Klaus-Jürgen Sembach

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Klaus-Jürgen Sembach (* 15. April 1933 in Magdeburg; † 29. März 2020 in Berlin[1]) war ein deutscher Ausstellungsarchitekt. Er war von 1980 bis 1994 Leiter des Centrums Industriekultur in Nürnberg.

Leben und Wirken

Klaus-Jürgen Sembach wurde 1933 als Sohn eines Versicherungsangestellten und einer Hausfrau in Magdeburg geboren. Da der Vater als ehemaliges NSDAP-Mitglied keine Chancen sah, nach dem Krieg von den staatlichen Versicherungsanstalten der Sowjetischen Besatzungszone übernommen zu werden, flüchtete die Familie über die noch unbefestigte innerdeutsche Grenze nach Stuttgart.

Während seines Architekturstudiums an der Technischen Hochschule Stuttgart beschäftigte sich Sembach mit dem Werk des Architekten Henry van de Velde, den er noch persönlich kennenlernen konnte. Das führte dazu, dass Sembach nach dem Tod van de Veldes dazu berufen wurde, in Brüssel dessen zeichnerischen Nachlass zu erfassen. Im Rahmen einer Veranstaltung der in Hagen neu gegründeten Henry-van-de-Velde-Gesellschaft wurde Sembach 1959 die Stelle eines Museumskurators für die Münchner Neue Sammlung angeboten, die er nach seinem Studienabschluss 1960 auch antrat. Die Neue Sammlung zeigte Wechselausstellungen, an deren Präsentation der damalige Leiter Wend Fischer und Klaus-Jürgen Sembach – da es um die gute Form ging – höchste Ansprüche stellten. Zu diesem Zweck führte Sembach 1966/1967 eine grundlegende Neugestaltung der sechs Ausstellungsräume an der Prinzregentenstraße durch. Sie basierte auf einem Rastersystem, in das Vitrinen, Podeste und hängende, gleichsam schwebende, Wände eingepasst werden konnten. Auch später waren bei historischen Themen eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente für die architektonische Konzeption Sembachs charakteristisch.

Früher als andere entdeckte Sembach die Fotografie als einen Sammlungsschwerpunkt, was schon in den 1970er Jahren zum weitsichtigen Ankauf von Werken von William Eggleston, Stephen Shore und anderen führte.[2]

1980 kam es in der Frage der Nachfolge in der Direktion der Neuen Sammlung zu einer öffentlichen Auseinandersetzung in Presse und Fernsehen.[3] Obwohl die Direktorenkonferenz der Staatlichen Museen Bayerns und das Kuratorium der Neuen Sammlung einhellig für Sembach als neuen Direktor stimmten, beriefen Kultusminister Hans Maier und Ministerialrat Wolfgang Eberl den Kunsthistoriker Hans Wichmann. Die Gunst der Stunde nutzte der Nürnberger Kulturreferent Hermann Glaser. Er übertrug Sembach die Entwicklung des von ihm initiierten Museums für Industriekultur.[4] Bis das Centrum Industriekultur 1990 endlich seine eigenen Räume hatte, entstanden an verschiedenen Orten in Nürnberg Ausstellungen, wie 1982 Industriekultur, Expeditionen ins Alltägliche in einem alten Straßenbahndepot oder Zug der Zeit – Zeit der Züge zum 150-jährigen Jubiläum der ersten Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth 1985 in einem stillgelegten Eisenwerk.

Der 1993 geplante Übergang in den Ruhestand wurde für Sembach zu einer bis zuletzt andauernden freiberuflichen Selbständigkeit für Museen deutschlandweit. Gleich der erste Auftrag durch die Klassik Stiftung Weimar sollte weitreichende Folgen haben. Sembachs „Haus im Haus“, ein zweigeschossiger Einbau in der Kunsthalle am Weimarer Theaterplatz für die Ausstellung Das frühe Bauhaus und Johannes Itten, gefiel so gut, dass es über 14 Jahre bestehen blieb. Sembach hatte Tatsachen geschaffen. Man sprach ganz selbstverständlich vom Weimarer Bauhaus-Museum, Jahre bevor es folgerichtig offiziell gegründet wurde.[5]

Inhaltlich ging es fortan in Sembachs Ausstellungen nicht mehr um die jüngere Vergangenheit, sondern meist um historische Themen. Jedes von Sembachs Konzepten lässt sich dabei auf eine für das Thema oder die behandelte Zeit charakteristische Grundidee zusammenfassen. Mit einer barock anmutenden halbrunden Eröffnungsgeste in die Ausstellung Johann Conrad Schlaun 1695–1773, Architektur des Spätbarock erwies Sembach 1995 im Westfälischen Landesmuseum dem Architekten seine Wertschätzung. „Doch die stilistische Annäherung an eine Epoche kann immer nur ungefähr sein. Das eigene moderne Empfinden verhindert es, völlig darin aufzugehen.“[6] In Zerbrochen sind die Fesseln des Schlendrians 2002 ist das Buch Leitmotiv als Zeichen für die Bedeutung einer neuen Lesekultur, die in der Zeit der Aufklärung für einen grundlegenden Wandel Westfalens vom Argrarland zum Industriestaat sorgte.[7]

