Khanat der Krim

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Wappen des Khanats der Krim

Das Khanat der Krim (krimtatarisch Qırım Hanlığı) war ein Khanat der Krimtataren mit dem Zentrum auf der Halbinsel Krim. Es entstand 1441 während des machtpolitischen Zerfalls der turko-mongolischen Goldenen Horde im 15. Jahrhundert und bestand bis 1783/92. Damit war es das einzige Nachfolgereich der Goldenen Horde, das über einen längeren Zeitraum existierte.

Das Khanat wurde unter der Führung der Giray, eines Adelsgeschlechts der Dschingisiden, gegründet. Es umfasste die Halbinsel Krim, die südlichen Steppengebiete der heutigen Ukraine sowie ab 1556 die Gebiete der Nogaier-Horde zwischen Asow und Kuban. Zeitweilig kam das heute mehrheitlich zu Russland gehörende Einzugsgebiet des unteren Don hinzu. Hauptstadt des Reiches wurde das 1454 gegründete Bachtschyssaraj. Bis ins 18. Jahrhundert unternahmen die Krimtataren immer wieder Feldzüge in die damals zu Polen-Litauen gehörende Ukraine, die Moldau und Russland, bei denen sie vor allem Sklaven erbeuteten, das wichtigste „Exportgut“ der krimtatarischen Wirtschaft.[1] Sie betrieben regen Handel mit dem Osmanischen Reich, dessen Schutzherrschaft sie genossen, und wurden zum Hauptverbreiter und -vertreter des Islams in der Ukraine.

Vorgeschichte

In Kaffa gefundene Silbermünze mit Dawlat Berdis Name

Ab 1280 hatte sich unter dem mongolischen Prinzen Nogai, einem Urenkel Dschötschis und Großneffe Batus, die Krim und die Südukraine erstmals vom Mongolischen Reich verselbständigt, jedoch ohne dass ein eigenes Khanat entstand. Die Autonomie endete bereits 1298 wieder mit der Niederlage Nogais gegen den amtierenden Khan der Goldenen Horde, Tohtu; Nogai wurde 1299 auf der Flucht getötet. Begünstigt durch inneren Unruhen, gelang es Genua ab 1266 Handelsstützpunkte an der Südküste der Halbinsel zu gründen. Auch der von 1361 bis 1380 regierende Emir Mamai nutzte die Krim als ökonomische Basis für seine Machtkämpfe innerhalb der Goldenen Horde.

Die Goldene Horde wurde 120 Jahre später wieder von inneren Unruhen erschüttert. Amtierender Khan der Goldenen Horde war Dawlat Berdi, auch Devlet Berdi, ein direkter Nachfahre Berke Khans, einem Enkel des Dschingis Khan. Er regierte zunächst nur kurz, von 1419 bis 1421. Nach einer Niederlage gegen einen Rivalen zog er sich auf die Krim zurück, wo er versuchte sich zu etablieren. Gleichzeitig führte er den Bürgerkrieg gegen Ulug Mehmed, der inzwischen die Macht innehatte, weiter. Nachdem Vytautas, der litauische Verbündete des Ulug, verstorben war, errang Berdi wieder die Macht und regierte die Goldene Horde wieder bis 1432.[2]

Staatsgründung und Verhältnis zum Osmanischen Reich

Khan Meñli I. Giray mit seinem Sohn Mehmed I. Giray zum Staatsbesuch beim osmanischen Sultan Bayezid II.
Krim-Khanat um 1600, Asow und die Städte an der Südküste der Krim gehörten seit 1475 unmittelbar zum Osmanischen Reich
Russische Operationen des Jahres 1736

Der eigentliche Gründer des Khanats war Hacı Girai, der Berdis Sohn besiegte. Seine Verwandtschaftsbeziehungen und Clanzugehörigkeiten sind ungeklärt, jedoch dürfte eine Blutsverwandtschaft zu Toktamisch, einem direkten Nachfahren des Dschingis Khan, bestanden haben.[3] Hacı formierte auf der Krim Mitte des 15. Jahrhunderts mit einigen Siegen und Bündnissen ein eigenständiges Khanat.

