Magnus-Hirschfeld-Platz

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CSD-Parade 2018 am Magnus-Hirschfeld-Platz

Der Magnus-Hirschfeld-Platz in Nürnberg am Sterntor ist seit 2013 die örtliche Gedenkstätte für die homosexuellen Opfer des NS-Regimes. Die Benennung nach dem Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld erfolgte im Jahr 2019.

Lage

Der Platz befindet sich am südlichen Rand der Lorenzer Altstadt und wird im Norden vom Sterntor Parkhaus, im Westen von der Grasersgasse bzw. dem Sterntor und im Osten von der Vorderen Sterngasse umrahmt. Südlich grenzt der begrünte Graben der Stadtmauer, in weiterer Folge die Straße Frauentorgraben sowie das ehemalige Maritim-Hotel und das schräg gegenüberliegende Opernhaus an.[1]

Geschichte

Forderung nach einer Gedenkstätte

Nachdem 1994 der Paragraph 175, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte, endgültig aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen wurde, forderte unter anderem der Nürnberger schwul-lesbische Verein Fliederlich die Einrichtung einer Gedenkstätte für die homosexuellen Opfer des NS-Regimes.[2] Mit der Eröffnung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände im Jahr 2001 wurde vom Verein Fliederlich in Zusammenarbeit mit dem Verein Geschichte für Alle erstmals eine Studie über die Verfolgung Homosexueller in Nürnberg erstellt. In der Folge wurden mindestens einmal jährlich zum Nürnberger Christopher Street Day Anfang August bei Führungen anhand von fünf Stationen die Geschichte der Verfolgung Homosexueller, auch zu reichsstädtischer Zeit und in Folge der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches von 1872 nachgezeichnet. Zwei Stationen beschäftigten sich hierbei auch mit dem Schicksal zweier Opfer des Nationalsozialismus.[3] Nach dem Antrag Stadtrats Jürgen Wolffs von Bündnis 90/Die Grünen „Würdigung der Homosexuellen als Opfergruppe während des Nationalsozialismus in Nürnberg“ beschäftigte sich auch der Kulturausschuss der Stadt Nürnberg am 28. August 2006 erstmals mit dem Anliegen einen Gedenkort einzurichten.[4][5]

Standortsuche

Nach eingehender Prüfung mehrere Standorte erwies sich das Dokumentationszentrum als Ort der Täter nicht geeignet für eine Opfer-Gedenkstelle, zumal hier auch keine Übergriffe an Homosexuellen belegbar waren.[6] Der Standort Marientormauer auf Höhe der Hauptschule Insel Schütt gegenüber dem Cinecittà stand in der Folge eines Suizidversuchs eines Homosexuellen in der Nachkriegszeit zur Debatte, stellte jedoch keinen direkten Bezug zum Nationalsozialismus dar. Ein Gedenkort vor einem Wohnhaus eines homosexuellen Opfers des NS-Regimes wurde als unpassend erachtet, da dieser einen stark individuellen Charakter gehabt hätte, der an das Projekt der Stolpersteine erinnert hätte und in Bezug auf mögliche Auseinandersetzungen mit der heutigen Bewohnerschaft kritisch gesehen wurde.[7]

Da man aus Prozessunterlagen aus Verfahren wegen des Paragraphen 175 StGB rekonstruieren konnte, dass damals viele homosexuelle Männer zwischen dem Opernhaus und dem Hauptbahnhof sowie zwischen der Lorenzkirche und dem Königstor Kontakte zueinander knüpften, hielt man einen Standort in diesem Gebiet für am besten geeignet. Mit einer ehemaligen Straßenbahnhaltestelle mit Wartehäuschen samt integrierter Bedürfnisanstalt am Sterntor, die auch als Cruising-Ort fungierte, konnte man schließlich in diesem Areal auch einen konkreten Fall darstellen, der exemplarisch für das Schicksal vieler Nürnberger Homosexueller unter dem Nationalsozialismus zu stehen scheint. Ausgehend von einer Anzeige gegen Johann Fluhrer im Jahr 1931, wurde er in den Folgejahren systematisch bespitzelt und verurteilt, sodass er nach einer Zuchthausstrafe zwischen 1937 und 1940 vor einem Sondergericht am Landgericht Nürnberg-Fürth am 29. Februar 1944 zur Todesstrafe verurteilt wurde, die am 24. März 1944 in München-Stadelheim vollzogen wurde. Gegenüber der Straßenbahnhaltestelle, an Stelle des 2021 geschlossenen Maritim-Hotels, befand sich bereits damals eine Herberge, die vorrangig von der Hitlerjugend genutzt wurde, um regelmäßig Homosexuelle zu beobachteten und zu denunzierten. Des Weiteren befinden sich mit dem Denkmal für die ermordeten und verfolgten Sinti und Roma am Färbertor, dem Zwangsarbeiter-Mahnmal „Transit“ am Plärrer und der Gedenkstele für die Opfer der Nürnberger Rassengesetze vor der AOK-Zentrale bereits weitere Gedenkstätte für Opfer des NS-Regimes entlang des Frauentorgrabens, sodass dieser Standort letztlich auch im Gesamtkontext als am besten geeignet angesehen wurde.[8][9]

