Landgericht Hamburg

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Strafjustizgebäude des Amts- und Landgerichts Hamburg

Das Landgericht Hamburg ist ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit und das einzige Landgericht im Bezirk des in Hamburg ansässigen Hanseatischen Oberlandesgerichts. Die erste Frau an der Spitze des Landgerichts Hamburg war Konstanze Görres-Ohde, die ihr Amt von 1996 bis 2001 ausübte. Von 2009 bis zu ihrer Pensionierung am 31. März 2018 war Sibylle Umlauf Präsidentin. Von September 2018 bis November 2020 stand Marc Tully an der Spitze des Gerichts.

Gerichtssitz und -bezirk

Sitz des Gerichts ist die Freie und Hansestadt Hamburg. Der 755 km² große Gerichtsbezirk erstreckt sich auf das gesamte Gebiet des Stadtstaates mit 1.841.179 Einwohnern.

Das Landgericht Hamburg ist außerdem zuständig in Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte für das Gebiet der Freien Hansestadt Bremen sowie der Länder Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.[1]

Gebäude

Das Gericht ist am Sievekingplatz 1 (Ziviljustizgebäude) und am Sievekingplatz 3 (Strafjustizgebäude) untergebracht. Das Ziviljustizgebäude, sein Anbau, das gegenüber liegende Strafjustizgebäude mit der angeschlossenen Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis und dem Hanseatischen Oberlandesgericht bilden als Justizforum Hamburg ein denkmalgeschütztes Ensemble.[2]

Leitung

  • Präsidenten

Über- und nachgeordnete Gerichte

Dem Landgericht Hamburg ist das Hanseatische Oberlandesgericht übergeordnet. Nachgeordnet sind die Amtsgerichte Hamburg, Altona, Barmbek, Bergedorf, Blankenese, Harburg, St. Georg und Wandsbek.

Bekannte Verfahren

  • 1942: Verurteilung von Fritz Walter Tauchau wegen „Rassenschande“ zu drei Jahren Haft. Er wurde noch im gleichen Jahr nach Auschwitz deportiert und dort kurz darauf ermordet.
  • 1949/1950: In zwei Verfahren unter Leitung des seinerseits NS-vorbelasteten Richters Walter Tyrolf wurde der NS-Propagandaregisseur Veit Harlan (Jud Süß (1940)) vom Vorwurf der Beihilfe zur NS-Judenverfolgung freigesprochen.
  • 1950: Das Landgericht Hamburg untersagte Erich Lüth, zum Boykott eines Filmes Veit Harlans aufzurufen. Das Urteil wurde wegen Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit erst acht Jahre später durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben.
  • 1953: Freispruch für den Marineoffizier Rudolf Petersen, der 1945 noch zwei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht drei seiner Matrosen hatte hinrichten lassen.
  • 1962: Freispruch „aus Mangel an Beweisen“ für den SS-Obersturmbannführer Willi Dusenschön, der wegen Ermordung des sozialdemokratischen Journalisten Fritz Solmitz im KZ Fuhlsbüttel angeklagt worden war.
  • 1963 bis 1965: Mariotti-Prozesse, bei denen die Angeklagte zunächst verurteilt und später freigesprochen wurde.
  • 1985: Im Prozess um die gefälschten Hitler-Tagebücher verurteilte das Gericht Konrad Kujau zu viereinhalb Jahren Haft.
  • 1986: Das Gericht verurteilt vier der rund 30 Skinheads, die den Migranten Ramazan Avcı auf offener Straße zu Tode geprügelt haben, wegen Totschlags zu Strafen zwischen drei und zehn Jahren. Mord wurde dabei verneint, da keine niedrigen Beweggründe vorgelegen hätten.
  • 1991: Im Verfahren um den rechtswidrigen Polizeieinsatz beim Hamburger Kessel sprach das Gericht gegen die verantwortlichen Polizeiführer wegen 861facher Freiheitsberaubung eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus.
  • 1998: Das Landgericht fällt ein Zivilurteil zu Haftung für Weblinks. Viele Betreiber von Webseiten distanzierten sich daraufhin unter Berufung auf das Urteil mit einem Disclaimer pauschal vom Inhalt der von ihnen verlinkten externen Webseiten, da das Gericht angeblich dieses Vorgehen als wirksame Distanzierung von rechtswidrigen verlinkten Inhalten anerkannt hatte. Das Gericht hatte aber im Gegenteil festgestellt, dass es bei der Verlinkung einer fremden Seite von der eigenen Website aus nicht ausreicht, zur wirksamen Distanzierung auf die Eigenverantwortung des Autors der verlinkten Seite hinzuweisen.[6]
  • 2001: Freispruch für den Richter und Rechtspopulisten Ronald Schill vom Vorwurf der Rechtsbeugung
  • 2004: Das Landgericht Hamburg untersagte dem Springer-Verlag zu behaupten, dass Günter Wallraff Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit gewesen sei.
  • 2019: Im Verfahren gegen den ehemaligen SS-Mann Bruno Dey wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 5230 Fällen im KZ Stutthof verhängte es eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung.

