Lisa-Maria Kellermayr

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Lisa-Maria Kellermayr (* 1985; † 29. Juli 2022 in Seewalchen am Attersee)[1] war eine österreichische Ärztin. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie bekannt, als sie während der COVID-19-Pandemie von Impfgegnern und Kritikern der Corona-Schutzmaßnahmen massiv bedroht wurde. Sie schloss daraufhin ihre Praxis und beging einen Monat später Suizid. Ihr Tod löste große Anteilnahme aus. Den Behörden, insbesondere der Polizei, wurde mehrfach Versagen vorgeworfen.

Ausbildung und Berufstätigkeit

Lisa-Maria Kellermayr studierte nach einer Ausbildung als Rettungssanitäterin Medizin in Graz und Wien und arbeitete danach in einer Reha-Klinik in Bad Ischl.

Ab März 2020 war sie im hausärztlichen Notdienst tätig und arbeitete monatelang in der Corona-Pandemiebekämpfung. Ihre Erkenntnis, dass das Glucocorticoid Budesonid schwere COVID-19-Verläufe und Spital-Einweisungen verhindert, teilte sie Ende Oktober 2020 bei einer Online-Bezirksärztefortbildung mit. In der Öffentlichkeit wurde dies kaum bekannt.[2][3] In den österreichischen Medien war darüber erst 2021 zu lesen, nachdem britische Forscher zu einem ähnlichen Befund gekommen waren.[4]

Bedrohung durch Impfgegner und Corona-Leugner

Kellermayr wurde über Monate hinweg aus dem Umfeld von Corona-Leugnern und Impfgegnern bedroht.[5][6] Die Drohungen gegen sie hatten begonnen, als die Ärztin am 16. November 2021 Teilnehmer einer „Demonstration gegen die Impfpflicht von Gesundheitspersonal“[7] vor dem Klinikum in Wels auf Twitter dafür kritisierte, den Haupteingang des Klinikums sowie die Rettungsausfahrt zu blockieren. Später stellte sich heraus, dass eine zweite Zufahrt stets offen gewesen war.[8][9][10] Die Landespolizeidirektion Oberösterreich antwortete auf Twitter und bezeichnete Kellermayrs Tweet als „Falschmeldung“.[8]

Kellermayr löschte ihren Tweet und bat die Polizei, ihren Tweet ebenfalls zu löschen. Denn, so twitterte Kellermayr: „Dieser Tweet ist Grundlage für eine Flut an Beschimpfungen, Verleumdungen, Drohungen und größten Anstrengungen von Anhängern der Szene, mir größtmöglichen Schaden zuzufügen. Er dient als Begründung, mich eine Lügnerin zu nennen, eine Hexe.“ Die Polizei reagierte nicht und löschte ihren Tweet auch Monate später nicht, als der Fall bereits große mediale Bekanntheit erreicht hatte.[11] Kellermayr wurde durch den Tweet der Polizei in Kreisen radikaler Impfgegner bekannt und Zielscheibe von Morddrohungen, Einschüchterungen und heftigen Beschimpfungen.[12]

Mehrere Drohungen bekam sie etwa von einer Person, die sich „Claas der Killer“ nannte. Er drohte, Kellermayr zu „schlachten“, allerdings erst, nachdem er „die Wände der Ordination mit den Gehirnen Deiner Mitarbeiter gestrichen hat“. Er werde Kellermayr „betäuben und in einem Keller foltern“, schrieb er ein weiteres Mal. Andere drohten mit „Schrotflinte“ oder einer „tödlichen Impfdosis“.[13]