Die Streitigkeiten unter den zehn Söhnen Haji Girais bedingten eine Schwächung der Macht des Khans Meñli I. Giray (reg. 1466, 1469–1475 und 1478–1515). Ein Angriff Akhmat Khans (Khan der Goldenen Horde 1465–1481) zwang Meñli 1475 bis 1478 zur Flucht in das Osmanische Reich. Nachdem er die osmanische Oberhoheit unter Beibehaltung hoher Autonomie anerkannt hatte, entwickelte sich durch die Rückendeckung der „Hohen Pforte“ ab 1478 aus dem Krimkhanat ein stabiler Staat, der sich gegenüber seinen Nachbarn lange behaupten konnte und eine vom Osmanischen Reich weitgehend autarke Außenpolitik betrieb. Die osmanischen Sultane behandelten die Khane stets mehr als Verbündete denn als Untergebene. Mehrere Historiker bezeichnen die Girays als zweitwichtigste Familie des Osmanischen Reichs nach dem Haus Osman: „Wenn die Osmanen je aussterben sollten, war es selbstverständlich, dass die Girays, Nachfahren des Dschingis Khan, ihnen nachfolgen würden.“[4] Der Khan der Krim unterstand nur dem jeweiligen Sultan und stand über dem Großwesir.

Die Khane prägten auch weiterhin Münzen ausschließlich mit ihren Antlitzen und Namen. Sie hoben selbständig Steuern ein, erließen autonom Gesetze und besaßen eigene Tughras.[5] Sie zahlten keinen Tribut an die Osmanen – vielmehr zahlten die Osmanen sogar für die Dienste krimtatarischer Soldaten.[6] Das Verhältnis mit dem Osmanischen Reich ist vergleichbar mit der Polnisch-Litauischen Union, sowohl was ihre Bedeutung für die beiden Verbündeten und ihre Dauer betrifft. Die Osmanen setzten die Kavallerie der Krimtataren in zahlreichen Europa- und Persienexpeditionen ein.[7]

Emanzipation von der Goldenen Horde

Im Juni 1502 besiegten die Krimtataren den seit 1481 regierenden Shaykh Ahmad, den letzten Khan der Goldenen Horde, was mittelfristig die russische Eroberung anderer Nachfolgestaaten der Goldenen Horde, insbesondere der Khanate von Kasan 1552 und Astrachan 1556, förderte. Unter den Khanen Mehmed I. Giray, Sahib I. Giray und vor allem Devlet I. Giray stieg das Krimkhanat im 16. Jahrhundert zur regionalen Großmacht auf. Polnisch-litauische und russische Herrscher leisteten Tributzahlungen, die als „Geschenke“ deklariert waren, an die Krimkhane, um sich Frieden zu erkaufen.

Unter der Regentschaft von Khan Qirim Girai wurden zahlreiche Prachtbauten in Bachtschyssaraj errichtet

Legitimation für die Girays war die Berufung auf die Abstammung von Dschingis Khan. Sie stellten bis 1758 jeweils den Khan und vertraten das Khanat insbesondere gegenüber den Osmanen; sie regierten jedoch gemeinsam mit den Qaraçı und Bey aus den mächtigsten Clans des Reiches: Şirin (persischen Ursprungs), Barın (türkisch), Arğın (mongolisch), Qıpçaq (kiptschakisch), und später Mansuroğlu (türkisch) und Sicavut (persisch); da sie nicht alle mongolischer Abstammung waren, kann vom Krimkhanat nur mehr formell von einem mongolischen Khanat gesprochen werden.

Das Khanat der Krim ging Allianzen mit den anderen bedeutenden Nachfolgestaaten der Goldenen Horde ein, den Khanaten Sibir, Usbek, Kasach, Kasan und Astrachan; zeitweise nahmen die Giray auch Einfluss auf die Innenpolitik der letzteren beiden. Nach dem Zusammenbruch des Khanats Astrachan 1556 waren auch die Nogaier (vorwiegend Mangit, also Mongolen), die zuvor mit dem Khanat Astrachan verbündet waren, ein wesentlicher Machtfaktor innerhalb des Khanat der Krim; 1758 übernahmen sie sogar die Macht im Krimkhanat und behielten sie bis zum Zusammenbruch 1792.

Feldzüge gegen Polen-Litauen und Russland

Immer wieder unternahmen die Krimtataren in der Folge Feldzüge nach Mitteleuropa und Russland. Größere Expeditionen nach Mitteleuropa fanden z. B. 1516, 1537, 1559, 1575, 1576, 1579, 1589, 1593, 1616, 1640, 1666, 1667, 1681 und 1688 statt. Sie führten u. a. nach Galizien, Lublin, Podolien und Wolhynien.[8]

