Lustprinzip

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Das Lustprinzip ist ein Begriff innerhalb der klassischen psychoanalytischen Theorie von Sigmund Freud. Er bezeichnet das Streben des Es nach sofortiger Befriedigung der ihm innewohnenden elementaren Triebe bzw. Bedürfnisse. Indem dies geschieht, wird Triebspannung entladen und den damit verbundenen Unlust-Gefühlen ausgewichen, bzw. diese in ihr Gegenteil verwandelt. Der komplementäre psychische Wirkmechanismus zum Lustprinzip ist das sogenannte Realitätsprinzip.

Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum bezieht Freud das Lustprinzip in seinen späteren Werken nicht mehr ausschließlich auf das sexuelle Lustempfinden, sondern kommt zu dem Ergebnis, dass es für jede Art von Bedürfnissen oder Mängeln maßgeblich ist, die ein Lebewesen ausgleichen muss, um sich und seine Art zu erhalten.

Entwicklung der Theorie

Die Libido

Die Herkunft aller Formen der Lust, die auf der biologischen Ebene erkennbar werden, sah Freud in einer universalen, triebenergetischen Lebenskraft, die er Libido nannte, vergleichbar mit „Lebenskraft“ bzw. „élan vital“ im Sinn Henri Bergsons.

An sich monistisch, äußere sich diese nicht empirisch messbare Energie ab dem Moment ihrer Verwirklichung dualistisch, d. h. nimmt nach Freud geist-körperliche oder zeit-räumliche Formen und Verhaltensweisen an, also zugleich den Aspekt der Psyche und Physis. Beide sind erst wieder im „Es“ harmonisch vereinigt. Vor allem ist dies der Fall in dem Moment, da das Gleichgewicht zwischen den sich mit Unlust meldenden Grundbedürfnissen und der (lustvollen) Befriedigung des ihnen innewohnenden Begehrens hergestellt worden ist.

Die in den früheren Werken Freuds vertretene Hypothese eines nur in der Sexualität wirkenden Lustprinzips war begründet in Patientinnen, die an der sog. Hysterie litten und deren Träume – wie mittels ihrer Freien Assoziationen deutlich wurde – häufig zu ihren unbewussten genitalen Bedürfnissen verwiesen.

Kindliche Lust

Aus Beobachtungen von Kleinkindern schloss Freud bald auf ein von Geburt an bestehendes Luststreben. Dies erschien ihm jedoch als so vielgestaltig und unspezifisch, dass er es nicht als Vorläufer ausschließlich sexueller Lust bezeichnen wollte. Stattdessen prägte er zur Benennung des kindlichen Lustverhaltens den aus heutiger Sicht irreführend anmutenden Begriff der „polymorphen Perversionen“ – eine Maßnahme, die Freud ergriff, um von seinen zeitgenössischen Fachkollegen überhaupt annähernd verstanden zu werden, da in dieser Zeit Kindern die körperliche Lustbetätigung von der Religion wie der Wissenschaft konsequent abgesprochen wurde. Kindheit war als „asexuell“ definiert, also unschuldiger Engelszustand im Sinne der kirchlichen Lehre.

Die so genannten polymorph-perversen[Anm 1] kindlichen Regungen äußern sich nach Freud nicht nur in der Befriedigung über die Geschlechtsorgane (Onanie bereits in der Wiege, 'Doktorspiele'), sondern ganz allgemein in jeder Form des Lustgewinns durch Körperkontakt (Haut an Haut zu mehreren, allein an Gegenständen sich reiben, Saugen, Nuckeln mit und ohne Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Nasebohren usw.). Schon Ansätze von Lustfeindlichkeit durch einschränkende moralische Erziehung führen Freuds Theorie zufolge zu einer Einschränkung der natürlichen Antriebe und zu Neurosen.

Das Lustprinzip

Freud entdeckte das Lustprinzip anhand der Traumanalyse, aus deren Befunden er den Hauptteil seiner Erkenntnisse gewann. Das Anstreben von Lust und vernunftgelenktes Meiden von Unlust verkörpern die zwei elementarsten Aspekte des Lustprinzips. Das Lustprinzip wirkt sowohl in dem Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme zur unmittelbaren Lebenserhaltung wie auch in der sexuellen Lustbefriedigung zur arterhaltenden Vermehrung, ferner im geistigen Streben nach Lust (Wissensdurst), im Sozialen und in den anderen naturgemäßen Bedürfnissen.

Ein unbefriedigtes Grundbedürfnis ist reines Begehren. Es erzeugt wesensmäßig energetische Spannungen, die entweder auf eher körperlicher oder auf eher geistiger Ebene spürbar werden; je nachdem, welches Bedürfnis es war, das unbefriedigt blieb. In Frage kommen z. B. Einsamkeitsspannungen infolge sozialer Frustrationen, oder Unsicherheit infolge eines Sachverhaltes, der (geistig) nicht geklärt wurde; ebenso "Hunger" als vielleicht reinste Form des immer auf Triebenergie reduzierbaren Verlangens. Jeder der Antriebe verlangt auf seine je eigene Weise nach Befriedigung (Lustgewinn bis zur Stillung des Bedürfnisses).

Es wird dabei nach dem Prinzip der Triebökonomie verfahren, d. h. die Energie investiert zunächst etwas von sich selbst, um die Erzeugung von Unlustgefühlen wie z. B. Hunger zu bewirken. Erst deren innere Wahrnehmung veranlasst den Organismus –  d. h. sein "Ich"  – nach den zu ihrer Stillung geeigneten Objekten zu suchen, wobei als Mehrwert der Investition Lust gewonnen wird.

Das ICH/Bewusstsein hat dabei die Aufgabe, nach Klarheit in sich und nach äußeren Lebensquellen zu suchen: So sind Menschen also fähig, im wechselseitig fruchtbaren Austausch die sozialen Spannungen abzubauen, die sich aus einer vorherigen Frustration ergaben, oder auch sich um Nahrung zu kümmern, bei der sich die Lust über deren Einverleibung einstellt.

Siehe auch

Literatur

  • Sigmund Freud: Jenseits des Lustprinzips. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig, Wien und Zürich 1920 (Erstdruck), 2. überarbeitete Auflage 1921, 3. überarb. Auflage 1923
  • Marie-Ann Lenner: Benjamin Barber: Psychologische Dimensionen der Demokratietheorie. GRIN Verlag, Norderstedt 2011, S. 3 ff. (online)

Weblinks

Wiktionary: Lustprinzip – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Um 1900 nannte man alle Arten der Lust, die nicht direkt und ausschließlich nur im Dienste der Fortpflanzung stehen - wie der „homoerotische“ Lustaustausch - eine 'perverse' Entartung. So galt es etwa als unschickliche Obszönität, den Appetit auf eine bestimmte Speise mit "Lust auf .." zu benennen. Der Begriff 'Perversionen' wurde von Freud nie wörtlich verstanden (lat.: perversum = verdreht, unnatürlich, abartig. Griech.: poly- = viel und morphos = Gestalt).