Kellermayr bat um Polizeischutz, ihre Bitte wurde abgewiesen. Um sich und ihre Angestellten zu schützen, gab Kellermayr laut eigenen Angaben daraufhin 100.000 Euro für Sicherheitsmaßnahmen und privates Sicherheitspersonal aus. Mehrfach nahm das Sicherheitspersonal laut Aussage von Kellermayr Personen, die ihre Praxis betreten wollten, Butterfly-Messer ab.[8][11] Laut Darstellung ihres Personenschützers Marco Pucher im August 2022 hat dieser bei zwei bis drei Patienten Messer abgenommen, an gefährliche Situationen kann er sich nicht erinnern, zweimal sei es zu Vorfällen mit "provokanten Leuten gekommen".[14] Am 6. April wurde Anzeige gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft Wels wegen gefährlicher Drohung erstattet, Spuren zu einem möglichen Täter führten nach Deutschland. Am 14. Juni wurde das Ermittlungsverfahren „mangels inländischer Gerichtsbarkeit“ eingestellt.[13] Ein Sprecher der Polizei Oberösterreich sagte im Ö1-Mittagsjournal, Kellermayr würde sich „in die Öffentlichkeit drängen, um ihr Fortkommen zu fördern“ und riet ihr, sich psychologische Hilfe zu suchen und weniger in sozialen Medien aktiv zu sein.[8][15] Der oberösterreichische Landtagsabgeordnete Felix Eypeltauer von den NEOS nannte die Aussagen der Polizei eine „Frechheit“ und „geradezu unglaublich“ und forderte einen Runden Tisch.[16][17]

Ende Juni 2022 schloss sie ihre Praxis.[18][19] Über ihre Entscheidung berichteten österreichische Medien ausführlich, der Präsident der Ärztekammer Oberösterreich Peter Niedermoser kritisierte die Ärztin mit den Worten „Ich sehe ein, dass man sich wehren muss, aber es ist eine andere Frage, ob man sich bei jedem Thema auf Twitter exzessiv zu Wort melden muss“ und „manchmal ist es besser, man zieht sich zurück“,[20][18] der Vize-Kurienobmann Ziegler äußerte: Sollte die Kassenstelle in Seewalchen frei werden, werde sie schnell besetzt werden.[8][21] Der österreichische Verfassungsschutz begann sich daraufhin mit dem Fall zu beschäftigen, eine deutsche Hackerin lieferte Hinweise zur Person „Claas der Killer“. Es sei „kein großer Aufwand“ gewesen, die Person zu identifizieren, die Polizei habe da „offenbar nichts unternommen“, sagte die Hackerin gegenüber der Tageszeitung Die Presse.[22] Die oberösterreichische Polizei wies die Vorwürfe zurück und betonte, dass es von Anfang an „entsprechende Schutzmaßnahmen“ für die Ärztin und „weit über 100 direkte Kontakte und Besuche beim Opfer gegeben“ habe. Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst verlautbarte, man nehme die Rechercheergebnisse der Hackerin ernst.[23]

Tod

Am 29. Juli 2022 wurde Lisa-Maria Kellermayr tot in ihrer Ordination in Seewalchen am Attersee aufgefunden. Ihr letztes Gespräch mit der Redaktion der Website derStandard.at hatte sie am 28. Juli 2022 geführt.[2] Sie starb durch Suizid.[24][25][26]

Reaktionen

Kellermayrs Tod führte in den sozialen Medien der Corona-Leugner zu verschwörungsideologischen Spekulationen, Häme und zum Teil zu strafrechtlich relevanter Hetze.[2][27][28]

Am 1. August 2022 fand zum Gedenken an Kellermayr ein Lichtermeer vor dem Stephansdom in Wien statt, an dem mehrere tausend Menschen teilnahmen. Die Glocken des Doms läuteten zum Andenken. Auch in anderen Städten in Österreich fanden Gedenkveranstaltungen statt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen legte mit seiner Gattin Doris Schmidauer einen Kranz vor der Praxis von Kellermayr nieder.[29] Der österreichische Gesundheitsminister Johannes Rauch twitterte: „Dieser Hass muss endlich aufhören“.[12] Kurz darauf sagte er in einem Interview: „Für mich ist das ein Moment, innezuhalten, und nicht, um Schuldige zu suchen.“ Die Aussage von Rauch wurde in sozialen Netzwerken kritisiert und Journalist Hans Rauscher kommentierte im Standard: „Wenn sogar ein grüner Minister eine Beschwichtigungspolitik gegenüber Extremisten empfiehlt, dann verwundert der Zustand dieser Regierung nicht mehr.“[30]

SPÖ-Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig meldeten sich ebenso zu Wort; die NEOS kündigten an, eine parlamentarische Untersuchung zum Verhalten der Polizei einzuleiten.[31] Bundeskanzler Karl Nehammer meldete sich fünf Tage nach Kellermayrs Tod zu Wort und drückte den Angehörigen sein Mitgefühl aus.[32] Innenminister Gerhard Karner wandte sich mit einem Brief an die Polizei. Er verteidigte das Vorgehen der Polizei und kritisierte ein „generelles Schlechtreden“ der Polizeiarbeit.[33]