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zählten die russischen Chroniken 43 Angriffe durch die Tataren,[9] wobei hier vermutlich auch Angriffe von anderen Nachfolgestaaten der Goldenen Horde (Khanat Kasan, Khanat Astrachan) mitgezählt wurden. Wie schon während der Moskau-Kasan-Kriege mussten die russischen Großfürsten bei Eroberungszügen der Krimtataren immer wieder aus ihrer Hauptstadt fliehen. Im Juli 1521 führte ein Feldzug gegen das Moskowiter Reich; er endete 15 Kilometer vor den Mauern Moskaus[10], im Gegenzug stießen russische Kosaken nach der Eroberung von Kasan (1552) und Astrachan (1556) auch bis auf die Krim vor (1559). Ein tatarisch-osmanischer Versuch, Astrachan im ersten Russisch-Türkischen Krieg 1569 zurückzuerobern, scheiterte zwar, im Russisch-Krimtatarischen Krieg von 1570 bis 1574 fielen die Krimtataren aber neuerlich in Russland ein: Nach Angriffen im Gebiet von Rjasan durchbrach ihr Heer die russischen Stellungen an der Oka. Vom 24. bis zum 26. Mai 1571 brannten sie Moskau fast vollständig nieder. Im Juli 1571 überquerten krimtatarische Truppen bei Kaschira neuerlich die Oka und zogen, diesmal mit Unterstützung von osmanischen Janitscharen, gegen Moskau. Bei Molodi, 40 Kilometer südlich von Moskau, trafen sie auf ein russisches Heer. Die daraus resultierende Schlacht bei Molodi am 2. August 1572 endete mit einer entscheidenden Niederlage für die Krimtataren; dies wird als der Beginn ihres Niederganges angesehen.[11]

Russische Einfälle

Nach dem Untergang der Goldenen Horde trachtete Russland einerseits danach, die Bedrohung durch die „Tartaren“ endgültig zu beenden, und andererseits nach einem Zugang zum Schwarzen Meer. 1559 scheiterte jedoch ein erster Angriff unter Alexei Adaschew auf das Krim-Khanat. Zu den russischen Angriffen kam 1624 ein erfolgloser Aufstand des Khan gegen den osmanischen Sultan; bereits 1628 unterwarf er sich aber wieder.

Dennoch blieb das Khanat auch im Verlauf des 17. Jahrhunderts ein Machtfaktor in der Region. 1648 schlossen die Krimtataren zunächst eine Allianz mit den Saporoger Kosaken des Bohdan Chmelnyzkyj und verhalfen so dem Hetmanat der Ukraine zur Loslösung von Polen-Litauen. Während des Zweiten Nordischen Krieges 1655–1660 verbündeten sie sich hingegen mit den Polen und retteten den bisherigen Feind vor der Aufteilung durch die Russen, Schweden, Siebenbürger und Brandenburger.

Niedergang

1696 eroberten die Russen kurzzeitig die wichtige Hafenstadt Asow am gleichnamigen Meer, mussten sie allerdings 1711 an die Osmanen abtreten. Erst im Zuge des Russisch-Österreichischen Türkenkrieges 1736–1739 unternahmen die Russen unter Feldmarschall Burkhard Christoph von Münnich eine Strafexpedition auf die Krim, bei der die meisten Städte der Krimtataren, inklusive der Hauptstadt Bachtschyssaraj, niedergebrannt wurden. Eine Epidemie in den Reihen der russischen Armee zwang diese jedoch zum Rückzug. Allerdings konnten die Russen nach dem siegreichen Krieg Asow und das Gebiet der Saporoger Kosaken um Saporischschja behalten und besaßen wieder einen Zugang zum Schwarzen Meer.

Nach dem Russisch-Türkischen Krieg 1770–1774 mussten die Osmanen im Frieden von Küçük Kaynarca 1774 die Unabhängigkeit der Krim anerkennen.

Untergang

Der Tatarenführer Devlet Giray nutzte die Turbulenzen, die der Niederlage der Osmanen folgten, und schwang sich zum Khan auf. Von russischer Seite vorübergehend anerkannt, begann er heimlich mit der Hohen Pforte über eine Unterstellung der Krim unter osmanische Oberhoheit zu verhandeln. Zarin Katharina die Große intervenierte militärisch, vertrieb Devlet und installierte Şahin Giray als neuen Herrscher.

Die von Şahin betriebene Modernisierung des Khanats sowie der Zuzug russischer Siedler lösten ab 1777 wiederholt Aufstände aus, die im Sommer 1782 zur Absetzung und Flucht des Khans führten. Daraufhin eroberte Fürst Potemkin im Oktober 1782 die Krim und riet der Zarin, das Khanat zu annektieren. Dies geschah per Proklamation vom 8. Apriljul. / 19. April 1783greg..[12][13] Per Erlass vom 8. Februarjul. / 19. Februar 1784greg. wurde das ehemalige Khanat als Oblast (Gebiet) Taurien in das russische Kaiserreich integriert.