Einrichtung der Gedenkstätte

Nachdem durch die Wahl des Stadtrats 2008, wie üblich, alle Vorhaben, die in der letzten Amtsperiode nicht verabschiedet wurden, verfielen, erfolgte im September 2011 ein erneuter Antrag seitens der Grünen zur Einrichtung einer Gedenkstele, welcher der Nürnberger Kulturausschuss im November 2012 einstimmig annahm. Nach Prüfung der Bodengegebenheiten durch das Baureferat erfolgte am 27. Juni 2013 unter dem damaligen Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) bei einem Festakt die Eröffnung der Gedenkstätte. Diese bestand zu Beginn aus einer etwa drei Meter hohen Gedenkstele, welche vom Nürnberger Künstler Christof Popp gestaltet wurde und auf zwei Seiten über die Situation Homosexueller während der NS-Zeit mit ihren rund 50.000 Opfer berichtet sowie über ortsspezifischen Bezug zum Thema aufklärt. Die Kosten, welche sich auf rund 10.000 Euro beliefen, trug die Stadt trotz angebotener Spenden seitens des Vereins Fliederlich und von Privatpersonen alleine.[10][11][12][13][14]

Auf Vorschlag des damals zweiten Nürnberger Bürgermeisters Christian Vogel (SPD) erfolgte am 17. Mai 2016, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT), die Einweihung eines Blumenbeets. In Form eines Dreiecks wurden unter anderem Lavendelstauden gesetzt, die an den Rosa Winkel, welcher als die Kennzeichnung für homosexueller Häftlinge in den NS-Konzentrationslagern ab 1936 diente erinnern sollen. Zudem stiftete der Steinmetz Bastian Brauwer eine selbst gefertigte Gedenktafel mit Inschrift, an der seitdem Blumenkränze niedergelegt werden können. Die Finanzierung erfolgte durch die Kollekte aus dem CSD-Queergottesdienst 2015, den Nürnberger CSD-Förderverein und privaten Sponsoren.[15]

Namensgebung

Nachdem das Nürnberger "Bündnis gegen Trans- und Homophobie" bereits im Jahr 2017 den Vorschlag erarbeitet hatte, dem Platz der Gedenkstelle einen würdigen Namen zu verleihen und nach Magnus Hirschfeld zu benennen, stimmten die betroffenen Gremien der Stadt dem Vorschlag in der Folge einstimmig zu. Offiziell erfolgte die Benennung nach dem Sexualforscher und Gründer des Instituts für Sexualwissenschaften sowie des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees, das sich bereits ab 1897 für eine Strafrechtsreform des Paragraphen 175 einsetzte, am 5. Juli 2019. Als Jude und Homosexueller wurde er selbst von den Nationalsozialisten verfolgt, sodass seine Bücher und Schriften NS-Zeit vernichtet wurden und er nach massiven Anfeindungen bereits 1932 ins Exil ausgewanderte, wo er letztlich 1935 verstarb. In Nürnberg standen sich bereits in den späten 1920er Jahren eine Anhängerschaft Hirschfelds, welche im Verein „Silhouette“ organisiert war und die hier verlegte NS-Propagandazeitschrift Der Stürmer feindlich gegenüber. Zu den offiziellen Feierlichkeiten der Namensgebung unter Regenbogenfahnen waren neben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens rund hundert Personen aus der queeren Szene vor Ort. Insgesamt ist es erst der vierte öffentliche Raum in Deutschland, der nach Magnus Hirschfeld benannt wurde.[16][17][18][19]