Pressekammer

Am Landgericht Hamburg existiert eine ganze Reihe von Zivilkammern mit Spezialzuständigkeiten. Die für Streitigkeiten wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts, wegen Verletzung des Ehrenschutzes oder wegen Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb unmittelbar durch Veröffentlichungen durch Presse, Film, Rundfunk, Fernsehen oder andere Massenmedien oder durch Meldungen von Presseagenturen zuständige Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg, die bis 2011 von Richter Andreas Buske[7] und seitdem von der Vorsitzenden Richterin Simone Käfer geleitet wird, ist etwa ab dem Jahr 2000 bundesweit durch eine Rechtsprechung bekannt geworden, die in einem auch unter Experten umstrittenen Maß den Vorrang des Persönlichkeitsrechts vor den Belangen der Presse- und Meinungsfreiheit betont und bei Internet-Veröffentlichungen sehr strenge urheberrechtliche Anforderungen stellt.[8] Aufgrund dieser Besonderheiten und als eine Folge des Prinzips des „fliegenden Gerichtsstands“ werden am Landgericht Hamburg deshalb oft medienrechtliche Fälle verhandelt, bei denen weder Kläger noch Beklagte einen Bezug zu Hamburg haben.[9][10][11][12]

Kritik

Im Mai 2016 kritisierte der Anwalt Udo Vetter in seinem law-blog das angebliche „Hamburger Monopol“,[13] als „merkwürdige Konzentration der Deutungshoheit im Äußerungsrecht“.[13] Als Grund, warum „die allermeisten Kläger“[13] den fliegenden Gerichtsstand dort wählen sieht er darin, dass „[d]as Landgericht Hamburg […] als die sicherste Bank [gilt], wenn es darum geht, im Äußerungsrecht für die Kläger zu entscheiden. Also im Ergebnis gegen die Meinungsfreiheit.“[13] Von der Böhmermann-Affäre, in deren Verlauf Recep Tayyip Erdoğan eine einstweilige Verfügung am Landgericht Hamburg beantragte, erhoffte er sich „genug Schub, um mal energisch diesen seltsamen fliegenden Gerichtsstand zu hinterfragen. Die Deutungshoheit der Hamburger Justiz über das, was in Deutschland gesagt werden darf und was nicht, gehört jedenfalls auf den Prüfstand.“[13] Die einstweilige Verfügung gegen Böhmermann hatte jedoch auch vor dem Oberlandesgericht Hamburg und dem Bundesgerichtshof Bestand.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. § 1 des Abkommens über die Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg für Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte, GVOBl. M-V 1993, S. 919.
  2. Denkmalliste der Freien und Hansestadt Hamburg (PDF; 11 MB), unter den Identitätsnummern 12620–12622.
  3. Spitzen-Frau. In: Die Tageszeitung: taz. 1. Dezember 1995, ISSN 0931-9085, S. 22 (taz.de [abgerufen am 18. Januar 2021]).
  4. Verabschiedung der LG-Präsidentin
  5. Dr. Marc Tully ist neuer Präsident des Landgerichts. Abgerufen am 19. September 2018.
  6. Urteil des Landgerichts Hamburg, Aktenzeichen 312 O 85/98
  7. Geschäftsverteilungsplan des LG Hamburg für 2010 (PDF; 1,4 MB), S. 52.
  8. LG Hamburg: Googles Bildersuche ist urheberrechtswidrig. heise online, 14. Oktober 2008.
  9. Der fliegende Gerichtsstand. Jan-Philipp Hein, Kölner Stadtanzeiger, 23. Oktober 2007.
  10. Gnadenlose Richter gefährden Web 2.0 in Deutschland. Konrad Lischka, Spiegel Online, 21. Juni 2007.
  11. Das Ende des Interviews? Adrian Schimpf, Spiegel Online, 8. Mai 2008.
  12. Journalistenfrust - Gerichtsurteile behindern Berichterstattung (Memento vom 11. Februar 2010 im Internet Archive). Gita Datta, Josy Wübben, Manuskript zur NDR-Fernsehsendung Zapp, 27. Mai 2009.
  13. a b c d e Udo Vetter: Das Hamburger Monopol. law blog, 18. Mai 2016, abgerufen am 18. Mai 2016.

Koordinaten: 53° 33′ 20,3″ N, 9° 58′ 34,9″ O