Den mittlerweile sehr guten Ruf des „Altmeisters der Gestaltung“[5] machte sich die Kulturstiftung der Länder zunutze, um mit seiner Hilfe größere Prozesse ins Rollen zu bringen. Er wurde beauftragt, zwecks Neueröffnung der Sammlung der Stiftung Staatliche Galerie Moritzburg in Halle 2003, den Kuppelsaal der heruntergekommenen Moritzburg umzugestalten. Die damit verbundenen Hoffnungen zielten darauf ab, jedem Besucher und Politiker das Potential der Moritzburg als Museum bewusst zu machen. Mit der anschließenden glücklichen Finanzierung konnte sie 2008 als das größte Kunstmuseum Sachsen-Anhalts wiedereröffnet werden.

Als es darum ging, 2010 erstmals in der BRD Hitler und die Deutschen zum Thema einer Ausstellung zu machen, fiel die Wahl der Kuratoren um Hans-Ulrich Thamer und das Deutsche Historische Museum auf den mittlerweile 77-jährigen Klaus-Jürgen Sembach. Es galt, „die Macht der Bilder, die uns die NS-Regisseure hinterlassen haben und die bis heute überall weiterwirken, durch Gegenbilder zu relativieren beziehungsweise zu brechen.“[5] Über geschickt konstruierte Durchblicke und Sichtachsen gelang es Sembach, ausgestellte Objekte immer in Beziehung zum Kontext hinter der Inszenierung von Macht und Volksgemeinschaft zu setzen. Neben der Darstellung eines massiven Aufmarschs der Uniformen in einer großen Vitrine bedeuteten eingelassene Sichtschlitze in eine dunkle Lagerwelt, dass die Existenz von Konzentrationslagern seinerzeit wahrgenommen werden konnte.

Klaus-Jürgen Sembach lebte und arbeitete in Berlin und München.

Ausstellungsgestaltungen (Auswahl)

  • 1965 Filmplakate, Die Neue Sammlung, München
  • 1969: Um 1930. Bauten, Möbel, Geräte, Plakate, Fotos, Die Neue Sammlung, München
  • 1971: Die verborgene Vernunft. Funktionelle Gestaltung im 19. Jahrhundert, Die Neue Sammlung, München
  • 1976: Kalenderbauten. Frühe astronomische Großgeräte aus Indien, Mexico und Peru, Die Neue Sammlung, München
  • 1978: Amerikanische Landschaftsphotographie 1860–1978, Die Neue Sammlung, München
  • 1980: 1950 – Orientierung nach dem Kriege, Die Neue Sammlung, München
  • 1981: Die nützlichen Künste. Gestaltende Technik und Bildende Kunst seit der Industriellen Revolution, Messegelände, Berlin
  • 1985: Zug der Zeit – Zeit der Züge. Deutsche Eisenbahn 1835–1985, ehem. Tafelwerk, Nürnberg
  • 1986: Images of a German City. Nuremberg 1835–1985, Goethe-Haus, New York (Wanderausstellung)
  • 1989: So viel Anfang war nie. Deutsche Städte 1945–1949, Museum Industriekultur, Nürnberg und Hamburger Bahnhof, Berlin
  • 1992: Eisenkleider. Plattnerarbeiten aus drei Jahrhunderten aus der Sammlung des DHM, Deutsches Historisches Museum, Berlin
  • 1992: Henry van de Velde. Ein europäischer Künstler in seiner Zeit, Wanderausstellung: Karl Ernst Osthaus Museum (Hagen), Kunsthalle am Theaterplatz (Weimar), Bauhaus-Archiv (Berlin), Museum voor Sierkunst (Gent), Zürich, Germanisches Nationalmuseum (Nürnberg)
  • 1992: 1910 – Halbzeit der Moderne. Van de Velde, Hoffmann, Behrens und die anderen, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster
  • 1995: twen. Revision einer Legende, Münchner Stadtmuseum, München
  • 1996: Endlich Urlaub. Die Deutschen reisen, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
  • 1997: Aufbau West – Aufbau Ost. Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit, Deutsches Historisches Museum, Berlin
  • 1998: Sternstunden. Kunstwerke aus zwei Jahrtausenden (Objekte, deren Ankauf mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder gefördert wurde), Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart
  • 1999: Wege nach Weimar. Auf der Suche nach Einheit von Kunst und Politik, Ausstellungshalle im Thüringer Landesverwaltungsamt, Weimar
  • 1999: Einigkeit und Recht und Freiheit. Wege der Deutschen 1949–1999, Martin-Gropius-Bau, Berlin (7 Gestalter wurden für 40 Räume engagiert, Sembach gestaltete 12 davon)
  • 2002: Brückenschlag. Polnische Geschichte in Karten und Dokumenten (Sammlung Tomasz Niewodniczański), Staatsbibliothek zu Berlin, Berlin
  • 2002: Die Sacharoffs. Zwei Tänzer aus dem Umkreis des Blauen Reiters, Deutsches Tanzarchiv Köln und Museum Villa Stuck, München; Gestaltung in Köln, fotografiert von Cordia Schlegelmilch
  • 2003: Gottfried Semper 1803–1879. Architektur und Wissenschaft, Architekturmuseum TUM in der Pinakothek der Moderne in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und dem Museum für Gestaltung Zürich
  • 2005: Architektur der Wunderkinder. Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945–1960, Architekturmuseum TUM in der Pinakothek der Moderne, München
  • 2008: Typisch München, Die Neueinrichtung des Münchner Stadtmuseums (Dauerausstellung), München
  • 2008: Orte der Sehnsucht. Mit Künstlern auf Reisen, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster
  • 2010: Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen, Deutsches Historisches Museum, Berlin
  • 2015: Karl Blossfeldt. Aus der Werkstatt der Natur, Pinakothek der Moderne, München
  • 2016: Albert Renger-Patzsch. Ruhrgebietslandschaften, Pinakothek der Moderne, München
  • 2017: Berliner Sezession und Russisches Ballett – Ernst Oppler, Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Köln
  • 2019: Aenne Biermann. Vertrautheit mit den Dingen, Pinakothek der Moderne, München