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der seit Beginn der COVID-19-Pandemie selbst massiven Drohungen ausgesetzt ist, schrieb auf Twitter: „Sie hat anderen das Leben gerettet und ihres dafür verloren. Ihre Arbeit führen andere weiter. Der Staat muss Menschen wie sie beschützen.“[6] Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken rief dazu auf, Opfern von psychischer Gewalt beizustehen. Der Präsident der deutschen Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, meinte, der Tod der Ärztin führe „drastisch vor Augen, wohin die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas führen kann“.[34]

Die Journalistinnen Corinna Milborn und Magdalena Punz bezeichneten Kellermayr in einem Nachruf als „herausragende Heldin in der Pandemiebekämpfung. […] Oft arbeitete sie weit über 12 Stunden am Tag und Wochenenden durch. Die meiste Zeit war sie die einzige Hausärztin in […] Oberösterreich, die Hausbesuche durchführte.“[8] Das Moderatorenduo Joko und Klaas, deren langjähriger Fan Kellermayr gewesen war, widmete ihr am 2. August 2022 mit einer Texteinblendung zu Beginn die Folge der ProSieben-Sendung Wer stiehlt mir die Show?[34][35][36]

Am 5. August 2022 wurde auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft München die Wohnung eines 59-jährigen Mannes aus dem Landkreis Starnberg durchsucht, dem Bedrohung und Nachstellung Kellermayrs vorgeworfen wird.[37]

