Kurt Ströer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Kurt Ströer (* 17. Juni 1921 in Glauchau; † 26. April 2013 in Chemnitz) war ein Diakon und Jugendwart der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Wegen seines besonderen Engagements wirkte er als Vorbild und gilt in Sachsen – neben Fritz Reschke[1] – als ein „Vater der evangelischen Jugendarbeit“.[2] Im Rahmen der Seelsorge beging er jedoch auch spirituellen und/oder sexuellen Missbrauch an mehr als 30 minderjährigen Jugendlichen.

Leben

Ströer erlernte den Beruf des Webers.[3] Nachdem er im Krieg durch eine Schussverletzung das rechte Auge verloren hatte, kam er während des Klinikaufenthalts zum christlichen Glauben und ließ sich danach in Moritzburg zum Diakon ausbilden. Von 1956 bis 1986 war er für die Ephorie Karl-Marx-Stadt II Jugendwart mit Sitz in Wittgensdorf. Wegen seiner Begabung der lebendigen Vermittlung von Glaubensinhalten hatten seine Jugendgruppen großen Zulauf. Mindestens 1473[4] Jugendliche bekehrten sich in seinen seelsorgerlichen Gesprächen zu einem Leben mit Gott, und 229 von ihnen ergriffen auch einen kirchlichen Beruf als Pfarrer, Kantor oder Gemeindepädagoge.[5]

Kritik

Es wurden ab Ende der 1970er Jahre vereinzelt und ab 2012 vermehrt Hinweise darauf gegeben, dass es durch Ströer bei der Seelsorge zu sexuellen Übergriffen (beispielsweise Zungenküsse[6]) und spirituellem Missbrauch kam.[7] 2013 hat Ströer kurz vor seinem Tod die Taten eingeräumt[8][9] und sie wurden auch im Rahmen der Diakonengemeinschaft Moritzburg erörtert, aber nicht nach außerhalb der Kirche publiziert.[10]

Der EvLKS-Kirchenleitung wird nun vorgeworfen, die ihr bekannten gewordenen Vergehen Ströers gegen seine Schutzbefohlenen absichtlich noch fast 10 Jahre lang verheimlicht zu haben.[11] Erst ab Dezember 2021 wurde über die Medien die Öffentlichkeit informiert, zunächst nur durch Betroffene,[6] und erst in Reaktion dazu dann auch durch die Kirche. Daraufhin meldeten sich bis Mitte 2022 mehr als 30 Opfer Ströers.

Aufarbeitung der Geschehnisse

Im Jahr 2022 hat die Landeskirche mit der Aufarbeitung des Falls begonnen.[12][13] Landesjugendpfarrer i. R. Harald Bretschneider und Landesbischof Tobias Bilz sagen, dass sie früher (beide waren als Jugendliche selbst Teilnehmer in Ströers Gruppen) nichts von den Taten wussten.[14] Die Aufrechnung von Ströers Verdiensten gegen das Leid der Betroffenen schließt der Bischof ausdrücklich aus.[15]

Frank Manneschmidt, heute Superintendent des Kirchenbezirks, in dem Ströer einst wirkte, meint: „…Kurt Ströers Verkündigung, so wie sie von Betroffenen, aber auch von vielen anderen im Nachhinein beschrieben wird, lässt sich inhaltlich mit lutherisch-reformatorischer Theologie schwerlich in Einklang bringen. Denn weder sind die Themen Sexualität und Okkultismus […] die Mitte der Heiligen Schrift, noch kann sein moralisches Sünden-, Gesetzes- und Evangeliumsverständnis mit dem reformatorisch-theologischen Verständnis der Rechtfertigungslehre in Übereinstimmung gebracht werden.“ Und Manneschmidt stellt dazu fest, dass „…Ströers zuweilen angstmachende und moralisch drohende Verkündigung unmittelbar mit seinen sexuellen Übergriffen verbunden war – Wort und Tat also bei ihm aufs engste miteinander verzahnt waren“ und dass darum „…nicht nur von körperlichem und seelischem, sondern auch von geistlichem Missbrauch die Rede“ ist.[16]

Literatur

Dick/Gotter (Hrsg.): Gespräche unter drei Augen. Lebenslinien von Kurt Ströer. Johannis 2000, ISBN 978-3501014103.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://idea.de/Frei-/Kirchen/detail/vater-des-saechsischen-cvjm-gestorben-fritz-reschke-65167
  2. http://sonntag-sachsen.de/2022/05/tiefe-abgrunde-aufarbeitung-der-schatten-einer-lichtgestalt
  3. http://schneider-breitenbrunn.de/2013-05/vater-saechsischer-jugendarbeit-heimgegangen
  4. http://mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/audio-1941908.html 07:37–07:50
  5. http://mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/audio-1941908.html 03:25–03:38
  6. a b http://freiepresse.de/der-lange-schatten-des-jugendwarts-artikel11866564
  7. http://mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/audio-1941908.html 05:11–05:31
  8. http://mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/audio-1941908.html 03:10–03:19
  9. http://mdr.de/nachrichten/sachsen/video-592318.html 02:10
  10. http://mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/audio-1941908.html 05:59–06:37
  11. Lutz Scheufler: „Sie wussten es spätestens seit 2012! Warum kam es nicht zur Aufklärung unter dem damaligen Bischof Bohl und Landesjugendpfarrer Tobias Bilz?…“
  12. http://kirchenbezirk-chemnitz.de/news/umgang-mit-sexualisierter-gewalt
  13. http://engagiert.evlks.de/landeskirche/mehr-zu/landessynode/28-landessynode-berichterstattung-vorlagen-und-beschluesse/28-landessynode-fruehjahrstagung-2022-freitag-samstag
  14. http://mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/audio-1941908.html 04:15–05:10
  15. http://www.sonntag-sachsen.de/2022/19/betroffene-nicht-allein-lassen
  16. http://kirchenbezirk-chemnitz.de/umgang-mit-sexualisierter-gewalt