag gefochten worden sein.

Einzelnachweise

  1. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker (Nachdruck 1962), Bd. 3, S. 497
  2. a b Boeik, Münchner Medizinische Wochenschrift XX S. 975
  3. Kösener Korpslisten 1910, 109/12.
  4. Adolf Kußmaul: Jugenderinnerungen eines alten Arztes. Stuttgart 1899
  5. Etwas vom Supinator Longus, aber nichts Medizinisches, sondern etwas Poetisches. Academische Monatshefte, Sommer-Semester 1894, Nr. 121, XI. Jahrgang, S. 7.
  6. Wilhelm Klein: 80-jähriges Jubiläum eines Altprager Studentenliedes. Deutsche Hochschulwarte, 13. Jg., September 1933, Heft 9, S. 104
  7. Paul Nettl: Prag im Studentenlied. Verlag Robert Lerche, München 1964.
  8. a b Adolf Siegl: Die Elegie an Prag des Dr. med. Keim. Einst und Jetzt, Bd. 18 (1973), S. 197–201.
  9. WBIS