Legalitätsprinzip

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Das Legalitätsprinzip ist in Deutschland die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwaltschaft, Polizei, Zoll und Steuerfahndung), ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie eine den Anfangsverdacht rechtfertigende zureichende Kenntnis von einer (möglichen) Straftat erlangt hat (§ 152 Abs. 2, § 160, § 163 StPO; § 386 AO).

Verfahren

Nach der Rechtslage in Deutschland ist der Ermessenspielraum der Polizei im Falle einer Anzeigeerstattung, die auch anonym erfolgen kann, auf Null reduziert. Sie ist auch dann zur Anzeigeerstattung verpflichtet, wenn der betreffende Sachverhalt zum Teil auch Antragsdelikte zum Gegenstand hat oder der Verdächtige offenkundig schuldunfähig ist. Mit dem Beginn der Ermittlungen wird ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten auf den Weg gebracht. Der Verdächtige wird damit begrifflich zum Beschuldigten. Sofern eine Verurteilung des Beschuldigten überwiegend wahrscheinlich ist, ist Anklage zu erheben. Der Grundsatz „In dubio pro duriore“ (im Zweifel für das Härtere) verwehrt hierbei der Staatsanwaltschaft, juristische Streitfragen selbst zu entscheiden und verpflichtet sie, im Zweifel nach der härteren (durior) Auslegung anzuklagen. Mit Anklageerhebung wird der Beschuldigte begrifflich zum Angeschuldigten. Nach Zulassung der Anklage durch das Gericht wird der Angeschuldigte begrifflich zum Angeklagten. Das Legalitätsprinzip wird verfassungsrechtlich durch den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vorgegeben.

Verfahrensrechte des Anzeigeerstatters

Das Legalitätsprinzip wird nach deutschem Recht rechtlich materiell durch den Straftatbestand der Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) und prozessual durch die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens (§ 172 StPO) gestützt.[1] Der Anzeigeerstatter kann auch, sofern er zugleich Verletzter ist, ein Ermittlungserzwingungsverfahren betreiben. Er hat zudem in manchen Fällen, zum  Beispiel bei Straftaten von Amtsträgern, einen Rechtsanspruch auf Strafverfolgung.[2][3] Dies findet seine Grundlage in der Tennessee-Eisenberg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 2014, welche in bestimmten Fallgruppen einen Anspruch auf förmliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten durch die zuständige Staatsanwaltschaft vorsieht.[4]

Durchbrechung

Durchbrochen wird das Legalitätsprinzip durch das Opportunitätsprinzip. Eine Vielzahl von Gründen für eine Einstellung des Verfahrens nach dem Opportunitätsprinzip enthalten die §§ 153 ff StPO. Besteht zum Beispiel nur eine geringe Schuld (Geringfügigkeit der Schuld, § 153a StPO) oder sind weitere schwerer wiegende Straftaten zu verfolgen (§ 154 StPO), so kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegebenenfalls insoweit einstellen. Da aber der Polizei dieses Opportunitätsprinzip gerade eben nicht zusteht, ist diese verpflichtet, bereits beim bloßen Verdacht einer Straftat ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Selbst das Wissen um eine mit an Sicherheit grenzende spätere Einstellung dieses Verfahrens (zum  Beispiel Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz zum Eigenkonsum) führt nicht dazu, dass auf die Anzeige verzichtet werden darf. Darüber hinaus werden Antragsdelikte in der Regel nur auf Strafantrag des Antragsberechtigten verfolgt (§§ 77 ff StGB).

Umsetzung in der Praxis

Jürgen Roth bemängelte, dass einige Staatsanwaltschaften heutzutage derart überlastet und unterfinanziert sind, dass zumindest bei „kleineren“ Straftaten häufig überhaupt keine Ermittlungen mehr stattfinden oder aber sich der Aufwand nur darauf beschränkt, Gründe für eine Einstellung des Verfahrens zu finden. Dadurch werde das Legalitätsprinzip zur bloßen Farce und fast vollständig dem Opportunitätsprinzip geopfert.[5]

Steuerrecht

Aus dem Gleichheitsgrundsatz heraus sind auch die Finanzbehörden verpflichtet nach dem Legalitätsprinzip zu handeln. Die Steuern sind gemäß § 85 AO gleichmäßig festzusetzen und sämtliche Umstände zur Ermittlung der korrekten Steuerhöhe zusammenzutragen. Das Opportunitätsprinzip nach § 191 AO gilt nur eingeschränkt.

Legalitätsprinzip in Österreich und der Schweiz

Der Begriff Legalitätsprinzip hat in der österreichischen und der schweizerischen Rechtssprache neben der Verpflichtung der Ermittlungsbehörden zur Strafverfolgung eine zweite, grundlegendere Bedeutung. Das Legalitätsprinzip ist hier Teil des rechtsstaatlichen Grundprinzips der Bundesverfassung und besagt gemäß Art. 18 Abs. 1 B-VG (Österreich) bzw. Art. 5 Abs. 1 BV (Schweiz), dass die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund von Gesetzen ausgeübt werden darf – es entspricht also grob dem deutschen Begriff des Vorbehalts des Gesetzes. Jeder Verwaltungsakt, der gesetzt wird, muss durch ein vom Gesetzgeber erlassenes Gesetz gedeckt sein. Das Legalitätsprinzip soll das Handeln der Verwaltung für den Bürger vorhersehbar und berechenbar machen und so Willkür (in Deutschland: Art. 3 Abs. 1 GG) verhindern. Eine Durchbrechung erfährt das Legalitätsprinzip im Rahmen der Ermessensentscheidungen von Behörden.

Weblinks

Literatur

Einzelnachweise

  1. Heiko Lesch: StPR I – Teil 2 – § 3 Das Legalitätsprinzip. Abgerufen am 14. Juli 2021 (Sommersemester 2020).
  2. Dirk Diehm, Der subjektive Anspruch auf effektive Strafverfolgung in: Fabian Scheffczyk und Kathleen Wolter: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 4, ISBN 978-3-11-042644-1, S. 223–246 (online)
  3. Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur Strafprozessordnung, 60. Auflage 2017, Rn. 1a zu § 172 StPO.
  4. Tennessee Eisenberg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 2014, Az. 2 BvR 2699/10 (Volltext online).
  5. Jürgen Roth: Ermitteln verboten! Warum die Polizei den Kampf gegen die Kriminalität aufgegeben hat. Eichborn, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-8218-5588-6.