Schriften (Auswahl)

Als Autor

Als Herausgeber

  • München. Photographische Ansichten 1885–1915. Schirmer / Mosel Verlag, München 1977. (in Zusammenarbeit mit Wilfried Ranke und Gabriele Fahr-Becker)
  • Neue Möbel. Ein internationaler Querschnitt von 1950 bis heute. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1982.
  • Wissenschaften in Berlin. (drei Begleitbände zur Ausstellung Der Kongress denkt) Gebrüder Mann Verlag, Berlin 1987. (in Zusammenarbeit mit Tilmann Buddensieg und Kurt Düwell)
  • Industriedenkmäler des 19. Jahrhunderts im Königlichen Bayern. Schirmer / Mosel Verlag, München 1990. (in Zusammenarbeit mit Volker Hütsch)
  • 1910, Halbzeit der Moderne. Van de Velde, Behrens, Hoffmann und die anderen. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1992. (in Zusammenarbeit mit Ulrich Schulze, Hans-Ulrich Thamer, Klaus Schölzel)
  • Möbeldesign des 20. Jahrhunderts. Benedikt Taschen Verlag, Köln 1993. (in Zusammenarbeit mit Gabriele Leuthäuser und Peter Gössel)
  • Die Fünfziger Jahre. Heimat Glaube Glanz. Der Stil eines Jahrzehnts. Verlag D. W. Callwey, München 1998. (in Zusammenarbeit mit Michael Koetzle und Klaus Schölzel)

Literatur

  • Christoph Hölz (Hrsg.): Formen des Zeigens – der Ausstellungsgestalter Klaus-Jürgen Sembach. Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2013. ISBN 978-3-422-07168-1.

Einzelnachweise

  1. Gottfried Knapp: Nachruf Klaus-Jürgen Sembach – Museumsgründer gestorben. In: Süddeutsche Zeitung. 30. März 2020, abgerufen am 30. März 2020.
  2. Annäherung an Amerika. In: Die Neue Sammlung (Hrsg.): Amerikanische Landschaftsphotographie 1860–1978. München 1978, S. 3–10.
  3. Peter M. Bode: Lech (mich) am Arlberg. Zur umstrittenen Berufung des Direktors der Neuen Sammlung. In: Münchner Abendzeitung. 29. Februar 1980, S. 18.
  4. Klaus-Jürgen Sembach: Industriekultur in Nürnberg. Erfahrungen im Vorfeld einer Museumsplanung. In: Museumspädagogik. Welt der Arbeit im Museum. Jonas Verlag, Marburg an der Lahn 1983, ISBN 3-922561-24-1, S. 24–33.
  5. a b c Christoph Hölz (Hrsg.): Formen des Zeigens. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-422-07168-1.
  6. Klaus Bußmann, Florian Matzner, Ulrich Schulze: Johann Conrad Schlaun. Architektur des Spätbarock in Europa. Oktagon, Stuttgart 1995, ISBN 3-927789-78-X.
  7. Gisela Weiß, Gerd Dethlefs (Hrsg.): Zerbrochen sind die Fesseln des Schlendrians. Westfalens Aufbruch in die Moderne. Kettler GmbH, Bönen 2002, ISBN 3-935019-45-9.