Das Osmanische Reich akzeptierte erst nach einer erneuten Niederlage, am Ende des Russisch-Österreichischen Türkenkriegs 1787–1792, im Frieden von Jassy die Eingliederung der Krim in das Russische Reich. Viele Krimtataren flohen anschließend in das Gebiet der heutigen Türkei und andere, damals noch osmanisch beherrschte, Gebiete Europas. Im Budschak installierte die Hohe Pforte einen Vasallenstaat, als dessen Khane sie nacheinander die Tatarenführer Şahbaz Giray (1787–1789) und Baht Giray (1789–179?) einsetzte.

Siehe auch

Literatur

  • Stefan Albrecht, Michael Herdick (Hrsg.): Im Auftrag des Königs. Ein Gesandtenbericht aus dem Land der Krimtataren. Die „Tatariae descriptio“ des Martinus Broniovius 1579 (= Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums. 89). Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, Mainz 2011, ISBN 978-3-7954-2422-0.
  • Alan W. Fisher: The Russian Annexation of the Crimea, 1772–1783. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1970, ISBN 0-521-07681-1.
  • Alan Fisher: The Crimean Tatars (= Hoover Institution Publication. 166). Hoover Institution Press, Stanford CA 1978, ISBN 0-8179-6661-7.
  • Gavin Hambly (Hrsg.): Zentralasien (= Weltbild Weltgeschichte. 16). Weltbild Verlag, Augsburg 1998.
  • Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Primus-Verlag, Darmstadt 2001, ISBN 3-89678-194-4.
  • Denise Klein (Hrsg.): The Crimean Khanate between East and West (15th–18th century) (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte. 78). Harrassowitz, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-447-06705-8.
  • Kerstin S. Jobst: Das Krimchanat in der frühen Neuzeit. Eine historische Einführung. In: Stefan Albrecht, Michael Herdick (Hrsg.): Im Auftrag des Königs. Ein Gesandtenbericht aus dem Land der Krimtataren. Die „Tatariae descriptio“ des Martinus Broniovius 1579 (= Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums. 89). Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, Mainz 2011, ISBN 978-3-7954-2422-0, S. 17–24.
  • Brian Glyn Williams: The Crimean Tatars. The Diaspora Experience and the Forging of a Nation. Brill, Leiden/Boston/Köln 2001, ISBN 90-04-12122-6.

Weblinks

Commons: Khanat der Krim – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Fisher: The Crimean Tatars. 1978, S. 26 f.
  2. Sheila Paine: The Golden Horde. From the Himalaya to Karpathos. Penguin Books, London u. a. 1998, ISBN 0-14-025396-3.
  3. Fisher: The Crimean Tatars. 1978, S. 3 ff.
  4. Sebag Montefiore. Prince of Princes. The Life of Potemkin. Weidenfeld & Nicolson, London 2000, ISBN 0-297-81902-X, S. 244: “
    If the Ottoman dynasty is interrupted – a Giray should succeed the throne of Turkey.
  5. Hakan Kırımlı: Crimean Tatars, Nogays, and Scottish Missionaries: The Story of Kattı Geray and Other Baptised Descendants of the Crimean Khans. In: Cahiers du monde russe. Bd. 45, Nr. 1, 2004, S. 61–107.
  6. Alexandre Bennigsen, S. Enders Wimbush: Muslims of the Soviet Empire. A Guide. Indiana University Press, Bloomington IN u. a. 1986, ISBN 0-253-33958-8.
  7. List of Wars of the Crimean Tatars. zum.de (engl.).
  8. Michael Zeuske: Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. De Gruyter, Berlin u. a. 2013, ISBN 978-3-11-027880-4, S. 470 f.
  9. Сергей М. Соловьёв: История России с древнейших времен. книга 3 (= Tом. 5-6): 1463–1584. АСТ u. a., Москва u. a. 2001, ISBN 5-17-002142-9 (russ.).
  10. Gerhard Thimm: Das Rätsel Russland. Geschichte und Gegenwart. Scherz & Goverts, Stuttgart u. a. 1952, S. 113.
  11. Nikita Romanow, Robert Payne: Iwan der Schreckliche. Roman. Habel, Darmstadt 1992, ISBN 3-87179-178-4.
  12. M. S. Anderson: The Great Powers and the Russian Annexation of the Crimea, 1783–4. In: The Slavonic and East European Review. 37, Nr. 88, Dezember 1958, S. 17–41.
  13. Alan W. Fisher: The Russian Annexation of the Crimea 1772–1783. Cambridge University Press, 1970, ISBN 1-00-134108-2, S. 132–135.