Neugestaltung

Im Zuge des Vorschlags zur Benennung des Platzes nach Magnus Hirschfeld wurde seitens des Vereins Fliederlich auch der Wunsch nach einer Neugestaltung des Ortes mittels einer gärtnerischen Aufwertung geäußert. Bei einem offenen Beteiligungsprozess im Frühjahr 2019 wurden Ideen gesammelt, bei dem unter anderem die Versetzung des Blumenbeetes angeregt wurde. Im Oktober begann schließlich die Rodung des bestehenden Gehölzbestandes, sodass auf einer Fläche von etwa 130 Quadratmetern auf der Nordseite des Platzes ein neues geschwungenes Pflanzbeet mit niedrigen Bodendeckern und zahlreichen Blühgewächsen, wie Zierlauch, verschiedenfarbigen Tulpen und Rosenstauden angelegt wurde. Dieses ist von Reitgras und einer immergrünen Hecke vor der Parkhauseinfahrt umgeben und soll seine Hauptblütezeit zwischen Mai und August haben. Um einen Lebensraum für Vögel und Insekten zu bieten, wurden zudem Feuerdornhecken mit Blüten und Beeren, Fliedersträucher und ein Zierapfelbaum mit einfachen Blüten als Pollenspender gepflanzt. Ebenso wurde der Platz neu gepflastert und eine sogenannte Lesbengedenkkugel, die mit der Inschrift „Zum Gedenken an die lesbischen Frauen, die im Nationalsozialismus unter dem Vorwand von Prositution, Asozialität und Kriminalität verfolgt wurden“ auch an die weiblichen homosexuellen Opfer des NS-Regimes erinnert, installiert. Als Überraschung präsentierte Christian Vogel bereits im März 2020 eine Bank in Regenbogenfarben als eine zusätzliche Verbesserung der Aufenthaltsqualität und zugleich ausdruckstarkes Signal an dieser Stelle. Diese stellt die bisher erste und einzige in Bayern dar. Die offizielle Eröffnung erfolgte erneut zum IDAHOBIT, am 17. Mai 2020. Insgesamt beliefen sich die Kosten für die Umgestaltung der rund 500 Quadratmeter großen Fläche auf rund 100.000 Euro.[20][21][22][23][24]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Magnus-Hirschfeld-Platz auf gaycon.de, abgerufen am 20. Juni 2022
  2. In Nürnberg wurde eine Gedenkstele für homosexuelle Opfer des Nazi-Regimes eingeweiht auf radio-z.net, vom 27. Juni 2013, abgerufen am 20. Juni 2022
  3. Homosexuelle unter dem Hakenkreuz – Nürnberger Spuren der Verfolgung [PDF] auf nuernberg.de, abgerufen am 20. Juni 2022
  4. Magnus-Hirschfeld-Platz Mahnmal für die homosexuellen Opfer des NS-Regimes kommt auf gaycon.de, vom Januar 2013, abgerufen am 20. Juni 2022
  5. Homosexuelle unter dem Hakenkreuz – Nürnberger Spuren der Verfolgung [PDF] auf nuernberg.de, abgerufen am 20. Juni 2022
  6. In Nürnberg wurde eine Gedenkstele für homosexuelle Opfer des Nazi-Regimes eingeweiht auf radio-z.net, vom 27. Juni 2013, abgerufen am 20. Juni 2022
  7. Homosexuelle unter dem Hakenkreuz – Nürnberger Spuren der Verfolgung [PDF] auf nuernberg.de, abgerufen am 20. Juni 2022
  8. In Nürnberg wurde eine Gedenkstele für homosexuelle Opfer des Nazi-Regimes eingeweiht auf radio-z.net, vom 27. Juni 2013, abgerufen am 20. Juni 2022
  9. Homosexuelle unter dem Hakenkreuz – Nürnberger Spuren der Verfolgung [PDF] auf nuernberg.de, abgerufen am 20. Juni 2022
  10. Magnus-Hirschfeld-Platz Mahnmal für die homosexuellen Opfer des NS-Regimes kommt auf gaycon.de, vom Januar 2013, abgerufen am 20. Juni 2022
  11. Seite 1 der Gedenkstele auf dykemarchnuernberg.files.wordpress.com, abgerufen am 20. Juni 2022
  12. Seite 2 der Gedenkstele auf nordbayern.de, abgerufen am 20. Juni 2022
  13. Gedenkstele für homosexuelle Opfer des NS-Regimes auf frankenfernsehen.tv, vom 27. Juni 2013, abgerufen am 20. Juni 2022
  14. Gedenkort für lange vergessene Opfer auf nordbayern.de, vom 28. Juni 2013, abgerufen am 22. Juni 2022
  15. Florales Memoriam auf gaycon.de, vom 17. Mai 2016, abgerufen am 20. Juni 2022
  16. Würdiger Name auf gaycon.de, vom Juli 2019, abgerufen am 20. Juni 2022
  17. Neuer Magnus-Hirschfeld-Platz in Nürnberg auf queer.de, vom 20. Juni 2019 abgerufen am 22. Juni 2022
  18. Nürnberg ehrt Magnus Hirschfeld mit eigenem Platz auf queer.de, vom 5. Juli 2019, abgerufen am 22. Juni 2022
  19. Magnus-Hirschfeld-Platz in Nürnberg auf magnus-hirschfeld.de, vom 5. Juli 2019, abgerufen am 22. Juni 2022
  20. Magnus-Hirschfeld-Platz vollendet auf queer.de, vom 5. März 2020 abgerufen am 22. Juni 2022
  21. Eröffnung Magnus-Hirschfeld-Platz auf nuernberg.de, vom 15. Mai 2020, abgerufen am 22. Juni 2022
  22. Lesbengedenkkugel auf dem Magnus-Hirschfeld-Platz auf dykemarchnuernberg.wordpress.com, vom 5. Juli 2019, abgerufen am 22. Juni 2022
  23. Neugestaltung auf gaycon.de, vom Mai 2020, abgerufen am 20. Juni 2022
  24. Überraschung auf gaycon.de, vom März 2020, abgerufen am 20. Juni 2022

Koordinaten: 49° 26′ 49,3″ N, 11° 4′ 39,5″ O