Einzelnachweise

  1. Christina Pausackl: „Uns wird immer gesagt, wir sollen ruhig sein, uns still verhalten, dann werde das mit den Drohungen schon aufhören“. In: www.zeit.de. 3. August 2022, abgerufen am 3. August 2022: „Am 29. Juli nahm sich die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr das Leben.“
  2. a b c Colette M. Schmidt, Oliver Das Gupta: Lisa-Maria Kellermayr 1985–2022. In: derstandard.at. 31. Juli 2022, abgerufen am 1. August 2022.
  3. Josef Broukal: Budesonid – Lisa-Maria Kellermayr: „Es gab keine Fragen an mich“. In: springermedizin.at. 1. April 2021, abgerufen am 2. August 2022.
  4. Asthmaspray gegen Corona. In: oe3.orf.at. 13. April 2021, abgerufen am 6. August 2022.
  5. Christina Pausackl: Bedrohung durch Corona-Leugner: „Ich werde dich hinrichten“. In: zeit.de. 20. Februar 2022, abgerufen am 29. Juli 2022 (Artikel komplett lesbar nach kostenfreier Registrierung).
  6. a b Suizid bewegt Österreich – Ärztin Kellermayr klagt in Abschiedsbriefen an. In: n-tv.de. n-tv.de, 31. Juli 2022, abgerufen am 1. August 2022.
  7. Demo gegen Impfpflicht für Gesundheitspersonal vor Klinikum in Wels-Neustadt. In: laumat.at. 16. Dezember 2021, abgerufen am 4. August 2022.
  8. a b c d e f Corinna Milborn, Magdalena Punz: Dr. Lisa-Maria Kellermayr: Eine Würdigung. In: puls24.at. 30. Juli 2022, abgerufen am 31. Juli 2022.
  9. Hass und Morddrohungen treiben österreichische Ärztin in den Tod. In: rp-online.de, 1. August 2022, abgerufen am 4. August 2022.
  10. Teresa Wirth: Blockierten Impfgegner Krankenwagen-Ausfahrt in Wels? In: diepresse.com. 17. November 2021, abgerufen am 4. August 2022.
  11. a b Florian Klenk: „Mit tödlichen Grüßen“. In: falter.at. 5. Juli 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  12. a b Wolfgang Vichtl: Tod von Ärztin in Österreich – „Dieser Hass muss endlich aufhören“. In: tagesschau.de. 1. August 2022, abgerufen am 1. August 2022.
  13. a b Lisa-Maria Kellermayr: Ärztin tot aufgefunden – Ermittlung gegen Corona-Leugner. In: morgenpost.de. 29. Juli 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  14. Oberösterreich: „Sie war zu 100 Prozent Ärztin, ihre Patienten waren alles für sie“, nachrichten.at, 3. August 2022
  15. Wolfgang Rössler: „Zum Abschuss freigegeben“: Eine Landärztin gerät in das Visier radikaler Impfgegner. In: web.de. 3. Juli 2022, abgerufen am 4. August 2022.
  16. Petra Stacher: Ärztin schloss wegen Morddrohungen von Corona-Leugnern Praxis. In: kurier.at, 28. Juni 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  17. NEOS OÖ verlangen nach Ordinationsschließung sofortigen Runden Tisch. In: ots.at, 28. Juni 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  18. a b Colette M. Schmidt: Landärztin schließt nach Morddrohungen aus Impfgegnerszene Ordination. In: derstandard.at. Der Standard, 28. Juni 2022, abgerufen am 29. Juli 2022.
  19. Medizinerin nimmt sich das Leben. In: taz.de. 29. Juli 2022, abgerufen am 2. August 2022.
  20. Daniel Imwinkelried: Schutzlos gegen aggressive Corona-Leugner im Netz: Eine Ärztin begeht in Österreich Suizid, Neue Zürcher Zeitung, 2. August 2022
  21. Michael Schäfl: Ärztin schließt wegen Morddrohungen Ordination., OÖNachrichten, 28. Juni 2022.
  22. Barbara Steinbrenner: Bedrohte Ärztin: Deutsche Hackerin schafft, woran Österreichs Polizei seit Monaten scheitert. In: diepresse.at, 30. Juni 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  23. Heiße Spur nach Morddrohungen. In: orf.at, 1. Juli 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  24. Wolfgang Vichtl: Bestürzung nach Tod von Ärztin. In: tagesschau.de. 30. Juli 2022, abgerufen am 2. August 2022.
  25. Von Coronaleugnern bedrohte Ärztin in Oberösterreich gestorben. In: derstandard.at. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Juli 2022.
  26. Von CoV-Gegnern bedroht – Bestürzung und Appelle nach Tod von Ärztin. In: orf.at. 29. Juli 2022, abgerufen am 30. Juli 2022: „Die Staatsanwaltschaft Wels bestätigte einen Suizid.“
  27. Tote Ärztin wird in »Querdenker«-Gruppen verhöhnt. Lisa-Maria Kellermayr war im Netz monatelang bedroht worden, am Freitag wurde sie tot aufgefunden. Die Impfgegner-Szene kommentiert den Fall teils mit weiterer Hetze. Politiker äußern sich bestürzt. In: spiegel.de. 30. Juli 2022, abgerufen am 30. Juli 2022.
  28. Frederik Mallon: So eklig sind die Reaktionen der Querdenker auf den Tod einer Ärztin – Volksverpetzer. In: volksverpetzer.de. 30. Juli 2022, abgerufen am 30. Juli 2022.
  29. Tote Ärztin: Stilles Gedenken mit Lichtermeer. In: wien.orf.at. orf.at, 1. August 2022, abgerufen am 1. August 2022.
  30. Fall Kellermayr: „Nicht Schuldige suchen“. In: derstandard.at, 1. August 2022, abgerufen am 2. August 2022.
  31. Betroffenheit und Mahnwachen nach Tod von oberösterreichischer Ärztin. In: derstandard.at 30. Juli 2022, abgerufen am 2. August 2022.
  32. Nehammer sprach Angehörigen der verstorbenen Ärztin Mitgefühl aus, Maurer kritisiert Polizei. In: derstandard.at, 3. August 2022.
  33. Minister-Brief an Polizei: „Urheber ausforschen“. In: krone.at, 4. August 2022.
  34. a b Tod von Ärztin aus OÖ schlägt Wellen in Deutschland. In: orf.at. 3. August 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  35. ProSieben widmet „WSMDS“ toter österreichischer Ärztin. In: dwdl.de, 2. August 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  36. @ProSieben: #WSMDS. Gewidmet unserer langjährigen Wegbegleiterin Dr. Lisa-Maria Kellermayr. […] Wir trauern um Dr. Lisa-Maria Kellermayr. Danke für deine Treue. Danke für deinen Applaus. Danke für dein Engagement. Joko, Klaas, das gesamte Team von FloridaTV und ProSieben #RIPLisa. In: twitter.com. 2. August 2022, abgerufen am 3. August 2022.
  37. Tod von Ärztin Kellermayr: Durchsuchung im Kreis Starnberg. Ludwigsburger Kreiszeitung, 5. August 2022, abgerufen am 9. August 2022.